Freyung. Vera Schöffmann ist Hebamme. Eineinhalb Jahre lang hat sie in der Entbindungsstation des Freyunger Krankenhauses gearbeitet – jetzt geht’s für die 25-Jährige in Ingolstadt weiter. „Der Liebe wegen“ zieht sie nach Oberbayern. Probleme, einen neuen Job zu finden, hatte sie keine – gleich drei Krankenhäuser hätten sie mit Handkuss genommen, sagt sie. Die Situation der Hebammen in Deutschland ist schwierig. Um praktizieren zu dürfen, müssen die Geburtshelferinnen haftpflichtversichert sein. Und das kostet immer mehr Geld: Im Sommer 2015 soll der Beitrag auf 6.274 Euro angehoben werden.
Warum das so ist, ob die Politik dafür genügend tut, warum Vera Schöffmann dennoch Hebamme geworden ist, warum die Schwangerenvorsorge bei einer Hebamme so wichtig ist, welche Rolle das Thema Sicherheit spielt und wie Frauen im Freyunger Krankenhaus ihre Babys zur Welt bringen, hat sie Eva Hörhammer, Autorin der Serie „Wir sind Eltern“, im Hog’n-Interview erzählt…
Vera, Du ziehst nach Ingolstadt – wegen dem Beruf?
Nein, wegen der Liebe. Da man als Hebamme ziemlich gefragt ist, hatte ich überhaupt kein Problem, Arbeit zu finden. Im Gegenteil. Ich hatte drei Telefonate und drei Zusagen. Es wird einfach händeringend gesucht… Als ich mich nach der Ausbildung vor eineinhalb Jahren beworben habe, gab es noch relativ viele Bewerberinnen. Mittlerweile ist die Zahl um ein Drittel geschrumpft. Die Nachfrage sinkt, weil wir in den letzten Jahren so schlechte Presse hatten – da überlegt man es sich schon, ob man noch Hebamme werden will.
„Jetzt wird auch noch die Wahl des Geburtsortes in Frage gestellt“
Mit „schlechter Presse“ meinst Du die stetig steigenden Haftpflichtversicherungsbeiträge?
Genau. Jetzt wird auch noch die Wahl des Geburtsortes in Frage gestellt. Du hattest noch Glück mit Johanna. Es gibt aber Landkreise, die keine Hausgeburts-Hebamme mehr haben. Es ist wahnsinnig schade, wenn es daran scheitert, dass sich die Hebammen ihren eigenen Beruf nicht mehr leisten können. Der Idealismus ist bei vielen Kolleginnen sehr groß – dennoch gibt es einen Knackpunkt, bei dem wir den schlechten Verdienst für so eine verantwortungsvolle Arbeit nicht mehr in Kauf nehmen.
Wie ist das denn nun nochmal mit dem Streit um die Haftpflichtversicherung? Erklärs mir…
Ich habe manchmal das Gefühl, es wird etwas undurchsichtig dargestellt. Unser Hebammenverband ist vielleicht auch nicht so prickelnd… Viele Kolleginnen fühlen sich schlecht vertreten. Der Verband setzt sich schon ein – aber irgendwie fehlt die Durchsetzungskraft. Vielleicht fehlt ein Mann an der Spitze…
Ein Mann?!?!
Ja. Viele Politiker sind einfach Männer. Wenn sie mit einer Frau konfrontiert werden, hat das möglicherweise nicht so viel Aussagekraft.
Hm. Die Merkel ist doch auch eine Frau…
Ja, schon. Der Hebammenverband ist jedenfalls dahinter, dass sich was ändert. Wir werden aber nicht besonders angehört vom Spitzenverband der Krankenkassen.
„Der Beitrag steigt jährlich um 23 Prozent“
Wie ist denn nun der aktuelle Stand zum Thema Haftpflichtversicherung?
Wir Hebammen müssen jährlich in einer Berufshaftpflichtversicherung einzahlen, um im Schadensfall versichert zu sein. Ohne dürfen wir gar nicht arbeiten. Früher gab es einen großen Versicherungsmarkt, auf dem man sich als Hebamme aussuchen konnte, zu welcher Versicherung man wollte. Man denkt, dass es mehr Schadensfälle gibt, wenn die Versicherungsbeiträge steigen. Das stimmt aber nicht. Wir Hebammen leisten qualititiv hochwertige Arbeit. Wenn aber doch was passiert und man es auf die Geburt zurückführen kann, sind die Schadenssummen, auf die wir verklagt werden, so enorm hoch. Das kommt auch dadurch, dass sich die Lebensdauer eines geschädigten Kindes durch die bessere medizinische Versorgung erhöht. Dann kommen Umbauten oder sogar Umzüge hinzu. Eingerechnet wird auch, dass das Kind ja vielleicht mal studiert hätte – wir müssen den möglichen Verdienstausfall mittragen.
Ich kann nicht glauben, dass das der einzige Grund ist, weshalb man die Hebammen so gängelt… Steckt da noch was anderes dahinter?
Naja. Es gibt inzwischen kaum noch Versicherungen, die uns überhaupt aufnehmen. Der Markt ist auf drei Versicherer geschrumpft. Zwei davon versichern Hebammen nur noch unter der Bedingung, dass der Beitrag jährlich um 23 Prozent steigt. Ab Sommer 2015 sind wir bei 6274 Euro.
Und wie viel Prozent sind das von Deinem Jahresgehalt?
Ich hab mich noch nicht getraut, das auszurechnen… Ich zahle den Beitrag monatlich. Und hätte ich meine Eltern nicht gehabt, hätte ich mir meinen Beruf anfangs gar nicht leisten können.
„Die Mütter stehen ohne uns allein da – darum der große Aufschrei“
Warum setzt sich denn die Politik nicht stärker für Euch ein?
Es gibt immer wieder große Versprechungen, die sich immer wieder im Sand verlaufen. Es betrifft ja nicht nur uns Hebammen, sondern auch die Mütter. Das ist das Allerschlimmste. Wir können uns ja einen anderen Beruf suchen. Aber die Mütter stehen ohne uns allein da. Deswegen gibt es auch einen großen Aufschrei, warum sich so wenig tut. Momentan laufen die Verhandlungen dahin, dass man einen Katalog erstellt, wann eine Frau außerklinisch gebären darf und wann nicht. Das Thema hat ja kaum was mit unserer Haftpflichtproblematik zu tun.
Und die zwei Prozent der außerklinischen Geburten sollen jetzt das Kraut fett machen, oder wie?
Ja… Und bei den zwei Prozent sind auch noch die Frauen miteingerechnet, die „versehentlich“ daheim oder auf dem Weg ins Krankenhaus gebären. Und: Eigentlich ist statistisch belegt, dass Hausgeburten die sicherste Art der Geburtshilfe sind – weil man nicht interveniert und den Frauen so viel Zeit und Raum lässt, wie sie brauchen.
„Männer haben ein anderes Bild von Geburtshilfe“
Das sagst Du, obwohl Du im Krankenhaus arbeitest?
Ja. Freyung ist ein kleines Haus. Wir arbeiten sehr eng mit unseren Gynäkologen zusammen. Da kann ich schon mal sagen, was ich denke. Männer haben natürlich ein anderes Bild von der Geburtshilfe als eine Frau. Ich musste mich zuerst auch ein bisschen durchsetzen… Schön ist auch, dass wir freiberuflich arbeiten – wir sind Beleghebammen. Damit sind wir nicht den Ärzten untergeordnet. In Niederbayern arbeiten alle Hebammen freiberuflich.
Warum bist Du denn nicht angestellt? Du arbeitest doch ausschließlich für ein Haus?
Freyung könnte sich das gar nicht leisten. Wir arbeiten in Zwölf-Stunden-Diensten. Als Angestellte geht das gar nicht. Da müssten wir schon viel mehr Hebammen sein. Und wir werden nicht vom Haus bezahlt. Ich rechne mit den Krankenkassen der Frauen ab. Wir sind nur insofern mit dem Haus verbunden, als dass wir die Räumlichkeiten nutzen dürfen.
„Für unsere wertvolle Arbeit verdienen wir zu wenig“
Wärst Du lieber angestellt?
Nein. Ich hab eine bestimmte Ideologie von einer Geburt. In der Ausbildung hab ich es erlebt: Wenn man angestellt ist, hat man keine große Meinungsfreiheit. Als Beleghebamme sehe ich mich auf der sichersten Seite, mein Ziel mehr verfolgen zu können. Als angestellte Hebamme hätte ich allerdings ein geregeltes Einkommen… Das große Problem von uns Beleghebammen ist: Wir unterstehen der Pflegedienstleitung des Krankenhauses. Das heißt, wir gehören der Pflege an, obwohl wir ganz andere Arbeit leisten. Darum fallen wir unter die Tarifverträge – und für die wertvolle Arbeit, die wir leisten, verdienen wir einfach zu wenig.
Was verdienst Du denn?
Ich arbeite ganz, ganz, ganz viel. Der Steuerberater hat sich gefreut (lacht). Ich persönlich kann mich nicht beklagen. Bis Dezember habe ich monatlich 14 Zwölf-Stunden-Dienste gemacht – mit zwölf Stunden Rufbereitschaft. Ich hatte diverse Kurse, betreute im Monat acht bis neun Frauen im Wochenbett. Nur jedes zweite Wochenende hatte ich ein, zwei Tage frei… Man kann als Hebamme gut verdienen, wenn man viel arbeitet. Dauerlösung ist das aber keine. Und vor allem: Wenn ich viel arbeite, muss ich genauso viel Haftpflicht zahlen, als wenn ich weniger arbeite. Es gab zwar mal die Idee einer Staffelung, aber davon hab ich auch schon länger nichts mehr gehört…
Nochmal zurück zur Problematik: Setzt sich die Politik vielleicht auch nicht für Euch ein, weil Ihr keine Lobby habt?
Ja, das kann schon sein… Die Proteste der Eltern bleiben ungehört. Viele sehen den Ernst der Lage auch gar nicht, weil keiner glaubt, dass der Beruf der Hebamme tatsächlich aussterben könnte. Niemand glaubt, dass wir einfach abgeschafft werden könnten…
„Die Frauen genießen unser kleines Team“
Wie schauts mit den Hebammen im Landkreis aus? Sind die aktiv?
Gar nicht. Jeder Regierungsbezirk hat eigentlich eine Vorstandsvorsitzende – nur Niederbayern nicht. Der letzten Hebamme, die die Aufgabe übernommen hat, wurde es zu viel, was ich auch verstehen kann. Wären wir generell mehr Hebammen, würde es wohl anders aussehen. Ansonsten ist es aber einfach ein zeitliches Problem, sich auch noch berufspolitisch zu engagieren. Ich habs jedenfalls nicht geschafft. Und dadurch, dass ich jetzt in Freyung aufhöre, müssen meine Kolleginnen mehr arbeiten. Das tut mir sehr leid.
Ist denn keine Nachfolgerin in Aussicht?
Das überlegt man sich… Viele Hebammen haben Kinder und wollen nicht so viele Dienste machen. Dann lohnt sich die Arbeit aber nicht – wegen der Haftpflicht. Das steht in keinem Verhältnis. Das andere Problem: Viele Hebammen gehen lieber an ein Haus mit mehr Geburten – wie Passau. Dort werden jährlich etwa 1600 Babys geboren.
Und in Freyung?
Wir hatten im letzten Jahr knapp 480 Geburten: Das ist auch eine schöne Zahl. Wir haben größtenteils eine 1:1-Betreuung.
Ja? Ist es dann nicht so, dass Du nach der Schicht einfach heimgehst – auch wenn eine Geburt im Gange ist?
Es kommt drauf an. Wenn man merkt, dass es noch zwei Stunden dauert, geht man schon heim. 14 Stunden sind einfach zu lang. Wenn es sich nur noch um zehn Minuten handelt, bleibt man freilich. Die Frauen genießen unser kleines Team. Wenn sie ein paar Mal bei uns im Kreißsaal waren, mal zur Kontrolle, mal zum Infoabend – dann baut man schon eine gute Beziehung auf. Bei uns kann man sich die Hebamme zwar nicht aussuchen. Aber in Freyung kennt man sich ja doch irgendwie. Wenn auch nur vom Hörensagen. Das beruhigt manche Frauen aber auch schon.
„Ich glaub, eine Hausgeburt ist selbstbestimmter…“
Wie unterscheiden sich denn Krankenhaus- und Hausgeburt? Kannst Du dazu was sagen?
Ich hab noch nie eine Hausgeburt gesehen. Aber ich glaub, eine Hausgeburt ist selbstbestimmter, ruhiger, vertrauter, weil man sich die Hebamme ganz bewusst aussuchen kann. Und man kann seine Wünsche, die man zur Geburt mitbringt, im Vorfeld besprechen. Das ist im Krankenhaus schwieriger. Und bei einer Hausgeburt macht das vertraute Umfeld ganz viel aus. Ein Krankenhaus ist ein Krankenhaus. In Freyung ist es zwar sehr ruhig im Kreißsaal – da gibt es kein Ein und Aus, da sind die Türen zugesperrt. In Freyung gibt es zwei Kreißsäle, die mit Holz verkleidet sind und rote Vorhänge haben, die für einen geschützten Rahmen sorgen sollen. Manchmal gebären zwei Frauen gleichzeitig – das ist aber das Maximum.
Und was, wenn drei Babys parallel auf die Welt wollen – bei „nur“ zwei Kreißsälen?
Das gab es auch schon. Da waren dann drei Hebammen im Dienst. Und man versucht, einer Frau die Badewanne schmackhaft zu machen (lacht).
Du sagst, eine Krankenhausgeburt sei weniger selbstbestimmt. Warum ist das so?
Jede Hebamme hat eine eigene Vorstellung von Geburt. Es gibt diesen schönen Spruch: „Als Geburtshelfer muss man viel wissen, um wenig zu tun.“ Das ist auch mein Motto. Ich beobachte viel – das ist das A und O bei einer Geburt. In einem Krankenhaus mit Leitlinien und Richtlinien ist das nicht immer möglich. Zum Beispiel ist es da einfach so, dass man zwölf Stunden nach einem Blasensprung Antibiotika verabreicht und regeelmäßige vaginale Untersuchungen vornimmt.
Und wenn die Frau dagegen ist?
Dann wird es schwierig.
„Ich begleite die Geburt, ohne eine Richtung vorzugeben“
Gibt es denn überhaupt Frauen, die „Wiederstand leisten“?
Ja, schon. Hm… (überlegt). Weißt Du, was das Schlimmste war, was eine Frau bei der Geburt ihres dritten Kindes zu mir gesagt hat? „Ich mach alles, was Du willst.“ Ich fand das so traurig… Bei den ersten zwei Geburten hat sie wohl die Erfahrung gemacht, dass sie sich uns fügen muss… Dabei ist sie doch diejenige, die mir zu sagen hat, was sie gern hätte. Viele Geburtshelfer haben eben ihre bestimmte Vorstellung von einer Geburt, die nicht unbedingt mit der der Frau übereinstimmt. Ältere Hebammen sind zwar erfahrener, haben aber noch eine andere Schule durchlaufen.
Ich mag es, wenn die Frauen keine PDA haben, wenn die Frauen herumlaufen können – ich mag keine Frauen, die auf dem Rücken liegen. Ich hab kein Problem damit, zwei Stunden am Boden zu knien. Ich mag es, wenn eine Frau sagt: „Nein, das will ich nicht.“ Ich will auch fragen, ob ich eine Frau untersuchen darf – und es nicht einfach tun. Oft ist bei einer Geburt viel Angst dabei – und ich will nicht diejenige sein, die für noch mehr Unwohlsein sorgt. Ich begleite eine Geburt, ohne eine zu starke Richtung vorzugeben. Freilich gibt es auch kritische Momente, in denen man die Frau bei der Hand nehmen muss – das ist für die Frau dann auch in Ordnung.
Welche Rolle spielt denn der Faktor Zeit? „Muss“ sich die Geburt innerhalb einer gewissen Zeitspanne abspielen?
In Freyung sieht das schon etwas individueller aus als an großen Häusern. Wir können den Geburtsverlauf genauer beobachten, da wir weniger Geburten haben. Darum können wir auch genauer sagen, warum eine Geburt nicht vorwärts geht: Ist die Frau ängstlich, so dass die Wehentätigkeit zurückgeht? Durch die genauere Beobachtung lässt sich leichter ein Grund finden, warum sich eine Geburt so entwickelt, wie sie es tut.
Als ich zum ersten Mal im Freyunger Kreißsaal war, haben mir die Kolleginnen alle Schränke gezeigt. Da war ein Riesenfach mit Homöopathie – und ich dachte: Passt… Wir akupunktieren auch mal oder machen eine Fußreflexzonenmassage, um die Wehentätigkeit anzuregen – da muss nicht immer gleich der Tropf her. Ich finde schon, dass die Frauen in Freyung sehr selbstbestimmt gebären, weil sie sich die Geburt selbst zutrauen.
„Die meisten Frauen wollen auf eine PDA verzichten“
Tatsächlich?
Ja… Ich habe an einem ganz großen Haus gelernt – in Erlangen mit 2200 Geburten jährlich. Da ist das ganz was anderes. Da waren die Frauen bei weitem nicht so selbstbestimmt. Das liegt auch an der Art der Geburtshilfe, die hier publiziert wird – Frauen mit positiven Erlebnissen tragen das ja auch nach außen.
Warum gehen denn die Frauen nicht nach Passau? Dort ist ja alles größer, sicherer…?
Wir haben einige Frauen, die beim ersten Kind in Passau waren und das zweite unbedingt in Freyung bekommen wollen. In Passau ist man schnell mit einer PDA dabei. Bekommt man eine PDA zu einem Zeitpunkt angeboten, wo einem wirklich alles weh tut, sagt man ziemlich wahrscheinlich „ja“. Das muss aber vorher abgeklärt werden. Ich frage jede Frau, die zu mir in den Kreißsaal kommt, ob sie Wünsche zur Geburt hat. Die meisten wollen auf Schmerzmittel und PDA verzichten. An einem kleinen Haus hat man die Möglichkeit, den Frauen anderweitig Erleichterung zu verschaffen, wie zum Beispiel eine Rückenmassage oder einfach nur da zu sein.
Und an den größeren Häusern herrscht Personalmangel?
Ja. Man weiß, dass das Beste gegen Geburtsschmerzen Vertrauen ist. Vertrauen in einem selbst, Vertrauen in die begleitende Person und Vertrauen in die Betreuung, die einem immer wieder gut zuspricht. Das ist weitaus schöner als eine PDA zu legen.
Manchmal habe ich den Eindruck, die Frauen würden wetteifern – wer hatte eine natürlichere Geburt?
Hm. Das ist ja nichts, was man für andere, sondern für sich selbst macht. Es geht um das Gefühl, dass das eigene Baby in einem wachsen konnte und es gesund geboren wurde und man es die nächsten neun Monate voll stillen kann. Das ist was fürs Selbstbewusstsein. Eigentlich ist es ja ganz normal, ein Kind zu bekommen.
„Ein Dammschnitt ist für mich Körperverletzung“
…aber uneigentlich wird es nicht mehr so gesehen? Vor allem aus ärztlicher Sicht, so mein Gefühl. Da geht es um eine ganz unterschwellige Angstmacherei.
Da hast Du schon Recht. Vor allem fehlt im Nachhinein die Zeit, das zu besprechen. Und wenn man in vier Wochen wieder kommt, weiß man gar nicht mehr, wie man seine Bedenken formulieren soll. Wenn der Arzt berechtigte Bedenken hat, sollte er es unbedingt besprechen – und nicht nur vermitteln. Wir Hebammen müssen diese Ängste abfangen. Viele Frauen wissen aber gar nicht, dass sie schon vor der Geburt Anspruch auf eine Hebamme haben. Wir fangen nicht nur das Kind auf, wenn es geboren wird. Wir sind von Beginn der Schwangerschaft für die Frauen da. Mit Vorsorge, mit Gesprächen. Hier in der Region wird das zu wenig publiziert. Hier machen das die Belegärzte, zu denen die Frauen großes Vertrauen haben.
Das klingt ja alles herrlich. Ich höre allerdings viele negative Geburtserlebnisse, die oft aber gar nicht hinterfragt werden… Zum Beispiel kenne ich kaum eine Frau außer mir, die keinen Dammschnitt hatte. Und niemand wundert sich großartig darüber.
Für mich ist das Körperverletzung. In diesen Bereich schneidet man nicht hinein. Man weiß heute: Ein Riss verheilt viel besser als ein Schnitt. Freilich muss man unterscheiden – in sehr seltenen Fällen ist es notwendig. Aber nicht so pauschal, wie es oft praktiziert wird. Das ist es, was ich mit „anderer Lehre“ gemeint hab. Früher wurde gelehrt: Die Wehen müssen ganz regelmäßig kommen, der Muttermund muss sich ganz regelmäßig eröffnen, die Frau muss auf dem Rücken liegen, sie muss Powerpressen und zuletzt schneiden wir… Das wurde sehr lange vermittelt – und darum ist es so schwierig zu sagen, dass diese Methoden falsch sind. Was man gelernt hat, ist für einen richtig… Oder das Auspulsieren lassen der Nabelschnur. Das sind heute Basics in der Lehre. Aber anerkannt ist das noch lange nicht.
Und da musste ich mich anfangs ziemlich durchsetzen. Es gibt aber auch schöne Ansätze. Ein Gynäkologe hat Gebärhocker eingeführt. Der wollte damals ein Geburtshaus gründen. Wie auch immer. Geburtshilfe ist im ständigen Wandel. Dafür muss man als Hebamme offen sein. Auch ganz ein wichtiger Aspekt: Eine Geburt ist nie hundertprozentig sicher. Das hätte man gern, aber von diesem Denken muss man wegkommen. Eine Geburt ist immer ein Risiko für Mutter und Kind. Aber es gibt gute Methoden, dieses Risiko zu minimieren – nur geht das nicht mit möglichst viel medizinischen Eingriffen.
„Die Frauen brauchen das Verständnis ihrer Familie“
Sondern?
Mit fundiertem Fachwissen. Und einer guten Begleitung. Und einer guten Vorsorge. Auch ein Gespräch nach der Geburt ist eine gute Sache. Ich biete es jeder Frau an – leider hat sich bisher keine gemeldet. Entweder liegt es daran, dass die Kommunikation während der Geburt gut war oder weil sie sich nicht trauen. Ich weiß nicht… Manchmal realisiert man die Geburt erst später und es tauchen noch Fragen auf, die nicht im Ungewissen bleiben dürfen. Wichtig ist auch das Verständnis des Umfelds. Wenn eine Frau einen Dammschnitt hatte, heißt es oft: „Sei froh, dass Du und Dein Kind gesund sind.“ Das ist so schade, weil die Frauen das Verständnis brauchen. Eine Geburt ist die größte Veränderung im Leben einer Frau – etwas, das man nie vergisst. Unsere Mütter und Großmütter erinnern sich an ihre Geburten.
Wie viele Geburten hast Du bisher betreut?
Ich hab 89 Spontangeburten betreut.
Und die Papas – sind die immer dabei?
Ja, größtenteils. Manchmal auch eine Freundin oder die Mama oder die Schwester oder Geschwisterkinder. Eine Geburt ist ein Familienereignis.
Wolltest Du schon immer Hebamme werden?
Das weiß ich nicht so genau… Die Themen Geburt und Schwangerschaft waren in meinem Leben immer wichtig. Aber mir war nie klar, dass es das Berufsbild der Hebamme gibt. Meine Mama hatte einen Ratgeber – „Hallo, hier bin ich!“, so ein gelbes, dickes Buch. Das hab ich mir heimlich gekrallt und es gelesen. Später in der Schule fiel mir eine GEO zum Thema in die Hände. Und noch später wollte ich mein Abi nachholen, ging an die BOS, habe eine Ausbildung zur Sozialbetreuerin begonnen. Als meine Banknachbarin vom Beruf der Hebamme sprach, war ich begeistert und hab im Urlaub sofot mein erstes Praktikum gemacht. Bei der Köppl Johanna, eine Wahnsinnsfrau mit einer Wahnsinnsausstrahlung. Ich dachte mir: So mag ich auch mal werden. Dann hab ich noch ein Praktikum im Kreißsaal Passau gemacht. Bei meiner ersten Geburt habe ich Rotz und Wasser geweint. Und nach einigen Umwegen hab ich meine Ausbildung zur Hebamme begonnen…
Danke für das Gespräch. Ich wünsch Dir noch viele schöne Geburtserlebnisse!
Interview: Eva Hörhammer / Fotos: Helmut Weigerstorfer/Magdalena Resch
Ein sehr ehrlicher und lesenwerter Bericht.
Liebe Vera,
ich finde du hast eine würdigende und sehr wertschätzende Einstellung zu deiner Aufgabe und vor allem gegenüber den Müttern. Ich wünschte auch ich hätte bei der Geburt etwas mehr Unterstützung und Zeit gehabt. Gerade bei dem ersten Kind fühlt man sich doch sehr allein gelassen. Vielleicht ändert sich ja das Bild einer Geburt durch solche Inerviews nochmal.
Danke für den guten Bericht.