Freyung-Grafenau. Nein, der bärtige Jüngling mit den schicken „Ray-Berry“-Sunglasses ist nicht etwa David „The Hoff“ Hasselhoff – und auch der fetzige Sportschlitten zu seiner Linken hat mit Knight Riders „KITT“ nur wenig gemeinsam. Es ist auch äußerst unwahrscheinlich, dass die beiden im Laufe des Artikels die Welt retten werden. Doch: Halt! Stopp! Bleiben Sie dran!
Der E-Mil will’s mit der Karte…
Nachdem ich bei der Übergabe der neuen E-Autos an den Landkreis Freyung-Grafenau schon einmal „Probe-Beifahren“ durfte, wollte ich mich von der Elektro-Sache schon noch etwas genauer überzeugen. Ich wollte in Erfahrung bringen, ob die Autos auch auf mich „elektrisierend“ wirken – sprich: ob der „Funke“ der E-Mobil-Revolution auch auf mich überspringen würde. Für diesen Zweck gewährte mir die E-WALD GmbH eine dreitägige Testfahrt mit dem neuen Nissan Leaf – nennen wir ihn der Einfachheit halber „E-Mil“. Ebendieser behauptet von sich, vollkommen ohne Sprit und nur mittels elektrischem Strom auszukommen. Der Ölscheich weint, das Kraftwerk jubelt – was Rudolf Diesel dazu sagen würde, mag ich mir gar nicht erst ausmalen…
Neben dem Verzicht auf Treibstoff fallen bei der Erstbegutachung schleunigst einige weitere signifikante Unterschiede ins Auge. Für E-Mil geziemt es sich zunächst einmal nicht, rücksichtslos und ohne Vorwarnung einen Schlüssel in ihn hineinzuschieben – und diesen gar noch gewaltsam umzudrehen. E-Mil, so scheint es von Anfang an, ist eher vom Typ „Softie“. E-Mil will’s mit der Karte! Fehlt diese, kann man sich das gute Stück zwar von außen ansehen – von links, von rechts, von vorne, von hinten und auch von unten, wenn man denn will. Mit dem Reinkommen ins Innere des Elektromobils wird’s allerdings schwierig. Wer sich im Rahmen der Legalität bewegen möchte, wird somit ohne Karte leider auf den Fahrspaß verzichten müssen…
Ein Paradies für Fortschritts- und Moderniesierungsverfechter
Einmal drin, macht sich bei mir sofort etwas Weihnachtsstimmung breit. Es liegt wohl an all den Leuchten und Lämpchen in funkelndem Grün, Gelb, Blau und Rot, die irgendwie an die Festtage im Dezember erinnern. Was den Eindruck verstärkt: Bei besonders ökonomischer Fahrweise baut sich (quasi als Belohnung) in der Anzeige vor einem, gleich neben dem Tacho, ein kleiner, virtueller Baum auf. Würstchen und Sauerkraut – das wär’s jetzt!
Rückfahrkamera, Regensensor, automatische Scheinwerfer, ein Flachbildfernseher an der Stelle, an der ich normalerweise ein Autoradio erwarte. Wenn das ein Auto ist, dann muss mein in die Jahre gekommener VW Polo, der daheim in der Garage steht – irgendetwas anderes sein. An der Stelle, wo der Normalbürger einen Schaltknüppel erwarten würde, befindet sich etwas, das mich vielmehr an einen Nintendo-64-Controller erinnert. Ach ja – und die Kupplung nicht zu vergessen! Die Kupplung wurde abgeschafft, die gibt’s jetzt auch nicht mehr! Automatikgetriebe schimpft sich das. So wie irgendwie alles in diesem Gefährt automatisch funktioniert. Ein wahres Paradies für Fortschritts- und Moderniesierungsverfechter also.
Das schnellste Teil mit Stecker, das ich je zu Gesicht bekam
Nur aufs Gas drücken muss/darf/kann man dann doch noch selber. Dabei ist eins gewiss: Das Ding geht ab wie die berühmte Schmidts Katze bzw. Harry Hirsch auf Ecstasy!! Das schnellste Teil mit Stecker, das ich bisher in meinem Leben zu Gesicht bekommen habe, war bis zu diesem Zeitpunkt der Vorwerk-Staubsauger, mit dem ich ab und an durch meine vier Wände düse – doch besonders schnell war der jetzt auch nicht… im Gegensatz zu E-mil, der es recht eilig zu haben scheint, wenn man ihm denn ordentlich Bodenblech gibt. Schnell, aber trotzdem unglaublich leise. Wirklich unglaublich leise. Langsam von hinten an den ahnungslosen Passanten heranbeschleunigt – und dann: HUPEN!! Ein Mordsspaß! Ja, ich weiß – Entschuldigung…
Leider drückte sich der Schlitten bei der Angabe der Reichweite manchmal etwas „ambiguous“ aus, was mit den landschaftlichen Gegebenheiten und dem Kilometer-Berechnungsalgorithmus zu tun hat (klingt ganz schön g’scheidt daherg’redt, oder?) Hat man Pech und es geht über einen längeren Zeitraum steil bergauf, legt man auf der eigentlich 13 Kilometer langen Strecke Röhrnbach-Freyung laut E-Mil-Anzeige gerne mal 60 Kilometer zurück. Plattentektonik hin oder her – muss sich der gute E-mil wohl geirrt haben. Doch: Alles kein Problem, das Ladekabel steckt ja im Kofferraum – und man kann ganz neben den im Landkreis verteilten Ladestationen ganz bequem auch an der hauseigenen 230V-Steckdose wieder aufladen. Das klingt zwar alles etwas nach elektrischer Zahnbürste, ist aber tatsächlich ein motorisiertes Fahrzeug – und ehrlich gesagt auch ganz praktisch.
Mit E-Mil in die Mongolei!
„Why aye man – Why aye, why aye man“ – mit E-Mil und den Dire Straits bei Sonnenschein und offenem Fenster Richtung Osten, das macht schon was her. „Nay more work on Maggie’s farm. Head away down the autobahn.“ Etwas Sorgen mach ich mir nur immer dann, wenn Gewitterwolken am Himmel aufziehen. In meinem Kopf spiele ich vorsichtshalber schon mal durch, was im Falle eines Blitzeinschlags mit mir und E-Mil wohl passiert. Im besten Fall würde vermutlich die Ladeanzeige wieder 100 Prozent anzeigen – ich könnte dann unbeschwert weiterbrausen und hätte auch noch Zeit und Geld gespart. Zugegeben: eher unwahrscheinlich! Im eher ungünstigeren Szenario hebt sich die vordere Hälfte des Autos kurz an, die Hinterreifen bohren sich etwas in den Untergrund, wir beide schießen jenseits der Schallgeschwindigkeit über die Straße – und kommen erst im mongolischen Ulaanbaatar wieder zum Stehen. (Zur Info: Das Gewitter ist während meiner Testphase ausgeblieben – schade eigentlich! Die Mongolei soll bezaubernd sein…)
Umweltengel Elektroauto? Ja schon irgendwie, aber…
Mit so einem elektronischen Fahrzeug lässt sich natürlich auch das eigene Gewissen hervorragend beruhigen. Schließlich verpestet man nicht – wie all die anderen kraftstoffbetriebenen Verkehrsteilnehmer – rücksichtlos und schonungslos die Umwelt. Aber Vorsicht! Zwar mag das „Zero-Emission“-Konzept primär der Wahrheit entsprechen, doch setzt dies voraus, dass es sich dabei auch um „Zero Emission“-Strom handelt. Ausgehend von einem Verbrauch von 15kWh/100km, wie dieser auf der offiziellen Nissan-Leaf-Seite angegeben wird, entspricht das bei Strom aus dem Braunkohlekraftwerk nämlich 17,29 Kilogramm CO2/100 Kilometer. Bei Strom aus dem Erdgaskraftwerk immerhin noch 6,42 Kilogramm CO2/100 Kilometer. Bei einem benzinbetriebenen Auto mit einem Durchschnittsverbrauch von sieben Litern auf 100 Kilometer liegt der CO2-Ausstoß nämlich bei „nur“ 16,6 Kilogramm – demnach sogar unter dem des (fiktiv) mit Braunkohlestrom betriebenen Nissan Leaf. Also „JA“ zum Elektroauto – aber dann bitte auch stets in Verbindung mit „sauberer“ Energie bzw. „grünem“ Strom.
Einen weiteren Minuspunkt gibt’s bei der Reichweite. Auch bei ökonomischer Fahrweise ist es leider spätestens nach 140 Kilometern wieder Zeit zum „O’zapfa“. Mit zwölf Stunden Ladezeit gestaltet sich dieser Prozess dann auch relativ langwierig. Zwar existieren mittlerweile sogenannte Schnellladestationen, mit Hilfe derer ein Auto innerhalb von 30 Minuten auf bis zu 80 Prozent des Ladevolumens aufgetankt werden kann. Jedoch gibt es davon aktuell in unserer Region noch sehr wenige.
Ein Schritt in die richtige Richtung
Fazit: Generell eignet sich das E-Auto „Nissan Leaf“ meiner Meinung nach bisher eher als Stadtauto oder als Zweitwagen. Auch wenn für meinen Geschmack etwas zu viel „Automatik, Lämpchen und Technik“ im Auto verbaut ist, fährt sich der E-Mil dennoch unglaublich angenehm und macht vor allem Spaß. Der ausbleibende Lärm ist ein Punkt, der sehr positiv ins Gewicht fällt, denn auch Lärmschutz ist Umweltschutz. In Verbindung mit „grüner“ Energie ist der Nissan Leaf mit Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung…
Johannes Gress
(Transparenz-Erkärung: Wie fährt sich ein Elektroauto? Würde ich meine Führerscheinprüfung heut noch einmal bestehen? Wie “gefährlich” ist das Klettern in einem Hochseilpark? Oder: Wie gelingt ein richtiger Schweinebraten? Wir probieren’s für Sie (so wie hier für den Sportpark Reuthmühle aus Dorn) und unsere Leser aus – stets offen und ehrlich! Wenn auch Sie unser Ausprobiat-Team für Ihre Sache engagieren wollen, kontaktieren Sie uns einfach – und wir schicken Ihnen zum absolut freundlichen Ausprobiat-Preis eine kompetente, wagemutige und offenherzige Truppe vorbei, “bewaffnet” mit Bleistift, Papier, Foto- und Videokamera. Einfach eine Email mit dem Kennwort “Ausprobiat” an info@hogn.de senden – und wir melden uns umgehend bei Ihnen.)