Grafenau. Martin Behringer ist pädagogischer Mitarbeiter an der Volkshochschule (vhs) des Landkreises und einer der wichtigsten Ansprechpartner zu den Themen Asyl und Zuwanderung. Er möchte Brücken bauen zwischen Asylsuchenden und Einheimischen und weiß genau, worum es geht: Er hat sich als freiwilliger Helfer in Flüchtlingslagern in Kroatien und Mazedonien engagiert. Im Rahmen des Xenos-Projekts „Grenzenlos Tolerant – Toleranz grenzenlos“ sucht er derzeit so genannte Integrationspaten im Landkreis. Sie sollen die Asylsuchenden, die in den kommenden Jahren bei und mit uns leben werden, in ihrer schwierigen Situation unterstützen. Vor Kurzem gab es dazu eine erste Infoveranstaltung in Grafenau.
Gewalt, Angst und Perspektivlosigkeit zwingen Menschen zur Flucht
Laut UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) befinden sich weltweit derzeit ungefähr 51 Millionen Menschen auf der Flucht. Die meisten Flüchtlinge stammen aus Kriegsregionen wie Syrien, Afghanistan, Eritrea, Somalia, dem Irak und Pakistan. Die meisten Asylanträge, so Behringer, werden in Europa gestellt, allen voran in Deutschland mit 109.600 Anträgen im Jahr 2013. Wenn die Asylsuchenden hierzulande ankommen, stehen sie erst einmal vor dem Nichts – und blicken in eine ungewisse Zukunft. Die Kontaktaufnahme zur hiesigen Bevölkerung ist schwierig – nicht nur wegen der sprachlichen Barriere. Das Aufeinander-Zugehen fällt beiden Seiten schwer.
Zunächst heißt es dann: „Warten“, in vielen Fällen jahrelang, bis der Status des Asylsuchenden geklärt ist. Die Betroffenen erleben Behringer zufolge eine extrem belastende Übergangszeit zwischen der Hoffnung, im Land bleiben zu können, und dem Bangen, nach all den Strapazen der oft jahrelangen Flucht, am Ende doch wieder in die zerrüttete Heimat abgeschoben zu werden. Um diesen Zustand zu erleichtern, sei Hilfe dringend nötig. Hilfe, die Ämter und Sozialpädagogen alleine nicht leisten können. Ehrenamtliche Integrationspaten sollen diese Situation auffangen helfen – auch im Landkreis Freyung-Grafenau.
Integrationspaten sollen bei der Eingewöhnung helfen
„Derzeit sind ca. 160 Asylbewerber im Landkreis untergebracht, davon rund 120 in einer Gemeinschaftsunterkunft und etwa 40 in mehreren so genannten dezentralen Einrichtungen. Die genauen Zahlen sind bis Jahresende nur schwer vorhersehbar. Die aktuelle Prognose durch die Regierung von Niederbayern geht von zirka 150 weiteren Asylbewerbern aus“, informiert Landrat Sebastian Gruber auf Nachfrage. Dezentrale Unterkünfte gibt es bereits in Thurmansbang, Mauth, Haidmühle und in Hohenau/Glashütte. „Überall finden sich Ehrenamtliche, die helfen wollen“, sagt Diplom-Pädagoge Martin Behringer – primär geht es dabei um die Vermittlung grundlegender deutscher Sprachkenntnisse. Das neugeschaffene Wort für diese Hilfsbereitschaft lautet: „Willkommenskultur“.
Behringer ist optimistisch, weitere Integrationspaten zu finden und benennt die Eigenschaften, die ein ehrenamtlicher Helfer mitbringen sollte: „Zeit, Geduld und eine gewisse Frusttoleranz sind für einen Integrationspaten unerlässlich“, zählt er auf. Knapp zwanzig Interessierte wollen sich über das Integrationspaten-Projekt informieren – „bisher leider nur sehr wenige“. Hilfsbereitschaft für einen fremden Menschen aufzubringen, der unmittelbar nichts zurückgeben kann, ist viel verlangt in unserer heutigen Welt. Zu viel verlangt? „So viel Zeit hab ich sowieso nicht, da brauche ich mich gar nicht erst zu informieren…“, denken sicher viele. „Der zeitliche Rahmen, in dem das Amt ausgeübt wird, kann individuell verschieden sein“, erklärt Behringer auf Nachfrage eines Interessenten. Es sei sinnvoll, dass man das Amt gemeinsam mit seinem Partner ausübe, so dass eine gewisse Kontinuität und Verlässlichkeit gewährt werden kann.
Ehrenamt gesucht? In drei Schritten zum Integrationspaten
Die Qualifizierung zum Integrationspaten verläuft laut Behringer in drei Etappen. Zunächst finden Einzelgespräche mit den Interessierten statt, um deren Motivation und Erwartungshaltung zu besprechen. Denn eine realistische Erwartungshaltung sei für jeden essentiell. Danach wird im September eine Art Training mit einem didaktischen, interkulturellen und pädagogischen Teil stattfinden. Dort wird außerdem besprochen, wie man sich abgrenzen kann, wenn Themen wie Traumata und erlebtes Kriegsgeschehen aufkommen. Dann erst erfolgt eine Art „Matching“: Wer passt zu wem? In Vernetzungstreffen können sich die Ehrenamtlichen austauschen. Ein verantwortungsvolles Ehrenamt, bei dem viele – auch wegen des großen Mentalitätsunterschieds – Bedenken haben. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten, sich Menschen aus zunächst fremden Kulturen zu nähern.
Eine andere Form der Begegnung ist das im März neu gegründete Asyl-Café in Grafenau. Hier können sich Einheimische und Asylbewerber bei Kaffee und Kuchen treffen: Alle 14 Tage am Freitagnachmittag im Gemeinderaum der Christuskirche (derzeit ist gerade Ramadan-bedingte Pause). Gisela Scherer, Mitveranstalterin des Asyl-Cafés, erzählt, dass die Asylsuchenden zunächst nicht freiwillig kämen – auch hier gäbe es eine gewisse Hemmschwelle. „Wir würden ja auch nicht einfach so in die Moschee zum Tee gehen. Also fahren wir runter zur Unterkunft und fragen, wer mitkommen will. Dann fährt man eben ein paar Mal, bis zwanzig bis dreißig Leute im Gemeinderaum sind. Wir haben ein paar Deutsche, die kommen – auch mit Kindern. Und die Asylsuchenden sind begeistert, denn dort erleben sie dann einfach eine gewisse Normalität.“
„Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ (Karl Valentin)
„Dort kommt es zu guten Gesprächen, viele Asylanten und deren Lebensgeschichte kennt man jetzt schon. Wenn man sich in der Stadt trifft, grüßt man sich und plötzlich bekommt ein Fremder einen Namen und eine Geschichte – und ist nicht mehr fremd“, berichtet die evangelische Pfarrerin Sonja Schuster, die gemeinsam mit Gisela Scherer das Asyl-Café ins Leben gerufen hat. Im September öffnet es wieder seine Türen – und vielleicht schaut dann der ein oder andere mehr vorbei, lässt sich auf eine fremde Begegnung ein und fragt sich beim Heimgehen, warum er das noch nicht früher gemacht hat.
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- Aktuelle Termine des Asyl-Cafés in Grafenau: www.evangelisch-grafenau.de
- Sie wollen Integrationspate werden? Melden Sie sich einfach bei Martin Behringer (Dipl.-Pädagoge), Volkshochschule des Landkreises Freyung-Grafenau, E-Mail behringer@vhs-freyung-grafenau.de oder Telefon 08552-9665-0.
Nadine Vogl