Freyung/Temelín/Wien/München. Das Atomkraftwerk (AKW) Temelín sorgt immer wieder für reichlich Diskussionsstoff und Beunruhigung in der Bevölkerung. Wie das Onlinemagazin „da Hog’n“ kürzlich berichtete, hat sich mutmaßlich am 26. Juni an besagtem Standort in Tschechien ein Störfall im Reaktorblock II ereignet. Dabei kam es „offensichtlich zu einem massiven Austritt von radioaktivem Gas“, wie Grünen-MdL Rosi Steinberger mitteilte. Da auch an der Außenhülle des Reaktors erhöhte Strahlung gemessen worden sei, könne es sich der Landtagsabgeordneten zufolge „gewiss nicht um eine Lappalie handeln“.
Temelín – Eine tickende Zeitbombe?
Zunächst wurde am 26. Juni nach übereinstimmenden Medienberichten zwar bestätigt, dass es sich um einen undichten Dampfgenerator handele. Von austretender Strahlung war jedoch keine Rede. Nach Angaben von Rosi Steinberger meldete dann der Grünen-MdL Rosi Steinberger am 3. Juli, dass „niedrige Strahlungsdosen außerhalb der bewilligten Räumlichkeiten“ gemessen werden konnten. Dennoch gehe davon keine Gefahr für Menschen oder Umwelt aus, da die Werte unter den Grenzwerten lägen.
Auch die MF DNES, eine der auflagenstärksten Tageszeitungen Tschechiens, berichtete am Folgetag über eine niedrige Strahlendosis am Dach. „Es geht um sehr niedrige Werte, die in den bewilligten Limits liegen – und das nur in der unmittelbaren Nähe der Einrichtung. Sie wurden aber in den Stellen gemessen, wo sie nicht sein sollen. Deswegen informieren wir über die Situation das Staatsamt für Kernsicherheit und die tschechische und österreichische Öffentlichkeit“, erklärte der AKW-Sprecher Marek Svitak gegenüber der Tageszeitung.
Erhöhte Strahlenwerte in Waldhäuser, Gemeinde Neuschönau
In Anlehnung an diese Meldungen wies uns ein Hog’n-Leser dann auf folgendes Diagramm des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) hin:
Aus dem Diagramm lässt sich entnehmen, dass Waldhäuser in der Gemeinde Neuschönau, etwa 100 Kilometer vom Atomreaktor entfernt gelegen, am Abend des 4. Juli erhöhte Strahlenwerte aufweist. Kurzzeitig befindet sich der Wert sogar über dem angegebenen Schwellenwert (grüne Linie). Besteht dabei ein Zusammenhang zum Unfall in Reaktor II? Das „Sorgenkind“ Temelín befindet sich zirka 80 Kilometer von der deutsch-tschechischen Grenze entfernt – und lässt somit auch die Bewohner des Bayerischen Waldes immer wieder aufhorchen. Einige Hog’n-Leser brachten ihre Besorgnis nach dem Zwischenfall vom 26. Juni bereits zum Ausdruck:
War es also reiner Zufall, dass es sich bisher „nur“ um einen „Zwischenfall“ und keinen Super-GAU handelte? Können wir wirklich „die Tage zählen, bis dieser Reaktor in die Luft fliegt“, wie Hog’n-Leser Karl Edenhofner befürchtet? Und besteht bei den sichtlich erhöhten Werten der Ortsdosisleistung im Diagramm tatsächlich ein Zusammenhang zu dem Vorfall vom 26. Juni?
Schwellenwert lässt keine Aussagen über Gesundheitsgefährdung zu
Auf Nachfrage beim BfS kann zumindest die Frage nach den erhöhten Strahlenwerten geklärt werden. Wichtig sei zuerst, dass es sich bei der besagten grünen Linie um einen Schwellenwert und nicht um einen Gefahrenwert handelt, wie Anja Lutz, Pressesprecherin des BfS, erklärt. Ein kurzeitiges Überschreiten des Schwellenwertes bedeute keine Gefahr.
Dieser Wert sei vielmehr eine Art Orientierungspunkt, der knapp über dem Durchschnittswert angelegt sei und an jeder Messstation individuell festgelegt werde. Die grüne Linie hilft also, selbst leichte Veränderungen ausmachen zu können. Über mögliche „Gefahren“ lasse sich mit Hilfe dieser Markierung keine Aussage treffen. Diese Schwelle werde auch jahreszeitlich angepasst, denn eine Schneedecke zum Beispiel schirme einen Teil der Strahlung ab und somit erscheine der Wert dann niedriger, so Lutz.
Weiter informiert die BfS-Sprecherin, dass der Grund für solch kurzzeitig erhöhten Strahlenwerte, welche dann auch schnell wieder auf den Ausgangswert zurückfallen, bei den Niederschlägen liege. Auch beim benannten Fall in Waldhäuser sei Regen die Ursache für die erhöhten Werte. „Dabei geht in keinem Fall eine Gefahr aus“, beruhigt Lutz. „Das ist der ganz klassische Verlauf für ein Regenereignis, dass es relativ schnell hoch und dann langsamer wieder runtergeht.“
Erhebliche Mängel im Temelín AKW
Ein Zusammenhang zum Störfall könne daher ausgeschlossen werden. Bei einer unmittelbaren Verbindung zum Ereignis in Temelín würde der Wert erstens viel höher steigen und außerdem nur sehr viel langsamer wieder sinken. Des Weiteren weisen Lutz zufolge andere Sonden in der Region keine Erhöhung des Strahlenwertes auf, was bei einem kerntechnischen Unfall durchaus der Fall wäre.
Wie sicher das im Jahr 2000 in Betrieb genommene Kraftwerk wirklich ist, darüber lässt sich streiten. Der 2011 pensionierte Leiter der Abteilung „Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen“ im Bundesumweltministerium, Dieter Majer, veröffentlichte im August 2013 einen Bericht mit dem Titel „Mögliche Schwachstellen im Primärkreislauf des tschechischen Atomkraftwerkes Temelin 1“ , welche erhebliche Mängel im tschechischen AKW ans Licht bringt. Eine erhöhte Strahlung im niederbayerischen Raum im Zusammenhang mit dem Reaktor-Zwischenfall vom 26. Juni könne jedoch mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden.
Atom-Sprecher Uhrig kritisiert tschechischen Informationspolitik
Was aber war dann genau los im tschechischen AKW? Dr. Reinhard Uhrig, Atom-Sprecher der österreichischen Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000, gibt gegenüber dem Hog’n an, dass die tschechische Nationalaufsicht einen Austritt von Radioaktivität gemessen habe. Nachdem der Reaktor für einen Brennstoffwechsel heruntergefahren wurde, sollte dieser am 26. Juni wieder in Betrieb genommen werden. Dabei wurde am „Dampferzeuger IV vom Reaktor II eine Undichtigkeit gefunden“, berichtet Uhrig.
Beim Vorfall seien 2000 Liter Kühlwasser pro Stunde aus dem Dampferzeuger ausgetreten – dabei auch radioaktive Flüssigkeiten. Daraufhin wurde der Reaktor umgehend wieder heruntergefahren. Solche Unregelmäßigkeiten werden normalerweise durch regelmäßige Kontrollen im Vorhinein verhindert, jedoch wurde in diesem Fall „schleissig“ gearbeitet. „Dass ein Leck von 2000 Litern pro Stunde erst beim Hochfahren gefunden wird, sollte nicht der Fall sein“, kritisiert der Atom-Sprecher.
Die vorgesehene Lebensdauer eines AKWs liege bei 30 Jahren und deshalb fordere GLOBAL 2000 nach drei Jahrzenten auch „die Stilllegung der Reaktoren“. Der Betreiber des AKW Temelín, CEZ, wolle die Betriebsdauer aber nun auf bis zu 50 Jahre verlängern. In den USA sei sogar eine Verlängerung auf „60 Jahre plus“ vorgesehen. „Das ist, wie wenn Du bei einem Oldtimer noch einen Turbolader hinten reinschraubst und hoffst, dass alles gut geht“, verbildlicht Uhrig die Situation.
Beim aktuellen Fall sei zwar am Reaktor II nur lokal etwas ausgetreten, eine großräumige Verstrahlung kann allerdings mit Hilfe verschiedenster Messwerte in der Region ausgeschlossen werden. Kritik übt Uhrig vor allem ob der unzuverlässigen Informationspolitik und der Intransparenz von Seiten der tschechischen Behörden unmittelbar nach dem Vorfall und der schlechten Wartung der Reaktoren.
„Das Informationsmanagement ist miserabel…“
Auch Grünen-Landesvorsitzender Eike Hallitzky äußerte sich sehr kritisch über das Vorgehen der tschechischen Atomaufsicht. Er ist sich sicher, dass die Radioaktivität schon vor dem Hochfahren des Reaktors am 26. Juni ausgetreten sein muss. „Das Informationsmanagement der tschechischen Atomaufsicht ist miserabel, die Bevölkerung wird nur lückenhaft informiert. Das mag daran liegen, dass hier vorsätzlich ein erkannter Zusammenhang verschwiegen wird oder daran, dass die Atomaufsicht selbst nicht weiß, was in Temelín los ist.“ Weiter fordert er eine internationale, unabhängige Prüfung des Vorfalls, um die tatsächlichen Geschehnisse ans Licht zu bringen.
Hallitzky hatte vor einiger Zeit die Gelegenheit, sich selbst ein Bild vom Atommeiler zu machen. Dabei sei er mehrfach auf erhebliche Mängel gestoßen: „Bei der baulichen Form dieses Kraftwerks liegen große Risiken vor“. Diese eindeutigen Missstände wolle die tschechische Atomaufsicht allerdings nicht als solche anerkennen – sie sehen das betroffene Werk als unproblematisch an.
Bei der österreichischen Bundesregierung, der oberösterreichischen Landesregierung und den bayerischen Grünen herrsche jedoch Einigkeit darüber, dass das Kraftwerk Temelín „erhebliche bauliche Mängel“ aufweist. Eine geforderte Nachrüstung sei nicht erfolgt und wird auch nach Meinung des Grünen-Politikers wahrscheinlich auch nie umgesetzt. Bestürzt zeigt sich Hallitzky auch hinsichtlich der Pläne, am Standort Temelín noch ein weiteres Kraftwerk zu errichten.
Die Debatte, ob die Laufzeit des AKWs von bisher 30 Jahren auf 50 Jahre verlängert werden soll, bezeichnet er als „zynisches Spiel mit Sicherheitsstandards“. Auch Bayern bezieht derzeit Strom aus dem tschechischen Atomkraftwerk. Grund dafür ist vor allem, dass die Förderungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien im Vergleich zum vergangenen Jahr stark zurückgegangen seien.
Somit ist Bayern auf Strom aus den Nachbarländern angewiesen. Genau diese Export-Option liefert nach Meinung Hallitzkys den Anreiz für die tschechischen AKW-Betreiber, ihr Werk über die eigentliche Laufzeit hinaus weiter zu erhalten. Bayern müsse sich klarer gegen den tschechischen AKW-Strom positionieren, indem sie die Förderungen von erneuerbaren Energien im eigenen Land weiter vorantreiben. Würde dieser Ausbau besser umgesetzt werden, könne man ab dem Jahr 2022 komplett auf Atomstrom aus dem In- und Ausland verzichten.
Pressesprecher AKW Temelín: „Von Temelín geht keine Gefahr aus“
Wir fragen auch beim Pressesprecher der CEZ-Gruppe, Marek Svitak, nach. Laut seiner Einschätzung wurde beim Herunterfahren des Reaktorblocks II ein kleines Loch (Durchmesser: 1 Zentimeter) am Belüftungsrohr entdeckt. Dies sei nach einem Drucktest vor dem Hochfahren passiert. Das angebliche Austreten von Radioaktivität verneinte der Pressesprecher. Das Werk und dessen Umgebung werden von verschiedensten hauseigenen Systemen ständig überwacht.
Sowohl diese Systeme als auch die des „Independent European Radiation Measurement“ und das tschechische Überwachungssystem des „National Radiation Protection Institute“ konnten laut Svitak keinen Anstieg an Radioaktivität messen. Ausschließlich in der „Umgebung bestimmter Kraftwerksanlagen“ sei bei partiellen Untersuchungen eine leicht erhöhte Radioaktivität nachgewiesen worden, diese habe sich aber stets „unterhalb der Limits“ befunden. Keine Strahlung sei aus dem Kraftwerk ausgetreten und die Umwelt sei dabei in keinster Weise beeinflusst worden, versichert Svitak.
Weiter gibt er an, dass nach dem Zwischenfall umgehend die nukleare Aufsicht, die tschechische und auch die österreichische Öffentlichkeit informiert worden seien. Auf die Nachfrage, wie „sicher“ beziehungsweise wie „gefährlich“ er denn das häufig und teils heftig kritisierte AKW einschätze, äußerte sich der Pressesprecher wie folgt: „Das AKW Temelín gehört zu den am häufigsten inspizierten Atomkraftwerken der Welt. Seine Sicherheit wurde wiederholt von über 30 internationalen Inspekteuren bestätigt.
Seit Inbetriebnahme vor gut 15 Jahren ging davon noch nie eine Bedrohung für die Umwelt oder die Bevölkerung in der unmittelbaren Umgebung aus.“ Auch die Kritik, die gegenüber der Informationspolitik der CEZ geäußert wurde, revidierte er. Bezüglich der Informationspolitik sei das AKW Temelín eines der zugänglichsten Atomkraftwerke der Welt. Österreich, zum Beispiel, werde täglich über den aktuellen Zustand des Werks informiert. Auch beim benannten Vorfall vom 26. Juni seien die vereinbarten Regeln, die zur schnellen Kommunikation verpflichten, einhalten worden. (Übersetzung aus dem Englischen: Johannes Gress)
Das Bayerische Umweltministerium war bis dato noch zu keiner Stellungnahme bereit.
Johannes Gress
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