Rinchnach. „Es ist nimmer schön“, sagt Karl Heidenreich enttäuscht. Der Kommerz habe auch vor dem Wald nicht Halt gemacht, die schnelle Ertragssteigerung stehe im Vordergrund. Dabei sind die Pflegemaßnahmen an den Jungbeständen überaus wichtig. „Alle Arbeiten, die früher der Holzhauer gemacht hat, übernimmt heute der Harvester.“ Aus Überzeugung trägt er Grün, auch noch 25 Jahre nach seiner Pensonierung – das ist schließlich die Zunftfarbe. Zunft: Ein Wort, das man heute nur noch selten hört. Der 87-Jährige war drei Jahrzehnte Förster in Oberfrauenau bei Baron von Poschinger. 1960 kam der gebürtige Schwarzwälder gemeinsam mit seiner Frau und drei Kindern in den Bayerischen Wald, zwei weitere sollten noch folgen. Er hat sich gleich wohl gefühlt. „Warum auch nicht?“ – antwortet er wie selbstverständlich.
Heute kennen viele Förster ihre Revier gar nicht mehr, weil ihnen durch die Forstreform so große Gebiete zugeteilt worden sind – davon ist Karl Heidenreich überzeugt. Er selbst erlebte andere Zeiten: „In Frauenau waren uns drei Förster – und jeder hatte 1.000 Hektar Fläche zu bewirtschaften. Angefangen von der Saat, der Pflanzung und der Jungwuchspflege bis hin zum Holzeinschlagen und Holzverkauf.“ Damals hat man das getan, was eben notwendig war. Beim Gespräch merkt man, der 87-Jährige hat wache Augen und Ohren – ein Relikt seiner Zeit im Wald. Denn: Beobachten und abzuwarten ist in der Natur sehr wichtig. „Bei jedem Förster haben zwei oder drei Holzhauer gearbeitet. Sie haben das gekennzeichnete Holz eingeschlagen und mit Fahrzeugen zu den mit Autos befahrbaren Straßen gebracht.“ Bei der Bewirtschaftung des Waldes halfen die sogenannten Kulturfrauen. Sie haben im Pflanzgarten mitgearbeitet, Wassergräben gesäubert und Jungwuchspflege betrieben.
Mut und Beharrlichkeit brachten in an sein Ziel: Förster werden
„Ich wollte immer schon Förster werden“, erzählt Karl Heidenreich. „Aber auf dem Land gab es früher ja fast keine weiterführenden Schulen.“ Für den Forstberuf hätte er die Mittlere Reife gebraucht. Sein Vater war im Krieg. „Also bin ich mit 14 zum Forstamt nach Lörrach und habe gesagt: Ich will Förster werden“, erklärt er entschlossen, als stünde er noch einmal vor dem damaligen Forstamtsdirektor. Mit Mut und Beharrlichkeit – und vielleicht einer Prise Naivität – bekam er die Möglichkeit und konnte seinen lange gehegten Berufswunsch nachgehen. Die Theorie absolvierte er an der Forstschule in Karlsruhe, für die praktische Ausbildung wurde er abwechselnd dem Revierförster und dem Hau-Meister zugeteilt sowie im Pflanzgarten eingesetzt. Und dann kam der Zweite Weltkrieg…
Kriegseinsatz bei der Division Hermann Göring
„1944 war ich 16 und wir sollten uns freiwillig zum Kriegsdienst melden. Uns wurde nahe gelegt, zur Division Hermann Göring zu gehen, in der nur Forstleute und Jäger waren“, blickt Heidenreich zurück. „Wir jungen Leute waren alle für Hitler, weil für uns alles gemacht wurde. Was hinterher alles passiert ist, haben wir gar nicht gewusst.“ Im Krieg wurde er nur ganz kurz in Tirol eingesetzt. Der Kompanieführer hat den jungen Leuten dann geraten, sich schnell wieder auf den Heimweg zu machen. „Also habe ich mich mit zwei anderen aus dem südbadischen Raum wieder nach Hause durchgeschlagen. Drei Wochen haben wir ungefähr gebraucht.“ An der Front sind viele junge Forstleute gefallen. So bekam Heidenreich die Möglichkeit, die höhere Forstdienstlaufbahn einzuschlagen.
„Draußen war ich ein freier Mensch“
„In der freien Natur sein, den Wald wachsen sehen, draußen arbeiten. Man war ein freier Mensch. Jede Jahreszeit war schön.“ Das ist es, was seinen Traumberuf ausmacht. Und wie es sich für einen ordentlichen Förster gehört, war natürlich immer ein Hund mit dabei. Auch als es einmal brenzlich wurde für ihn. „Mein Jagdgebiet ging bis zur tschechischen Landesgrenze hinterm Rachel. Ich habe ein Alttier und sein Junges geschossen. Als ich zum Kalb gehe, steht es auf und läuft weg, rein in die Tschechei.“ Hinter jedem Stein habe er einen tschechischen Grenzer liegen sehen. Er musste davon ausgehen, dass sein Schuss gehört worden ist. Karl Heidenreich wollte das Tier nicht einfach so verenden lassen, finden konnte er es aber nicht mehr. „Nichts passierte – und in der Morgendämmerung bin ich wieder zu Hause angekommen.“
„Man muss wissen, wann man aufhören soll“
Daheim: Das war das Forsthaus in Oberfrauenau. Bevor Heidenreich mit seiner Familie dort einziehen konnte, wohnten sie ein Jahr lang in einer Wohnung ohne Strom und fließendes Wasser. Das sei schon eine Umstellung gewesen, erinnert er sich heute mit einem Lächeln auf den Lippen. Das spätere Forthaus lag ungefähr 100 Meter vom Herrenhaus der Familie von Poschinger entfernt – Gemüsegarten, Ponys für die Kinder und unberührte Natur inklusive. „Abends habe ich den Baron, der damals als Senatspräsident viel unterwegs war, oft in den Wald begleitet“, erzählt Heidenreich. „Na ja, und wenn Gäste zur Jagd gekommen sind, passierte auch das ein oder andere. Das erzähl ich aber nicht, weil die meisten leben noch…“
Förster war für den gebürtigen Schwarzwälder nicht nur ein Beruf, vielmehr eine Berufung, die ihn noch heute begleitet. „Aber Treibjagd ist heute nichts mehr für mich. Man muss wissen, wann man aufhören soll.“ Jetzt sitzt er noch gerne auf dem Hochsitz und beobachtet. Wenn was kommt und passt, könne man ja schießen. Alles andere müsse nicht sein. „Man muss den Finger auch mal gerade lassen können und nicht abziehen.“
Nadine Vogl