Marchhäuser. „Wenn Echtheit und Wahrhaftigkeit eine Heimat gefunden haben, dann im 300 Jahre alten Anwesen von Ingrid Haidl-Madl. Willkommen an einem Ort, der den wahren Luxus des 21. Jahrhundert beherbergt: Ruhe, Zeit, Behaglichkeit“, ist auf der Homepage der Haidl-Madls aus Marchhäuser, einem kleinen Ortsteil von Haidmühle nahe der bayerisch-böhmischen Grenze, zu lesen. Und ja! Wer schon einmal dort zu Besuch gewesen ist, auf 1.000 Metern über dem Meeresspiegel, kann die Richtigkeit dieser Aussage bestätigen. Es geht um Entschleunigung, um Frieden, ums Eins-Sein mit der Natur – ohne dabei auf die Esoterik-Drüse zu drücken. Das neueste Schmuckstück des Familienhofs: Die Ferienwohnung „Alte Liebe“, die mit zeitgemäßer Gestaltung und unter ökologischen Gesichtspunkten vom Passauer Architekten Bernd Vordermeier (33) entworfen wurde – und von einer unabhängigen Jury der bayerischen Architektenkammer für die diesjährigen Architektouren 2014 ausgewählt worden ist. Wer will, darf sich am kommenden Wochenende selbst von der Einmaligkeit des Bayerwaldhauses überzeugen.
„Einsamkeit gibt es nicht – auch keine Langeweile“, sagt Ingrid Haidl-Madl überzeugt. Sie ist die Eigentümerin und „gute Seele“ des Anwesens, das die Themen „(Ferien-)Wohnen“ und „Einrichten“ unter einem Dach vereint. Sie muss es wissen. Die 49-Jährige ist dort geboren, lebt schon lange mit ihrem Mann Lothar in dem altehrwürdigen Gebäude, ihrem Elternhaus. Vor rund zwei Jahrzehnten hat es die gelernte Fernmelde-Technikerin, nachdem sie beruflich fernab des Bayerwalds zu tun hatte, wieder zurückverschlagen in den Woid, nach Marchhäuser. Und das Haus hat sich im Laufe der Zeit zu ihrem Lebens- und Arbeitsmittelpunkt entwickelt. Sie und Lothar sind damit verschmolzen, haben sich dort nach ihren Vorstellungen eingerichtet. Arbeitsmittelpunkt auch deswegen, weil das Haus für die beiden nicht nur als Wohnung dient, sondern als Präsentierraum für ausgewählte Designer-Möbel und Einrichtungsgegenstände, die vor Ort begutachtet, „getestet“ und auch gekauft werden können.
„Das Einfach und Ehrliche, das Wertige und Bodenständige“
Ihr zweites, hausinternes Standbein, bilden die mit viel Liebe zum Detail geschaffenen Ferienwohnungen, die sie an Menschen vermieten, „die das Einfache und das Ehrliche, das Wertige und Bodenständige suchen“, wie Ingrid Haidl-Madl erzählt. Leute, die nicht den Wellness-Urlaub per se wollen, sondern die auch gerne mal Kompromisse eingehen – ohne den Komfort einer Mini-Bar oder eines Whirlpools. Die, die Wildnis des Bayerwalds nicht scheuen – und die Ruhe schätzen. Auch der Dichter Hermann Lenz hielt sich gerne Zeit seines Schaffens aus diesen Gründen in der Abgeschiedenheit dieser Gegend auf.
Ein Teil dieses Konzepts ist nun auch die „Alte Liebe“, die dort entstanden ist, wo einst die Eltern der 49-Jährigen zu Hause waren. „Alte Liebe“ heißt die Wohnung im Erdgeschoss deswegen, weil sie ein verbindendes Element zu Ingrids Vorfahren, ihren Eltern, zum Alten im Allgemeinen ist – und das Beständige verkörpern soll. In Zusammenarbeit mit Bernd Vordermeier wurde hier binnen eineinhalb Jahren das Bestehende zu einem Mikrokosmos aus betagten Zeitzeugen und zeitgenössischen Einflüssen umgebaut. Eine Kombination aus Alt und Neu – ohne dabei den Räumen ihren ursprünglichen Charakter zu nehmen. „Das, was hier geschaffen worden ist, konnte nur in Verbindung mit dem Ort entstehen“, so der Architekt.
Vor allem das Interieur ist es, das dem Betrachter der „Alten Liebe“, die sich aus einem Wohnbereich, Bad, Schlafzimmer sowie einer Küche zusammensetzt, sogleich im Gedächtnis haften bleiben. Etwa der Bakelitschalter aus längst vergangenen Tagen. Oder der grüne, gemütliche Kachelofen in der Ecke. Die alten Haken, an denen einst das Geräucherte zum Trocknen baumelte und heute die Pfannen hängen. Die Beistelltische, die Stühle, der Teppich, das Designer-Sofa aus Naturbaumwolle. Die Beleuchtungsprovisorium trägt sein Übriges zum Gesamtkonzept bei.
60 Quadratmeter voller Individualität, aus hochwertigen, unbearbeiteten Materialien gefertigt. Proportional alles bestens aufeinander abgestimmt. Die Hauptelemente: Holz (ausschließlich heimische Tanne), Glas und blanker Stahl. Der Putz an den Wänden ist aus naturbelassenem Kalk. Barfuß gehen ist hier angesagt. „Die Bewohner sollen sich intensiv mit den Räumen und sich selbst auseinandersetzen. Es geht nicht darum, sich berieseln zu lassen. Es geht darum, sich der Entschleunigung hinzugeben. Sie anzunehmen. Sich darauf einzulassen. Sie zu erleben“, erklärt Architekt Bernd Vordermeier mit ruhiger Stimme – und ergänzt: „Das Entscheidende hier ist das Persönliche. In allem steckt sehr viel Liebe und Handarbeit – und das merkt man mit jedem Atemzug.“
Einen Fernseher sucht man vergebens in der Ferienwohnung
Einen Fernseher sucht man deshalb auch vergebens in der Ferienwohnung. Stattdessen ist sie mit großen, fest-verglasten Fenstern mit verspiegelten Scheiben ausgestattet. Verspiegelt deshalb, damit die Umgebung von Marchhäuser beim Blick ins Innere reflektiert wird – und so der Eindruck entsteht, ein Gemälde des Bayerischen bzw. Böhmischen Waldes vor sich zu haben.
Lackierte Oberflächen sucht man ebenso vergeblich. „Alles soll in Würde altern können“, beschreibt Vordermeier die Idee dahinter. Wie zum Beispiel die Haustüre, die den konzeptionellen Charakter der Wohnung am besten repräsentiert. Sieben Hölzer aus dem Bayerischen Wald sind darin verbaut worden: Eiche, Birke, Weide, Esche, Ahorn, Buche und Kastanie. Sie sollen symbolisch gesehen die Bewohner des Hauses schützen.
„Is des net schee wor’n“, sagt Ingrid Haidl-Madl, streicht mit der Hand über die Wand neben dem Kachelofen. Sie lächelt zufrieden. Viermal hat sie selbst drübergeweißelt über die Wände, um sie so zum Strahlen zu bringen. Handwerkliches Talent bringt sie reichlich mit, was auch Bernd Vordermeier nur bestätigen kann. „Ehrlich gesagt: Anfangs war ich a bisserl skeptisch, ob wir das Projekt mit diesen hohen Ansprüchen, die die Haidl-Madls an den Tag gelegt haben, umsetzen können. Aber als ich dann miterlebt habe, wie Ingrid mitanpacken kann, waren die Zweifel weg.“
Gutes Gespür für alte Gemäuer: „Des is genau mei Ma!“
Geschlitzt, gestemmt und geschaufelt hat sie. Auch deshalb, weil sie von Anfang an das Gefühl hatte, dass Vordermeier der Richtige für diesen Job ist. „Er hat ein sehr gutes Gespür für alte Gemäuer und weiß, wie sich etwas entwickeln soll, dass Altes bewahrt werden und Neues entstehen kann. Ein Architekt, der mich und mein Vorstellungen verstanden hat“, weiß Ingrid Haidl-Madl zu berichten. „Des is genau mei Ma!“ Dieser Satz habe sich nicht umsonst während der Arbeiten zum geflügelten Wort gemausert – und verdeutliche die für ein solches Vorhaben notwendige Harmonie bei den am Projekt beteiligten Personen. „Es wurde sich mehr Zeit für gewisse Dinge genommen als bei anderen Vorhaben, die ich bis dato begleitet habe“, freut sich auch der 33-Jährige über das gute Miteinander. „Genau diese Ruhe, dieses Stressfreie, spiegelt sich im Gesamtkonzept wider.“
Stephan Hörhammer
Wunderbare Bilder, die den dazu passenden Text vervollständigen: ich bin schon ganz entspannt.