Grafenau-Reismühle. Die Sedlbauer AG als etablierten Betrieb zu bezeichnen, ist wahrlich nicht übertrieben. Seit 1899 bereits gibt es das Unternehmen, gegründet wurde es in der Landeshauptstadt München. Vor knapp 50 Jahren siedelte Sedlbauer dann nach Grafenau um. Viele regionale Firmen wie B&S – Blech mit System, Dittrich & Greipl oder Noratel haben ihre Ursprünge innerhalb der Aktiengesellschaft. 150 Jahre Firmengeschichte verbunden mit vielen Höhen und Tiefen, aber auch mit vielen schönen Geschichten. Im Interview mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ blicken Vorstand Maximilian Halser (51) und Prokurist Karl Raab (63) auf diese ereignisreiche Zeit zurück. Außerdem erklären sie die Produkte der Sedlbauer AG und analysieren die immer schwierigere Suche nach Auszubildenden. Made in da Heimat!
Herr Halser, Herr Raab: Erklären Sie uns bitte kurz Ihren Betrieb.
Maximilian Halser: Die Firma Sedlbauer wurde 1899 von Wilhelm Sedlbauer gegründet – uns gibt es also inzwischen seit 115 Jahren. Anfangs waren wir ein ausschließlich mechanischer Betrieb, nach und nach haben wir uns zum elektromechanischen Unternehmen entwickelt. Unser Ziel für die kommenden Jahre ist es, ein komplettes System zu entwickeln und zu bauen – das heißt, wir wollen sowohl das Gehäuse als auch die Technik herstellen. Seit den 60er-Jahren befindet sich unsere Fertigung in Grafenau, eine weitere Produktion haben wir im tschechischen Číčenice. Dort werden hauptsächlich Ringkerntransformatoren produziert.
„Wir haben uns spezialisiert, sind nicht in der Massenherstellung“
Was kann man sich darunter vorstellen?
Maximilian Halser: Transformatoren der allgemeinen Art sind in jedem Netzteil verbaut. Der Ringkerntransformator sorgt für eine störungsfreie Übertragung von Strom, deshalb hat er auch seit jeher seine Daseins-Berechtigung.
Karl Raab: Mit einem Eigenprodukt, dem Medizinischen Trenntransformator, der nicht in Massenherstellung gefertigt wird, sondern dem Kundenwunsch entsprechend, fand eine Spezialisierung statt. Der MTT kommt in modernen patientenorientierten Arztpraxen und Kliniken zum Einsatz. Hier sichert er den Berührungsstrom angeschlossener Geräte auf definierte Grenzwerte und schützt damit Patienten und Bedienungspersonal.
Maximilian Halser: Deshalb ist auch eine sehr hohe Qualität gefordert – und keine Massenware.
Karl Raab: Auch in dem Produktbereich Ringkerntransformatoren hat sich der Firmengründer Wilhelm Sedlbauer in den 30er-Jahren einen Namen gemacht. Für die damalige Reichspost wurde der erste Transformator zur Frequenzübertragung von Nachrichten entwickelt.
Wo findet man die Technik von Sedlbauer sonst noch?
Karl Raab: Wir sind ein wahrer Allrounder. Es stammt beispielsweise fast jedes zweite Gehäuse der Fahrkartenticket-Automaten der Deutschen Bahn bundesweit von unserer Firma. Außerdem sind mehrere von uns konstruierten und hergestellten Informationsterminals am Münchner Flughafen im Einsatz. In den genannten zwei Beispielen sind wir zwar führend, aber irgendwie auch unsichtbar, da auf diesen Produkten nämlich nirgends unser Firmenname zu lesen ist. Hier tritt man als reiner Dienstleister auf.
Die Firma Technagon, die auch schon in unserer Rubrik „Made in da Heimat“ vorgestellt wurde, ist also ihr unmittelbarer Konkurrent?
Karl Raab: Bei bestimmten Technologieprodukten, ja.
„Das Glockenspiel am Münchener Rathaus wurde von uns gebaut“
Zurück zu den Anfängen: Wie verliefen die ersten Jahre der Firma Sedlbauer?
Maximilian Halser: Anfangs hat Wilhelm Sedlbauer in einem kleinen Betrieb mechanische Teile wie beispielsweise Wasseruhren hergestellt. Auch erste Barometer hat unser Firmengründer gebaut, daraus entstanden sind auch erste Höhenmessungen. Dabei hat Wilhelm Sedlbauer auch mit Graf von Zeppelin zusammengearbeitet. Interessant: Auch das Glockenspiel am Münchener Rathaus wurde von uns gebaut. In der Landeshauptstadt, genauer gesagt in Gießing, liegen auch die Ursprünge der Firma Sedlbauer.
Karl Raab: Der Firmengründer leitete die Firma bis nach dem zweiten Weltkrieg und bis Anfang der 90er sein Enkel Walter Plenk.
Wie ist es später dazu gekommen, dass die Firma Sedlbauer in den Bayerischen Wald umsiedelte?
Karl Raab: Die Verlagerung fand 1961 statt. Ausschlaggebend waren hierfür lukrative finanzielle Grenzlandhilfen wie auch reizvolle steuerliche Sonderabschreibungen. Anfangs hatten wir unsere Produktionsstätte im Ortskern von Grafenau, 1990 wurde im Gewerbegebiet Reismühle auf 44.000 Quadratmetern ein neues Werk für rund 500 Mitarbeiter gebaut. Durch den geplanten Börsengang und die Gründung der Sedlbauer Aktiengesellschaft im Jahre 1989 standen die erforderlichen Finanzmittel für Bau und Betriebsausstattung zur Verfügung. Derzeit sind im Werk Grafenau/Reismühle 170 und in Tschechien 80 Personen beschäftigt.
Maximilian Halser: Anfang der 90er – in der Hochphase – hatte die Sedlbauer AG um die 600 Mitarbeiter. Der Telekommunikationsboom in Deutschland war gleichzeitig die goldene Phase unseres Unternehmens. Während den Krisen in den 2000ern musste die Firma aber einen großen Aderlass hinnehmen. Während einige Firmen komplett von der Bildfläche verschwunden sind, haben wir das Ganze doch noch einigermaßen gut überstanden.
Fachkräftemangel: Die „Musik“ spielt ab Deggendorf
Welche größeren Unternehmen gehören zu Ihren Kunden?
Karl Raab: Die Zeiss-Gruppe, Braun, Siemens, Telekom und Alcatel – um nur einige zu nennen.
War es rückblickend der richtig Schritt, München zu verlassen und auf dem Standort im ländlichen Raum zu setzen?
Karl Raab: Aus heutiger Sicht wäre das abzuwägen und zu überdenken. Die Infrastruktur, also schnelleres Internet und Ausbau der Straßenanbindung zur Autobahn sind sehr wünschenswert. Ein weiterer Standortnachteil liegt im Finden und Verbleiben von Fachkräften vor allem von Ingenieuren, Entwickler und Informatiker. Kurz gesagt: Die „Musik“ spielt ab Deggendorf. Geeignete, nicht in unserer Gegend beheimatete Fachhochschulabgänger, verlassen nach ersten beruflichen Erfahrungen das Unternehmen in städtischer Richtung.
Maximilian Halser: Mittlerweile haben wir klare Standortnachteile – wir haben beispielsweise am Firmengelände kein Handynetz (lacht). Immerhin können unsere Mitarbeiter also ungestört arbeiten.
Gibt es infolgedessen Gedanken, den Bayerischen Wald zu verlassen?
Maximilian Halser: Nein, wir sind hier verwurzelt. Solange es die Sedlbauer AG gibt, wird in Grafenau das Hauptquartier sein. Darüber hinaus haben wir noch genügend Platz, um hier zu wachsen. Das einzige, was uns daran hindern könnte, ist der oft zitierte Fachkräftemangel.
Karl Raab: Durch unsere intensive und erfolgreiche Ausbildung wirken wir dem aber sehr entgegen. Dem Firmenanspruch entsprechend wird dem Kunden von der Entwicklung bis zu dem einsatzfähigen Produkt alles aus einer Hand geboten.
„Die familiäre Struktur ist das wichtigste Pfund“
Vielerorts gibt es bereits Kopfgeld für Lehrlinge. Ist das die richtige Lösung?
Karl Raab: Nein. Meiner Meinung nach ist immer noch eine familiäre Struktur das wichtigste Pfund. Man muss sich auch im Ausbildungsbetrieb wohlfühlen und sich mit ihm identifizieren können.
Maximilian Halser: Unsere Strategie ist es auch, hier ausgebildete oder geborene Fachkräfte wieder zurückzuholen. Über Prämien oder ähnliches haben wir allerdings noch nie diskutiert. Klar ist aber auch: Der Arbeitsmarkt wird sich noch drastischer entwickeln, es wird künftig immer schwieriger, an Fachkräfte zu kommen. Nur ein Beispiel: Unser Altersschnitt im mechanischen Bereich liegt bei 49 Jahren. (überlegt) Da wird einiges auf uns zukommen.
Welche Rolle muss dabei die Politik spielen?
Maximilian Halser: Ein Patentrezept gibt es nicht. Es ist doch klar, dass Schulabgänger weggehen – hier im Bayerischen Wald gibt es ja keine Universitäten. Die Politik versucht es mit Technologiecampi. Ein erster Schritt. Aber es müssen weiter folgen.
Karl Raab: Wichtig ist es, direkt mit den jungen Leuten zu sprechen, welche Bedürfnisse und Erwartungen sie haben. Meistens hält die Jugendlichen ein Verein oder allgemein eine gute Kameradschaft hier in der Region – und nicht eine Großraumdisko oder ein Theater. Themen wie Kinderbetreuung, Schulnetz oder öffentliche Verkehrsmittel spielen für Mitarbeiter eine immer wichtigere Rolle.
Maximilian Halser: Die Basics sind wichtiger als zum Beispiel ein kulturelles Zusatzprogramm.
Karl Raab: Ich bin überzeugt, dass die Kreativität und Bindung der Mitarbeiter durch Fortbildungsmaßnahmen und Aufstiegsmöglichkeiten gefördert werden kann. Wir dürfen unsere Mitarbeiter nicht in ein vorgegebenes Muster pressen.
Welche Berufe gibt es bei der Sedlbauer AG?
Karl Raab: Im gewerblichen Bereich bieten wir die Ausbildungsberufe Konstruktionsmechaniker, Elektriker, Industrielackierer, Lagerlogistiker und im kaufmännischen Bereich Industrie- und Eurokaufleute sowie Technischer Produktdesigner an. Ab 1. September werden bei uns 19 Azubis in einem Ausbildungsverhältnis stehen – eine überproportionale Ausbildungsquote. Erwähnenswert ist, dass heuer alle „Ausgelernten“ in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen wurden.
Blicken Sie bitte kurz auf Ihren jeweiligen persönlichen Werdegang.
Maximilian Halser: Nach meinem Nachrichtentechnik-Studium habe ich hier im Haus gearbeitet – unter anderem in der Entwicklung und im Vertrieb. Nachdem ich einige Jahre für ein anderes Unternehmen tätig war, bin ich seit Anfang des Jahres wieder in der Sedlbauer AG als Vorstand eingetreten.
Karl Raab: Ich bin seit 20 Jahren bei der Sedlbauer AG und mit 63 Jahren mittlerweile ein zeitliches Auslaufmodell. Meine Nachfolge ist bereits geklärt. Die Zeit in der Firma war und ist nach wie vor sehr abwechslungsreich und interessant, wenn auch manchmal anstrengend und stressig. Als kaufmännischer Leiter mit Einzelprokura und Vertreter des Vorstands bin ich überwiegend für die Bereiche Finanzen, Controlling und Personal verantwortlich.
„Die Internationalisierung ist ein großes Ziel“
Haben Sie das Gefühl, dass die Schulabgänger beim Berufseinstieg die nötige Lebensreife mitbringen?
Karl Raab: Glücklicherweise sind wir nach wie vor in der Lage, uns unsere Lehrlinge aussuchen zu können. Die vergangenen Jahre haben wir so hervorragende Auszubildende bekommen. Negativ stellen wir aber fest, dass immer mehr Schulabgänger mehreren Firmen ihre Zusage zu einer Ausbildung geben, sich aber erst kurzfristig für einen Betrieb entscheiden, ohne eine Absage mit zu teilen.
Abschließend noch ein kurzer Blick in die Zukunft: Wo steht die Sedlbauer AG in zehn Jahren?
Maximilian Halser: Die Internationalisierung ist ein großes Ziel. Deshalb haben wir uns auch schon entschieden, Eurokaufleute auszubilden.
Vielen Dank für das Interview – und alles Gute für die Zukunft!
Interview: Helmut Weigerstorfer und Stephan Hörhammer