Neues vom Exilbayern aus Ostuganda! Es hat sich so einiges getan in den vergangenen Wochen. Am 3. Februar eröffnete endlich unsere Nursery School, das „International Childcare and Education (ICE) Centre“. Allerdings etwas anders als wir uns das alle erträumt hatten. Ohne Fenster, ohne Türen, ohne Boden – und folglich mit kaum Kindern. So legten wir in den ersten Wochen den Boden noch mit Bambusmatten aus und aufgrund der fehlenden Fenster und Türen mussten wir das gesamte Equipment, inklusive Tafel und Stühle, jeden Morgen zur Schule schleppen. Nach Schulschluss balancierte dann jedes der Kinder seinen Stuhl auf dem Kopf zurück zum Haus der Lehrerin. Das ganze Schauspiel erinnerte jedes Mal eher an den Auszug aus Ägypten als an den erhofften Schulalltag.

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Endlich ist die Schule in Uganda fertig, nun können dort auch erste Kinder von Johannes Gress unterrichtet werden.

Zwar hatten wir schon kurz nach Weihnachten die benötigten Spenden für das Schulgebäude beisammen, allerdings dauerte es bis zum 18. Februar, bis das Geld endlich hier in Mbale ankam. Folglich läuft der Unterricht im Moment etwas alternativ und improvisiert ab. Dementsprechend chaotisch sieht auch mein Alltag zurzeit aus. Je nachdem was gerade anfällt, bin ich halb Bauarbeiter, halb Lehrer. Teilweise verbringe ich auch ganze Tage auf „Geschäftsreise“. Hier in Uganda kann es einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, bis man einen Laster voll Sand vom Vertriebsort zur Baustelle bringt. Ruhe bewahren. Ist der Sand dann endlich an Ort und Stelle, hat sich plötzlich der Preis geändert. Ruhe bewahren. Auf unsere Fenster mussten wir eine volle Woche warten, auch wenn sie angeblich innerhalb eines halben Tages fertiggestellt sind. Ruhe bewahren. Waren die Fenster dann hier, fehlten die Lüftungsschlitze. Ja, Ruhe bewahren.

„Wie es dann weitergeht, steht noch nicht ganz fest“

Ruhe bewahren und sich nicht über den Tisch ziehen lassen, knallhart bleiben, denn als Muzungu zahlt man gern mal das Doppelte. Aber mittlerweile bin ich lange genug hier und wenn ich eins gelernt habe, dann ist es: Verhandeln. So haben wir aktuell zumindest für den ersten der beiden Räume einen Boden, Fenster und eine Tür. Eine weitere gute Nachricht bekam ich vergangene Woche vom „Immigration Office“. Eine kleine Märchenstunde – und ich bekam weitere 90 Tage Aufenthalt hier im Land genehmigt. Das bedeutet, dass ich wohl noch bis Anfang April hier in Mbale bleiben werde. Wie es dann weitergeht, steht noch nicht ganz fest. Mir schwebt da allerdings schon etwas vor: Es wird auf alle Fälle in Richtung Kenia gehen.

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GressAuch was meinen Standort hier in Mbale betrifft, hat sich ein bisschen was geändert. Als ich hier in Afrika angekommen bin, war ich zugegebenermaßen ganz froh im Volontärhaus untergebracht zu sein – mit fließend Wasser, Strom und einer anständigen Toilette. Das war zur Eingewöhnung das allerbeste, die Unterschiede zu Europa waren ohnehin groß genug. Aber um die Lebensweise hier besser kennen zu lernen und vor allem um die Situation der Menschen hier besser zu verstehen, wurde mir schon bald klar, dass ich etwas „tiefer vordringen“ musste. Also fragte ich den Leiter meiner Organisation, ob es denn für mich möglich wäre, aus der Stadt wegzuziehen und im Dorf zu leben. Dieser meinte umgehend, ich solle doch einfach bei ihm wohnen.

Raus aus dem gewohnten Umfeld, rein in das dörfliche Leben

Zugegebenermaßen fühlte ich mich anfangs etwas unwohl bei dem Gedanken, mein gewohntes Umfeld in der Stadt verlassen zu müssen. Der Chapati-Verkäufer, der meine morgendliche Bestellung schon im Voraus kannte, die Boda-Fahrer, die ohne zu fragen genau wussten, wo sie mich jeden Morgen absetzen mussten, all die anderen Volontäre, mit denen ich einen Großteil meiner Zeit in den letzten drei Monaten verbracht hab und natürlich das Spektakel, das sich täglich in und um die Amber Stores abspielte. All das würde ich eintauschen müssen gegen mein Leben im Dorf. All das eintauschen gegen tägliches Wasserschleppen, einem Loch im Boden anstatt einer anständigen Toilette und Waschen aus einer Schüssel anstatt einer richtigen Dusche? Doch gerade weil es sich etwas unwohl anfühlte, beschloss ich meine Sachen zu packen. „Sometimes you have to get out of your comfortzone, mate“, gab mir mal ein Neuseeländer mit auf den Weg und bisher hatte er noch jedes Mal recht behalten.

Gress2Auch einfach einen Rucksack zu packen, um nach Uganda aufzubrechen, zählt nicht zu den Dingen, bei denen man sich von Anfang an wohlfühlt. Trotzdem war’s wohl eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. So lebe ich nun als einziger Weißer weit und breit in Busajjabwankuba, nicht weit entfernt von unserer Schule, mit dem Leiter meines Projekts, seiner Frau und seinen vier Kindern. Dazu kommen noch ein Frosch und eine Ratte, die sich im Wohnzimmer heimisch fühlen, und mein Zimmerkollege Peter, die Kakerlake. Letztens ist mich nachts auch mal eine Katze durchs Fenster besuchen gekommen. Eine tierisch nette Familie!

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Jeden Abend sitzen wir draußen am Boden und essen gemeinsam unterm Sternenhimmel zu Abend. Kein Licht, kein Lärm. Einzig das Knistern des Kohleofens ist zu vernehmen. Wenn ich morgens aufwache, liegt noch etwas Dunst in der Luft – sie ist schwer und angenehm kühl, es ist friedlich ruhig, nur ein paar Vögel zwitschern von den Bäumen. Trotzdem ist das Leben hier weit weniger romantisch als es sich anhört. Die Tage für die meisten hier sind lang und hart. Das Kochen mit Kohle oder Holz braucht seine Zeit, außerdem muss auch Trinkwasser vorher immer erst abgekocht werden. Wasser zum Kochen, Waschen, Geschirrspülen, Duschen, Trinken muss immer erst vom Brunnen zum Haus getragen werden. Das alles nimmt Unmengen an Zeit in Anspruch.

Sonntags einen  Ausflug mit der Familie? Pustekuchen!

Nach getaner Arbeit wird ins Bett gegangen und tags darauf dann das selbe Spiel – sieben Tage die Woche. Zeit für Hobbys oder um mal eben bei einer Freundin auf eine Tasse Kaffee vorbeizuschauen, bleibt hier kaum. Die Ansprüche, die hier ans Leben gestellt werden, sind meilenweit entfernt von den unseren. Zugang zu freier Bildung für jeden, Selbstverwirklichung, bezahlten Urlaub, sonntags mal einen Ausflug mit der Familie machen? Pustekuchen! An guten Tagen mal ein Stückchen Fleisch, für die Kinder vielleicht mal einen Becher Fruchtsaft anstatt immer nur Wasser. Umso unverständlicher ist es für manche Dorfbewohner, dass ich mich dazu entschlossen hab, hierher zu ziehen. Teilweise bleiben sie einige Zeit stehen, schauen mir beim Wasserpumpen zu – als wollten sie sicher gehen, dass ich es auch richtig mache – nicken kurz und gehen dann weiter.

Gress3Umso mehr ich die Leute hier kennen lerne, umso mehr ich mit ihnen ins Gespräch komme, umso besser kann ich mir deren Situation erklären. Die meisten Leute, die ich bisher hier kennenlernen durfte, verdienen, sofern sie denn überhaupt Arbeit haben, zwischen zwei und sechs Euro am Tag. Es ist nicht nur schwierig, irgendwie um die Runden zu kommen, geschweige denn eine Familie zu ernähren, sondern auch nahezu unmöglich, irgendwie aus dieser Situation herauszukommen. Aufstiegschancen sind so gut wie nicht vorhanden. Auch wenn es sowas hier offiziell nicht gibt, erinnert es ein bisschen an das indische Kastensystem. Einmal in eine Kaste geboren, ist es so gut wie unmöglich, irgendwie wieder rauszukommen. Einer der hier im Dorf Wohnenden hat’s mal ganz gut auf den Punkt gebracht: „We have gold, diamonds, oil and a shitload of tourism. Why is this country so rich and their people so poor?“ So sehr ich meine Zeit hier in Uganda genieße, so sehr ich die Menschen hier mag, manchmal macht mich dieses Land einfach unglaublich wütend.

Liebe Grüße, Hannes

Mehr zum Thema:

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