Fürsteneck. Liedermacher Walter Peschl (56) hat mit seiner Folk-Gruppe „Woidfolk“ eine gleichnamige CD heraus gebracht. Vielen ist er als Gründungsmitglied der Band Saitenhieb aus dem Bayerischen Wald bekannt, die bereits seit mehr als 20 Jahren die lokale Kulturlandschaft prägt. Woidfolk dagegen ist vor allem ein akustisches Projekt, das lokale und sozialkritische Geschichten dem Zuhörer in bayerischer Mundart näher bringen will. Unterstützt wird er dabei meistens vom Gitarristen und Bassisten Karl Jell, seinem Sohn Simon am Schlagwerk oder auch Rainer Nürnberger an der Geige. Im Hog-Interview spricht er über den heimatlichen Dialekt, über das Schicksal der Emerenz Meier und der Agnes Bernauer, dem neu aufkeimendem Ausländerhass und den „Hartz-IV-Almosenempfängern“.
„Vieles der irischen Lieder lässt sich auf den Woid übertragen“
Walter, Gratulation zum zehnjährigen Bestehen deines Folk-Projektes Woidfolk. Wie kam es damals zur Entstehung der Akustik-Gruppe?
Ich habe zu dieser Zeit schon gut 15 Jahre mit Saitenhieb gespielt. Es stellte sich öfters heraus, dass man in bestimmten Lokalitäten nicht zu fünft auftreten kann. Fünf Musiker unter einen Hut zu bringen ist zudem auch ziemlich schwierig. Man findet nicht leicht Termine für gemeinsame Proben, erst recht nicht, wenn der Fiddler in Würzburg wohnt. Saitenhieb ist in erster Linie eine Irish-Folk-Band – ich wollte aber verstärkt auch deutsche und bayerische Lieder und vor allem eben meine Eigenkompositionen präsentieren. Da kam ich mit Franz Sicklinger aus Hauzenberg an einen Partner, der musikalisch hervorragend zu mir passt, auch mehrere Instrumente spielt und gern auf Deutsch singt. Leider hat sich der Franz aus zeitlichen Gründen vor vier Jahren aus dem Duo verabschiedet.
Die Basis Deiner Musik bilden Lieder und Tänze aus den keltischen Ländern Irland und Schottland. Welche Verbindung gibt es zwischen diesen Ländern und dem Bayerwald?
Zur irisch-schottischen Folkmusik bin ich über mein Interesse für die Kelten gestoßen. Allerdings hat mir akustische Musik schon immer gefallen. Auch als ich überwiegend Rockmusik gehört habe, gab ich meist Bands den Vorzug, die auch Westerngitarre oder Mandoline in ihrem Instrumentarium hatten wie z. B. Jethro Tull, Led Zeppelin, Southern-Rocker wie die Allman Brothers, Lynyrd Skynyrd oder auch die Eagles.
Natürlich haben mich dann auch die Textinhalte der irischen Lieder interessiert und ich habe festgestellt, dass sich vieles auch auf den Bayerischen Wald übertragen lässt: Die Armut der einfachen Leute trotz harter Arbeit, die Abgeschiedenheit, die Auswanderung nach Amerika, aktuell das Pendler-Dasein und die Landflucht, andererseits aber auch der Stolz und die Liebe zu Heimat, Landschaft und Natur.
„Die Leute sollen verstehen, wovon ich singe“
Welche musikalischen Einflüsse und Vorbilder kommen bei Deiner Spielweise und dem Woidfolk-Projekt besonders zum Vorschein?
Besonders bin ich von der Folkmusik Irlands, Schottlands und den USA beeinflusst, insbesondere von der irischen Folklegende Andy Irvine, den ich persönlich kennengelernt habe und dessen Art der Begleitung seiner Lieder mit einer Mischung aus zerlegten und vollen Akkorden, Power-Chords sowie Melodie- und Bassläufen auch mein Gitarren-, Mandolinen– und Irish-Bouzouki-Spiel geprägt hat. Aber auch der Schotte Dick Gaughan, Protestsänger wie Woody Guthrie und Pete Seeger, Neil Young, Bob Dylan oder Joan Baez und Gitarristen wie Jimmy Page, Mark Knopfler und Dickey Betts zählen zu meinen Vorbildern. Nicht zu vergessen Angelo Branduardis Mix aus Volksmusik und Musik der Renaissance und des Barock.
Du singst auf „Woidfolk“ bewusst in bayerischem Dialekt. Warum eigentlich?
Ich singe im Dialekt, weil ich über meine Heimat singe, über ihre Geschichte, Persönlichkeiten und die Vorgänge in der Natur. Die Leute sollen ja verstehen, wovon ich singe, damit ich ihr Interesse wecke.
„Ich schreibe keine Lieder am Fließband“
Bayerische Bands und Liedermacher sind momentan ja wieder hoch im Kurs. Gibt’s da welche, die Du gerne hörst?
Von den bayerischen Liedermachern schätze ich vor allem Konstantin Wecker, allein schon wegen der gesellschaftskritischen Texte. Und Willy Michl, der den bayerischen Blues erfunden hat. Mit den aktuell trendigen bayerischen Bands kann ich weniger anfangen – da mag ich’s ruhiger. Das liegt wohl an meinem Alter, ich werd heuer 57!
Wie entstehen Deine Texte und Deine Lieder?
Ich bin politisch interessiert, beschäftige mich mit der deutschen Geschichte ebenso wie mit aktuellen gesellschaftlichen und sozialen Problemen. Dabei kommt mir spontan der Gedanke: Da könnte oder muss man ein Lied drüber schreiben! Ich mach mir Notizen, überlege mir Verse, suche nach Reimen. Ich schreib aber keine Texte am Fließband. Manches Lied entwickelt sich über Jahre, manche verwerf ich wieder. Aber ist ein Text mal fertig, geht das musikalische Arrangieren meist relativ schnell.
„Für die Bouzouki habe ich die Akkordgriffe selbst entwickelt“
Du selbst hast Dir zahlreiche Instrumente autodidaktisch beigebracht. Wie kam das Interesse an so vielen verschiedenen Instrumenten?
Ich hatte als Schüler mehrere Jahre einen intensiven Blockflötenunterricht genossen, dem ich die musikalischen Grundlagen verdanke. Als Jugendlicher hörte ich dann besonders gern Rockmusik und konnte mir das Gitarrenspiel selber beibringen. Vor 25 Jahren kam dann meine Begeisterung für Irish Folk und die Gründung von Saitenhieb. Da wir möglichst authentisch diese Musik vermitteln wollen, gehören Instrumente, die die irischen Musiker spielen, einfach mit dazu.
Walter Peschls „Emerenz“ live im Musemsdorf Tittling
So brachte ich mir auch das Mandolinen- und Irish-Bouzouki-Spielen bei. Für die Bouzouki habe ich die Akkordgriffe selbst entwickelt, weil damals kein Lehrmaterial aufzutreiben war. Hin und wieder greife ich auch zur Mundharmonika, um mehr Abwechslung in die Arrangements zu bringen.
Woidfolk ist ein Akustik-Projekt und momentan ein Duo mit Karl Jell. Gibt’s Ambitionen, das Projekt oder das Duo zukünftig zu erweitern?
Es geht in erster Linie darum, dass akustische Instrumente gespielt werden und überwiegend auf Bayerisch gesungen wird. Mit Karl Jell als ausgebildetem Gitarristen an der Konzertgitarre wird das Programm mit Instrumentalstücken aus Irland, aber auch mal aus Bayern oder Österreich angereichert. Wenn mein Sohn Simon an den Percussions dabei ist, wird’s hingegen rockiger. Ich trete aber auch solo als Woidfolk auf. Es geht nicht um die Besetzung, sondern ums Programm – und das ist nicht von der Zahl der Musiker abhängig.
„Man braucht für ein Lied ein Schicksal“
Bei den Liedern „Bernauerin“, „Emerenz“ oder „Hexnjagd“ hast Du das Leben dreier Frauen aus unserer Region vertont. Was hat Dich an diesen Figuren besonders fasziniert?
Die Emerenz Meier verehre ich, seit ich ihre Werke, Gedichte und Briefe gelesen habe. Sie hat in einer Zeit gesellschaftskritisch geschrieben, als das noch aufrührerisch war: Kirchenkritik, Frauenemanzipation, Sozialismus. Wenn man einige ihrer Gedichte oder Briefe liest, erkennt man, dass die ’sanfte Rebellin‘, wie sie oft heute bezeichnet wird, so sanft nicht war. Aber man braucht für ein Lied auch eine Geschichte, ein Schicksal, über das man singen kann. Das ist bei der Emerenz eben die Auswanderung nach Amerika, bei der Hex von Wittersitt die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen und bei der Agnes Bernauer die Liebe zu einem Fürsten und das gewaltsame Ende in der Donau.
Hast Du da besonders recherchiert oder in den Archiven gesucht?
Auf die Emerenz wurde ich schon allein deswegen aufmerksam, weil sie vor ihrem Abschied aus dem Bayerwald ein paar Monate in Simpoln, also in der Nähe meines Wohnorts Fürsteneck, gelebt hatte. Und die Afra von Wittersitt wurde vom Pfleggericht Fürsteneck für schuldig gesprochen. Über sie hab ich Material gesammelt: das Verhörprotokoll, die Rechnung des Henkers hab ich in Kopie. Auf die Bernauerin hat mich der Schriftsteller Manfred Böckl gebracht, als ich seinen Roman über sie Korrektur gelesen habe.
„Die Zahl von Gewalttaten gegenüber Ausländern nimmt zu“
Neben historischen und regionalen Themen bieten Deine Texte auch viel Sozialkritik. Dein Lied „Nix glernt“, bei dem Du die Ausländerfeindlichkeit thematisierst und vor braunen Parolen warnst, scheint aktueller denn je zu sein. Wie problematisch siehst Du die momentane rechte Entwicklung in Deutschland und Europa?
Die Zahl von Gewalttaten gegenüber Ausländern nimmt zweifellos europaweit zu. Auch bei uns in Deutschland war man lange Zeit auf dem rechten Auge blind, wie es derzeit im NSU-Prozess offensichtlich wird. Besorgniserregend ist für mich die breite Akzeptanz rechtspopulistischer Parteien, wie die Ergebnisse der Europawahl gezeigt haben. Deren Parolen bereiten den Boden für künftige Ausschreitungen gegenüber Ausländern. Es zeigt sich, dass Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile gegenüber ‚Andersgearteten‘ in der europäischen Gesellschaft latent vorhanden sind.
Was könnten die Ursachen dafür sein?
Wirtschaftliche Krisen, Arbeitslosigkeit – das sind oft auch Auslöser für Fremdenfeindlichkeit. Die zunehmende Zahl an Asylbewerbern und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen belastet natürlich die sozialen Sicherungssysteme der Staaten, die im Gegenzug der Mittelschicht immer tiefer in die Tasche greifen. Die Schuldigen sind dann schnell gefunden. Auch etablierte Parteien bedienen sich besonders vor Wahlen populistischer Parolen, um im rechten Spektrum auf Stimmenfang zu gehen.
Kann ein Lied dazu beitragen, die Leute für dieses Thema wachzurütteln?
‚Nix glernt‘ basiert auf einer wahren Begebenheit. Fertig geschrieben hab ich es 2013, in dem Jahr, als sich die Ankunft der ersten türkischen Gastarbeiter in Deutschland zum 50. Mal jährte. In den Zeiten des Wirtschaftswunders haben wir sie dringend gebraucht. Ich will mit meinem Lied zum Nachdenken anregen und vielleicht auch diejenigen, die meine Meinung teilen, in ihrer Überzeugung ermutigen.
„Wir brauchen wieder eine echte soziale Marktwirtschaft“
Beim Hartz-IV-Blues kritisierst Du, dass die Schere zwischen reich und arm immer weiter auseinanderdriftet. Dabei gibst Du auch dem „normalen“ Bürger die Schuld, weil der „ruhig“ bleibt und sich nicht wehrt. Sollten die weniger verdienenden Bürger Deiner Meinung nach auf die Barrikaden gehen und mit Protesten gegen Banken, Manager und Politiker durchs Land ziehen?
Den Hartz-IV-Blues habe ich als Reaktion auf die Agenda 2010 der Schröder-Regierung komponiert. Als Gewerkschafter und Betriebsrat war ich sehr unzufrieden mit dem geringen Widerstand gegen diese Gesetze. Das lag wohl an der engen Vernetzung der Gewerkschaften mit der SPD. Hartz IV hat aus Menschen, die jahrzehntelang hart gearbeitet haben, ihre Steuern und Versicherungsbeiträge gezahlt und dann in Zeiten der Krise ihren Arbeitsplatz verloren haben, Almosenempfänger gemacht!
Ich bin der Meinung, die Gesellschaft muss sich mehr solidarisieren und Widerstand leisten. Viele aber haben resigniert, sind politikverdrossen geworden. Aber mit der Weigerung, zu Wahlen zu gehen, wird man nichts ändern. Wir brauchen wieder eine echte soziale Marktwirtschaft.
„Renate Schmidt meinte: Das Warten hat sich gelohnt“
Musikalisch aktiv bist Du schon seit 1990, u.a. auch mit Deiner Folk-Band Saitenhieb, hast aber auch mit vielen prominenten Musikern zusammen gespielt. Was waren die schönsten Momente Deiner Musikerlaufbahn?
Mein absolutes Highlight war 2004 der erste gemeinsame Auftritt mit der Songwriter-Legende Colin Wilkie und dem Parade-Gitarristen Peter Ratzenbeck in der Keltenstadt Hallein im Salzburger Land. Ich konnte da mit meiner Mandoline Akzente setzen und meine Komposition ‚Emerenz‘ dem österreichischen Publikum vorstellen.
Sicherlich gibt’s auch lustige oder peinliche Ereignisse, die Du uns verraten möchtest?
Das Schlimmste waren die Umstände bei einem Auftritt im Münchner Ratskeller 1997 bei der Umweltpreis-Verleihung der Bayern-SPD. Wir fünf Saitenhiebler waren rechtzeitig angekommen, hatten unsere Instrumente auf der Bühne, Soundcheck war gemacht. Dann wurde uns mitgeteilt, dass unser Kleinbus nicht auf dem Stellplatz im Innenhof des Ratskellers stehenbleiben kann. Zwei von uns machten sich auf die Suche nach einem Parkplatz – wohlgemerkt in der Münchner Innenstadt. Das kann dauern – und hat es auch.
Inzwischen war die damalige Vorsitzende der Bayern-SPD, Renate Schmidt, eingetroffen, die Medien waren da, es sollte losgehn, doch wir waren nicht komplett. Wir waren nervlich vollkommen fertig, aufgeregt und mussten dann in diesem Zustand auf die Bühne, als wir endlich vollzählig waren. Wie in Trance spielten wir zwei irische Instrumentalstücke. Dann: Applaus – und Renate Schmidt meinte gut hörbar: Das Warten hat sich gelohnt.
Walter, vielen Dank für das nette Gespräch und weiterhin viel Erfolg mit Deiner Musik und Woidfolk.
Interview: Jason Ditshej