Passau. Totschlag – versuchter Mord – Vergewaltigung. Beinahe täglich liest man irgendwo von grausamen Straftaten. Es wird ein unschuldiges Kind entführt oder auf offener Straße jemand erschossen. Dann folgt die oft langwierige Suche nach dem Täter. Und bis es zu einem Prozess kommt, können sogar Jahre vergehen. Wirft man jedoch nicht nur einen Blick auf die Opfer-, sondern auch einmal auf die Täterseite, so stellt sich schnell die Frage, wer nun so eine Straftat vor Gericht verteidigt. Wie ist es für einen Anwalt im Namen eines Mörders zu sprechen? Wie kann er das mit seinem eigenen Gewissen vereinbaren? Oder macht es „einfach nur seinen Job“? Diesen und vielen weiteren Fragen haben wir im Gespräch mit dem Passauer Rechtsanwalt Ingo Klaus Wamser (35) versucht auf den Grund zu gehen – und dabei sehr interessante Antworten erhalten…
„… er soll versucht haben einen Polizeibeamten zu töten“
Herr Wamser: Haben Sie schon einmal einen Mörder oder ähnlich schlimme Straftäter verteidigt?
Ich verteidige regelmäßig Beschuldigte, denen schwere und sehr schwere Straftaten vorgeworfen werden. Da waren in der Vergangenheit auch Mordvorwürfe dabei, ja.
Wann war dies zuletzt der Fall?

Erst vor wenigen Monaten habe ich einen Mandanten in der Arrestzelle der Polizei besucht, weil ihm vorgeworfen wurde, er soll versucht haben, einen Polizeibeamten zu töten. Zu einem Prozess ist es nicht gekommen – und wird es auch nicht mehr kommen, weil die weiteren Ermittlungen ergeben haben, dass er gar nicht am Tatort gewesen ist. Er war also unschuldig. Es hat aber auch Fälle gegeben, die zu Verurteilungen und teilweise auch langen Freiheitsstrafen geführt haben.
Wie ist es für Sie als Rechtsanwalt, wenn Sie – wissentlich – einen Mörder verteidigen? Welche Rolle spielt dabei der „innere Gerechtigkeitssinn“, der „menschliche Faktor“ abseits jeglicher Paragrafen und Vorschriften? Oder machen Sie „einfach nur Ihren Job“?
Ich sehe es sicher nicht als ‚einfach meinen Job machen‘. Aber mit dem Gewissen habe ich auch kein Problem. Es ist ja in aller Regel nicht so, dass einfach jemand loszieht und aus Jux zum Mörder wird. Das hat ja eine Vorgeschichte. Und gerade auch bei der Beschäftigung mit dieser Vorgeschichte kommt häufig ans Licht, dass es nie hätte soweit kommen müssen, wenn in den Jahren zuvor Hilfestellung angenommen oder manchmal auch erst angeboten worden wäre. Das sind dann eher die schwierigen Momente, wenn man sieht wie Familien und dörfliche Gemeinschaften zerbrechen, weil jahrelang die Beteiligten samt Nachbarn und sozialer Dienste die Probleme in sich rein gefressen und weggeschaut haben, bis einer keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat. Das Delikt ‚Mord‘ rückt dann für mich persönlich in den Hintergrund.
„Wenn ich Mandate ablehne, liegt es an der Person, nicht an der Tat“
Geben Sie in einem solchen Fall, also wenn Sie wissentlich einen Mörder verteidigen, immer alles im Gerichtssaal, um das Strafmaß für ihn so gering wie möglich zu halten? Oder denken Sie sich insgeheim auch schon mal: „Naja, eigentlich geschieht’s ihm ganz recht, wenn er eine hohe Strafe für seine Tat erhält…“?
Wenn ich das je denken sollte, würde ich noch am selben Tag meine Zulassung als Rechtsanwalt zurückgeben. Das ist ja, als würde der Arzt sagen: ‚Den behandle ich nicht richtig, weil es ihm Recht geschieht, dass er einen bleibenden Schaden davonträgt’…
Bei welchen Delikten würden Sie ein Mandat ablehnen – und warum?
Wenn ich Mandate ablehne, liegt es in der Regel an der Person des potenziellen Mandanten und nicht am Tatvorwurf. Wenn man einfach keine persönliche Ebene findet, um zumindest für die Dauer eines Verfahrens vernünftig zusammenzuarbeiten, dann finde ich, soll man es bleiben lassen. Das liegt aber normalerweise nicht am Delikt.
Anklage Mord: Eine Dokumentation über die Arbeit eines Strafverteidigers
http://youtu.be/lsl32JiatYI
Wenn ein potenzieller Mandant Sie in Ihrer Kanzlei anruft mit dem Anliegen: „Ich habe jemanden umgebracht, Herr Wamser. Helfen Sie mir, ich möchte, dass Sie mich vor Gericht verteidigen.“ Was antworten Sie ihm?
‚Wo sind Sie gerade?‘ Nach dieser Information bestimmt sich einerseits das weitere Vorgehen und andererseits kann ich auch abklären, ob ich das Mandat überhaupt vernünftig führen könnte. Was hilft es dem Mandanten, wenn sein Prozess in Dresden laufen wird, ich aber gerade schwerpunktmäßig in München und Frankfurt tätig bin. Da kann der Fall noch so interessant und vielleicht auch gut bezahlt sein, es würde halt einfach räumlich und zeitlich keinen Sinn machen.
Weiß man als Anwalt immer genau über eine Tat Bescheid – oder verschweigen die Angeklagten auch manchmal etwas?
Die ‚Profis‘ unter den Mandanten wissen meistens, dass ein für sie gutes Ergebnis voraussetzt, dass sie zumindest mir gegenüber mit offenen Karten spielen. Und ich denke, die Mehrzahl der Mandanten tut das auch. Manchmal merkt man mit der Zeit, dass da noch was ist, was bislang verschwiegen wurde, aber das ist häufig nicht taktisch gemeint, sondern den Betroffenen sind manche Sachen einfach peinlich. Wenn ich das Gefühl habe, dass eine Frage offengeblieben ist, habe ich auch schon nach Abschluss des Verfahrens gefragt, was jetzt wirklich los war, aber das sind wirklich Einzelfälle.
„In schwierigen Charakteren liegt auch eine gewisse Faszination“
Mussten Sie schon einmal als Pflichtverteidiger für einen Mörder oder Vergewaltiger tätig werden? Wie war das für Sie?
Ja, aber: Ich muss ja niemanden verteidigen. Das ist häufig eine rein emotionale Entscheidung, ob ich sage ‚ich mach’s‘ – oder eben nicht. Da spielt aber das Delikt normal keine Rolle. Wie schon gesagt: Das liegt mehr an der Person, wie die rüberkommt und ob ich das Gefühl habe, dass man zusammenarbeiten kann. Wenn nicht, dann lehne ich das Mandat halt ab. Wobei schon manchmal gerade auch in schwierigen Charakteren eine Herausforderung und gewisse Faszination liegen. Da kommt dann auch manchmal von den Gerichten sehr positive Rückmeldung, wenn man mit sehr renitenten Mandanten trotzdem eine sachliche und ruhige Verhandlung durchführen konnte.

Können Sie während eines nervenaufreibenden Falls, den Sie begleiten, einfach nach Hause gehen und abschalten?
Gerade am Anfang ist das sicher manchmal schwierig. Aber im Laufe der Jahre lernt man, dass man die Geschichten nicht so nahe an sich ranlässt und trotzdem eine gute Arbeit abliefert. Wenn es wirklich grobe Geschichten und Schicksale sind, hilft es auch, wenn man ein persönliches Umfeld hat, das einem zur Seite steht – und etwas Bewegung in der Natur hat auch noch nie geschadet. Dann nimmt man diese Sache zumindest nicht so nachhaltig mit nach Hause, dass man darunter leidet.
Abschließende Frage: Kann man pauschal sagen, wer häufiger derart schlimme Straftaten begeht? Männer oder Frauen?
Ich denke nicht, dass das am Geschlecht liegt. Bei mir sind die Mandanten im Bereich der Schwerkriminalität ungefähr gleich verteilt.
Interview: Ruth Zitzl
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Zur Person (laut Homepage): Ingo Klaus Wamser wurde 1979 in Passau geboren. Nach einem längeren Auslandsaufenthalt studierte er von 1998 bis 2002 Rechtswissenschaften an der Universität Passau, ehe er als damals jüngster Rechtsanwalt in Deutschland 2005 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen wurde. 2009 wurde ihm durch die Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München die Befugnis verliehen, den Titel „Fachanwalt für Strafrecht“ zu führen. Er ist darüber hinaus auch zugelassen am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und beim Special Tribunal for Lebanon in Leidschendam. Seit 2013 unterstützt er als Mitarbeiter des Vorstandes die Arbeit der Rechtsanwaltskammer München.