Hebamme Johanna sagte einmal: „S’Wochenbett hod da Deife g’seng.“ In unserem Fall saß er mittendrin. Während die Welt der Meinung war, ja nahezu verlangte, als frischgebackene Eltern müssten wir trunken vor Glück sein, herrschte bei uns der Ausnahmezustand. Heute breche ich ein Tabu – und erzähle Euch davon…
Wenig Verständnis von Seiten der „Gesellschaft“
Die ersten acht Wochen nach der Geburt des Babys nennt man Wochenbett-Zeit. Diese acht Wochen sollten eigentlich eine „heilige Zeit“ sein, die dazu da ist, dass sich die neue Familie zusammenfindet – und in der sich die Mutter regenerieren kann. Eigentlich. Unsere Gesellschaft hat leider wenig Verständnis für das Wochenbett und die so genannte Wöchnerin. Möglichst schnell soll alles funktionieren, zusammenspielen – und dabei sollte das Glück an allererster Stelle stehen. Schließlich soll man froh sein über das süße, gesunde Baby. An die Zeit des Wochenbetts erinnern lediglich die acht Wochen Mutterschutz, die der frischgebackenen Mama von Seiten des Arbeitgebers gewährt werden müssen…
Problem: die Kernfamilie steht für sich allein
Der Grund, warum die Idee des Wochenbetts in unserer Gesellschaft nicht mehr funktioniert, ist folgender: Heute steht die Kernfamilie für sich allein. Es gibt keine Großfamilie mehr, in der mehrere Generationen unter einem Dach leben. Die Alten waren es einst, die auf die jüngsten Familienmitglieder aufpassten, damit die mittlere Generation arbeiten gehen konnte. Die alten Leute verbringen ihren Lebensabend aber nicht mehr im Kreis ihrer Lieben, sondern im Heim. Und Kinderbetreuung lagert man ebenfalls aus und überlässt die Kleinsten Institutionen wie Kinderkrippen und -gärten. Alles „nur“, weil wir uns dem Diktat der industrialisierten Welt unterwerfen – weil wir letztlich keine Zeit mehr haben für die wichtigste Angelegenheit im Leben: für die Familie. Der Generationenvertrag gilt nicht mehr. Die Kernfamilie aus Vater-Mutter-Kind hat gefälligst ihre eigene Suppe zu kochen – und kann selbst schauen, wie sie klar kommt.
Apropos: Ich habe keine Suppe gekocht. Ich habe an manchen Tagen nicht mal eine Tasse Tee gekocht. Und wenn ich ihn doch gekocht habe, zog er mehrere Stunden vor sich hin – und wurde kalt. Einmal wurde ich gefragt, was ich denn den ganzen Tag so mache. Ich lachte heiser auf, noch bevor mir die Zornesröte ins Gesicht steigen konnte. Milch abpumpen, Fläschchen abkochen, Milch warm machen, den Buben füttern und wickeln, herumtragen, trösten, mit ihm kuscheln und ihn zum Schlafen bringen. Und nochmal und nochmal und nochmal. Das war’s. Kochen, Waschen, Putzen? In den ersten Wochen: Fehlalarm. Für verständnisloses Kopfschütteln hatte ich wiederum kein Verständnis. Stattdessen wünschte ich mir die gute alte Stammesgesellschaft herbei – und glaubt mir: Als diplomierte Soziologin habe ich mir das wirklich gut überlegt. Dort hatte alles seine Regelung. Inklusive Wochenbett. Die Frau wurde dabei auf Händen getragen. Sie bekam das beste Essen und maximale Schonung. Schließlich sorgte sie für den Erhalt des Stammes, was dementsprechend gewürdigt wurde. Alles nicht mehr relevant heute.
Die eigene Mama ist von unschätzbarem Wert
Hormongebeutelt, körperlich durchaus mitgenommen und nervlich am Ende – so lässt sich der Zustand beschreiben, in dem ich mich in der Zeit des Wochenbetts befand. Stephan blieb zwei Wochen daheim und war da, half und tat, was er konnte. Er war ja auch ein neugeborener Papa. Danach schlich er sich langsam wieder ins Berufsleben zurück. Langsam – was ihm weiß Gott mehr als schwer fiel. Während ich nach Nähe, Geborgenheit, Aufmerksamkeit und Sicherheit verlangte, zog es ihn hinaus aus der Höhle in die Prärie, wo er möglichst fette Beute machen wollte. Freilich durchaus verständlich. Nur hatte ich einfach sonst niemanden. Und ich fühlte mich noch nicht so schnell fähig, allein mit all der Verantwortung zu sein.
Meine Mama lebt gut eine Autostunde weit weg. Früher lachte ich über ihr Bedauern darüber und sagte, es sei ja „nur“ eine Stunde. Heute lasse ich das „nur“ gerne weg. Eine Stunde ist eben doch kein Katzensprung, wenn es mal schnell einfach gut täte, in Ruhe zu duschen, zu frühstücken, ja, vielleicht auch mal zum Friseur zu gehen oder gemütlich in einer Buchhandlung zu schmökern. Da wäre es hin und wieder schon fein, Mama in der Nähe zu haben. Die eigene Mama ist für eine frischgebackene Mutter von unschätzbarem Wert. Vorausgesetzt, man versteht sich so gut, wie das bei meiner Mama und mir der Fall ist. Mama und mein Stiefpapa kamen freilich zu Besuch. Einmal blieb sie auch für ein paar Tage. Und auch Papa und seine Partnerin fanden den Weg aus der Eifel zu ihrem Enkel. Sie alle kochten und putzten und umsorgten uns. Wunderbar war das! Nur leider fuhren sie auch wieder. Freilich waren auch Stephans Eltern da – und schließlich handelten wir mit ihnen aus, dass sie uns einmal in der Woche mit Essen versorgten…
Großes Streitpotenzial – Er: rational – ich: emotional
Mein Mann und ich stritten wie die Schleifer und drohten gut jeden zweiten Tag mit Scheidung. Kein Witz. Die Wochenbettzeit war die grässlichste Zeit in meinem bisherigen Leben, das kann ich getrost sagen. Ich fand mich kein bisschen verstanden. Ich war nun selbst Mama. Zuvor war ich Tochter, Freundin, Partnerin und berufstätig. 2014 war ich nun auch noch Ehefrau und Mutter. Und zog in den Bayerischen Wald mit meinem Ehemann zusammen. Und fing beim Hog’n an. Wahrhaftig keine schrecklichen Ereignisse – aber vielleicht etwas viel in nur einem Jahr. So bin ich. Wenn schon, denn schon. Aber diesmal war es einfach viel zu viel. Unsere Hebamme Johanna sah uns streiten, unsere Eltern sahen uns streiten und Verwandte und Freunde sahen uns streiten. Wir stritten und stritten und stritten und wurden des Streitens nicht müde. Wir warfen uns fehlendes Verständnis vor, Stephan fuhr ganz die rationale Schiene – und ich die absolut emotionale. Nein, wir verstanden uns wirklich nicht. Wir hassten uns sogar – und ich wurde von heftigsten Weinkrämpfen gebeutelt. Und trotzdem liebten wir uns auch. Und den Buben liebten wir am allermeisten. Darum gingen wir auch zur Partnerberatung, zu pro familia, wo wir mit einer sehr netten Mitarbeiterin ein sehr gutes Gespräch hatten. Vielleicht hat uns das auch ein bisschen weitergebracht.
Unbedingt nötig: die vollste Unterstützung von allen Seiten
Heute streiten wir immer noch – aber wir haben unsere Horizonte erweitert. Ich als Mama habe mich in meine neue wunderbare Rolle hineingefunden und fühle mich darin nun sehr sicher. Aber das ging nicht mit dem Tempo vonstatten, das mein Umfeld von mir erwartete. Ich hatte mein eigenes Tempo. Und das ist nur allzu natürlich. Die hormonelle Belastung, die Wochenblutung, der ganze Körper, der soeben eine Geburt erlebt hat, das Stillen, die „Monsterbrüste“… Dazu der seelische Zustand – die große Unsicherheit in der neuen Rolle, die Traurigkeit über den Abschied des alten Lebensabschnitts und der Schwangerschaft, die große Freude über das Wunder eines neuen Menschen und die schier wahnsinnig machende riesige Verantwortung über dieses Leben… Manchmal wähnte ich mich am Rande einer Wochenbettdepression, aber das war nie tatsächlich der Fall. Immer war ich willig und fähig, für den Buben zu sorgen – und ich liebe ihn aus vollsten Herzen von Anfang an. Das alles ist so viel für eine neue Mama, dass sie einfach vollste Unterstützung braucht. Diese Unterstützung habe ich oft vermisst – den vollen Rückhalt und das Verständnis, das eine neue kleine Familie so dringend braucht, um zusammenwachsen zu können.
Wo Teufel sind, sind auch Engel
Doch: Wir haben es geschafft – aber es war mehr als knapp. Und wie sagte Johanna, als sie eines Tages einem unserer Streits beiwohnte? „Die Hälfte der Paare trennt sich nach der Geburt eines Kindes.“ Ja, das Wochenbett, das hat der Teufel gesehen. Was man aber nicht vergessen darf: Wo Teufel sind, sind auch Engel. Und unser Schutzengel war da für uns. Vielen Dank dafür nochmal.
Und im nächsten Teil von „Wir sind Eltern“ erzähle ich Euch vom gesunden Appetit eines Säuglings…
Eva Hörhammer
–> Wir sind Eltern (1): Die Geburt – es geht los!