Freyung. Eisenbahner zu Besuch beim Hog’n: Prof. Dr. Thomas Schempf, Geschäftsführer der Ilztalbahn GmbH (51), und Michael Liebl (70), erster Vorsitzender des Förderverein Ilztalbahn e.V., haben in der Redaktion vorbeigeschaut. Thomas Schempf ist gelernter Banker, hat einen Doktor in Wirtschaftswissenschaften, kennt sich aus mit Zahlen – und findet neben Lehr- und Beratungstätigkeit im Finanzbereich noch genügend Zeit für die Ilztalbahn. Michael Liebl ist pensionierter Berufsschullehrer und steht den mehr als 700 Vereinsmitgliedern vor. Im Interview zeigt sich die Leidenschaft des Wahlfranken und des Grafenauers fürs Projekt ITB – sie erzählen von Zielen, dem großen Potenzial der Strecke Freyung-Passau und räumen auf mit Falschmeldungen, denn: Der Probebetrieb ist keineswegs vom Tisch, wie irrtümlich gemeldet…
Herr Schempf, wie sind Sie eigentlich zur Ilztalbahn gekommen? Warum engagieren Sie sich dafür?
Thomas Schempf: Geboren bin ich in Sindelfingen, aufgewachsen im württembergischen Grafenau an der Schwarzwaldbahn. Dann hat’s mich zum Studium nach Nürnberg verschlagen, wo ich auch heute noch wohne. Im Sommer 1987 bin ich mit den Nürnberger Eisenbahnfreunden zum ersten Mal nach Freyung gefahren. Mein damaliger Eindruck: eine der schönsten Strecken Deutschlands. Außerdem bin ich schon sehr lange Mitglied beim Fahrgastverband Pro Bahn.
Wir hatten für den 3. Oktober 2002 eine verbandsübergreifende Sonderfahrt geplant, um die Strecke Passau-Freyung wieder ins Bewusstsein zu bringen. Diese Fahrt musste leider kurzfristig wegen der damaligen Hochwasserschäden abgesagt werden. Als ich mitbekommen habe, dass die Strecke wegkommen soll, haben wir den Kontakt zum Förderverein Ilztalbahn gesucht. Herr Liebl und ich haben uns im Sommer 2006 das erste Mal getroffen, in Passau am Hauptbahnhof. Da war mir klar: Es gibt eine Chance, diese Strecke zu erhalten.
„Die Ilztalbahn ist das Projekt meines Lebens“
Im Herbst des selben Jahres hat mich Herr Liebl gefragt, ob ich den Förderverein mit der Gründung einer GmbH unterstützen möchte. Ich hab Ja gesagt – und bin damals eingestiegen als kaufmännischer Geschäftsführer. Dass dieses Ja-Wort eine solche Folge von Aktivitäten nach sich ziehen würde, habe ich 2006 nicht geahnt. Inzwischen weiß ich: Dieses Projekt ist das Projekt meines Lebens – und bleibt es auch.
Es war der Reiz, etwas zum Erfolg zu führen, was Potenzial hatte und was – entgegen der damaligen politischen Rhetorik – noch nicht verloren war. Die Entscheidungen über die Strecke wurden nicht in Passau oder Freyung, sondern in Nürnberg gefällt, wo die frühere Bundesbahndirektion, die den Antrag auf Abbau der Gleise gestellt hatte, saß. Genauso wie die Aufsichtsbehörde, das Eisenbahnbundesamt, bei der ich meinen Antrittsbesuch gemacht habe, um mir aus deren Warte den Status der Strecke schildern zu lassen. Dabei ist mir klar geworden, dass auf keinen Fall innerhalb der nächsten Zeit ein Abrissbagger kommt und die Gleise herausreißt – sondern, dass erst mal der Antrag gestellt werden muss, um die Erlaubnis dafür zu haben. Das war für mich eine wichtige Information, die es für mich reizvoll gemacht hat, mich für die Sache einzusetzen. Die Erfolgschance war klar sichtbar. Und: Ohne das persönliche Vertrauen der Akteure hätte das Projekt nie funktioniert.
„Für einen Probebetrieb wären sehr wohl Gelder da“
Es gibt viele Fürsprecher, aber auch einige Gegner der Ilztalbahn. Immer wieder hört man aus dem gemeinen Volk: „Der Probebetrieb rentiert sich ja sowieso nicht… Der Regelbetrieb hat keine Zukunft, weil dieser nicht zu stemmen ist…“ Was entgegnen Sie diesen Stimmen?
Thomas Schempf: Hier muss man unterscheiden: Im Moment haben wir einen saisonalen Wochenendverkehr, den wir komplett ehrenamtlich erbringen. Ohne Personalkosten – der Betrieb läuft kostendeckend. Heißt: Wir können sogar Rücklagen bilden, um die Infrastruktur zu erhalten.
Wenn wir hingegen an den ganzjährigen Verkehr denken, der vom Freistaat Bayern gestemmt werden soll, ist es eine politische Entscheidung, eine autounabhängige Mobilität zu gewährleisten. Diese wird finanziert aus öffentlichen Mitteln. Der Freistaat bekommt Jahr für Jahr mehr als eine Milliarde Euro so genannter Regionalisierungsmittel. Diese werden in den Schienen-Personennahverkehr gesteckt. Bayern bunkert jedes Jahr sieben bis zehn Prozent davon. Es sind also sehr wohl Gelder da, die man in Strecken ohne aktuellen Personenverkehr investieren kann. Es geht nicht nur um die Ilztalbahn. Es geht auch um Gotteszell-Viechtach oder eine Strecke wie Nördlingen-Gunzenhausen. Fest steht: Wenn es eine ganzjährige Bestellung gibt, muss man das Defizit aus Steuermitteln abdecken. Das ist der Unterschied zum saisonalen Freizeitverkehr. Denn wenn man so tut, als wäre auch der Freizeitbetrieb defizitär, wäre es so, als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen.
„Die meisten Zweifler sehen heute, dass es läuft“
Was glauben Sie, wie sich die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber der Strecke Freyung-Passau entwickelt hat?
Thomas Schempf: Anfangs war ja eher ungläubiges Staunen vorhanden. Es gab wenige militante Bahngegner, die meisten haben gesagt: ‚Das wird doch eh nichts!‘ Man hat nicht mehr daran geglaubt. Immerhin gab es schon länger als 20 Jahre den Versuch, diese Strecke nach der Einstellung des regulären Verkehrs 1982 wiederzubeleben. Es herrschte Staatsgläubigkeit nach dem Motto: ‚Wenn’s die Politik nicht schafft, wie sollen es dann Privatleute schaffen?‘
Die meisten Zweifler sehen heute aber, dass es läuft – und haben ihre Meinung geändert. Das Ganze war nie ein Glaubenskrieg oder ein Feldzug, wie es manchmal in den Medien dargestellt wurde. Man kann auch über mich nachlesen, dass ich nur Unglück über die Region bringen würde. Damit muss ich leben, halte es aber frei nach Karl Valentin: ‚Nicht einmal ignorieren!‘ Es war ein Ringen um das bessere Konzept. Wir waren der Meinung: Für eine Strecke, die die einzige straßenunabhängige Erschließung der Region darstellt, gibt es eine sinnvollere Nutzung, als darauf nur einen Radweg zu errichten.
Stichwort ITB-Probebetrieb: Der wurde ja abgelehnt – aus finanziellen Gründen. Gibt es doch noch eine Möglichkeit, diesen Probebetrieb auf die Strecke Freyung-Passau zu holen?
Michael Liebl: (mit Nachdruck) Dass der Probebetrieb nicht stattfinden wird, ist eine Ente, da er uns bei einem Ministergespräch im Februar klar zugesagt wurde. Und daran hat sich nichts geändert.
„Jetzt beginnen die Gespräche über den nächsten Doppelhaushalt“
Thomas Schempf: Der Probebetrieb ist nicht abgelehnt. Es gab nur die Entscheidung, im Nachtragshaushalt 2014 keine Mittel dafür bereitzustellen. Die entscheidende Frage wird jetzt sein, ob im nächsten Doppelhaushalt Mittel drin sind. Da wir heuer mit dem Probebetrieb eh nicht hätten starten können, ist es auch nicht entscheidend, dass im Nachtragshaushalt kein Geld für uns vorgesehen war. Das wäre eher so eine Art politische Willenserklärung gewesen. Die wichtige Phase kommt erst jetzt: Nun beginnen die Hintergrundgespräche über den nächsten Doppelhaushalt. Dabei muss herauskommen, dass man für Probebetriebe auf verschiedenen Strecken im Freistaat Mittel bereitstellt.
Letztlich geht es um die Frage, ob die Strecke das für den Regelverkehr notwendige Potenzial hat. Wenn der Landkreis durch die Umorganisation des Busverkehrs der Bahn Fahrgäste zuführt, habe ich auch keine Bedenken, dass wir die geforderten 1.000 Fahrgäste erreichen. Zu vermeiden gilt, dass künftig die Ilztalbahn fährt – und nebenher der Bus. Dieser muss etwa von Neuschönau, Hohenau und Grafenau her nach Freyung fahren, wo der Umstieg zur Ilztalbahn ist.
Der Landkreis muss also organisieren, dass die Busse der Schiene zugeführt werden?
Thomas Schempf: Richtig. Das ist das Abstruse: Für den Schienen-Personenverkehr ist der Freistaat zentral zuständig, für den Straßen-Personenverkehr ist jeder Landkreis selbst verantwortlich. Deshalb brauchen wir dringend eine Abstimmung zwischen Bayern und der Region – und brauchen auch von Seiten der Landkreise Freyung-Grafenau und Passau eine klare Aussage, dass sie als Aufgabenträger für die Busse diese Zuführungsfunktion ernst nehmen.
„Die Busse müssen der Bahn zugeführt werden“
Wie stehen denn die Zeichen auf Seiten der Landkreise – sprich: Herr Gruber und Herr Meyer?
Thomas Schempf: Der hiesige Landkreis ist gerade dabei, sich zu finden. Man hat nach 30 Jahren begonnen, das Nahverkehrsangebot durchleuchten zu lassen. Die letzte Begutachtung gab es 1982. Seitdem ist nichts mehr passiert. Zwischenzeitlich ist aber auch die Grenze geöffnet worden – doch bis heute enden die Busse bei Haidmühle. Der Landkreis hat es bislang nicht für nötig befunden, die Buslinie von Waldkirchen zum Grenzbahnhof Nové Údolí zu führen. Freyung-Grafenau muss nun eine Bestandsaufnahme erbringen – und dann aber auch klar sagen: ‚Wir wollen die Bahn!‘ Die Busse müssen deshalb der Bahn zugeführt werden – es wäre das Dümmste, sich die Konkurrenz ins Haus zu holen…
Haben Sie schon mit Herrn Gruber gesprochen?
Thomas Schempf: Natürlich. Der Landkreis verweist immer wieder auf seine prekäre finanzielle Situation. Die nehmen wir zur Kenntnis. Aber wir sagen auch: Der Schienen-Personenverkehr wird vom Freistaat finanziert. Das heißt: Es kann sich für den Landkreis unterm Strich als Entlastung erweisen, dass der Freistaat den Verkehr hauptsächlich durchführt – und damit auch einen Defizitausgleich leistet. Der Landkreis wäre dann von den Kosten der Linie Freyung-Waldkirchen-Landkreisgrenze befreit. Wichtig ist dabei nicht nur der Landrat, sondern der Kreistag, der sagt: ‚Wir wollen ein Nahverkehrskonzept, bei der die Ilztalbahn diese Rückgratfunktion übernimmt.‘
„Die Strecke hat berufliches und Freizeitverkehrspotenzial“
Aber der Probebetrieb für diese Strecke Viechtach-Gotteszell wurde genehmigt – oder nicht?
Thomas Schempf: Richtig. Aber es wird noch verhandelt, wie genau das dann aussieht. Das Ganze wurde von Minister Brunner, dessen Wahlkreis in Regen liegt, forciert. Er war der große Motor für die Strecke und hat durchgesetzt, dass der damalige Minister Zeil die Zusage gegeben hat. Das Ministerium selbst zweifelt ja an, dass wirklich 1.000 Fahrgäste zusammenkommen. Aber der Förderverein Gotteszell-Viechtach hat eine Studie, in der mehr als 1.000 Fahrgäste nachgewiesen werden, vorgelegt. Wenn auch für die Ilztalbahn auf Basis einer noch zu erstellenden Fahrgastprognose über 1.000 Fahrgäste erwartbar sind, geht der Probebetrieb nahtlos in den Regelbetrieb über.
Wie erstellt man so eine Prognose?
Thomas Schempf: Es gibt entsprechende Büros, die das machen. Die entscheidende Frage für all diese Regelbetriebe ist, wie viele Fahrgäste an Wochentagen außerhalb der bayerischen Schulferien mitfahren. Deswegen müssten Berufsverkehre auch mit angepackt werden. Wir glauben jedoch, dass man bei der Ilztalbahn auch die Ausflugsverkehre mitberücksichtigen sollte. Die Strecke hat neben dem beruflichen Potenzial auch diese Freizeit-Verkehrspotenziale. Das müssen wir jetzt mit dem Ministerium verhandeln.
„Ich wünsche mir eine aktivere Rolle der Stadt Freyung“
Sie waren vor Kurzem nicht besonders erfreut über Aussagen seitens des Freyunger Stadtrats Winfried Stadler: „Dass der Schienenersatzverkehr nach Meinung von Herrn Winfried Stadler dem Ansehen der Stadt Freyung schadet, ist mehr als an den Haaren herbeigezogen.“ Stehen Sie immer noch dazu?
Thomas Schempf: Ja – voll und ganz. Wann fährt denn der Schienen-Ersatzverkehr? Das ist am Samstag der letzte Zug um 19.30 Uhr von Freyung weg – und am Sonntagmorgen der erste Zug um 7.35 Uhr von Passau weg. Wir treffen so eine Entscheidung nicht leichtfertig – rechtliche Aspekte haben uns gezwungen, so zu reagieren.
Wir haben der Stadt Freyung keine Potenziale weggenommen. Die Lebensgewohnheiten der Stadt ändern sich. Die Nachfrage nach dem ersten Zug am Sonntag wird eher sogar noch schwächer. Die Leute stehen später auf, haben das Zusatzangebot durch die Taktverdichtung am späteren Vormittag. Offensichtlich wollen die Leute in Passau gerade sonntags nicht um sechs, halb sieben aufstehen und um halb acht im Zug sitzen. Von daher sehe ich nicht, dass die Stadt Freyung geschädigt wurde. Im Grunde haben wir ihr sogar ein viel besseres Angebot unterbreitet, indem wir anstelle von anfangs drei nun sechs Züge fahren lassen. Und: Die Leute fahren lieber schon um 17 Uhr zurück, wenige erst um halb acht mit dem letzten Zug.
Wie ist denn das generelle Verhältnis zwischen der Stadt Freyung und den ITB-Vertretern?
Thomas Schempf: Das hat durch die Sache keinen Knacks bekommen. Was ich mir allerdings schon wünsche, ist eine aktivere Rolle der Stadt Freyung. Sie sollte etwa beim Gäste-Umweltticket GUTi mitmachen. Die Stadt Waldkirchen, die Gemeinden Neuschönau, Hohenau, Spiegelau usw. machen alle mit. Damit haben die Urlaubsgäste freie Fahrt im öffentlichen Nahverkehr. Es ist sehr schade, dass die Stadt Freyung, die sich ja immer als ‚Tor zum Nationalpark‘ bezeichnet, aus der Solidarität der Nationalparkgemeinden ausschert. Sogar eine Stadt wie Waldkirchen ist beigetreten, die noch viel weiter vom Nationalpark weg ist.
Thema GUTi: „Gerade die Kreisstadt würde profitieren“
Wie begründen die Freyunger ihre Enthaltung?
Thomas Schempf: Sie möchten den Gästebeitrag lieber für Maßnahmen in der Stadt verwenden. Man hat Angst, das Geld geht in einen Topf, woraus alle anderen partizipieren – nur Freyung nicht. Allerdings wäre gerade die Kreisstadt der große Profiteur. Denn außer den Ilztalbahn-Anschlussbussen gibt es ja kaum ein öffentliches Verkehrsangebot, das in den Nationalpark fährt. Am Wochenende: gar nix!
Herr Liebl: Sind Sie der Meinung, dass Ihr Engagement und das Engagement des Fördervereins allgemein zu wenig in der Öffentlichkeit gewürdigt wird?
Michael Liebl: Der Prophet im eigenen Land zählt wenig. Das weiß man schon aus der Bibel. Wir haben großartige Preise bekommen. Jedes Schreiben, das wir vom Minister erhalten, ist euphorisch – da muss man natürlich vorsichtig sein. Der Freistaat leistet schließlich nichts. Die Gelder kommen ja von der EU oder aus privaten Mitteln.
Seitens der Fahrgäste erhalten wir viele positive Rückmeldungen. Ältere Leute haben oft Tränen in den Augen, wenn sie von Erlebnissen mit der Bahn erzählen, die Teil ihres Lebens war. Der Landkreis selbst ist entwöhnt – der hat die Bahn 30 Jahre lang nicht mehr erlebt. Darum verstehe ich, dass in einer gewissen Schicht die Meinung vorherrscht: ‚Das wird ja nie was… Außerdem ist es ja bequemer, mit dem Auto nach Passau zu fahren…‘ Aber es gibt auch die Schicht, die die Vorzüge einer Bahnanbindung nach Passau schätzt. Wir bekommen auf dem Teller eine einzigartige Chance serviert, die uns nichts kostet. Dieses Bewusstsein ist noch nicht in der breiten Bevölkerung angekommen. Es gibt viele Beobachter – auch die Politiker sitzen auf den Zuschauertribünen – aber alle gehören aufs Spielfeld.
„Jeder von uns ist naturbewusst und ein bisserl grün“
Liegt das an der waidlerischen Skepsis?
Michael Liebl: Das mag sein, ja. Wobei es im Landkreis Regen anders ausschaut. Da ist die Politik sehr aktiv. Bei uns verharrt sie momentan in der Zuschauerrolle. Das muss sich ändern. Die Chance muss verstanden werden, dass sich in der Dreiländerregion etwas Nützliches bietet. Das ist eine Bereicherung – und keine Belastung.
Steht dieser verbindende Charakter zwischen den Regionen und dem touristischen Bereich im Vordergrund? Oder spielt auch ein grüner Gedanke eine Rolle?
Michael Liebl: Beides. Es ist ein Gemisch. Unsere Mitglieder stammen auch aus diesem Umfeld. Jeder ist naturbewusst – und ein bisserl grün. Was für mich wichtig ist: Ich bin in der Region geboren, der ich jetzt im Alter etwas zurückgeben möchte. Es kann heute kein Mensch sagen, ob wir die Bahn nicht nochmal dringend brauchen… Davon bin ich sogar überzeugt – sie erlebt eine Renaissance.
Glauben Sie persönlich, dass der Regelbetrieb – etwa von Freyunger Bürgern, die in Passau arbeiten – genutzt würde?
Michael Liebl: Die Gutachten sagen Ja. Demnach würden zehn Prozent der 4.000 bis 5.000 Leute, die aus unserer Region nach Passau fahren, das Angebot nutzen – Schüler, Berufsschüler, die zum Teil kein Auto haben, die Angestellten in den Krankenhäusern und in den Geschäften, in der Gastronomie usw. Und deswegen bin ich von der Sache hundertprozentig überzeugt.
„Wir wollen mit der Ilztalbahn eine Alternative bieten“
Das Potenzial ist bestimmt da – aber zwischen Theorie und Wirklichkeit gibt es manchmal einen großen Unterschied. Aus Gesprächen mit Freunden haben wir erfahren: ‚Als Freyunger, der in Passau arbeitet, bin ich mit dem Auto in einer halben Stunde am Arbeitsplatz. Mit dem Zug dauert das eine Stunde und zehn Minuten. Unterschied: 40 Minuten. Und dann bin ich erst am Bahnhof, von wo aus ich noch zu meiner Arbeitsstätte – wie auch immer – muss. Das kostet auch nochmal Zeit…‘
Thomas Schempf: Es gibt Potenziale, die sind für die Bahn interessant – und es gibt gewisse Verkehrskonstellationen, da können wir nicht konkurrieren. Darum geht es ja auch nur um zehn bis 20 Prozent vom gesamten Kuchen. Die 30 Minuten sind Schönwetter gerechnet. Im Berufsverkehr stehen Sie Richtung Passau ganz schnell im Stau. Sicherlich verlieren Sie Zeit – aber in der Zeit im Zug können Sie auch etwas anderes tun: Zeitung lesen oder einfach mal nur entspannen und rausschauen nach der Arbeit.
Ich selbst fahre viel Zug. Würde ich alle Strecken mit dem Auto bewältigen, käme ich oft geschafft an. Nach der Zugfahrt bin ich ausgeruht und sofort brauchbar. Die Entscheidung zwischen Zug oder Auto wird letzten Endes mit Kopf und Herz getroffen. Es geht nicht darum zu sagen: Das eine ist gut, das andere ist schlecht.
Wir wollen mit der Ilztalbahn eine Alternative anbieten, von deren Attraktivität wir überzeugt sind. Der Pluspunkt für die Region: eine autounabhängige Mobilität, die in einer vom Tourismus geprägten Gegend mehr Nachhaltigkeit bringt. Mir persönlich verlangt das Engagement für die Ilztalbahn sehr viel ab – aber sie gibt mir noch mehr zurück. Wir sind nicht scharf darauf, Preise zu bekommen. Wichtiger sind die Rückmeldungen von Menschen aus dem internen Kreis sowie von Fahrgästen und anderen Beobachtern – das sind wunderbare Erfahrungen.
„Risiken geht man immer ein – aber mit Absicherungsarchitektur“
Michael Liebl: Nochmal zurück zur Frage: Als Freyunger würde ich genauso denken und handeln. In Waldkirchen schaut das schon völlig anders aus. Wenn man da einem Bulldog auf der Strecke nach Passau hinterherfahren muss… In Passau brauche ich dann auch betriebsnahe Parkmöglichkeiten. Im Zentrum ist das keinesfalls gegeben. Häufig geht es ja um Zweitverdiener, die nicht zwingend ein Zweitauto haben.
Unser Hauptfahrgast ist der Ausflügler und der Urlauber. Nationalpark, Baumwipfelpfad, Passau, Südböhmen und die Ilztalbahn sind die Hauptattraktionen für Touristen. Da hat sich etwas entwickelt, das nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich funktioniert. Sollte der Probebetrieb nicht funktionieren, kehren wir halt zum reinen Freizeitbetrieb zurück. Wir sind beide Betriebswirtschaftler – würden wir nicht daran glauben, dass sich das Projekt rechnet, wären wir es nie angegangen. Risiken geht man dennoch immer ein – aber mit einer Absicherungsarchitektur.
„Ein Schwerpunkt wird Holzverkehr sein – vielleicht schon im August“
Welche Pläne verfolgen Sie mit der ITB in den nächsten zehn Jahren?
Thomas Schempf: Bevor wir losgelegt haben, haben wir ein dreistufiges Konzept erstellt. Erstens: Wiederaufnahme des saisonalen Personenverkehrs – das läuft seit 2011. Zweitens: Wiederaufnahme des regionalen Güterverkehrs. Das beginnt auch noch dieses Jahr. Ein Schwerpunkt wird Holzverkehr sein. Die schweren Laster aus dem Böhmerwald und aus der Region, die nach Passau oder Schalding fahren, fallen damit von der Straße weg. Damit haben wir schon zwei unserer drei Hauptziele in diesem Jahr erreicht.
Wann fährt der erste Holzgüterzug?
Thomas Schempf: Vielleicht schon im August. Die Voraussetzungen sind geschaffen. Damit würden wir die Strecke wochentags mehr auslasten – es wäre keine Konkurrenz zum aktuellen Ausflugsverkehr.
Wie haben Sie die holzverarbeitenden Betriebe auf Ihre Seite gebracht?
Thomas Schempf: Die Betriebe sind auf uns zugekommen. Offensichtlich ist die Verladesituation in Passau so schwierig, dass Holzhandelsgesellschaften oder die Staatsforsten nach Alternativen zu Schalding suchen. Unser drittes Ziel ist eine Mittel- und Langfristperspektive, die jetzt aktuell wird: die Strecke für den regelmäßigen Personenverkehr zu nutzen. Wir glauben, dass die Strecke Teil des Bayernnetzes werden kann.
„Wir sind etwas günstiger als der Regelpreis der Deutschen Bahn“
Michael Liebl: Noch ein kleineres Ziel: Der Bahnhof von Waldkirchen war der einzige, der noch nicht in privater Hand war. Dieses Bauwerk aus dem Jahr 1892 haben wir gekauft und jetzt wollen wir ihn innerhalb von zwei, drei Jahren zu einem Kleinod machen. Momentan diskutieren wir das Nutzungskonzept. Die Bahnstrecke wird 2017 125 Jahre alt – da wollen wir fertig sein. Und der Verein wird auch noch 125 Jahre bestehen (lacht).
Hinter der ITB GmbH steckt viel Arbeit. Viele wissen das nicht und sind beim Fahrkartenpreis etwas hin- und hergerissen. Von Freyung nach Passau 19 Euro hin und zurück – diesen Preis empfinden manche als zu stolz…
Thomas Schempf: Dieser Preis ist etwas niedriger als der Regelpreis der Deutschen Bahn. Wenn Sie heute irgendwohin ohne Bahncard fahren, ist das der Preis, den Sie bezahlen. Fährt jemand öfter, gibt es die Saisonkarte für 140 Euro. Wir bieten sechs Monate lang an allen Wochenenden Fahrmöglichkeiten – mit sieben Mal Fahren hat sich das schon rentiert. Es ist erstaunlich, wie wenige Leute aus der Region solche Angebote nutzen. Ebenso geht es dem IGEL-Bus, der total billige Tickets anbietet, die kaum verkauft werden. Das wundert uns. Unser Verkehrsangebot hat durch das Reiseerlebnis so viel zu bieten, dass zunächst Mürrische am Ende sagen: Es hat sich gelohnt.
Durch die europäische Dimension der grenzüberschreitenden Verkehre gab es für die ITB die Möglichkeit, EU-Gelder in Anspruch zu nehmen. Für die Wiederherstellung der Infrastruktur haben wir 70 Prozent Förderung bekommen – 1,6 Millionen Euro. Vom Freistaat haben wir bis heute null Euro bekommen. Die Wiederinbetriebnahme der Ilztalbahn ist ausschließlich – neben dem privaten Anteil mit 30 Prozent – europäischen Geldern zu verdanken. Der Freistaat macht es uns eher noch schwer, weil wir für die 1,6 Millionen Euro EU-Gelder eine Bürgschaft zu Gunsten des Freistaates Bayern aufbringen mussten. Festzuhalten ist: Letztendlich hat gerade die europäische Regionalförderung immer wieder einen durchschlagenden Nutzen – die Wiederinbetriebnahme der Ilztalbahn verdanken wir Europa.
Vielen Dank für das interessante wie ausführliche Gespräch – und weiterhin viel Erfolg mit dem Projekt Ilztalbahn!
Interview: Eva und Stephan Hörhammer