Waldkirchen. Die Nuklearkatastrophe von Fukushima liegt nun schon einige Zeit zurück. Indirekt beschäftigt uns dieses Ereignis aber noch heute – möglichst schnell sollten nach damaligem Wunsch alle Meiler vom Netz genommen, möglichst schnell sollte ein Super-GAU ausgeschlossen werden. Freilich entsteht aber beim Rückbau der Reaktoren nicht nur Bauschutt, sondern auch radioaktiver Müll. Und genau hier setzt der Waldkirchener Autor Claus Kappl in seinem Krimi „Endlager“, erschienen im Freyunger Verlag „Edition Lichtland“, an. Wie der Name schon verrät, soll im Hauzenberger Granit ein Atommüllendlager entstehen, das nicht nur innerhalb der Bevölkerung für Aufruhr sorgt, sondern auch Todesopfer im Waldkirchener Umland fordert. Kappl schafft es, sehr kurzweilig zu erzählen und setzt auf ordentlich Lokalkolorit – ohne dabei aber Klischees auszuschlachten. Erstaunlich ist seine realitätsnahe Darstellung einiger Orte und Vorkommnisse in der Region um Waldkirchen …
Optik
Der Name „Endlager“, gepaart mit einem Foto eines Granit-Berges auf der Titelseite, lassen sofort vermuten, um was es im Buch geht – der Zusatz „Altlasten im Granit“ räumt sogleich die letzten Zweifel aus. Ob da der Autor nicht schon zu viel verraten hat? Eher nicht! Ansonsten kommt das Buch wie jedes andere Taschenbuch daher – nach dem Lesen ist es typischerweise etwas „abgearbeitet“. Der Text an sich ist leserfreundlich aufgebaut, mit einigen Absätzen. Auch wechselt der Autor nicht sprunghaft die Orte oder Personen – kurzum: sehr angenehm.
Inhalt
Bestialischer Mädchen-Mörder? Von Eifersucht geprägtes Familiendrama? Unglücklicher Unfall? Der rüstige Bauer Johannes Behr liegt tot in seinem eigenen Stall, erschlagen. Zufälligerweise findet ihn dort genau Kommissar Georg Kleintaler, ein langjähriger Milchkunde der Familie Behr. Während er Hilfe holt, verschwindet die Leiche – spurlos. Die scheinbar unendliche Suche beginnt. Gleichzeitig wird Kleintaler ein neuer Chef vor die Nase gesetzt: Dr. Hanno Bauernfeind. Dieser ist ein verdeckter Mittelsmann der Regierung, die vorhat, im Bayerischen Wald ein Atommüllendlager zu errichten. Nach der Fukushima-Katastrophe soll der Hauzenberger Granit der ideale Ort für den nuklearen Abfall sein …
Nach und nach vernetzen sich die Vorfälle am Behr-Hof und das Vorgehen der Firma „KAWEX“, die den Atommüll-Standort Bayerwald prüfen soll. Eine entscheidende Rolle spielt dabei Martha Gabler, Tante von Kleintalers Ehefrau Marianne. Dank ihrer Tagebücher erfährt der Leser, dass der Tod Behrs mit den Wirren der Nachkriegszeit zusammenhängt. Der Mörder ist jedoch ein vollkommen anderer – und die Folge eines Deja-Vus. Georg Kleintaler kommt ihm auf die Schliche. Der gewiefte Kommissar ist im Gegensatz zu anderen Heimatkrimis ein Mann mittleren Alters ohne „komische“ Eigenschaften. Auch die hinterhältigen Machenschaften seines Chefs Dr. Bauernfeind deckt Kleintaler auf. Leider überliest man, warum der getötete Johannes Behr und dessen früherer Blutsbruder Jakob Lechner zu Todfeinden geworden sind, eigentlich ein Schlüsselmoment – schade…
Stil
Kurz und knapp: Sehr flüssig, schön zu lesen. Die wenigen Personen – eigentlich dreht sich alles um die Familie Kleintaler, um Tina Hartmann mit Anhang und das Umfeld der Familie Behr – machen es dem Leser sehr einfach. Interessant: Manchmal weiß man mehr als der Hauptakteur Georg Kleintaler, man möchte ihm direkt helfen. Die entscheidenden Gedanken zum Schluss behält der Kommissar jedoch lange für sich. So soll es auch sein …
Sex
Fehlanzeige! Vermutet man zumindest, nachdem man einen Großteil des Buches gelesen hat. Mehr als ein Küsschen von Marianne Kleintaler auf die Backe ihres Mannes ist nicht drin. Erst später wird es heißer. Erst wird das homosexuelle Liebesspiel des Dienststellen-Leiters Dr. Hanno Bauernfeind näher beschrieben. Danach entblößt sich Maria Behr, Ehefrau des verstorbenen Johannes Behr, vor Kommissar Kleintaler, der jedoch ihr deutliches Zeichen ablehnt. Alles in allem: jugendfrei.
Crime
Klaus Kappl kann gut schreiben – und vor allem gut erzählen. Fast schon zu gut. Denn durch seine ausweifenden Beschreibungen des Privatlebens der Hauptperson Georg Kleintaler, was auf eine gewisse Art und Weise auch angenehm ist, bleibt das Crime-Element ein bisschen auf der Strecke. Erst das „Finale“ am Einsiedler-Hof der Familie Behr sorgt für ordentlich Spannung. Für Liebhaber von grauenhaften Psychothrillern, die jedem Mord entgegenfiebern, ist „Endlager“ definitiv nicht geeignet.
da Woid
Autor Claus Kappl kennt sich aus in der Region – nicht nur topografisch, sondern auch geschichtlich. Mit einer traumwandlerischen Sicherheit führt er den Leser durch die Region um Waldkirchen. Neidlingerberg, der Heimatort von Tante Martha, Jandelsbrunn mit seinem bekannten Wohnwagenwerk, der Waldkirchener Marktplatz mit dem berühmten Modehaus – Kappl geht sehr detailliert auf seine Heimatstadt ein. Besonders interessant: Obwohl die Hauptakteure zweifelsohne frei erfundene Charaktere sind, gibt es einige Personen, die man sofort wiedererkennt. „… der Tourismus-Manager der Stadt Waldkirchen, Stefan Holler, ein untersetzter, kahlköpfiger Mittvierziger sowie Heinrich Lindl, der Geschäftsführer der Kreis-Erwachsenenbildung, ein hoch aufgeschossener, schlanker weißblonder Endfünfziger…“ – Na, klingelt’s? Trotz dieser Ähnlichkeiten verzichtet Claus Kappl darauf, auf schon breitgetretene Klischees der Waidler einzugehen. Gut so! Eine besondere Rolle spielt auch die Ilztalbahn, die als Transporteur des Atommülls missbraucht werden soll. Ob das die Verantwortlichen um Hermann Schoyerer und Prof. Dr. Thomas Schempf zugelassen hätten?
Woid-Geschichte
Da Woid ist Granit – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Dass früher „das Gold des Bayerischen Waldes“ für den Aufschwung einer ganzen Region sorgte, dass die Arbeiter in der Region ein eigenes Selbstverständnis entwickelten, geht im Alltag irgendwie immer wieder unter. Claus Kappl schafft es mit seinem Krimi genau diese Geschichte wieder aufleben zu lassen – und das ganz nebenbei, ohne, dass man es wirklich merkt. Man erfährt viel über die Steinbrüche rund um Waldkirchen, über die harte Arbeit; thematisiert wird aber auch der Niedergang dieses Handwerkes. Dank Tante Marthas Tagebücher wirft man auch einen Blick in den Bayerischen Wald der Nachkriegszeit. Die Flucht aus dem Sudetenland wird genauso dargestellt wie die beschwerliche Zeit nach dem Ende der Nazi-Herrschaft. Geschichts-Unterricht hautnah – da wird deutlich, dass Claus Kappl Lehrer ist…
Preis-Leistung
Zehn Euro sind ein verhältnismäßig günstiger Preis – auch wenn Endlager „nur“ 253 Seiten hat. Angeberwissen: „Endlager“ ist ein broschiertes Taschenbuch, also etwas hochwertiger als das übliche Taschenbuch. Weil das Buch flüssig zu lesen und recht kurzweilig erzählt ist, kann man das Buch an einem verregneten Herbst-Wochenende schnell verschlingen. Preis-Leistung: Top!
Verlosung
Ihr wollt auch „Endlager“ von Claus Kappl lesen? Wir verlosen 5 x 1 Werk des Waldkirchener Schreibers. Einfach eine E-Mail mit dem Betreff „Endlager“ an info@hogn.de. Achtung, wichtig: Bitte Name und Anschrift nicht vergessen. Einsendeschluss ist der 23. November. Viel Glück!
Helmut Weigerstorfer