Prackenback. In sein vorheriges Leben möchte er nicht mehr zurück. Nein. Ausgeschlossen. Zugegeben: Die damalige Zeit als Musikproduzent hatte seine angenehmen Seiten – das Ego fühlte sich gut, wenn „der eigene Star“ vor (vermeintlichen) Promis wie der Familie Geiss in Kitzbühel aufgetreten ist; wenn die gerade fertiggestellte Platte den Markt erobert hat; wenn das Konto doch einigermaßen gut gefüllt war. Doch irgendwie fehlte etwas. Irgendwie war Ingmar Ostermaier unzufrieden mit sich, mit seinem Leben, mit seinem Umfeld. Dieses Gefühl gipfelte schließlich in einem Burn-Out – emotionale Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit. Mit einer Therapie kann er sich nach und nach ins „normale“ Leben zurückkämpfen, sieht wieder Licht am Ende des Tunnels. Und findet auch seine Erfüllung. Der 37-Jährige ist inzwischen Tierheilpraktiker. Ein außergewöhnlicher Beruf für einen außergewöhnlichen Mann mit einer außergewöhnlichen Vita.
Dass Ingmar Ostermaier das Unnormale irgendwie anzieht, kann er selbst nicht bestreiten. Eine große Rolle spielt dabei die Musik. „Als kleiner Bub haben mich meine Eltern vor die Wahl gestellt: Mofa oder E-Gitarre“, erinnert er sich. Seinen nordischen Vornamen der Ski-Legende Ingemar Stenmark zu verdanken hat. „Ohne lange zu überlegen, habe ich mich für die Gitarre entschieden.“ Von da an klimpert der gebürtige Marktredwitzer (Oberfranken) auf seinem neuen Instrument rum. „Mehr schlecht als recht“, wie er zugibt: „Da wird es sicher Bessere geben“, lautet sein Resümee. Als Sänger jedoch wird der inzwischen in Prackenbach lebende Mann noch von sich reden machen. Zuerst als Mitglied der Cover-Band „anders.“, später mit der eigenen Gruppe „e-Bayern“ – und vielen weiteren Engagements. „Nebenbei“ singt er bei Musicals mit und hilft bei einer Gruppe in Nordrhein-Westfalen aus, die unter anderem beim 24-Stunden-Rennen am Nürburgring auftritt.
„Das kann ich nicht machen, bis ich in Rente gehe“
Irgendwie logisch, dass der fränkische Waidler nach einer abgeschlossenen Ausbildung zum Augenoptiker, sein Hobby zum Beruf machen will. In Regensburg studiert Ingmar Ostermaier zwei Jahre lang Gesang, feilt an seiner Stimme. Nach dem erfolgreichen Abschluss lebt er den Traum vieler Jugendlicher – und wird Profi-Musiker. „Das hat schon Spaß gemacht, keine Frage“, blickt der Familienvater zurück. „Doch irgendwann muss man weiterdenken. Mir wurde nach und nach bewusst, dass ich das nicht machen kann, bis ich in Rente gehe.“ Das Leben auf der Bühne, das Leben aus dem Koffer, das Leben als Vagabund – irgendwann wird das nicht mehr möglich sein, was dem Prackenbacher schnell bewusst wird. Deshalb baut er sich ein zweites Standbein auf – erneut im Musikbereich: Gemeinsam mit einem Freund gründet er das Plattenlabel 8-ton music.
Neben vielen kleineren Bands und Künstlern kümmern sich die Produzenten vor allem um Ramona Fottner, die in der damaligen Zeit bei der RTL-Sendung „Supertalent“ unter den TOP5 landete. Obwohl diese Zusammenarbeit zweifelsohne erfolgreich verläuft, redet Ostermaier heute nur ungern über dieses Engagement. „Da ist im Hintergrund einiges schief gelaufen. Das war teilweise sehr skurril. Der Fanclub hatte einen zu großen Einfluss auf Ramona.“ Der Plattenlabel-Chef selbst arbeitet, arbeitet, arbeitet. Er findet keinen Aus-Knopf mehr. Rund um die Uhr ist er für sein Unternehmen da, vergisst seine Familie, seine eigenen Bedürfnisse. „Ich habe, wenn überhaupt, nur noch zwei, drei Stunden pro Nacht geschlafen.“ Irgendwie abzusehen, dass das nicht lange gut gehen kann. Auch wenn er es selbst nicht wahrhaben wollte: Ingmar Ostermaier erkrankt an Burn-Out, Suizid-Gedanken machen sich breit.
In der Klinik Angermühle in der Nähe von Deggendorf beginnt er 2011 eine Therapie – auf Drängen seiner Frau. Mit sanftem Druck in die richtige Richtung sorgte sie schon im Vorfeld dafür, dass ihr Mann zurück ins Leben finden kann. „Ich habe das vorher gar nicht so richtig realisiert, dass ich einfach nicht mehr kann“, erinnert er sich. „Rückblickend war es aber wirklich schon sehr extrem.“ Mit großem Ehrgeiz und der nötigen medizinischen Unterstützung schafft es der damals 33-Jährige schließlich, seine Krankheit zu besiegen. Heute, mit etwas Abstand, sagt er: „Obwohl es zuletzt wirklich fünf vor zwölf war, möchte ich die Zeit im Musikgeschäft nicht missen.“ Inzwischen sind die Instrumente längst auf dem Dachboden verstaut, Auftritts-Anfragen lehnt er kategorisch ab. Die Musik: Vergangenheit.
Nicht die Folge soll bekämpft werden, sondern der Ursprung
Ingmar Ostermaiers neue Leidenschaft sind – Tiere. Schon als kleiner Junge begeisterte er sich für Hunde, ein Vierbeiner gehört seit jeher zur Familie. Und nachdem dieser auch immer wieder mal zum Tierarzt musste, überlegte sich sein Herrchen, ob es denn keine andere Möglichkeit gäbe als die Schulmedizin. Da er sich nach seinem Burn-Out vermehrt mit alternativen Heilmethoden wie Homöopathie beschäftigt hatte, reift in ihm der Gedanke, Tierheilpraktiker zu werden. „Beim Tierarzt gibt’s oft nur eine Spritze mit Cortison – und Ende. Ich hingegen bin der Meinung, dass man viele Dinge natürlicher lösen kann – so wichtig die Schulmedizin natürlich trotzdem ist.“ Nicht die Folgen von Krankheiten sollen bekämpft werden, sondern die Ursachen. Das Umfeld der Tiere, ihre Abstammung, ihr Leben – das alles muss untersucht werden, um zu einer Diagnose zu kommen.

Tierheilpraktiker Ingmar Ostermaier: „Jeder darf diesen Beruf ausüben. Deshalb gibt es einige Gauner. Doch ich absolviere eine offizielle Ausbildung mit Abschlussprüfung.“
Alles Larifari? Oder doch eine ernstzunehmende Alternative? Zwar gibt Ingmar Ostermaier zu, dass sein Beruf als Tierheilpraktiker in unserer Region eher exotisch sei. Dennoch ist er von der langfristigen Ausbildung und deren Inhalten überzeugt. Das große Problem: „Jeder darf diesen Beruf ausüben. Deshalb gibt es einige Gauner. Doch ich absolviere eine offizielle Ausbildung mit Abschlussprüfung.“ Der Prackenbacher beschäftigt sich also nicht mehr mit Violinschlüssel, Gitarre und Notenständer. Nein: Es sind die Heilpflanzen und deren Nutzen für das innere Gleichgewicht, die es ihm angetan haben. Aus der früheren Rampensau ist ein ausgeglichener Alternativmediziner geworden. Sehnsucht nach der Zeit im Musikbusiness hat der Familienvater nicht. „Das ist weit, weit weg.“
Auch die zwei Kinder sind glücklich, dass ihr Papa mehr mit ihnen unternehmen kann. Denn nun nimmt sich Ingmar Ostermaier Zeit für sich und seine Familie. Einen Rückfall in Stress und Hektik schließt der 37-Jährige – trotz neuer Leidenschaft und Selbstständigkeit – kategorisch aus. „Ich habe dazugelernt“, sagt er. Man glaubt es ihm. Auch wenn er das Unnormale scheinbar immer noch magisch anzieht…
Helmut Weigerstorfer