Eberhardsreuth. Robert Pleyer war gefangen, gefangen in seinen eigenen Wünschen und Träumen. Als Mensch, der sich in alternativen Kreisen wohlfühlt und der keinen Wert auf Materielles legt, so beschreibt er sich selbst. Das versprach er sich insbesondere auch von der Gemeinschaft. Doch dass es soweit kommt, dass er nicht mehr über sich selbst bestimmen kann, dass er seine Kinder auf Anweisung schlagen muss, dass er keine eigene Meinung haben darf – das wollte er mit Sicherheit nicht. 20 Jahre lang war Robert Pleyer Mitglied der Sekte „Zwölf Stämme“, die wegen ihrer Gewalt gegenüber Kindern immer wieder in den Schlagzeilen steht. Zwei Jahrzehnte lang galt der gebürtige Rheinländer dort als Vorbild, gehörte gar der Führungsriege an. Doch das alles ist längst Vergangenheit. Der 45-Jährige, der inzwischen in Eberhardsreuth in der Marktgemeinde Schönberg wohnt, hat es geschafft, auszusteigen. Eine Geschichte über falsche Autoritäten und schmerzhafte Erfahrungen. Ein Porträt über einen Mann, der endlich sein eigenes Leben leben kann…
Robert Pleyer ist 21 Jahre alt. Gerade hat er sein Abitur gemeistert, studiert nun Sozialarbeit. Der Rheinländer ist gern unter Leuten, hat aber keine Lust auf ein Spießer-Leben mit Haus, Ehefrau und Kinder. „Ja, ich war ein Hippie“, gibt er heute lachend zu. Anders sein als die anderen, aufbegehren gegen die Obrigkeit – das war die Lebenseinstellung des jungen Mannes. Ein „christliches Hippie-Feeling“ verbreitete auch die junge Glaubensgemeinschaft „Zwölf Stämme“, die damals in Deutschland noch eher unbekannt war. Robert Pleyer lässt sich von der ur-christlichen Ideologie dieser Gemeinschaft anstecken, gibt sich deren Regeln und Vorsätzen hin. „Ich fühlte mich dort anfangs richtig wohl. Die Grundsätze haben mich begeistert“, gibt Pleyer zu. Dass dies ein Irrglaube war, ein Fehler, wird er erst lange Zeit später realisieren. Glücklicherweise nicht zu spät…
Gründer Elbert Spriggs ein „charismatischer und herzlicher Mann“
Über Südfrankreich, Bremen und Aalen landet er schließlich im Kloster Zimmern in Deininigen (Landkreis Donau-Ries). Er ist beim Aufbau der fundamental-christlichen Sekte dabei, mischt bald im Kreise der Verantwortlichen mit. „Ich habe zum Beispiel eine Bäckerei initiiert und war auch als Lehrer tätig.“ In den ehemaligen Räumen der Zisterzienser-Nonnen baut sich die Gemeinschaft ihr eigenes Reich auf, eine Art Dorf im Dorf – in Spitzenzeiten mit mehr als 300 Mitgliedern. Robert Pleyer ist, wie in der Sekte üblich, in mehreren Berufen aktiv, legt sich ein umfangreiches Wissen in verschiedenen Handwerkssparten zu. Des Öfteren hat er zudem direkten Kontakt zu Gründer Elbert Eugene Spriggs, einem „charismatischen und sehr herzlichen Menschen“, wie ihn Pleyer damals beschreibt. Ein selbst-ernannter „Super-Apostel“, ein Menschenfänger – ob im guten oder schlechten Sinne, das kann der gebürtige Rheinländer zu diesem Zeitpunkt noch nicht einschätzen.
Robert Pleyer über sein Buch „Der Satan schläft nie“:
„Es war nicht wichtig, Besitz oder Erfolg zu haben“, fasst Robert Pleyer die Zeit bei der Sekte zusammen. „Auch Freude wird anders definiert. Man empfindet sie nur, wenn man macht, was Gott will.“ Bei den Zwölf Stämmen obliegt dem Mann die komplette Verantwortung, die Frau ist ihm klar untergeordnet – die Kinder sind im Besitz ihrer Väter. Das Miteinander steht im Mittelpunkt, eigenen Besitz, eigenes Geld hat kein „Stämme“-Mitglied. „Im Nachhinein erinnert es mich an die Strukturen in der ehemaligen DDR.“ Steht die Ernte an, macht man es gemeinsam. Über die Erziehung der Kinder wird oft und gerne diskutiert. Generell wird viel miteinander gesprochen – über alle möglichen alltäglichen Probleme.
An sich keine verwerflichen Machenschaften – wäre da nicht die Sache mit der Erziehung. Zum einen unterrichten die Zwölf Stämme ihre Kinder selbst, verstoßen so gegen die in Deutschland allgemein gültige Schulpflicht. Zum anderen züchtigen sie ihre Jüngsten bei „Vergehen“ mit Schlägen. „Das gehörte einfach dazu“, erzählt Pleyer. „Hose runter – und dann Schläge auf den Hintern. Mit einer Weinrute. Und zu guter Letzt mussten sich die Kinder noch dafür bedanken.“ Eine Kindheit voll Liebe, Zuneigung und Verständnis? Fehlanzeige! Vor allem in seiner Zeit als Lehrer setzt sich Robert Pleyer intensiv mit diesen Dingen auseinander. Er selbst muss seine Schüler immer wieder züchtigen, schlägt mehrmals zu. Spätestens als er aber bei den eigenen Kindern Hand anlegen muss, verstärken sich die Zweifel an „seiner“ Gemeinschaft, an „seiner“ Überzeugung.
Erst beim dritten Versuch gelingt der endgültige Ausstieg
Robert Pleyer, mittlerweile vierfacher Familienvater und verheiratet, entscheidet sich zu flüchten. Er entschließt sich, seine Vergangenheit zurückzulassen, seine frühere Gemeinschaft zu „verraten“. Mit der Familie findet er Zuflucht bei seiner Schwester in Berlin. Lange hält er es in der vermeintlichen Freiheit jedoch nicht aus. Er sehnt sich mehr und mehr nach den festen Regeln und Tagesabläufen der Zwölf-Stämme-Sekte. Schließlich kehrt Familie Pleyer zurück – verbunden mit einer Bestrafung des Familienvaters. Er wird ausgegrenzt, als Sonderling abgestempelt. Dies führt dazu, dass der Rheinländer erneut größere Zweifel an der Gemeinschaft hegt. Mit dem dritten Versuch, 2011, gelingt ihm schließlich der endgültige Ausstieg. „Leider ohne meine Frau. Die schaffte es nicht – sie kehrte abermals zurück. Sie ist heute noch dort.“
Robert Pleyer und seine Kinder verschlägt es in den Bayerischen Wald. Keine leichte Umstellung. „Ich war praktisch obdachlos. Hatte keine Krankenversicherung – und bezog Hartz IV.“ Ein wahrer Kulturschock. Geldverdienen war angesagt – der Kapitalismus lässt grüßen. Auch die Kinder müssen sich in der Schule erst zurechtfinden, auch die gewaltfreie Erziehung ist Neuland für sie. Die Schläge während der „Stämme“-Zeit verfolgen Robert Pleyer bis heute. „Das kann ich mir nie verzeihen.“ Beruflich fasst er schnell Fuß, arbeitet zunächst als Grafiker bei einem regionalen Unternehmen, macht sich danach als Imbissbuden-Besitzer selbstständig. Auch wenn die Familie Pleyer kein Leben in Saus und Braus führen kann, fühlt sie sich in ihrem neuen, „unnormalen normalen“ Leben sehr wohl. Einen großen Teil trägt Pleyers neue Partnerin dazu bei. Mit ihr gemeinsam, in einer gleichberechtigten Beziehung, lernt er wieder sein freies Leben zu gestalten und zu genießen.
„Dieser Gott hat mein Leben zerstört“
Der Familienvater versucht das Vergangene aufzuarbeiten – mit einer verstärkten öffentlichen Darstellung der Geschehnisse bei den Zwölf Stämmen. Robert Pleyer schreibt ein Buch, mehrere Fernsehsendungen über sein Leben werden produziert, viele Medien berichten über seinen Ausstieg. Heute weiß er, dass er mit der Mitgliedschaft in der Sekte einen Fehler begangen hat. „Doch das alles ist ein Teil meines Lebens, den ich nicht mehr ausmärzen kann. Deshalb muss ich damit leben.“ Er hat fernab des früheren Ideals sein Glück gefunden. Obwohl er offiziell ohne Konfession ist, hat er dennoch einen gemeinsamen Weg mit Gott gefunden – aber einen anderen wie von den Zwölf Stämmen vorgegeben. Denn diese verbreiten ein „falsches Bild von Gott. Dieses hat mir mein Leben zerstört“.
Helmut Weigerstorfer
Vergiftete Hirne!