Potsdam. Die Ikonen des Mittelalter-Rocks, „Subway To Sally“ aus Potsdam, haben am 14. März ihr neues Album „Mitgift“ auf den Markt gebracht, das prompt auf Platz 5 in die Charts einstieg. In „Mitgift“ geht es diesmal um Mord, Totschlag und das Böse in uns. Subway to Sally wollen mit ihrem neuen Werk Einblick in die Psyche und die schwarze Seite des Menschen geben. Damit sie dies möglichst genau und realistisch wiedergeben konnten, gingen die Potsdamer eine enge Zusammenarbeit mit Kriminalpsychologin Lydia Benecke ein, mit der sie die einzelnen Fälle wissenschaftlich aufbereiteten.
„Mitgift“ ist ein donnerndes und wuchtiges Mittelalter-Gemetzel mit dem unverkennbaren Subway-To-Sally-Sound der letzten Jahre. Diesmal werden auch elektronische Beats eingesetzt, die den gruseligen Hintergrund verstärken. Ein Stilmittel, das die Band auf dieser Platte hervorragend einsetzt. Zudem produzieren die fein gespannten, lyrischen Texte eine schauderhafte Horrorkulisse, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt, weshalb die CD für junge Teenager noch nicht zu empfehlen ist. Hog’n-Mitarbeiter Jason Ditshej sprach mit Gitarrist und Textschreiber Michael „Bodenski“ Boden über die Entstehung von „Mitgift“ und die schwarze Szene.
Hotel als Foltermaschine: „Das ist das Haus aus Schmerz“
Hallo Bodenski! Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, Kriminalgeschichten zu vertonen?
So neu ist die Idee gar nicht. Wir haben schon auf früheren Alben über Mörder, Entführungen und Amokläufe gesungen. Diesmal wollten wir aber den kompletten Fokus auf solche Themen legen. Der Schlagzeuger und ich kämpften uns dabei durch etliche Verbrecherlexika und Bücher. Nach und nach haben wir damit die gesamte Band reingezogen. Auf der neuen CD finden sich nun Lieder zu aktuellen Fällen, aber auch ganz alte Sachen.
Habt Ihr Euch auch vermehrt Horror- und Kriminalfilme angesehen?
Der Horrorfilm ist ein eigenes Genre. Er hat mit der Realität nicht viel zu tun, außer dass er sich mit der dunklen Seite des Menschen beschäftigt. Wir haben das vielmehr journalistisch angepackt. Dabei geholfen hat uns die Kriminalpsychologin Lydia Benecke. Mit ihr sind wir immer tiefer in diese abgründige Welt eingestiegen.
Auf was habt Ihr bei der Auswahl der Geschichten geachtet?
In erster Linie sind wir eine Band, die Musik machen will. Man sucht die Sachen aus, die am besten funktionieren. Uns ging es nicht darum, die brutalsten Fälle auf CD zu pressen. Zu der Geschichte muss man als Band einen Zugang finden, um daraus ein Lied zu machen. Der Song „Haus aus Schmerz“ handelt von H. H. Holmes, der in Chicago ein Hotel als Folter- und Todesmaschine erbaut hatte. Um daraus ein Lied zu machen, brauchte es nur eine Zeile. Unser Schlagzeuger Michael hat einfach gesagt: „Das ist das Haus aus Schmerz.“ Damit war der Knoten geplatzt. Und so einen Moment gab es bei fast allen Songs.
„Der Sänger muss in die Rolle des Mörders schlüpfen“
Behandelt der Song „Haus aus Schmerz“ einen konkreten Fall aus der Vergangenheit oder der Gegenwart?
Ja, das ist ein realer Fall. (Anmerkung der Redaktion: Holmes baute Anfang der 1890er Jahre ein Horror-Hotel in Chicago. Darin gab es Falltüren, Geheimgänge, einen Keller mit Foltertisch, Säurebad und einen gasgefüllten Raum. Er gilt in den USA als einer der ersten Serienmörder und soll weit über 200 Personen in diesem Haus getötet haben.)
Bei jedem Song gibt es einen konkreten Bezug, der mal direkter, mal indirekter ist. Bei „Schwarzer Seide“ nimmt ein Mann seine verstorbene Frau wieder aus dem Mausoleum mit nach Hause, um mit der Toten mehrere Jahre zusammenzuleben. Bei der „Grausamen Schwester“ haben wir eine alte Mörderballade, fast schon Folklore, entdeckt. Das Lied hatte sich über die Jahrhunderte immer weiter verändert.
Wie hat sich die Kriminalpsychologin konkret in Eure Texte eingebracht? Gab sie Einblick in die Psyche der Mörder?
Ja. Das war genau der Punkt, der für uns sehr heikel war. Der Sänger hat in der Band die Funktion des Geschichtenerzählers. Bei einem Großteil der Lieder muss unser Eric also in die Rolle des Täters schlüpfen. Uns geht’s nicht um eine journalistische Arbeit. Wir wollen in die Fälle eintauchen! Wir wollen zur Psychologie des Menschen Fragen stellen! Warum tragen wir dieses Böse in uns? Eric nimmt das immer sehr ernst. Für ihn ist es eine große Herausforderung und Leistung, das vorm Mikrofon zu singen.
„Wölfe und Vampire sind Metaphern für die dunkle Seite“
Geht’s immer nur um die Psyche des Mörders? Oder werden auch die Opfer gewürdigt?
Wir wollen uns sowohl vom Opfer als auch vom Täter lösen. Es geht um die allgemeine Frage, was bei uns Menschen diese dunkle Seite hervorbrechen lässt. Wie nah liegen beispielsweise oft Liebe und Tod beieinander? Menschen töten aus Liebe oder Eifersucht. Eine frühere Liebe schlägt in Hass um. Wann überschreitet der Mensch diese dunkle Grenze? Wann setzt er seine mörderischen Fantastereien in der Wirklichkeit um?
Im Song „Warte, Warte“ gibt es die Zeile „Alle Wölfe und Vampire, alle Teufel sind nur dies: Menschen, die die Menschen jagen, diese Wahrheit ist gewiss“ – das ist so ein bisschen das Kernmotto. Unsere Kultur ist voll von solchen Bildern und Metaphern. Aber was sind denn wirklich Werwölfe? Heute haben wir diese Figuren in der Popkultur. In den aktuellen Teenie-Filmen liegen Vampire mit den Werwölfen im Clinch (lacht). Da wird eigentlich banalisiert, dass das im Grunde alte Metaphern sind. Bilder, die sich mit uns Menschen, mit der bösen Seite in uns allen, auseinandersetzen.
„Unser Rechtssystem fordert vom Täter Einsicht und Reue“
Beim Lied „In kaltem Eisen“ geht’s darum, dass der Mörder nicht mehr wusste, was er getan hat…
Ja, das war eine Affekthandlung. Lydia hatte selber mal einen Fall, wo ein Mann mit seiner Frau Streit hatte. Er schubste sie gegen die Wand und verließ darauf sein Haus. Als er zurückkam, wartete schon die Polizei auf ihn. Der Mann hatte einen Filmriss und fragte die Polizisten, was sie denn hier machten. Die Polizisten aber wollten von ihm wissen, was das letzte war, an das er sich erinnern konnte. Er antwortete nur, dass er Streit gehabt hatte. Später stellte sich heraus, dass die Frau beim Schubsen gestorben war. Der Mann hatte sie danach noch ins Schlafzimmer gebracht und sie ins Bett gelegt. An diesen Teil konnte er sich nicht mehr erinnern. Sein Gehirn hatte alles nach dem Streit komplett ausgeblendet.
Könnte das nicht auch gefährlich sein, wenn jemand diesen Text liest und falsch interpretiert? Es könnte eine Anstiftung dazu sein, als Täter auf verrückt und nicht mehr zurechnungsfähig zu plädieren …
Der Mann wurde ja verurteilt. Er ist im Kerker, er wird die Sonne nicht mehr sehen. Das entspricht auch unserem Rechtssystem: Er ist geschnappt worden, er ist verurteilt worden. Aber er empfindet trotzdem Einsicht und echte Reue. Deshalb haben wir bei unseren Texten ziemlich viel Wert darauf gelegt, dass wir immer sehr korrekt bleiben. Wir wollen nicht an die Opfer erinnern, blenden aber nie aus, dass das Opfer auch das Opfer ist.
„Vielleicht wusste er, dass er eine todkranke Frau heiratet“
Bei den Songs „Schwarze Seide“ und „Für Immer“ kann man auch Trauerbewältigung heraus interpretieren…
Bei „Schwarze Seide“ geht es um den Arzt Carl von Cosel aus Florida, der um das Jahr 1930 eine Kubanerin geheiratet hatte. Seine Frau erkrankte an Tuberkulose und starb kurz nach der Hochzeit. Die Leiche der jungen Frau hat er dann mit nach Hause genommen und mit ihr weiter gelebt. Weil er Arzt war, besaß er auch die Fähigkeit, sie zu konservieren. Aber was ist das jetzt? Eine Form von Liebe, die den Tod überdauert? Ist es Nekrophilie? Oder einfach eine Sauerei?
Offizieller Videoclip zu „Schwarze Seide“
Trauer spielt natürlich auch eine Rolle. Aber es könnte von ihm auch kalkuliert gewesen sein: Vielleicht wusste er, dass er eine todkranke Frau heiratet und sie bald sterben wird. Er schuf sich dann ein Idealbild einer Frau, die weder vor ihm weglaufen noch ihn emotional enttäuschen konnte. Außerdem konnte sie auch nicht mehr altern. Trotzdem kann man die Geschichten auch anders interpretieren und den Fokus anders setzen. Auch bei der Trauerbewältigung. Jede Interpretation eines Textes ist richtig, da sie immer subjektiv ist.
„Man hat das Gefühl, als wären wir im Fitness-Studio gewesen“
Kann man in der Phase des Songwritings bei solchen Themen überhaupt noch schlafen? Ist man da emotional nicht sehr aufgewühlt?
In der Tat! Man sieht überall Fälle, Fälle und Fälle. Man liest viele Bücher dazu, sieht sich einen Film oder eine Dokumentation an. Dabei taucht man sehr tief ein. Aber man kann das nie so dicht an sich ranlassen, dass einem im übertriebenem Sinne der Schlaf entginge. Das darf nicht sein! Ein Kriminalpsychologe, der sich mit solchen Tätern beschäftigt, kann das ja auch nicht. Glücklicherweise verlangt der Musikeralltag von uns auch ganz andere Dinge. Das hilft dann wieder, die Füße auf den Boden zu kriegen.
Setzt Ihr auf Eurem Album neue Soundeffekte oder Stile ein, um die Mördergeschichten zu verarbeiten?
Unsere Frage war: Was hat es in den letzten Jahren für musikalische Neuentwicklungen gegeben, mit denen man sich lohnenswert auseinandersetzen könnte? Unser Gitarrist hat sich viel mit Dubstep beschäftigt. Weniger mit Sounds, sondern mit Rhythmik und Tempi. Bei einigen Parts auf dem Album hört man das ganz deutlich.
Und dann wollten wir auch mal mit jemandem zusammenarbeiten, der aus dieser Szene kommt und deutlich jünger ist als wir. So kam es zur Zusammenarbeit mit Cop Dickie. Mit ihm haben wir dann angefangen, Files hin- und herzuschicken. Also mal eine recht frische Zusammenarbeit für dieses Album! (lacht) Die Platte klingt schließlich eindeutig nach Subway To Sally, aber man hat das Gefühl, als wären wir im Fitness-Studio gewesen. Sie ist neu, aufregend – und relativ cool für eine Band, die schon 20 Jahre existiert.
„Wir-Gefühl in der schwarzen Szene ist heute differenzierter“
Gehen wir mal weg vom Album und betrachten Euren Kultstatus als Ikonen der schwarzen Szene. Wie seht Ihr deren Entwicklung in den letzten Jahren?
Eher entspannt. Wir schreiben weder den Künstlern noch den Fans vor, was sie spielen oder hören sollen. Will ein Musiker erfolgreich sein, braucht er Fans, die die Alben kaufen. Momentan kann man das beim Grafen von Unheilig sehr gut beobachten. Erfolg und Musikbusiness lassen sich nicht auf dem Reißbrett planen. Bei unserem Vorgängeralbum haben wir deutlich gesagt, dass wir uns in der schwarzen Szene verankert sehen.
Man kann den kommerziellen Erfolg und den Mainstream auch nicht per Knopfdruck beschließen und sagen: Das machen wir jetzt. Wir können und wollen uns nicht einfach verbiegen und ändern, was wir 20 Jahre zuvor gemacht haben. Das große Wir-Gefühl der Anfangsjahre – diese Harmonie innerhalb der Szene, die sehr tolerant war – das ist heute etwas differenzierter. Es gibt in der schwarzen Szene Nischen, die nicht mehr so liberal auf andere Richtungen reagieren. Wer eher Electro hört, der kann eben mit Mittelalter-Rock nicht so viel anfangen und umgekehrt. Dennoch ist die Entwicklung, dass eine größere Breite da ist, eher positiv zu sehen.
Als toleranter Mittelalter-Rocker hörst du sicherlich zur Entspannung auch mal andere Musik …
Ja klar! Vorwiegend skandinavische Songwriter, die mir schöne Geschichten erzählen. Also nicht dunkel und nicht hart.
Lieber Bodenski, vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Jason Ditshej
Vielen Dank für dieses interessante Interview. Leider ist Ihnen ein kleiner Fehler unterlaufen, der Song über den Verbrecher, der wegen des Mordes an seiner Geliebten im Gefängnis sitzt heißt nicht „Im Alten Eisen“ sondern „In kaltem Eisen“, es wäre schön, wenn Sie das ausbessern würden.
Hallo Silke,
Danke für den Hinweis! Ist ausgebessert :-)
Klasse Interview, ich bin beeindruckt!
Schade, dass Ihr nicht den Song „Dein Kapitän“ angesprochen hat. Der ist mir auf dem Album (neben „Grausame Schwester“, wozu man aber viel im Netz findet) sofort am stärksten aufgefallen und ich frage mich ernsthaft, was es da für eine Hintergrundgeschichte gibt
…