Maharony, Mahagoni, Nahorny – Nahořany. Ja, so geht es einem, wenn man vom Tschechischen keine Ahnung hat. Und nicht nur von der Sprache. Was wissen wir eigentlich von den Nachbarn – ohne jetzt mal an die herkömmlichen Klischees zu denken, die wir hier nicht nochmal wiederkäuen wollen? Was sind das für Leute? Was treibt sie um? Wie denken sie über Themen, die uns alle angehen? Und interessiert uns das überhaupt?

Feiern mit den Stars der tschechischen Alternative-Szene in der Scheune: Im Bild: Kritikern zufolge der beste tschechische Schlagzeugspieler Pavel Fajt mit Sänger Ondřej Anděra von der Band „W.W.W.“
Unterwegs in ein kleines Dorf namens Nahořany
Diese Fragen haben Stephan Hörhammer und Eva Müller umgetrieben, als sie sich vor Kurzem nach Nahořany aufmachten, um einem „Konzert für die Wildnis des Nationalparks Šumava“ beizuwohnen. Eingeladen hatte Antje Laux vom Bund Naturschutz (Kreisgruppe Freyung-Grafenau) per Pressemitteilung. Die Thematik: Šumava und der Bayerische Wald. Mit dabei: Bands, die in Tschechien einen bekannten Namen haben, die hierzulande jedoch keiner kennt. Vorab geplant: Eine Diskussionsrunde mit Šumava-Nationalparkleiter Pavel Hubený und seinem bayerischen Pendant Dr. Franz Leibl, Bürgermeistern der Region, Beamten des tschechischen Umweltministeriums sowie Professoren der Naturwissenschaften. Klingt interessant. Los geht’s.

Ein alter Hof, ein altes Gasthaus und viel Unkonventionelles: Die Stimmung passte beim „Konzert für die Wildnis im Nationalpark Šumava“ in Nahořany, bei dem rund 500 Besucher zugegen waren. Sie haben diskutiert und sich bis in die Morgenstunden an der Live-Musik erfreut, haben getanzt und gefeiert.
Wir müssen Richtung Vimperk (Winterberg), Freyungs Partnerstadt, so viel wissen wir. Bis dahin erfreut unsere Augen viel Natur – viel waldigere Hügel, viel unberührtere Natur als im Woid auf bayerischer Seite, so scheint es. Dazwischen ordentlich große Kuhherden mit Kälbern, gemähte Wiesen, kleine Ortschaften, viele Kurven, moorige Landschaften mit Birken. Nahořany soll ein kleines Dörflein sein, rund zwölf Kilometer außerhalb. In welche Richtung, das wissen wir (noch) nicht. Also fragen wir in Vimperk, dieser alten, charmanten, morbiden Stadt, einen Mann, der dem Schauspieler Wolfgang Stumph zum Verwechseln ähnlich sieht, gerade vom Einkaufen kommt und laut eigenen Angaben kein Deutsch spricht, nach dem Weg. Es dauert, bis der Herr versteht, wohin wir wirklich wollen. Kein Wunder, wir sind der korrekten Aussprache des Dorfes nicht mächtig. Schließlich sind wir aber doch auf einer Höhe – er kann doch mehr Deutsch, als er zunächst behauptet und hilft uns freundlich weiter. Nach Čkyně sollen wir fahren, das sich auf Deutsch minimal leichter ausspricht: Kieselhof – und danach gleich links weg.
„Das Grundproblem in Tschechien ist, dass der Natinoalpark Šumava wesentlich größer ist als der Nationalpark Bayerischer Wald; dass es eine Seite gibt, die die Philosophie Natur Natur sein lassen ablehnt; dass sich einige tschechische Bürgermeister mit ihren Gemeinden, die sich derzeit im Nationalpark befinden, in ihrer Entwicklung eingeengt sehen; das sind alles Baustellen, die wir auf bayerischer Seite in dem Maße ja nicht mehr haben.“ (Dr. Franz Leibl, Vorsitzender der Verwaltung des Nationalparks Bayerischer Wald)
Sind wir richtig? Die Straße ist ein besserer Feldweg…

Pfingstrosenduft und wusliges Treiben an der Bar, Bier für einen Euro: So wird in Nahořany gefeiert.
Hindurch durch den Ort, der so verlassen wie nachlässig bewohnt wirkt. Hinter Čkyně kommt eine Tankstelle, danach ein Wegweiser, der anzeigt, dass es links nach Nahořany ginge. Aber das kann kaum stimmen – die „Straße“ ist ein besserer Feldweg?! Wir fahren zunächst einmal dran vorbei, erkennen aber dann doch, dass wir dem Weglein folgen müssen. Das tun wir auch, vorbei an blühenden Hollerstauden, prächtigen Wiesen, hindurch durch Kastanien- und Kirschbaum-Alleen, über die holprige, aber doch geteerte Straße, auf der an manchen Stellen nur ein Fahrzeug Platz hat. Darüber müssen wir uns jedoch keine Sorgen machen, da uns keiner entgegen kommt. Und auch keiner folgt. Sind wir richtig? Ist das überhaupt heute? Und wo ist Nahořany?
Irgendwann ist es dann da, das besagte Dörflein. Die Größe: vergleichbar mit Annathal. Oder Kirchl. Oder Oberndorf. Die Straße verengt sich nochmals, es wandeln alternativ aussehende junge Leute mit Bierbechern in der Hand herum, das Zentrum ist dicht beparkt – da muss es sein. Nur wo genau ist das Konzert? Wir treffen zwei Mädels mit Hunden, pludrigen Hosen und Dreads – und fragen. „Deutsch? Englisch?“ – „English!“ Da, neben der kleinen gelben Kirche, wo wir gerade eine junge Mutter auf einer Bank ihr Baby stillen haben sehen, daneben ist der alte Hof – und dort, dort ist es. „Thank you!“
Tschechisch: Wir verstehen nichts – die Zuhörer alles
Die Dichte an Dreads, Pluderhosen, jungen, freundlichen Gesichtern, Dritte-Welt-Umhängetaschen, Hunden und Kleinkindern erhöht sich. Hier ist es. Am Einlass ein kurzes Gespräch auf Englisch – und drin sind wir. Das hier ist ein alter, verlassener Hof mit Wirtshaus nebenan, der Putz bröckelt, die Holzverkleidungen hängen schief, aber hier ist es ideal. In allen Nischen stehen Vasen und Krüge mit Wiesenblumen und Pfingstrosen, die Menschen sitzen auf längst ausrangierten Couchen und Sesseln, an zu Tischen umfunktionierten Nähmaschinen, essen Bratwürste und trinken Bier. Es riecht nach Gegrilltem und würzigem Rauch, der aus den Mündern vieler Besucher quillt. Die Kinder wuseln herum, die Hunde auch – und die Menschen unterhalten sich herzlich und lebhaft. In einem Stadel wird diskutiert, da sitzen im Halbdunkel die oben genannten „Promis“, darunter Dr. Franz Leibl, der konzentriert seinem Übersetzer Pawel Storch, Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald und zuständig für die Koordination bayerisch-tschechischer Kontakte, lauscht. Von Pavel Hubený ist nichts zu sehen. Entweder war er bereits hier – oder er ist gar nicht gekommen? Wir wissen’s nicht. Die Sprache: Tschechisch. Wir verstehen nichts. Die Zuhörer alles.
„Es ist hier, wie wenn es Dissidenten um Václav Havel in den 1980ern organisiert hätten. Langhaarige Musikfreunde vermischt mit Professoren aller Richtungen, ehemaligen Politikern, zwei aufgeschlossenen Bürgermeistern, einigen Deutschen und neugierigen Einheimischen.“ (Ivan Adam aus Prášily, der die Proteste in Prag im Herbst 1989 miterlebte).
Wir finden kein gewöhnliches Publikum von der bayerischen Seite. Draußen steht zwar ein VW-Bus mit FRG-Kennzeichen. Wem der gehört, finden wir aber nicht heraus. Durch den Hof hindurch geht es hinaus auf eine Wiese. Hier haben schon einige übernachtungswillige Besucher ihre Zelte aufgeschlagen, weiter unten gibt es einen Lagerfeuerplatz, Menschen liegen im Gras, Hunde üben sich in Rudelbildung – und vor uns dringt die bairische Sprache dann doch noch an unsere Ohren. Es ist Karl Haberzettl, Vorsitzender des Bund Naturschutz der Kreisgruppe Passau mit seiner Begleitung.
Jetzt haben wir Durst und erstehen an einer der Bars Bier und Traubensaft für zwei Euro. Please the Trees, Traband und W.W.W. werden heute spielen. Auf der kleineren Bühne wird bereits gejammt, die Zuhörer quellen bei der Tür heraus. Auf der großen Bühne, wo vorher noch eifrig diskutiert wurde, richten sich die Musiker – da blitzt eine Tuba auf, ein Banjo ist zu sehen – und oben an der Decke baumeln bunte Schirme mit Figuren. Wir nehmen Platz auf einer Couch ganz hinten, die Band legt los und singt tschechisch. Wir verstehen wieder nichts. Und fühlen uns trotzdem wohl. Es ist stimmig, unkompliziert, gemütlich.
„Die Vision eines gemeinsamen Urwalds von morgen zwischen Šumava und Bayerischen Wald mit Elch, Luchs, Auerhuhn und attraktiven Angeboten für den Ökotourismus rückt wieder näher.“ (Jaromír Bláha, langjähriger Leiter der Waldkampagne des tschechischen Verbands Hnutí Duha & Karl Haberzettl vom Passauer Bund Naturschutz.)

Die Diskussionsrunde mit (v.l.) Zbyněk Klose (Bürgermeister von Kubova Huť), Libor Pospíšil (Bgm. von Prášily), Dr. Franz Leibl (Chef des Nationalparks Bayerischer Wald) sowie Dolmetscher Pavel Storch (Mitarbeiter Nationalparks BW). Foto: BN-Passau
„Auch bayerische Besucher sind herzlich willkommen“, hatte Antje Laux in ihrer Pressemitteilung verlautbart. Lieb gemeint – aber sie selbst ist nicht da. Und die bayerischen Besucher eben auch nicht. Weil es keiner gewusst hat? Weil keiner die Bands kennt? Weil es keinen interessiert? Wir fahren heim. Die Sprache war freilich auch für uns eine große Barriere. Aber keine unüberwindbare. Englisch geht immer, Hände und Füße haben wir auch. Unser Interesse ist geweckt. Wir wollen wissen, was unsere Nachbarn umtreibt. Soll ja kein Nebeneinanderherleben sein wie in einer schlechten Ehe.
„Es waren vor allem junge Menschen und junggebliebene Menschen, die sich dort eingefunden hatten. Der Grundtenor war, dass man insgesamt, euopaweit Verantwortung für dieses Waldgebirge hat, dass man durchaus mehrheitlich einen Nationalpark internationaler Prägung auch haben möchte im Šumava . Gleichwohl gab es vereinzelt auch Stimmen, die sagen: Man darf die Natur nicht ganz sich selbst überlassen, weil man sonst diese Borkenkäfer geprägten Waldbilder bekommt, die man optisch nicht so besonders findet.“ (Dr. Franz Leibl)
„Das ganze Fest, veranstaltet im Hof, Keller und großer Scheune der dortigen Dorfgaststätte, stand ganz im Zeichen des Aufbruchs“, wird wenig später in einer Pressemitteilung des Bund Natuschutz zu lesen sein.“ Aus Sicht der tschechischen und deutschen Naturschutzverbände kann man unter der neuen Führung im tschechischen Umweltministerium und an der Spitze des Nationalparks nun nach Jahren scheinbar machtloser Kritik und Proteste wieder auf mehr Naturschutz im Nationalpark Šumava hoffen.“ Klingt irgendwie optimistisch. Ob dem so ist, können wir (noch) nicht (genau) einschätzen – zu wenig wissen wir Hog’n-Reporter von dem, was dort, „drentahoi“ der Grenze, vor sich geht.
Und darum haben wir uns vorgenommen, für und mit Euch öfter mal „iwa d‘Grenz‘ driwazumschau“. Was interessiert Euch an Tschechien? Was wollt Ihr zum Thema aufm Hog’n lesen? Sagt uns Bescheid! info@hogn.de
Eva Müller und Stephan Hörhammer
Die Nationalparks im Vergleich
Biosphärenreservat Šumava (deutsch Böhmerwald)
- Landschaftsschutzgebiet ca. 100.000 Hektar, Nationalpark ca. 68.000 Hektar
- Gründung: 1963 Landschaftsschutzgebiet, 1991 Nationalpark
- Höchster Berg: Plechý (Plöckenstein), 1378 Meter
- Flüsse: Moldau, Otava
- Besucher: 770.000 (2008)
- Homepage: http://www.npsumava.cz/de/
Bayerischer Wald
- ca. 24.000 Hektar
- Gründung: 1970 als erster Nationalpark Deutschlands
- Höchster Berg: Großer Rachel, 1453 Meter
- Flüsse: Donau, Ilz
- Besucher: jährlich ca. 800.000
- Homepage: http://www.nationalpark-bayerischer-wald.de/
Gemeinsamkeiten
- Zusammen bilden die Nationalparks die größte zusammenhängende geschützte Waldfläche Zentraleuropas.
- Viel diskutierte Problematik: der Borkenkäfer