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Dr. rer. nat. Otto Wiederer, Fachapotheker für klinische Pharmazie und Arzneimittelinformation.

Freyung-Grafenau. Lange dauert es nicht mehr, dann zieht es die Gartenfreunde wieder nach draußen. Im Frühling herrscht Hochsaison für alle Pflanzen-Liebhaber – dann wird gepflanzt, geknipst, gepflückt und umgegraben. Doch was wächst da eigentlich im heimischen Grün? Nicht immer ist bekannt, dass manche Pflanzen giftig sind – manche sogar tödlich. Otto Wiederer kennt sich aus. Er ist Fachapotheker für klinische Pharmazie und Arzneimittelinformation und leitet die Zentralapotheke der Kliniken am Goldenen Steig in Freyung. Wir haben ihn gefragt, welche typischen Gartenpflanzen giftig sind, was bei einer Vergiftung zu tun ist – und warum Giftpflanzen gefährlich sein, aber auch zu unserer Gesundheit beitragen können…

„Gefahr für Kinder besteht dann, wenn Eltern keine Kenntnis haben“

Herr Wiederer: Welche Gartenpflanzen sind denn jetzt eigentlich giftig?

Zum Beispiel Goldregen, Dieffenbachie, Stechpalme, Pfaffenhütchen, Seidelbast, Engelstrompete, Tollkirsche, Maiglöckchen, Riesen-Bärenklau, Sadebaum, Herbstzeitlose, Fingerhut, Eibe, Zypressen-Wolfsmilch, Oleander, Jakobs-Kreuzkraut, Eisenhut

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Giftig an den Beeren der Eibe (Taxus baccata) ist nicht das rote Fruchtfleisch, sondern der schwarze Kern.
Giftig an den Beeren der Eibe (Taxus baccata) ist nicht das rote Fruchtfleisch, sondern der schwarze Kern.

Das sind ja eine ganze Menge. Und inwiefern stellen diese Giftpflanzen im Garten eine Gefahr dar?

Der zentralen Erfassungsstelle für Vergiftungen im Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz werden immer wieder Vergiftungsfälle unterschiedlicher Schweregrade gemeldet, die auf Aufnahme giftiger Pflanzen zurückzuführen sind. Betroffen sind vor allem Kleinkinder. Zur Verbesserung des Schutzes von Kindern hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Jahre 2000 eine Aufstellung giftiger und sehr giftiger Pflanzen veröffentlicht.

Es wird davor gewarnt, diese Pflanzen an Plätzen anzupflanzen oder aufwachsen zu lassen, die Kinder als Aufenthalts- und Spielort dienen, wie etwa Kinderspielplätze, Kindergärten, Kinderheime und Schwimmbäder. Die Gefahr besteht insbesondere dann, wenn die Eltern selbst keine Kenntnis der Giftpflanzen im Garten haben. Für Privatgärten ist diese Gefahr nur gegeben, wenn sich dort Kleinkinder bzw. Kinder aufhalten.

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„Nicht zu empfehlen bei Vergiftungen: Milch trinken“

Das Pfaffenhütchen hat seinen Namen von der Form der Früchte, die im Herbst in den Sträuchern leuchten.
Das Pfaffenhütchen (Euonymus europaeus) hat seinen Namen von der Form der Früchte, die im Herbst in den Sträuchern leuchten.

Was passiert denn, wenn ich zum Beispiel Seidelbast, Maiglöckchen, Herbstzeitlose oder Oleander zu mir nehme?

Eine gemeinsame Folge der Aufnahme dieser Pflanzen ist Übelkeit und Erbrechen. Bei Maiglöckchen und Oleander sind gefährliche Herzrhythmusstörungen möglich. Bei Seidelbast äußert sich eine Vergiftung auch mit heftigsten Durchfällen, stärkste Unruhe und Krampfanfällen. Am gefährlichsten von diesen Pflanzen ist die Herbstzeitlose. Bei einer Vergiftung sind wässrige, blutige Durchfälle, Temperatur- und Blutdruckabfall, Krämpfe und Tod durch Atemlähmung zu befürchten.

Was ist zu tun, wenn man sich vergiftet hat?

Nur selten treten kurz nach Aufnahme von Pflanzenteilten deutliche Symptome einer Vergiftung auf, die eine möglichst schnelle Aufnahme in eine Klinik notwendig machen, wie etwa beim Eisenhut oder der Tollkirsche. Häufig stellen Eltern fest, dass Kinder von Pflanzen gegessen haben, ohne dass bereits Vergiftungssymptome zu beobachten sind. Hier ist eine telefonische Rücksprache mit einem Arzt, einer Klinik oder Tox-Center ausreichend. Es sollte hier also keine Panik aufkommen, sondern: Es sollte überlegt werden, um welche Pflanze es sich handelt, welche Teile und wie viel davon gegessen wurde – und wie viel Zeit seit der Aufnahme vergangen ist.

Auch diese Pflanzen zählen zu den Giftpflanzen, die im heimischen Gefilden vorkommen:

Werden jedoch Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen beobachtet, sollte eine Kinder-Klinik oder ein Arzt aufgesucht werden. Es ist wichtig, Teile der fraglichen Pflanze – möglichst ein vollständiger Zweig mit Blättern, Früchten oder Blüten – mitzunehmen, damit eine sichere Identifizierung möglich ist. Prophylaktisch wird zur Verdünnung des Giftstoffs das Trinken von viel Wasser oder Tee empfohlen. Das alte Hausmittel bei Vergiftungen, das Milch trinken, ist nicht empfehlenswert, da Milch die Aufnahme von manchen Giftstoffen sogar fördert. Auch das Auslösen von Erbrechen durch konzentrierte Kochsalzlösungen sollte nicht gemacht werden. Dazu wird im Krankenhaus Ipecacuanha-Sirup zuverlässig eingesetzt. Durch die Gabe von Aktivkohle können Giftstoffe fest gebunden werden.

„Giftigkeit als bewundernswerte Anpassung an die Umwelt“

Der Fingerhut (Digitalis) ist ein altes Herzmittel. Seine Giftigkeit ist enorm: Schon zwei bis drei Blätter sind für Menschen tödlich.
Der Fingerhut (Digitalis) ist ein altes Herzmittel. Seine Giftigkeit ist enorm: Schon zwei bis drei Blätter sind für Menschen tödlich.

Sollte man da nicht gleich besser ganz auf Giftpflanzen im Garten verzichten?

Dort, wo eine besondere Sorgfaltspflicht besteht, wie z.B. in Kindergärten, erwarten die Eltern zurecht, dass ihre Kinder nicht durch Giftpflanzen gefährdet werden. Diese Vorsichtsmaßnahme gilt auch für den Wohnbereich, in dem Kinder sehr leicht Zugang zu Zierpflanzen haben und Teile davon in den Mund stecken können. Solange kleine Kinder im Garten sind, würde ich auch von hochgiftigen Pflanzen, wie dem Eisenhut abraten. Die generelle Forderung, auf Giftpflanzen im Garten zu verzichten, geht jedoch viel zu weit – und ist abzulehnen. Anstelle von Ausrottung ist eine bessere Kenntnis der Pflanzen zu fördern. Diese Kenntnisse sollten zusammen mit entsprechenden Verhaltensmaßregeln frühzeitig an Kinder weiter gegeben werden.

Die Strategie, alle möglichen Gefahren von Kindern fernzuhalten, ist nicht sinnvoll und bereitet sie nicht wirklich auf das Leben vor. Wir hören auch nicht mit dem Autofahren auf, weil dort Gefahren drohen. Ziel der Fahrausbildung ist eine verantwortungsvolle und vorsichtige Fahrweise. Es hat sich etwa auch gezeigt, dass eine übereifrige Desinfektion aller möglichen Flächen im Haus ein besonderer Risikofaktor für die Auslösung von Allergien darstellt. Stichwort: Sagrotan-Kinder.

Warum sind manche Pflanzen überhaupt giftig? Welchen Vorteil sieht die Natur darin?

Die Blätter des stark giftigen Maiglöckchens (Convallaria majalis) werden oft mit denen des Bärlauchs verwechselt. 2014 war das Maiglöckchen Giftpflanze des Jahres.
Die Blätter des Maiglöckchens (Convallaria majalis) werden oft mit denen des Bärlauchs verwechselt. 2014 war das Maiglöckchen Giftpflanze des Jahres.

Viele Pflanzen enthalten Giftstoffe, die als Schutz vor Fraßfeinden dienen. Pflanzen können im Gegensatz zu Tieren nicht weglaufen und brauchen andere Methoden, um sich zu schützen. Neben Dornen und Stacheln haben Pflanzen eine Vielfalt von ‚chemischen Kampfstoffen‘ entwickelt, die Tiere davon abhalten, sie zu fressen. Weidetiere wissen oft von der Giftigkeit mancher Pflanzen und lassen sie unversehrt stehen. Giftstoffe dienen auch zur Verteidigung des Reviers gegen andere Pflanzen oder zum Schutz gegen Krankheitserreger wie Viren oder Pilzen. Es handelt sich also bei der ‚Giftigkeit‘ um eine bewundernswerte Anpassung an die Umwelt, die einen Überlebensvorteil darstellt.

Giftpflanzen sind bei korrekter Anwendung wichtige Heilpflanzen

Die Dosis macht das Gift: Viele giftige Pflanzen finden ja ihre Verwendung in der Medizin und Naturheilkunde. Wie können Giftpflanzen zur Genesung beitragen?

Gerade gefährliche Giftpflanzen sind bei korrekter Anwendung wichtige Heilpflanzen. Es werden heute immer noch neue Arzneistoffe aus Giftpflanzen entwickelt. Auch deshalb wäre es völlig falsch und kurzsichtig, Giftpflanzen zu verteufeln und auszurotten. Wie Sie schon richtig sagen: Es kommt auf die Dosis an. Die Herbstzeitlose ist etwa eine sehr gefährliche Giftpflanze – gleichzeitig liefert sie mit dem Gift Colchicin ein hochwirksames Medikament gegen Gichtanfälle. Die Taxane, Inhaltstoffe der Eibe, sind unentbehrliche Medikamente gegen Krebserkrankungen und haben entscheidend zu den verbesserten Behandlungserfolgen gegen Brustkrebs beigetragen. Inhaltsstoffe der Tollkirsche sind wegen der pupillenerweiternden Wirkung unverzichtbar für Augenuntersuchungen und bei Koliken im Magen-Darm-Bereich. Auch in der Homöopathie sind viele Giftpflanzen fest etabliert.

Eine echte Weihnachtspflanze ist die Stechpalme (Ilex). 20 bis 30 Beeren sind die tödliche Dosis.
Eine echte Weihnachtspflanze ist die Stechpalme (Ilex). 20 bis 30 Beeren sind die tödliche Dosis.

Manche giftigen Pflanzen haben in der richtigen Dosierung eine psychoaktive Wirkung. Das wussten schon Schamanen und Medizinmänner. Heute wird damit eher missbräuchlich umgegangen. Was können Sie uns darüber berichten?

Von den psychoaktiven Pflanzen spielt die Engelstrompete, die oft als Zierpflanze in Kübeln kultiviert wird, eine zunehmende Rolle in unserer Gegend. Im Mittelalter war diese Pflanze Bestandteil von so genannten ‚Hexensalben‘. Die Bereitwilligkeit von Jugendlichen damit zu experimentieren ist erschreckend. Die Vergiftungssymptome beinhalten Halluzinationen mit gefährlicher Selbstgefährdung. Ein Patient ist beispielsweise mit Knochenbrüchen in das Krankenhaus eingeliefert worden, nachdem er aus dem Fenster im ersten Stock kopfüber auf die Straße gesprungen war, in der Annahme es handle sich um ein Schwimmbecken…

Das klingt irgendwie beängstigend. Also besser die Finger davon lasssen. Herr Wiederer: Besten Dank, dass Sie sich Zeit für unsere Fragen genommen haben und weiterhin alles Gute.

Interview: Eva Hörhammer / Fotos: Eva Hörhammer, giftpflanzen.com

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Wer sich zum Thema „Giftpflanzen in Heim und Garten“ weitere Informationen einholen möchte, hat dazu die Gelegenheit am Mittwoch, 21. Januar, um 19 Uhr im Sitzungssaal des Rathauses Grafenau. Dr. rer. nat. Otto Wiederer wird dort einen Vortrag halten.


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