Freyung. „Das Internet vergisst nix“, sagt der Mensch leichthin – um dann doch wieder ganz Persönliches preiszugeben. Mittels oft unüberlegten Kommentaren seine Spuren zu hinterlassen und Fotos zu posten, die eigentlich besser in einem altmodischen Album aufgehoben sind, anstatt in der großen weiten Welt. Das Internet vergisst halt nix, das muss man schon wissen. Was drin ist, ist drin. Facebook ist das beste Beispiel dafür. Da wird nix vergessen – aber eben auch nix bemerkt, was nicht gepostet wird. Das Internet ist halt doch kein Mensch. Wenn Personen sterben, bleibt der Account bestehen. So ist das auch mit Peter Kaspars Facebook-Seite. Die gibt es noch. Der ehemalige Freyunger Bürgermeister erlag im Mai 2013 einem Herzinfarkt. Das scheinen jedoch manche Menschen nicht registriert zu haben. Jedenfalls bekam er an seinem Geburtstag, den 21. Mai, noch so manchen Glückwünsch an seine Facebook-Pinnwand übermittelt…
… auch wenn’s nichts mehr zum Jubeln gibt?
Da frage ich mich doch: Wie sozial ist ein solches Netzwerk eigentlich? Was sind das für „Freunde“, die nicht wissen, dass man nicht mehr am Leben ist und ihren Glückwunsch gewohnheitshalber an die Pinnwand klatschen, nur weil eben oben rechts angezeigt wird, dass da einer seinen Jubeltag hat – auch wenn’s nichts mehr zum Jubeln gibt? Wozu „pflege“ ich einen Kontakt, wenn mich der andere eigentlich überhaupt nicht interessiert?

Die Seite des ehemaligen Freyunger Bürgermeisters Peter Kaspar existiert nach wie vor auf der Social-Media-Plattform Facebook. Screenshot: Facebook/da Hog’n
Jetzt könnte ich ausschweifen und ganz generell fragen: Wozu ist Facebook gut? Warum hat es das Prädikat „sozial“ verdient? Was reizt uns Menschen daran, an diesem Netzwerk teilzunehmen? Und ja, genau das will ich. Jetzt wird ausgeschweift! Facebook reizt uns Menschen, weil wir neugierig sind. Wir finden es spannend, in den Leben der anderen herumzukramen und zu -schnüffeln. Weil wir uns gern vergleichen – ganz abgesehen davon, dass uns das nicht glücklich macht. Glück, Glück – was macht glücklich? Sozial sein macht glücklich. Aber halt wirkliche soziale Nähe. Das gute alte Treffen mit den echten Freunden. Face-to-face, host me? Keine Tastatur dazwischen, keinen Telefonhörer, kein Smartphone, kein nichts. Da erzähle ich nix Neues, ist schon klar…
Aufs Handy starren und die hungrige Ego-Sau füttern…
Ich persönlich achte darauf, nicht mehr als 100 Facebook-„Freunde“ zu haben. Mehr erlaube ich mir nicht, da mache ich mich unglaubwürdig – vor mir selbst. Mal schauen, ob ich das dauerhaft durchhalte – ich habe es zumindest vor. Diese „Freunde“ kenne ich auch alle im echten Leben. Aber zu längst nicht allen pflege ich den persönlichen Kontakt. Man ist „befreundet“, weil man sich halt kennt – irgendwie. Im echten Leben kann kein Mensch hundert Freunde haben. Wäre ja auch ein enormer Witz. Es reicht ja eh schon oft nicht mal die Zeit, die wirkliche Handvoll Freundschaften aufrecht zu erhalten, so übel das auch ist. Mit einer Facebook-Nachricht oder ein bisschen Geschreibsel auf anderem Weg – ja, damit wollen wir unser schlechtes Gewissen oft befriedigen. Weil dann doch wieder keine Zeit war auf einen Kaffee oder ein Telefonat. Ein paar Worte getippt, schlechtes Gewissen getilgt. Das kann’s ja wohl nicht sein! Aber so ist es leider allzu oft.
Facebook ist doch nichts anderes als eine riesengroße Ego-Maschine. Wir freuen uns über „Likes“, weil unser dummes Innerstes tatsächlich glaubt, das würde unseren Grad an Beliebtheit, Großartigkeit und was weiß ich anzeigen. Ein depperter Klick soll das also erledigen. Meine Güte. Wir freuen uns über Freundschaftanfragen aus denselbigen Gründen, obwohl wir die Anfrager oft nicht einmal tatsächlich kennen. Wir freuen uns, wenn’s rot ist oben rechts – weil wir dann eine neue Nachricht haben, weil wir wichtig sind. Und freilich – wir verbringen eine Menge Zeit damit, auf den Bildschirm oder auf’s Smartphone zu starren und eben unser Ego zu füttern, die hungrige kleine Sau…
Das Passwort, das haben wir mit ins Grab genommen…
Insgeheim wissen wir vielleicht, was für ein Haufen Affenkot das Ganze ist. Wir ahnen es, dass das doch nichts mit uns zu tun hat, dass wir bloße Selbstdarsteller in diesem Gefüge sind, deren Daten nebenbei schön missbraucht werden. Unsere Gehirne sind überfordert mit der Informationsflut, die ohnehin nichts Wichtiges für uns bereithält. Wir sind genervt und wollen die Neuigkeiten mancher Menschen gar nicht mehr sehen. Und doch holen wir es immer wieder raus, das Smartphone, wenden unsere Aufmerksamkeit von unserem realen Gegenüber ab, verhalten uns damit respektlos, unkonzentriert und völlig unmöglich. Aber: Es könnte sich ja was getan haben – vielleicht doch mal was wirklich, wirklich Wichtiges?
Und irgendwann ist dann nichts mehr wichtig. Wir sind tot. Aber unsere Facebook-Seite, die lebt weiter. Und wir erhalten Glückwünsche von unseren „Freunden“, die keine Ahnung haben, die nichts von unserem Schicksal wissen, die wohl auch zu Lebzeiten kaum was über uns wussten, die nicht auf unserer Beerdigung waren. Die selbst noch gefangen sind in diesem „sozialen“ Netzwerk. In dieser makabren Welt, in der wir uns nicht in die Augen schauen, nicht den Klang der Stimme des Gegenübers hören. Im schlimmst-besten Fall ist die Seite ein Memorial, ein Kondolenzbuch. Und wenn wir ganz ehrlich sind, ist die Facebook-Seite dann eigentlich nur noch eine Farce unseres eigenen Egos, ohne, dass wir noch etwas dagegen tun könnten. Denn das Passwort, das haben wir mit ins Grab genommen…
Eva Müller
Liebe Eva Müller,
Wenn Sie Facebook und unser digitales Erbe – tatsächlich überhaupt nichts Neues – so aufwühlt, warum tun Sie sich selbst keinen Gefallen und löschen Ihr FB Profil? Jetzt, selbst, eigenhändig und für immer. Greifen Sie zu Ihrem Festnetz Telefon, verabreden Sie sich mit ihren Freunden zum Kaffee und unterhalten sich über die gute, alte Zeit.
Sonst machen Sie sich unglaubwürdig vor sich selbst. Vor allem, wenn Sie Ihre Tirade bei einem online Magazin veröffentlichen, das jeden seiner Artikel mit Facebook likes verknüpft.