Untergriesbach/Frankfurt/Wall Street. Im Januar 2014 kam der Film „The Wolf of Wall Street“ von Martin Scorsese in die deutschen Kinos – und war mit mehr als zwei Millionen Zuschauern ein großer Erfolg. Er handelt von einem jungen Mann in den 20ern, der als Broker an die New Yorker Börse geht. An der Wall Street gründet er seine eigene Firma und scheffelt ein Vermögen. Er hat Blut geleckt und kann nicht genug haben von Ruhm und Reichtum. So stellen sich viele die Wall Street vor – junge Männer, die nach was Großem streben und eine Börse, auf deren Parkett alle wild durcheinander schreien. Der 22-jährige Simon Schindelbauer (Name geändert) stammt aus dem Markt Untergriesbach im Bayerischen Wald. Seit März dieses Jahres lebt und arbeitet er in Frankfurt als Investmentbanker bei einem der führenden internationalen Finanzhäuser. Zuvor war er für drei Monate an der New Yorker Wall Street tätig. Dem Hog’n erzählt der Niederbayer, wie er an den Job gekommen ist – und wie es an der Wall Street wirklich zugeht…
Simon. Zur Erklärung: Wieso sollen wir Deinen richtigen Namen nicht nennen? Kannst Du uns das bitte kurz erläutern?
Ja klar. Der Grund ist folgender: Man wird bei jedem Bewerbungsgespräch gegoogelt – und im Bankenwesen sind die Leute sehr sensibel. Ich bin noch am Anfang meiner Karriere – und falls ich mich mal für eine Stelle in einer anderen Bank bewerben sollte, wird das nicht so gern gesehen, wenn bereits ein Interview von mir im Netz zu finden ist, in dem ich als junger Einsteiger mich sozusagen damit rühme, als Banker zu arbeiten.
„Banking ist ein globaler Markt. Da muss man flexibel sein“
Alles klar, das respekteren wir natürlich. Dann legen wir mal los. Was genau hast Du an der New Yorker Wall Street gemacht? War das ein Praktikum?
Nein, ein Praktikum war das nicht. Ich habe dort fest gearbeitet, ein befristeter Arbeitsvertrag in einer Bank, der so terminiert war, dass ich danach wieder in Frankfurt weiterarbeiten kann.
„The Wolf of Wall Street“, nach einem Buch von Börsenmakler Jordan Belfort:
Wie hat’s Dir dort gefallen? Und: wie kommst Du eigentlich zu diesem Job?
An der Wall Street ist es hart. Man arbeitet von Montag bis Sonntag und kommt auf 90, manchmal auch 100 Arbeitsstunden die Woche. Das ist natürlich anstrengend – aber man lebt halt in einer echt tollen Stadt. New York ist einfach New York, auch wenn man keine Zeit hat, die Stadt genauer zu erkunden. Ich habe dort interessante und nette Menschen aus der ganzen Welt kennengelernt. In dieser Stadt triffst Du nur Leute, die das Ziel haben, es beruflich weit zu schaffen. Alle wollen sich selbst verwirklichen und groß hinaus. Auch wenn’s sehr anstrengend war – man lernt unglaublich viel. Und das um einiges schneller als in Frankfurt, London oder sonst wo.
„Hab‘ Glück gehabt: Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort“
Zu dem Job komme ich über die Uni Mannheim. Diese gilt im Bereich Wirtschaft als Elite-Universität, an der jede Woche Vertreter von großen Banken ein- und ausgehen. In Form von Workshops etwa – für die man sich bewerben muss – versuchen diese aus den Studenten die besten auszusieben. Da hab ich Glück gehabt. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort – und hab sehr gute Leistungen ebracht. Und die richtigen Leute gekannt…
Kehrst Du nochmal an die Wall Street zurück?
Ja klar, irgendwann bestimmt wieder. Banking ist ein globaler Markt. Da muss man flexibel sein und Bereitschaft zeigen, dort hinzugehen, wo man gebraucht wird. Das kann New York sein – oder beispielsweise auch Singapur, London oder Hongkong.
Bei 90 Arbeitsstunden die Woche – da ist man zeitlich ziemlich eingespannt… Hat man denn in so einem Beruf auch einmal Urlaub?
Klar hat man Urlaub. Ich hatte zwar noch nicht frei, da ich Einsteiger bin. Aber man hat natürlich früher oder später mal Zeit, um sich zu erholen… das sind ja auch keine Unmenschen.
Wann und wie schaltet man denn mal ab von der stressigen Arbeit?
Am Wochenende geh ich ins Fitnessstudio und treibe Sport. Wenn ich nach Untergriesbach heimfahre, dann mache ich einfach mal gar nichts. Da ist man fernab vom Schuss – und hat seine Ruhe. Ich treff‘ mich dann mit Freunden von früher, um über alte Zeiten zu quatschen. Dabei kann ich gut abschalten von dem Druck, von der Hetze in der Arbeit.
„Es ist sehr hart, aber man lernt eben auch viel“
Kannst Du erklären, was Deine Aufgaben an der Wall Street waren?
Als Einsteiger macht man vor allem unterstützende Tätigkeiten. Man assistiert dem Verantwortlichen, also dem Boss bei verschiedenen Projekten. Man macht zum Beispiel Markt- und Bevölkerungsanalysen, erstellt Finanzmodelle oder Bewertungen. Wenn etwa jemand eine Windkraftanlage baut, dann finanzieren wir die, machen daraus Aktien – und verticken diese.
Ist Wall Street wirklich so ein Haifischbecken, wie sie etwa in dem Film „The Wolf of Wall Street“ dargestellt wird?
Die Börse selbst ist mittlerweile nur noch ein Schauplatz, eine virtuelle Handelsplattform. Und es ist nicht mehr so, dass da alle rumstehen und schreien. New York ist der Nabel der Welt, was Banking betrifft. Es ist das weltweit größte Finanzzentrum, wo auch nur die Besten hinkommen. Letztlich ist die Wall Street das Nonplusultra im Banking. Wenn das kein ein Haifischbecken ist, was dann? Es ist alles sehr auf Wettbewerb ausgerichtet. Das ist manchmal hart, aber man lernt auch viel, weil man gefordert wird. Das bringt einen persönlich unglaublich weiter.
Rein interessehalber: Wann platzt denn nun eigentlich die nächste Blase an den Börsen dieser Welt? Und um welche Blase wird es sich handeln?
Krisen hat es immer schon gegeben und wird es auch immer geben – das ist Standard und völlig normal. 1973 und 1980 gab’s die Ölkrisen, 1983 war die Schuldenkrise in Lateinamerika, in den 90er Jahren die nordische Bankenkrise, dann die Japankrise, 1998 die Asienkrise. 2000 platzte die Dotcom-Blase und 2008 gab’s dann die Weltfinanzkrise. Aktuell legen immer mehr Menschen ihr Geld in Aktien an, weil man auf die ‚traditionelle Weise‘ keine Zinsen mehr bekommt. Der Aktienpreis wird ja nur durch Angebot und Nachfrage bestimmt – und die ist gerade sehr hoch. Deshalb sind Aktien überbewertet – und viel zu viel wert.
Zu Deiner Frage: Es kommt wieder eine Krise, ganz klar. Wann sie kommt, kann man nicht genau sagen. Aber rund alle acht bis zehn Jahre lautet die Regel… Mit der Krise kommt aber auch immer wieder der Aufschwung. Wie aktuell: Der DAX war noch nie so hoch. Um welche Krise es sich bei der nächsten handeln wird? (überlegt) Vermutlich um eine Überliquiditäts- oder Niedrigzinskrise – aber es könnte auch ganz anders kommen. Es ist schwer, eine Krise vorherzusagen, da sich immer alles anders entwickeln kann.
„Eigentlich ist die Finanzkrise schon vorbei, aber…“
Du hast’s erwähnt: Im September 2008 begann die große Finanzkrise mit dem Untergang von Lehman Brothers – ist denn diese Finanzkrise nun mehr oder weniger überstanden? Oder kommt da noch was?
Der Höhepunkt der Krise war im September 2008, als Lehmann Brothers Insolvenz anmelden musste. Eigentlich ist die Finanzkrise schon vorbei – aber man spürt immer noch irgendwo die Nachwirkungen. An der Börse herrscht schon lange wieder Bull-Market, sprich: steigende Märkte. Die gibt’s in letzter Zeit überall – die Aktien steigen ohne Ende. Was wir die letzten 20 Jahre von der Politik mitkriegen, sind eigentlich durchwegs Ereignisse, die sich negativ auf die Börse auswirken: zum Beispiel die Anschläge auf das World Trade Center, der Ukraine-Krieg, der Arabische Frühling… So etwas vermitteln die Medien immer gerne, weshalb wir aus dem Krisenbegriff nie ganz herauskommen werden.
„Ereignisse wie der Arabische Frühling wirken sich negativ auf die Börse aus“:
2008 war die Finanzkrise – und heute reden die Leute noch darüber, obwohl an der Börse bereits viele Menschen wieder Unmengen an Geld gemacht haben, weil sie etwa vor drei Jahren in den DAX investiert – und bis heute um die 50 Prozent Rendite gemacht haben. Seit 2008 hat man im Bereich Bankenregulierung einiges gelernt. Die Finanzkrise ist überstanden – wenn man noch Nachwehen spürt, dann eher von der Eurokrise 2011/2012.
An der Börse geht es ja immer um riesige Geldbeträge – Eine ganz freche Frage: Wie viel verdient man denn so als Banker eigentlich?
Da kann ich keine Zahlen nennen. Das kann jeder googeln… (laut Wirtschafts- und Finanzzeitschriften liegt das Einstiegsgehalt für Investmentbanker gegenwärtig bei rund 70.000 Euro in Deutschland – Anm. d. Red.)
„Eigentlich wollte ich Karriere als Fußballprofi machen“
Du hast nach dem Abitur zuerst ein halbes Jahr in Regensburg, dann an der Universität Mannheim BWL studiert. Im Juni 2014 hast Du Deinen Bachelorabschluss gemacht. Wann hast Du gewusst, dass Du nach Deinem Studium Banker werden willst?
Nach dem Abi bin ich nur deshalb nach Regensburg gegangen, weil ich dort Fußball gespielt habe. BWL hab ich nebenher studiert, da mich Wirtschaft schon immer interessiert hat. Mein ursprüngliches Ziel war also eine Karriere als Profifußballer. Irgendetwas Cooles halt. Dass ich Banker werden will, war mir da noch nicht klar – ich hab nur immer schon gewusst: Wenn ich arbeite, dann in einem Beruf, in dem ich viel Einfluss habe und gut verdiene. Mit dem Fußball musste ich leider aufhören – weshalb ich mich dafür entschieden habe, das BWL-Studium weiter zu verfolgen. Da mein Abi ziemlich gut war, ist die Entscheidung für die Uni Mannheim gefallen. Die Leute dort sind alle sehr ambitioniert, ehrgeizig und kompetitiv. Jeder will einen Job im Bankenwesen ergattern.
Dann ist Dein jetziger Job also Deiner aus gesundheitlichen Gründen gescheiterten Fußball-Karriere geschuldet? Das ist doch eine ziemlich gute zweite Wahl, oder?
Ja klar, obwohl Profifußballer schon auch nicht schlecht gewesen wäre. Aber zufrieden darf man nicht sein. Das würde ja irgendwo auch Stillstand bedeuten. Ich bin Einsteiger, einer unter vielen, und hab noch nicht viel erreicht. Aktuell passt alles ganz gut, aber ich strebe weitere Ziele an.
Im Verlauf deines Studiums warst Du für ein halbes Jahr in der chinesischen Weltmetropole Shanghai. Dort hast Du ein Auslandssemester an der Fudan University School of Management gemacht. Das war bestimmt eine außergewöhnliche Erfahrung. Was hast Du dort denn Spannendes erlebt? Hast Du in Shanghai auch gearbeitet?
Ich habe neben meinem Studium auch ein Praktikum gemacht. Ja, Shanghai ist schon eine mega-coole Stadt. Für mich als Student war das eine echt spannende Zeit, obwohl es eine ganz andere Kultur ist. Da existieren Armut und Luxus so nah beieinander, wie ich es noch nicht gesehen habe. Es war eine lehrreiche Lebenserfahrung.
Wäre das denn eine Option für Dich, dort später mal zu arbeiten?
Shanghai, Singapur, Hongkong… das sind auch große Finanzmärkte. Ich kann mir vorstellen, dort ein Jahr, vielleicht auch zwei, zu arbeiten – aber wenn ich einmal Familie habe, möchte ich nicht in Asien leben. Für mich war das eine geile Zeit, doch auf Dauer dort zu leben … nein, das wäre nichts für mich.
„Bin ein kleiner Fisch und am Anfang meiner Karriere“
Du stammst aus Untergriesbach, einem kleinen Dorf im Bayerischen Wald. Das ist eine unglaubliche Karriere, die Du da hinlegst. Bist Du denn auch ein bisschen stolz auf Dich?
Stolz ist nicht der richtige Begriff. Man ist in dem System drinnen – und macht weiter. Ob das jetzt die Karriere ist? Ich denke nicht. Im Moment bin ich ein kleiner Fisch, einer von vielen – und am Anfang meiner beruflichen Karriere. Da muss man in zehn oder 20 Jahren schauen, wo man letzten Endes gelandet ist. Aktuell ist es eine Momentaufnahme. Ich sehe das als Anreiz, weiter zu machen.
Nochmals gefragt: Wo siehst Du Dich in zehn Jahren?
(Simon lacht) Keine Ahnung. Kann sein, dass ich in ein oder zwei Jahren in der Bank fertig bin – vielleicht macht es mir aber auch gar keinen Spaß mehr… ich weiß wirklich nicht, was in zehn Jahren alles sein kann. Definitiv werde ich noch des Öfteren daheim bei Mama sein… Mindestens einmal im Jahr! Das kann ich sicher sagen.
Du bist also gerne dahoam?
Ja, aber nicht zu lange. Eine Woche, dann ist es auch wieder genug. Es ist schön, wenn man Leute von früher trifft und hört, was die so machen. Aber dann zieht’s mich doch wieder in die Großstadt – da brauch‘ ich die Arbeit und auch den Druck.
Dann wünschen wir Dir viel Glück und alles Gute für die Zukunft, Simon.
Interview: Magdalena Resch