Freyung. Sie gilt als die zweithäufigste Krankheit in Deutschland. Weltweit sind ca. 350 Millionen davon betroffen. Schätzungen zufolge werden es immer mehr. Depression. Die Krankheit macht vor keinem Halt – es kann jeden treffen. Meistens wird jedoch darüber geschwiegen – außer es wird bekannt, dass prominente Personen daran erkrankt sind. Dann ist die Erkrankung für einige Zeit in aller Munde – und verschwindet kurz darauf wieder in der Versenkung. Hog’n-Praktikantin Ruth Zitzl hat die Naturheilpraktikerin Margit Fuchs und den Diplom-Psychologen Helmut Emrich zur Volkskrankheit Depression befragt.
Was genau muss man sich unter einer Depression vorstellen und wie fühlen sich die Betroffenen dabei wirklich? Die Freyunger Naturheilpraktikerin Margit Fuchs beschreibt die psychische Störung folgendermaßen: „Eine Depression ist eine Erkrankung, bei der der Mensch keine Freude mehr erleben kann. Es ist eine völlige innere Leere in ihm, wie ein tiefes schwarzes Loch. Die Patienten besitzen auch keine Liebesfähigkeit mehr.“ Sie warnt Außenstehende davor, Betroffenen zu sagen, sie sollen sich doch nicht so anstellen, denn sie haben im Moment der Krankheit keine Kontrolle über ihr Verhalten mehr und können dieses auch nicht willentlich beeinflussen. Grundsätzlich können Menschen, die nicht von der Krankheit betroffen sind, die Gefühle und den Zustand eines erkrankten Mitmenschen nur sehr schwer nachvollziehen und niemals nachempfinden.
Oft sind Depressionen im Familienkreis eine Ursache
Helmut Emrich, Psychologe und Nervenarzt aus Freyung, erachtet die Charakterisierung einer Depression als nicht so ganz eindeutig: „Das kann man nicht so einfach beschreiben – und zwar deshalb nicht, weil Depression eine Bezeichnung für einen Zustand ist. Dieser Zustand kann verschiedene Ursachen haben. Zum Beispiel, dass man etwas erlebt hat, was einen traurig macht – aber der Zustand kann sich mit der Zeit auch wieder bessern.“
Bei den verschiedenen Formen sind sich beide jedoch einig. „Es gibt zum einen die endogene Form der Depression, die auch vererbt werden kann. Sie kommt immer in Wellen – das heißt: Einmal fühlt man sich ganz leer und schlapp, das andere mal ist alles ganz normal und man hat keine Beschwerden. Diese Form kann man mit Hilfe von Psychotherapeuten und Medikamenten gut behandeln“, sagt Margit Fuchs. Und Helmut Emrich fügt hinzu: „Bei der endogenen Form ist es häufig der Fall, dass schon früher in der Familie oder im Verwandtenkreis Personen eine Depression hatten, die teilweise auch im Suizid geendet ist.“
Patienten geben lieber Burn-Out als eine Depression zu
„Eine weitere Form ist die exogene Depression. Diese ist von außen verursacht; als Auslöser können schon unbewusste kleine Alltagskonflikte, die sich mehr und mehr häufen, fungieren; aber auch Trennungen, Scheidungen oder die Angst nicht mehr leistungsfähig zu sein. Auch spielen Verluste von Arbeitsplatz oder Haus eine große Rolle“, weiß Margit Fuchs. „Ebenso Ursache kann ein Todesfall in der Familie sein; oder übermäßiger Stress – etwa im Beruf, was man dann heutzutage Burn-Out nennt, früher als Überforderungsdepression bezeichnet wurde“, ergänzt Helmut Emrich.
„Wenn man jedoch Überforderungsdepression dazu sagt“, so Emrich weiter, „gibt man zu überfordert zu sein – und das ist wieder eine Form von Schwäche. Schwach will keiner sein. Jetzt sagt man eben Burn-Out, also man ist ‚ausgebrannt‘, weil man sich zu sehr dem Job hingegeben hat und deswegen nun nicht mehr kann. Die Betroffenen von Burn-Out fühlen die Schwäche auch wirklich.“ Margit Fuchs sieht beim Begriff ‚Burn-Out‘ eine weitere Gefahr für Patienten: „Der Unterschied zwischen einer Depression und dem Burn-Out ist oft, dass bei Burn-Out im Gegensatz zur Depression vom Umfeld Verständnis gezeigt wird. Deswegen sagen viele Betroffene, die an einer Form der Depression leiden eher, dass sie Burn-Out haben – was natürlich zu vielen Fehldiagnosen führt.“
„Da habe ich lieber Krebs, das kann man operieren!“
„In meine Praxis kommen häufig Patienten, die an der maskierten oder lavierten Depression leiden: Diese äußert sich häufig nur durch körperliche Beschwerden. Betroffene leiden sehr häufig an Kopfschmerzen, Migräne, haben Schlafstörungen oder Magenschmerzen. Oft treten auch Erschöpfung, Leistungsschwäche oder eine leicht deprimierte Verstimmung als Symptome auf. Ein Arzt kann jedoch meistens keinen Befund finden – und die betroffenen Personen bewältigen ihren Alltag auch noch sehr gut. Sie bringen die körperlichen Schmerzen nicht mit der Psyche in Verbindung, weswegen sie auch oft Heilpraktiker aufsuchen.“ Als Heilpraktikerin beschäftige sich Margit Fuchs „mit dem ganzen Menschen“: Zum einen mit den körperlichen Symptomen, aber auch durch viele Befragungen mit der Psyche des Patienten. „Kaum einer gibt zu, depressiv zu sein. Ein Patient hat mir mal gesagt: ‚Lieber habe ich Krebs als Depression, da kann man wenigstens was operieren‘.“
Nervenarzt Emrich weiß aus jahrelanger Erfahrung zu berichten: „Eine genaue Zahl an Patienten, die an Depressionen erkrankt sind, kenne ich zwar nicht – aber sie gilt als zweit-häufigste Krankheit in Deutschland.“ Früher sei die Zahl nicht so hoch gewesen, wobei man die Krankheit früher auch oft nicht erkannt habe. Es sei jedoch immer noch so, dass ca. 60 Prozent der Erkrankten Frauen sind und 40 Prozent Männer. „Bei den Suizidversuchen, die bei einer endogenen Depression eine große Rolle spielen, ist es leider umgekehrt. Dort ist die Anzahl der Männer höher, denn sie wählen im Gegensatz zu den Frauen die härteren Methoden des Suizids. Bei Frauen ist es oftmals ein Hilfeschrei, der dann noch gehört werden kann.“
Betroffene müssen lernen, ihr Leben umzustrukturieren
Da im Allgemeinen zuerst körperliche Beschwerden auftreten und diese nicht gleich mit der Psyche in Verbindung gebracht werden, dauere es häufig ziemlich lange bis eine Depression aufgedeckt werde. Oftmals seien es auch Kinder in Familien, die sich auffällig verhalten – die Ursache liege aber bei den Eltern. So könne eine Behandlung von einer akuten Depression zwischen einem halben und einem Jahr dauern, sagt Emrich. Eine endogene oder lavierte Depression könne oftmals nur über Jahre hinweg behandelt werden.
Bei der Form der Behandlung gibt es jedoch Unterschiede. „Wenn eine endogene schwere Depression vorliegt, steht an erster Stelle der Behandlung ein Medikament, das auch gut wirkt, da ja immer die Gefahr eines Selbstmordes besteht. Endogene Depressionen brauchen viel Zuspruch von der Familie und Ärzten. Dies kann dadurch geschehen, dass man den Betroffenen Hilfestellungen gibt, um den Tag und Beruf zu strukturieren. So kann es leider in manchen Fällen zum Problem werden, dass bei Selbstständigen Unternehmern keine Krankschreibung erfolgen kann. So haben diese Menschen oft Verlustängste, die durch die Krankheit bedingt sind, zusätzlich kommen durch Schließung einer Praxis oder Aufgabe des Arbeitsplatzes noch weitere Ängste hinzu. Die Betroffenen müssen nun lernen, ihr Leben zu ändern und umzustrukturieren. Sie dürfen sich Situationen, in denen sie unter Druck oder Stress stehen, nicht mehr aussetzen.“
„Bei anderen Arten der Depression, die ihre Gründe in der Psyche haben, müssen diese erst einmal gefunden werden. Oft spielen dabei Angststörungen eine große Rolle. Bei der Behandlung werden weniger Medikamente benötigt. Hier kann man, wenn die Ursache bekannt ist, mit Training arbeiten. Dies wird oft bei Angststörungen verwendet. Dabei nähert man sich Schritt für Schritt der Ursache. Auch Autogenes Training wird sehr oft verwendet, um Betroffenen zu helfen“, weiß der Diplom-Psychologe zu berichten.
Hat der Geist verstanden, kann der Körper reagieren
Margit Fuchs fügt noch hinzu: „Oft kommt bei einer Depression noch eine Suchtproblematik hinzu. Viele Patienten beginnen mit dem Rauchen oder verfallen der Alkohol-oder Tablettensucht. Manche Menschen erleiden häufiger Panikattacken oder Angststörungen und schließen sich viel zu Hause ein.“ Deswegen komme es bei einem Heilungsprozess auch sehr darauf an, wie der Patient sich darauf einlasse. Das sei von Fall zu Fall unterschiedlich. Sobald der Mensch jedoch verstanden habe, verschwinden die körperlichen Symptome. Denn: „Wenn der Geist versteht, dass das Problem in der Psyche liegt und dies auch zulässt, kann der Körper aufhören, die Schmerzen an andere Orte im Körper zu schieben.“
Depressionen treten immer in Phasen auf, so Emrich. Das heißt: Der Betroffene kann eine gewisse Zeit ohne Symptome und ohne die Krankheit verbringen. Danach folgen wieder Monate, in denen man die Symptome der Depression vorweist. „Wie viele Phasen es im Leben gibt, das kann man nie sagen. Es gibt Patienten, die haben drei bis vier Phasen in ihrem gesamten Leben – und dann nie wieder eine Depression. Vielleicht unterbewusst, aber sie äußert sich nicht.“
„Die werden im Alter nie wieder ganz weggehen“
Eine Depression, so Emrich, heilt nie ganz ab. Sie bleibt immer im Hintergrund – und wenn die Zeichen ungünstig stehen, trete sie zutage. „Leider gibt es auch Depressionen, die werden im Alter nie wieder ganz weggehen. Zum Beispiel, wenn man überhaupt erst mit 60 oder 70 depressiv wird. Hierbei kann es manchmal vorkommen, dass erst das Lebensende das Ende der Depression darstellt. Rückfälle in eine Depression sind oft dann möglich, wenn zum Beispiel ähnliche aktuelle Situationen auftreten, die schon einmal in eine Depression geführt haben. Die meisten Patienten erkennen dies dann aber – und holen sich Hilfe“, erklärt der Diplom-Psychologe abschließend.
Ruth Zitzl
Beitragsbild: pixabay.com/ Foundry