Curitiba/Freyung. „Das war doch klar“, sagt Karla Fuchs und schmunzelt. In ihrer Aussprache ist alles zu hören: Portugiesisch, Deutsch und Bairisch. „Wie gewohnt in letzter Minute sind die Stadien fertig geworden.“ Die gebürtige Brasilianerin weiß eben, wie ihre Landsleute ticken. Trotz der vielen Diskussionen im Vorfeld, ob das südamerikanische Land ein solches Großereignis wie die Fußball-WM 2014 überhaupt stemmen kann, konnte der Ball am Ende doch noch rechtzeitig rollen im Heimatland von Legenden wie Pelé, Zico oder Ronaldo. Derzeit wird um den Weltmeistertitel in Brasilien, im Land des Sambas, gekickt. Während der Großteil der Waidler der deutschen Nationalmannschaft die Daumen drückt, schlagen in Karla Fuchs‘ Brust zwei Herzen. Einerseits unterstützt die 42-Jährige freilich die Löw-Truppe – andererseits feuert sie die brasilianische Auswahl, die „Seleção“, an. In Brasilien, genauer gesagt in Curitiba, wurde sie geboren. In Freyung hat sie ihre neue Heimat gefunden.
Das Erstaunliche an der Geschichte von Karla Fuchs, geborene Cordeiro: Noch bevor sie überhaupt Deutschland kannte, an das ferne Land in Mitteleuropa denken konnte, hatte sie eine Verbindung zum Bayerischen Wald, genauer gesagt zu Finsterau in der Gemeinde Mauth. Dort nämlich erblickte Karlas Oma Frieda Selwitschka in den Kriegsjahren das Licht der Welt. Und dort lernte diese auch ihren späteren Mann, den Tschechen Wenzel Netuosil, der die Grenze zum Woid überwachte, kennen. Die junge Liebe wurde schon bald, in den Wirrungen der Nachkriegszeit, auf die Probe gestellt. „Noch in Deutschland wurde meine Mutter Frieda geboren. Später musste mein Opa flüchten. Über Nürnberg und Hessen sind die beiden dann irgendwie in Brasilien gelandet.“ Fern der Heimat und kein Geld – eine schwierige Zeit für die junge Familie. „Das Ganze spitzte sich zu, als mein Opa mit gerade mal 27 Jahren verstorben ist – den Grund habe ich nie erfahren.“ Die Folge: Karlas Mutter wurde an eine brasilianische Pflegefamilie übergeben, kehrte nie mehr wieder zu ihrer eigentlichen Familie zurück. „Sie spricht auch kein Deutsch mehr, ist Brasilianerin durch und durch“, sagt Karla Fuchs.
Erfolgreiche Suche nach den Waidler-Wurzeln in den 70ern
Ihre Wurzeln vergaß Frieda Netusil, später Cordeiro, dennoch nie. Im Gegenteil. In den 70er Jahren, Karla war schon geboren, fing sie damit an, ihre deutsche Familie, ihre deutschen Wurzeln aufzusuchen. Nach Stammbäumen wurde geforscht, Geburtsurkunden durchforstet. Ein schwieriges Unterfangen, denn in Brasilien lässt die Dokumentation solcher Daten Karle zufolge sehr zu wünschen übrig. Schließlich gestaltete sich die Suche aber doch erfolgreich: Die beiden Deutsch-Brasilianerinnen finden mit Maria Seltwitschka eine Verwandte in Freyung. „Genau an meinem Geburtstag, am 24. Juli 1998, ist der erste Brief aus Deutschland bei uns angekommen“, erinnert sich Karla Fuchs. „Das war natürlich ein super Geschenk.“ Erste Besuche im Bayerischen Wald folgten. „Ich war dann oft bei meiner Familie in Deutschland. Und irgendwann bin ich dann einfach geblieben.“
„Die Brasilianer sind herzlicher, unkomplizierter, offener“
Mittlerweile lebt Karla Fuchs seit 15 Jahren im Woid, genauer gesagt in Freyung, hat mit Mario Fuchs (43) einen Mann gefunden. Sohn Pedro (12) macht das Familienglück perfekt. „Bereut habe ich meinen Abschied aus Brasilien noch nie „, sagt sie überzeugt – stoppt kurz und fügt lachend hinzu: „Doch, im Winter, wenn es so kalt ist.“ Ihr kam zu Gute, dass der Süden Brasiliens, wo ihr Heimatort Curitiba liegt, eher europäisch geprägt ist. „Dieser Landstrich gehört definitiv zur Ersten Welt – im Gegensatz zu den nördlichen Teilen des Landes.“ Anschließend nennt sie einige Gemeinsamkeiten der beiden Länder – dazu zählen beispielsweise die Infrastruktur und die Wohnräume. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es aber auch viele Unterschiede. Vor allem hinsichtlich der Lebenseinstellung. „Die Brasilianer sind herzlicher, der Umgang ist unkomplizierter, die Menschen sind offener.“
Ein diplomatischer WM-Tipp: „Die beste Mannschaft wird gewinnen“
Genau deswegen glaubt Karla Fuchs auch, dass die Weltmeisterschaft friedlich vorübergehen wird. „Zum einen ist man vorbereitet, die Sicherheitskräfte sind gewarnt“, weiß sie, die erst vor einigen Monaten am Zuckerhut zu Besuch war. „Zum anderen werden die Menschen in den kommenden Wochen nur Fußball im Kopf haben.“ Denn: „Gleich nach Gott kommt der Fußball.“ Trotz der zweifelsohne vorhandenen Euphorie im Land möchte aber auch die 42-Jährige die dortigen Probleme nicht überspielen, nichts beschönigen. Offen kritisiert sie die Korruption in ihrem Heimatland und spricht auch die fehlenden Schulen und Krankenhäuser an. Selbst Fußball-Größen wie Romário haben diese Missstände im Vorfeld der WM angeprangert. „Ich verstehe die Einheimischen durchaus. In einem Fußballstadion kann man nun einmal nicht Kranke pflegen oder Kinder unterrichten.“ Nichtsdestotrotz freut sich die Brasilo-Waidlerin auf spannende Begegnungen und auf die Fußball-Begeisterung im ganzen Land. Auch sie hat ihr Wohnzimmer in ein grün-gelbes „Samba-Paradies“ verwandelt – und verfolgt freilich auch die Spiele der deutschen und brasilianischen Nationalmannschaften im Fernsehen. Wie es sich für eine temperamentvolle Südamerikanerin gehört, freilich mit reichlich Emotionen. „Da sind mir die Deutschen immer etwas zu still“, sagt Karla Fuchs schmunzelnd. Klarer Vorteil in Sachen Euphorie also für den Gastgeber. Dennoch möchte sie sich nicht festlegen, wer den WM-Pokal am Schluss in die Luft stemmen darf. Diplomatisch sagt sie: „Die beste Mannschaft wird gewinnen.“
Helmut Weigerstorfer