Habedere, Servus aus Mbale! Passend zum Osterfest würde ich gerne von einer kleinen Auferstehungsgeschichte berichten. Diese handelt vom 18-jährigen Godfrey aus Mbale, einer meiner Patienten im HIV/AIDS Projekt. Da Godfreys einzig verbliebenes Familienmitglied, seine Großmutter, nicht gewillt ist, sich um ihn zu kümmern, bewohnt er einen kleinen Raum in einer Kirche. Leider ist auch der Pastor dieser Kirche nicht besonders motiviert, sich um den kleinen, schmächtigen Jungen zu kümmern. Und so schlägt er sich mit gelegentlichem Betteln so irgendwie durch. Jeden Mittwoch statten wir ihm im Rahmen des HIV/AIDS Projekts einen Besuch ab.

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Gehört mittlerweile zum Inventar: Nach Station in Mbale zieht der Röhrnbacher Johannes Gress weiter nach Karamoja.

Als wir uns wieder aufmachten, um Godfrey zu besuchen, fanden wir ihn in seinem Zimmer liegend. Seine Füße waren geschwollen und er war nicht in der Lage, aufzustehen. Er habe seit einer vollen Woche nicht gegessen, sagt er uns. Er liege hier seit fünf Tagen und niemand schien sich darum gekümmert zu haben. Also setzten wir ihn auf ein Boda und fuhren mit ihm in die nächstgelegene (nennen wir es mal) Arztpraxis. Das Schild außen dran ließ zwar eher darauf schließen, dass es sich um eine Apotheke handelte, aber anscheinend fand sich darin jemand, der sich zutraute, Behandlungen durchzuführen. Ob dieser jemand nun ausgebildeter Arzt war, weiß ich nicht. Aufgrund der Unterernährung begannen seine Füße von innen zu faulen und seine Haut war mittlerweile so schwach, dass sie an manchen Stellen einfach aufplatze und so seine Beine mit Wunden übersäht waren. Eine volle Stunde zog sich die Behandlung hin. Durchgeführt bei Kerzenschein, ständig begleitet von Godfreys Schreien.

Aber etwas anderes als der Pastor blieb nicht

Für weitere vier Tage wurde er nun täglich von einem der Freiwilligen zur Praxis gebracht und von Tag zu Tag konnte man beobachten, wie sich sein Zustand etwas verbesserte. Er war freundlich, gut drauf, machte kleine Scherze – so hatte ich ihn in den letzten Monaten selten erlebt. Als ich ihn dann die Woche darauf wieder besuchen kam, leider dasselbe Bild: Füße geschwollen, er hatte seit Tagen nichts gegessen. Also wieder zum Arzt. Nach der Behandlung setzten wir uns draußen an den Straßenrand und beratschlagten gemeinsam, wie es denn weitergehen soll. Denn eins war klar, so konnte es mit Sicherheit nicht weitergehen. Er wolle wegziehen. Weg von dem Pastor, der sich weigerte, sich um ihn zu kümmern. Der Pastor, der das Kapitel mit der Nächstenliebe wohl irgendwie überlesen haben muss. Der Pastor, der glaubte, er würde selbst etwas vom Kuchen abbekommen, wenn er einen HIV-Patienten aufnimmt, der von „Weißen“ unterstützt wird. Als dieser Plan nicht aufzugehen schien, hörte er auf, sich um seine „Investition“ zu kümmern, hörte auf, mit ihr reden, hörte auf, sie zu versorgen.

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GressAber etwas anderes als der Pastor blieb nicht. Verwandte schieden aus, Geld hat er keins und um zumindest selbst etwas zu Essen anzubauen, war er körperlich nicht in der Lage. Die ganze Situation schien aussichtslos und so lange wir auch beratschlagten, wir fanden keine Lösung. Als wir immer noch dort am Straßenrand hockten, Godfrey irgendwann anfing zu weinen und meinte, er habe wohl noch einen Monat zu leben, sprach uns ein Mann an, der zufällig vorbei ging, und fragte, was denn los sei. Wir erklärten ihm die ganze Geschichte. Godfrey und der unbekannte Mann diskutierten einige Zeit in ihrer Landessprache. Auch wenn ich so gut wie kein Wort verstand, konnte ich an Godfreys Gesicht ablesen, dass sich seine Situation gerade schlagartig geändert hatte.

Der Mann, genannt Mike, selbst als Straßenkind aufgewachsen und mittlerweile aber sehr wohlhabend, bot Godfrey an, bei ihm zu wohnen und stellte ihm ein kleines Stück Land zur Verfügung, um mit seiner Unterstützung etwas Reis anbauen zu können. Ich wusste im ersten Moment nicht, was ich sagen sollte. Meinen Kopf immer noch auf dem Ellbogen abgestützt, musste ich noch ein paar mal unglaubwürdig nachfragen, aber Mike schien es ernst zu meinen. Das ganze kam mir vor wie im Film. Gerade noch schien alles so hoffnungslos. Und plötzlich taucht da jemand vor uns auf und serviert die Lösung auf dem Teller. Wie ein Engel, eine Fee, bei der man mal eben drei Wünsche frei hat. Tags darauf ging’s dann noch ein letztes mal zum „Arzt“ mit einem vor Freude strahlende und glücklichen Godfrey. Kurz vor meiner Abreise hatte sich doch noch alles zum Guten gewendet.

Als „Halb-Nomade“ bin ich ein Profi was Verabschiedungen betrifft

Doch dann hieß es leider schon „Abschied nehmen“, denn für mich ging das Kapitel Mbale zu Ende. Nach über vier Monaten in „dusty town“, war es langsam an der Zeit weiterzuziehen, um den Rest des Landes zu erkunden. Auch wenn ich nach eineinhalb Jahren als „Halb-Nomade“ mittlerweile recht gut an Verabschiedungen gewohnt bin, fiel es mir richtig hart, aus Busajjabwankuba wegzugehen. Insbesondere die Leute meines HIV-Projekts, die Kinder aus der Nursery School und natürlich meine Gastfamilie, werden mir noch ewig in Erinnerung bleiben.

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Gress4Nach ugandischer Tradition kann man nur bei einem gemeinsam Essen „Pfiade“ sagen. So kamen vor meiner Abreise Lehrer und sämtliche Mithelfer der Schule im Haus „meiner Familie“ zusammen, um noch ein letztes Mal miteinander zu speisen. Auch wenn in Uganda eigentlich regelmäßig alles drunter und drüber geht, laufen solche Veranstaltungen dann doch immer ungewohnt formell ab. Zu aller Anfang wird gemeinsam gebetet – wahlweise zu Jesus oder zu Allah. Es geht hier mehr darum, Dankbarkeit für das bevorstehende Mahl zu zeigen, darum sich in Erinnerung zu rufen, dass es nicht unbedingt immer selbstverständlich ist, dass etwas zu Essen auf den Tisch steht. Ob man nun Muslim oder Christ ist spielt keine Rolle. Auch wenn wir uns alle seit vier Monaten fast täglich gesehen haben, stellt sich dann jeder in ein paar Sätzen kurz selbst vor, ehe dann jeder der Anwesenden eine kleine Rede hält. Zu guter Letzt wird dann gemeinsam zu lauter Musik getanzt. Einfach so. Im Wohnzimmer. Männer mit Frauen, Lehrer mit Kindern, einfach jeder mit jedem, wild durcheinander und ganz ungezwungen.

In den Wochen vor meiner Abreise unternahm meine „Gast-Mami“ noch ein paar letzte verzweifelte Versuche, mir ein paar ihrer Freundinnen als potenzielle Ehefrauen unterzujubeln, um mich vielleicht doch noch irgendwie zum hierbleiben zu bewegen. Da das Gründen einer Familie zur Zeit allerdings nicht unbedingt in den oberen Gefilden meiner Bucket-List rangiert, gab’s noch ein paar letzte Umarmungen, ehe es dann für mich mit einem Ugander und einem Engländer hoch in den wilden Norden ging. Genauer gesagt nach Karamoja in die Stadt Moroto.

Prostituierte mit kaum 14 Jahren, unzählige Straßenkinder

Alles was ich bisher über Karamoja und die Karamojong gehört hatte, war durchwegs negativ – Feindselig bis hin zu Barbarisch. Sie seien ein Volk von Kriegern und Viehdieben, außerdem würden sie die Entwicklung Ugandas bremsen und man könne es sich nicht leisten, auf die Karamojong zu „warten“. Das musste eine Reise wert sein. Beim Verlassen des Buses war uns schnell klar, dass Moroto „anders“ war als Mbale. Irgendwie erinnerte es mehr an das „echte“ Afrika – so wie man’s aus dem Fernsehen kennt. Die bunten Halsketten und Armreifen, dazu die farbenfrohe Tücher, die Gesichtsverzierungen und das Fehlen der beiden unteren Schneidezähne waren auf den ersten Blick die auffälligsten Unterschiede. Auf den zweiten Blick wurde uns schnell klar, dass hier nicht alles ganz richtig lief – Prostituierte mit kaum 14 Jahren, Straßenkinder wohin man schaut.

Gress3Aufgrund fehlender Sanitär-Einrichtungen setzen die meisten ihr Häufchen einfach auf die Straße. Eine ekelhafte Stadt, in der die Anzahl Alkoholiker und Arbeitslosen jenseits von Gut und Böse liegt. Geplant war maximal eine Woche in Moroto zu verbringen. Schon am ersten Tag kam die Frage auf, wie es denn möglich sein kann, dass hier Hilfsorganisationen wie UNICEF seit den 60er Jahren im Einsatz sind und die Stadt trotzdem noch in so desaströsem Zustand ist. Also nahmen wir uns vor, mal ein paar kleinere NGOs zu diesem Thema zu befragen. Ohne dass sich jemand darum zu kümmern schien, wer wir eigentlich sind, stolperten wir von NGO zu NGO. Jeder der Direktoren und Projektmanager nahm sich Zeit, belehrte uns ausführlich, zeigte uns rum und gab uns sämtliche Auskünfte, die wir verlangten, ohne dass jemals irgendjemand eine Gegenleistung forderte.

Nachdem das alles super klappte, versuchten wir es mal eine Nummer größer. Beim „World food programme“ der UN. Am Eingangstor wurden wir von drei Securities und einem Polizisten misstrauisch begutachtet, nach Gegenständen durchsucht und obwohl wir keinerlei Papiere vorweisen konnten, haben wir’s doch irgendwie ins Hauptgebäude zum Direktor geschafft. Er war der Erste, der sich wirklich dafür zu interessieren schien, wer wir sind und was wir eigentlich wollten. Und ganz ehrlich: Wir wussten es nicht. Wir waren nichts als zwei Touristen, die sich sehr für das Thema Entwicklung interessierten und einfach mal ihr Glück versuchten. Dass das den Direktor nicht sonderlich beeindruckte, war nicht unbedingt verwunderlich. Also wurden wir ins nächste Büro geschickt und auch die beiden Herren schienen nicht besonders kooperativ zu sein.

Mittlerweile ist es wie eine Sucht

Eigentlich hatten wir schon so gut wie aufgegeben, aber da der Ugander an sich einfach mal gern redet, schafften wir’s irgendwie nicht, dieses Büro zu verlassen. Und umso länger sich das Gespräch hinzog, desto hilfsbereiter wurden die beiden und schlugen irgendwann vor, wir sollten doch die ganze Sache etwas ernsthafter angehen. Wir sollten ein „Research proposal“ anfertigen und das Ganze vor Ort bei der RDC registrieren lassen. Das würde uns helfen, alles etwas strukturierter anzugehen. Außerdem würden wir einfacher Zugang zu großen NGOs bekommen. Sie würden uns selbstverständlich gern dabei unterstützen. Und so sind wir irgendwie immer weiter in die Sache hineingerutscht. Je mehr Leute wir zu dem Thema befragen, desto komplizierter erscheint das Ganze, aber auch umso interessanter wird es. Mittlerweile ist es wie eine Sucht.

Gress1Den ganzen Tag gibt es kein anderes Thema. Wir rennen von NGO zu NGO, befragen verschiedene „locals“, lesen und schreiben. Der Chairman einer kleineren NGO hat uns nun für einen Monat eine kleine Unterkunft organisiert. Im Zimmer neben uns wohnt der Präsident der DRC (das Amt in dem wir uns registrieren lassen müssen), der auch noch gleichzeitig MP ist und Kontakte zu Ugandas Präsidenten Museveni pflegt. Der Umstand, dass der nette Herr unglaublich gern Tee trinkt und zudem sehr redselig ist, macht es nicht gerade schwierig, Informationen von ihm zu bekommen. Außerdem fühl ich mich so sicher wie in meinem Leben noch nie, denn der DRC-Präsident wird rund um die Uhr von zwei schwerbewaffneten Polizisten bewacht. Irgendwie ziemlich verrückt wie die vergangenen Tage verlaufen sind. Alles scheint uns in die Karten zu spielen. Eigentlich wollte ich ja nach einer Woche Moroto nach Kenia. Dass ich jetzt in Karamoja eine einmonatige Research durchführe, hatte ich nicht auf dem Schirm. Aber naja, go with the flow …

Liebe Grüße aus Karamoja wünscht

Hannes (unverheiratet!)

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