Sankt Oswald/Grattersdorf. Rutengehen ist eine uralte Tradition, um Wasseradern oder Energiefelder ganz ohne technische Geräte und nur mit der Kraft des eigenen Körpers aufzuspüren. Hermann Peter aus Grattersdorf (Lkr. Deggendorf) ist Experte auf diesem Gebiet – und bringt diese Tradition mit in die Moderne.
Schwerer Nebel zieht an diesem kalten Apriltag auf, als sich zwischen ein paar blattlosen Sträuchern eine dunkle Gestalt ihren Weg bahnt. Scheinbar geführt von einer unsichtbaren Kraft bleibt der schwarze Umriss immer wieder und ganz plötzlich mit einem Knirschen auf den letzten Schneeresten stehen – und wechselt offenbar unkoordiniert die Richtung. Vorbei an einigen Pferden, deren Atem dampfend in der kalten Luft hängt, vorbei an blattlosen Sträuchern. Als der Schatten näher kommt, sind seine Hände zu erkennen. Sie umklammern fest eine zitternde Rute, die an manchen Stellen der Weide aufgeregt nach oben schnellt.
„Holz bricht unter der großen Spannung – Kupfer wird unschön“
Die großen Hände gehören zu Hermann Peter, einem Rutengänger aus Grattersdorf im Bayerischen Wald. Für das Ehepaar Aufschläger aus Sankt Oswald sucht er heute eine Wasserader, die die acht Pferde der Familie im Sommer versorgen soll. Doch der groß gewachsene Mann mit dem dichten Oberlippenbart, in dunkelblauen Arbeitshosen und grünen Gummistiefeln, sieht eigentlich gar nicht aus wie ein Esoteriker. Durch sein unaufgeregtes Auftreten wirkt das Rutengehen viel mehr wie eine Tradition – und nicht wie Hokuspokus. Vielleicht auch deshalb, weil er nur nebenberuflich auf die Suche nach Wasseradern geht – hauptberuflich befasst er sich mit sehr viel greifbareren Dingen: Er ist Automechaniker. Erst 1995 kam der 44-Jährige mit Wünschelruten in Berührung, belegte Seminare und entdeckte sein Talent. Als im Jahrhundertsommer 2003 dieses vermehrt benötigt wurde, beschloss er aus seiner Leidenschaft ein Geschäft zu machen.
Rutengänger können auf eine lange Tradition zurückblicken: Der älteste Beleg einer Wünschelrute, die auf Strahlung reagiert, stammt aus dem Jahre 1430. Das Rutengehen ist aber vermutlich sehr viel älter. Die Methodik hat sich bis heute kaum verändert: Astgabelungen und Kupferruten sind vor allem bei Hobbysuchern ein beliebtes Instrument. Hermann Peter bringt die alte Tradition in die Moderne, indem er keine Holz- oder Kupferruten verwendet, sondern eine große Auswahl an PVC-Ruten. Diese sehr moderne Form der Rute hat für ihn viele Vorteile: „Holz bricht unter der großen Spannung – und Kupfer wird mit der Zeit unschön.“ Doch nicht für jeden Rutengänger sei Plastik der richtige Werkstoff – bei manchen schlage eine Plastikrute nicht einmal an.
Wissenschaftlich konnte es nie belegt werden, dass ein Mensch mit einer Astgabel oder ähnlichem Gerät tatsächlich die Strahlung von Wasser, Metallen oder Magnetfeldern auffinden kann. Dennoch ist vielen Bauunternehmen die Meinung von anerkannten Rutengängern wichtig. Auch die Baufirma von Familie Aufschläger wollte zur Sicherheit das Urteil von Hermann Peter, obwohl schon vier andere Rutengänger auf dem Grundstück waren und Adern gefunden hatten. Auf Hermann Peter sei jedoch hundertprozentig Verlass, erklärt Marianne Kosak von der „Kosak Erdwärme-Tiefenbohrung GmbH“, die ihn auch der Familie Aufschläger empfohlen hatte.
Wasserader in 60 Metern Tiefe – eine Bohrung wäre sehr teuer
Bereits eine halbe Stunde bewegt sich Hermann Peter nun über das weitläufige Grundstück und zeichnet mit einer Sprühdose hin und wieder Striche auf den schmutzigen Schnee. Die Plastikrute hält er geübt zwischen Zeige- und Ringfinger geklemmt – und es scheint große Spannung auf sie und seine Händen zu wirken. An den Stellen, die Hermann Peter markiert, springt die Rute nach oben. Oft so stark, dass sie ihrem Besitzer beinahe aus der Hand gleitet.
Nach weiteren 30 Minuten intensiver Suche sieht man dann das gestrichelte Ergebnis auf der Wiese. Es gibt eine große Wasserader auf dem Grundstück: Etwa vier Meter ist sie breit, sie verläuft quer über die Weide und durch das Wohnhaus – und würde pro Stunde mehr als 3.600 Liter Wasser liefern können. Doch der erfahrene Rutengänger muss die Familie sogleich wieder ernüchtern: Die Wasserader liegt in 60 Metern Tiefe – eine Bohrung wäre sehr teuer. Ein anderer Rutengänger hatte in nur sechs Metern Tiefe mehrere wasserstarke Adern vermutet. Doch Hermann Peter schüttelt verneinend den Kopf: „Ein Dorf auf dieser Höhe hat selten Wasseradern, die nur wenige Meter unter der Oberfläche liegen.“
Der Rutengänger-Kollege hatte sich scheinbar nicht nur in der Tiefe, sondern auch in der Lage der Adern geirrt – Hermann Peter erklärt, dass sein Vorgänger nicht alle zehn Meter Wasseradern, sondern ein energetisches Netz gefunden habe, das wie ein kariertes Blatt den Erdball umspannt. „Und so einheitlich und gerade verlaufen Wasseradern leider nicht einmal, wenn sie in Rohre verpackt sind“, ergänzt der Rutengänger mit einem Lachen.
„… und ich spare mir einen durchlöcherten Garten“
Spaßig ist so eine Fehlvermutung aber eigentlich gar nicht. Hobbysucher ruinieren den Ruf der Rutengänger nachhaltig. Hermann Peter hat oft mit skeptischen Kunden zu kämpfen, die schon schwer enttäuscht wurden – und oft teure Fehlbohrungen verkraften mussten. Er selbst hingegen kann auf eine erfolgreiche Brunnenstatistik blicken, die ihm auch den sehr guten Ruf eingebracht hatte. Viele Baufirmen wenden sich deshalb auch lieber an ihn als an Geologen, weil er meist schneller und präziser arbeitet.
Die Familie Aufschläger muss der 44-Jährige heute ernüchtert zurücklassen. Das Ehepaar will aber für die teure Brunnenbohrung sparen, um sobald wie möglich ihre Pferde tränken zu können. Gerhard Aufschläger zeigt sich überzeugt: „Ich war lange skeptisch, aber seine Erfolgsquote spricht für sich – und ich spare mir einen durchlöcherten Garten!“
Stephanie Probst