„Servus, Griasde und herzlich Willkommen in Uganda!“ In der vergangenen Woche hab ich niederbayerische Unterstützung bekommen. Wahnsinn! Deswegen: Heute keine Einleitung, sondern gleich zur Sache! Für vier Wochen bleibt Lisa-Marie Kornexl aus Außernbrünst hier in Ost-Uganda, um im Rahmen des „African Community Team Support – Projekts“ Volontärhilfe zu leisten. Also machte ich mich am Wochenende auf in die Hauptstadt Kampala, um dort den „hohen Besuch“ gleich direkt am Flughafen in Entebbe in Empfang nehmen zu können. Besonders groß war die Vorfreude, weil ich während meines gesamten Aufenthalts hier keinem einzigen Bayern über den Weg gelaufen bin – und meine Stimmbänder folglich schon lange nach einer echt boarischen Konversation lechzten…
Da ich nicht vor hatte, 14 Stunden an einem Tag im Bus zu verbringen, fuhr ich schon einen Tag zuvor nach Kampala. Die Nacht auf Samstag verbrachte ich dann bei einer Freundin, die zufällig am selben Tag noch eine andere Couchsurferin zu Gast hatte. Als diese fragte, wo ich denn herkomme, antwortete ich knapp mit „Dschörmänie“ – und als ich dann ein „Wo kimmst’n hea?“ zurückbekam, machte ich erst einmal ein paar Luftsprünge, da meinem Verlangen nach ein bisschen Boarisch so plötzlich und unverhofft ein Ende gesetzt werden konnte. Die Gute kam doch tatsächlich frisch aus dem Erdinger Moos nach Uganda eingeflogen. Die Welt ist klein – aber das hatten wir ja schon mehrmals festgestellt…
Ein Drittel Jahr Enthaltung, quasi 120 Tage Quarantäne
Am Morgen darauf dauerte es dann geschlagene zwei Stunden, bis ich mich aus dem Verkehrschaos Kampalas heraus endlich in Richtung Flughafen bewegte. Kurz vorm Ziel gabelten wir dann einen am Straßenrand laufenden Touristen auf, der ganz offensichtlich ebenfalls zum Airport wollte. „Where are you from?“ – „Germany, Munich, but I’m studying in Passau“ Krass! Nach viermonatiger Abstinenz, einem Drittel Jahr Enthaltung, quasi 120 Tagen Quarantäne, laufen mir plötzlich Leute über den Weg, die direkt vor meiner Haustür studieren. Jaja, wie schon gesagt, die Welt ist klein…
Am Flughafen angekommen, musste ich feststellen, dass der erwartete Flug zu früh gelandet ist – und die Passagiere schon seit einer halben Stunde den Boden von Entebbe unter ihren Füßen hatten. Zu früh? Mal ganz allgemein in den Raum gestellt: Wie um alles in der Welt kann ein Flieger zu früh sein? Hat einer der Piloten auf dem Weg von Doha eine Abkürzung entdeckt? Oder war dort im Cockpit schon immer dieser kleine, rote Knopf für den Turbo-Boost, den sich bis zu diesem Tag keiner zu drücken traute? Fragen, über Fragen … wie auch immer. Da wir uns hier schließlich in Uganda befinden, durfte ich trotzdem noch eine ganze Weile warten, bis all den Passagieren ihre Visa ausgehändigt wurden. Doch wenn dann plötzlich hier, mitten in Afrika, tausende Kilometer weit weg von zu Hause, jemand vor einem steht, den man eigentlich nur von zu Hause kennt, stellt das irgendwie alles auf den Kopf…
Bisher war für mich Uganda immer die große Unbekannte, ein Land, in dem alles neu, alles fremd war. Hier kannte ich absolut niemanden – und genauso wenig kannte mich irgendjemand. Egal, wo ich mich hinbewegte, egal, wem ich über den Weg lief, ich konnte mir sicher sein, Neuland zu betreten. Andererseits erschien mir Deutschland immer so weit weg. Freunde und Familie, die man höchstens mal am Telefon zu hören bekam, waren schier unerreichbar. Winter, Schnee, Kälte, Fasching – alles weit entfernt. Und plötzlich marschiert da jemand durchs Gate, den man schon tausende Male gesehen hat. Wie wenn zwei Welten miteinander verschmelzen, wie wenn die Distanz zwischen Uganda und Deutschland von einer Sekunde auf die andere auf ein Minimum reduziert wird. Natürlich gab’s erstmal viel zu erzählen und ich versuchte, mir in Erinnerung zu rufen, wie ich mich damals gefühlt hatte, als ich im November zum ersten Mal afrikanischen Boden betrat und auf der Fahrt vom Flughafen nach Kampala versuchte, die ersten Eindrücke zu gewinnen.
Hochzeit auf dem Land: Ein Besuch in einem „deep village“
Am Morgen darauf ging’s dann in atemberaubenden 7,5 Stunden mit dem Bus die 200 Kilometer zurück nach Mbale. Ich wage zu behaupten, eine Handvoll Leute zu kennen, die das mit dem Rad in der gleichen Zeit schaffen. Meine niederbayerische Freundin durfte also recht schnell am eigenen Leib erfahren, dass es hier meistens etwas gemächlicher zugeht… Das Wochenende darauf hatte ich dann die Gelegenheit, mit ein paar Freunden aus Namatala (ein Slum in Mbale) erstmals eine Hochzeit in Uganda zu besuchen. Allein die Fahrt dorthin war schon äußerst vielversprechend. Die Vorwarnung, wir würden in ein „deep village“ fahren, machte mich im Vorhinein schon etwas misstrauisch. Auch im Bayerischen Wald gibt’s ja das ein oder andere Dorf, das man wohl zu recht als etwas „deep“ bezeichnen kann, aber hier in Uganda geht’s noch ein ganzes Stück „deeper“…
Hier mal eine Kuh, da mal zwei Ziegen – und alle paar Kilometer Lehmhütten mit Strohdächern. Ansonsten: einsame, braune Graslandschaft, durch die sich der ein oder andere Pfad schlängelt. Logisch, dass sich die Orientierung teilweise etwas schwierig gestaltete – und wir uns einige Male verfransten. Als irgendwann keiner mehr weiter wusste, stieg die komplette Besatzung des Fahrzeugs aus, pflückte sich eine Mango vom Baum und beratschlagte erstmal, wie es denn jetzt weitergehen sollte. Eine gute Stunde und einige Mangos später schafften wir’s dann doch noch zur Hochzeit…
Als Geschenk gab es sechs Kühe, sechs Ziegen und zwei Hühner
Alle anwesenden Frauen waren in wunderschöne, traditionell ugandische Kleider gehüllt, die ganze Zeremonie fand zwischen ein paar Lehmhütten unter einem Eukalyptusbaum statt. Vor der eigentlichen Trauung gab’s noch einige kleinere „Vorführungen“, deren Sinn sich mir bis heute noch nicht ganz erschließt. Die Trauung selbst verlief relativ unspektakulär und für afrikanische Verhältnisse ungewohnt emotionslos. Vielleicht war dies auch der Tatsache geschuldet, dass der Bräutigam bereits vier Frauen und 57 (in Worten: siebenundfünfzig!) Kinder sein Eigen nennt. Dass es in Uganda, was den Austausch von Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit angeht, sehr diskret abläuft, war mir bereits bekannt. Aber dass selbst auf den Kuss zwischen Braut und Bräutigam verzichtet wird, verwunderte mich dann doch etwas. Nach der Vereinigung wurden sechs Kühe, sechs Ziegen und zwei Hühner von den Eltern der Braut an den Bräutigam übergeben, bevor es dann für alle Richtung Speisen- und Getränkeaufnahme ging. Gut gestärkt wurde anschließend der gemütlichere Teil eingeleitet, es wurde im Kreis gesessen und gemeinsam bei etwas „local brew“ über Gott und die Welt geschwatzt.
Mit etwas Verspätung (so ein Eimer „local brew“ will erstmal ausgetrunken werden) ging’s dann zurück nach Mbale bzw. für mich nach Busajjabwankuba, wo ich mich mittlerweile pudelwohl fühle und schon richtig gut eingelebt habe. Das Witzige an der Sache ist, dass in diesem Dorf einfach keiner einen Weißen erwartet – und dies manchmal zu ganz interessanten Situationen führt. Die Wenigsten hier rechnen damit, dass früh morgens ein Weißer den Kopf aus dem Wasserloch steckt oder im hintersten Dorf auf Erden durch die Bananenplantage spaziert. Manchmal ernte ich nur etwas irritierte Blicke oder ein gestammeltes „ohhh, Muzungu“. Zwar gibt’s durchaus mal den ein oder anderen Touristen in Mbale, ins Wasserloch von Busajjabwankuba verirren sich aber doch die wenigsten…
Entwicklungshilfe: Soll Afrika mal so aussehen wie Europa?
Ungefähr genau so irritierend ist für mich der Umstand, wie es möglich sein kann, dass eine Stadt wie Mbale nicht in der Lage ist, die Hauptstraße durchs Stadtzentrum zu teeren, ich aber in einen Laden laufen und mir ohne Probleme einen LED-Fernseher und ein Smartphone zulegen kann. Manchmal verstehe ich den Plan hinter dieser „Entwicklung“ nicht so ganz. Von den meisten wird mir Europa immer als das Nonplusultra angepriesen, die perfekte Welt, in der man nur zum Bankautomaten laufen muss und alles wird gut. Ehrlich? Ist das das vorgegebene Ziel für alle Entwicklungsländer? Soll Afrika mal so aussehen wie Europa? Traktoren für jeden ugandischen Kleinbauern? Ein Auto für jeden Haushalt? Und jeder Grundschüler mit einem Tablet unterm Arm?
Ich habe das Gefühl, dass wir oft technologischen Fortschritt mit Entwicklung einfach gleichsetzen. Dass wir alle ziemlich schnell zu „Entwicklungsländern“ werden, sobald Afrika mal zu „Europa“ wird – dafür sind die meisten wohl etwas zu kurzsichtig. Denn klar: Technologie steigert den Ertrag v.a. im Bereich Farming ungemein. Aber genau so klar dürfte sein, dass nicht jeder Bewohner dieser Erde gleichzeitig seine Einkünfte steigern kann. Natürlich macht so ein eigenes Auto das Leben der meisten Familien etwas einfacher.
Aber genau so dürfte feststehen, dass so eine weitere Milliarde Autos nicht gerade das ist, was wir im Moment brauchen. Also wie soll „Entwicklung“ aussehen und bis zu welchem Punkt bedeutet diese – langfristig gesehen – wirklich noch ein Schritt vorwärts? Liegt es nun an den Entwicklungsländern, doch bitte etwas mehr auf unsere Erde zu achten und etwas kürzer zu treten? Oder an der hochangesehenen westlichen Welt? Können wir uns anmaßen, zu sagen „Sorry, liebe Bewohner des Entwicklungslandes XY, einen gewissen Standard können wir Euch gewähren, aber mehr verträgt Mutter Natur leider nicht – und deswegen gibt’s für euch keine Traktoren! Wir Europäer waren nun mal früher dran“?
Das mag unfair klingen, ist aber der einzige Ausweg
Jeder von uns teilt sich diese Kugel mit sieben Milliarden anderen, ob er nun mal will oder nicht. Und am Ende sitzt jeder von uns im selben Boot, ob er nun mal will oder nicht. Recht viel weiter als über die Grundbedürfnisse Unterkunft, Nahrung, sauberes Trinkwasser und einen gewissen Bildungsstandard wird Entwicklungshilfe also in Zukunft nicht hinausgehen (können). Und weiter soll „Entwicklung“ meines Erachtens auch nicht gehen. Das mag unfair klingen, ist aber erstens wohl der einzige Ausweg – und zweitens eröffnet es die Möglichkeit, dass vielleicht in ferner Zukunft zumindest mal wieder ein Teil dieser Erde zur Vernunft kommt und merkt, dass Geld auch nicht glücklich macht. Das wäre wohl das Gesündeste für jeden von uns. Und wenn ich da in jemanden Hoffnung setze, dann ist es Afrika!
Liebe Grüße aus Busjjabwankuba wünscht Hannes!
P.S.: Freu mich über jeden Kommentar zum Thema „Entwicklungshilfe“, denn ich bin mir durchaus bewusst, dass man dieses Thema sehr kontrovers diskutieren kann.
–> (1) Ist das Materielle Voraussetzung für ein glückliches Leben? Johannes Gress’ Reise nach Uganda
–> (2) “It’s like an angel pisses in your mouth” – Johannes Gress’ Umwege nach Uganda
–> (3) Uganda calling, oder: Johannes Gress kurz vor seinem großen Ziel
–> (4) Anderes Land, anderer Kontinent, anderer Planet – Johannes Gress’ erste Tage in Uganda
–> (5) Der gesunde Mix aus Planlosigkeit, Gleichgültigkeit und Chaos – der Alltag in Uganda
–> (6) Alltag in Ostafrika: Uganda – das Land der unnormalen Normalität
–> (7) Kinder mit trockenen Lippen und leerem Blick – die andere Seite Ugandas
–> (8) Unterhaltung á la Uganda: “You whites, you got the watches, but we Ugandans, we got the time”
–> (9) Johannes Gress: “Manchmal macht mich dieses Land einfach unglaublich wütend”
–> (11) Johannes Gress und sein ganz persönliches Osterwunder in Uganda
Wir müssen uns fragen:“ Was haben wir in fast 60 Jahren Entwicklungshilfe in Afrika erreicht?“ „Welche Wirkung hatten die Milliarden für die Menschen?“ Nur im Norden will man nicht verstehen: Politik hat in vielen Teilen Afrikas nichts mit Überzeugungen und Gemeinwohl, sondern alles mit Klientelismus und schamloser Bereicherung zu tun.Maßgebend ist nicht das Bemühen, sondern der Erfolg. Vom Mitleid und steter Fürsorge zu leben kann sich richtig lohnen. Fragen nach Ursachen weshalb Entwicklungsprojekte scheitern, sind unbequem. Viel einfacher ist es mehr Geld zu fordern. Mißstände -wie fehlende demokratische Beteiligung der Bevölkerung oder Korruption- in Afrika werden von westlichen Politikern stillschweigend hingenommen.
Entwicklungshilfe ist ein Geschäft von dem allein in Deutschland etwa 100.000 Menschen leben.Sie haben ein wesentliches Interesse daran, für den Rest des Arbeitslebens in der Entwicklungshilfe zu bleiben. Die Arbeitsplätze der Helfer hängen von der Fortsetzung der Hilfsprojekte ab. Entwicklungshelfer als Beruf ist absurd.Wir wollen uns unentbehrlich machen!
Herzliche Grüße nach Uganda
Volker Seitz, Botschafter a.D. (17 Jahre in Afrika) und Autor „Afrika wird armregiert“ 2014
Für mich ist etwas nachhaltig, wenn Projekte selbststaendig und unabhaengig von aussen weiterentwickeln. Die Helfer muessen lernen, den Erhalt, die Fortfuehrung und die zukuenftige Entwicklung den Afrikanern selbst zu ueberlassen. Helfer haben Erfolg, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.
Ich habe beobachtet, dass die afrikanischen Länder, die am meisten Entwicklungshilfe erhalten, am wenigsten gegen die Armut unternehmen. Wenn das Geld der Geber bedingungslos sprudelt, gibt es keinen Grund, an diesem Zustand etwas zu ändern.Entscheidend ist wer konkret den Zugang zu Geldern hat.Heutige öffentliche Entwicklungshilfe macht Afrika nach meiner festen Überzeugung ärmer. Das erscheint widersprüchlich. Aber sie macht arm weil sie Abhängigkeit schafft. Sie kann nicht wirksam sein, weil dahinter der paternalistische Irrglaube steckt, die Hilfe der Reichen im Norden stärke die Armen im Süden. Aber staatliche Innovationsfreudigkeit verkümmert. Beste Grüße Volker Seitz, http://www.Bonner-Aufruf.eu