Ich werde gesucht! Ein ganzer Zeitungsartikel nur für mich…
Eggenfelden. So ein Trubel! Ich bin noch immer ganz… aufgewühlt, rotwangig und erstaunt. Ein ganzer Zeitungsartikel – ja, ein Kulturaufmacher in der Zeitung mit den drei Buchstaben. Die suchen mich! „Wer ist Fräulein Weiler“ fragte sich da der Feuilleton-Chef Raimund Meisenberger. Oh, wenn der wüsste… Wissen Sie, ich bin ein Mysterium, das ist nun offiziell. Und wie es Mysterien so an sich haben, verpuffen sie in Schall und Rauch, sind sie erst einmal gelüftet. Das mag ich nicht. Ich – Fräulein Henriette Weiler – bin eine Frau wie Sie, ein Mensch wie Sie. Ich habe meine Ansichten, die ein gewisser Kreis sehr zu schätzen weiß. Das macht mich froh, mein Ziel scheint erreicht. Ich schreibe mit dem Herzen – und ich folge dabei der Aufforderung Rudolf Augsteins: Schreiben, was ist! Sie staunen, dass ich als Laiin Rudolf Augstein, den Gründer des Spiegels, kenne? Nun hören Sie mal…
Ich ziehe Erlebnisaufsätze fachspezifischen Ergüssen vor
Wissen Sie, bevor ich Ihnen von der Fledermaus erzähle, die ich am Wochenende im Brauhaussaal in Pfarrkirchen gesehen habe, möchte ich Ihnen noch etwas sagen, was mir sehr wichtig ist. Herr Meisenberger hat mich „Jubelkritikerin“ genannt. Das ist falsch – und zwar gleich doppelt. Erstens sehe ich mich nicht als Kritikerin. Nun ja, in den krimigleichen Diskussionen auf der Facebook-Seite des PNP-Kulturchefs konnte man ja wenig später lesen: „Das sind doch keine Kritiken, sondern Erlebnisaufsätze.“ Ganz genau so sehe ich das auch. Ich schreibe, was ich denke, fühle, mit den Sinnen wahrnehme. Und das ist viel. Ich lasse mich nicht auf Fachsimpeleien ein. Dazu bin ich weder qualifiziert noch habe ich Lust darauf. Und: Meine Leser danken mir genau das.
Haben Sie gewusst, dass das Feuilleton von nur rund einem (oder waren’s doch vier?) Prozent der Zeitungsleser überhaupt beachtet wird? Und noch weniger lesen die Artikel und Kritiken dann tatsächlich bis zum Ende. Eine Schmach ist das für alle beflissentlichen, siebeng’scheiten Schreiberlinge. Aber mal ehrlich: So lange das Feuilleton den Anspruch erhebt, für eine kleine Elite zu schreiben, wird das wohl so bleiben. Oder vielleicht legt der klassische Kritiker ja auch gar keinen Wert darauf, gelesen zu werden und hat nur selbst eine riesengroße Freude an seinen fachspezifischen Ergüssen? Auch denkbar. Da halte ich es lieber anders und erzähle Ihnen frei vom Herzen weg, was ich erlebt habe. Denn das wollen Sie ja wissen, wenn Sie sich für das Stück interessieren, nicht wahr? Sie wollen doch nicht wissen, ob die Schauspieler mit fein strukturiertem Melos überzeugen, expressive Synergieeffekte auf die Reihe kriegen oder ob wütende Streichertremoli zu hören waren und dabei gleichzeitig Gefahr laufen, in Bleiwüsten zu verdursten?
Ich juble nicht nur, ich lache, weine, staune, erschrecke …
Jetzt erst kommt das Zweitens: Ich, die „Jubelkritikerin“? Ich juble nicht nur. Ich lache, weine, gebe mich ins Geschehen hinein, ich staune, erschrecke, stelle mir Fragen, verstehe nicht alles, ich durchlebe die Aufführungen. Ja, das tue ich. Nicht jedes Stück schleicht sich mit mir ins Bett. Freilich werte auch ich. Dennoch nehme ich in erster Linie wahr. So unvoreingenommen, wie es eine Laiin eben kann. Schön ist das. Und dann erzähle ich Ihnen davon. Nicht mehr – und nicht weniger.
Wenn der Pfarrkirchener Brauhaussaal zur Bühne wird …
Dann können Sie sich jetzt ja getrost über die Zeilen hermachen, die sich Ihnen im Folgenden bieten. Wie gesagt, ich hab mir „Die Fledermaus“ angeschaut, die Strauss-Operette. Wie Sie wissen, bin ich weder opern- noch operetten-affin. Aber Sie wissen ja auch, dass das nichts macht. Wie begeistert war ich doch von meinem ersten Operettenerlebnis – der Polnischen Hochzeit! Und ich sag’s Ihnen gleich: Von der Fledermaus bin ich mindestens so beschwingt heimgegangen. Vergleichbar sind die beiden Aufführungen allerdings überhaupt nicht…
Denn: Die Fledermaus im Brauhaussaal ist interaktiv. Ich sitze mit einer lieben Freundin an einem gedeckten Tisch. Langsam füllt sich der wunderschöne Saal aus dem frühen 19. Jahrhundert. Da gibt es Bögen, Galerien, Fenster, dicke Leuchter – eine festliche Großzügigkeit, ausgestrahlt mit buntem Licht. Die Darsteller gehen umher, pusten Luftschlangen über die Köpfe, blasen in kleine Tröten, singen sich ein bisschen „warm“, wechseln Worte mit den Gästen. Vorne gibt es eine Bühne, ein runder Bogen, eingelassen in die Wand – und da ist in der Mitte noch eine Bühne, ausgestattet nur mit einem Bett, dessen Decke sich bereits interessant wölbt. Genau betrachtet ist der ganze Saal eine Bühne, denn was wäre diese Fledermaus ohne Publikum?
… feiert man hier eine interaktive Fledermaus!
Christiane Boesiger schlägt im Bett liegend auf die Triangel – und los geht’s. Die Musiker scharen sich um sie, dann ist sie weg, dafür räkeln sich die Bedienungen auf der Schlafstätte und lassen sich „anspielen“, bevor sie die Gäste wieder mit Getränken versorgen. Ja, hier sitzt man nicht nur da und konsumiert Theater, hier gilt es auch, das Glas zu erheben. Denn: „Trinke Liebchen, trinke schnell – Trinken macht die Äuglein hell!“ Und ehe man sich’s versieht, haben die Bedienungen doch wieder anderes im Sinn und fordern zum Walzer auf. Nun trinkt und tanzt das Publikum – wie herrlich!
Das Geschehen treibt sich wie von allein voran, die Augen folgen den Darstellern, den Musikern, die Ohren lauschen den Stimmen und Instrumenten – und das Herz schwingt sich von einer Melodie zur nächsten. Dabei fällt mir nicht gleich auf, dass es eigentlich keine Handlung gibt. Und wen stellen die Spieler eigentlich dar? Ich kann es nicht herausfinden, zumal ich die Fledermaus ja auch nicht kenne. Aber macht das was? Absolut nichts macht es. Ich schmelze dahin wie die Haferflocken in meinem morgendlichen Porridge. Dafür verantwortlich sind vor allem die Musiker von Folksmilch, die ein Können an den Tag legen – hast Du nicht gehört!
Folksmilch: Ein beschwingter Klangkörper der Spitzenklasse
Klemens Bittmann und seine Violine sind ein Paar. Was er seinem Instrument an geschmeidigen Tönen entlocken kann, hach… Mit Saiten hat er’s – das beweist er, wenn er die Mandola zupft. Und dann bringt er auch noch seine Stimmbänder zum Schwingen und singt derart glockenhell, dass ich lachen muss – und mir gleichzeitig die Tränen in die Augen schießen. Und gleich am Anfang rappt er mit umgedrehtem Käppi. Tatsächlich! Eddie Luis schaut aus wie ein stiller, verschmitzter Charmeur. Seinen Kontrabass transportiert er behende durch den Saal, wenn er ihn nicht gerade streicht, zupft oder schlägt. Singen kann auch er – tief und klar. Milos Milojevics Mund und seine Klarinette sind wie gemacht füreinander. Der Schalk blitzt ihm aus den Augen – und wie wandelbar sein Instrument klingen kann, beweist er an diesem Abend einmal nach dem anderen. Christian Bakanic spielt Akkordeon und oft ganz unbemerkt Percussion, wenn er auf der hölzern-blechernen Box sitzt, die später auch noch von Christiane Boesiger mit roten Samt-Highheels bearbeitet wird. Er ist der Ruhige mit Brille, der gelassen sein Instrument in den beschwingten Klangkörper integriert.
Christiane Boesiger: Diva, Zicke und sanfter Engel mit Leidenschaft
Und wie hört sich nun das Ganze an? Wie eine Kiste voll mit Musik. Ganz klassischer Walzertakt, spanische Rhythmen, Balkan-Pop, Tango, ach, einfach so schön… Und womit wird die ergänzt? Natürlich mit den fabelhaften Stimmen der Darsteller. Christiane Boesiger – ihr trällernd-hoher Arienton klingt noch heute in meinem Ohr. Sie spricht wie ein sanfter Engel, kreischt und weint wie eine Zicke, singt mal divengleich, mal wunderbar samtig, lacht und jubelt (!) und versprüht in allem Lebensfreude, Feuer und Leidenschaft. Ihr knallrotes Kleid müsste das gar nicht mehr unterstreichen, wenngleich es ihr herrlich steht und ihr Dekolletee fabelhaft zur Geltung bringt. Sie ist ein Wahnsinnsweib und sexy und sympathisch, sie wirft mit Konfetti um sich, zieht Gesichter – die mag ich. Wenngleich vielleicht auch aus anderen Gründen, wie die Herren des Abends… Einer muss dran glauben, als sie mit zwei sprinkelnden Champagnergläsern durch das Publikum schreitet. Da hat’s ihn schon. Sie schmeichelt ihn an, setzt sich auf seinen Schoß, nimmt ihn bei der Hand, führt ihn mit sich und wirft ihn aufs Bett. Drückt ihn nieder, setzt sich auf ihn drauf, zieht ihm die Schuhe, den Pulli aus. Er ist wehrlos, macht aber – sagen wir mal – nicht ganz unglücklich mit. Und sie? Sie kann nicht anders.
Manpower: Roland Wagenführer und Karl M. Sibelius – unvergleichlich!
Roland Wagenführer gibt den vernünftigen Gegenpart zu seiner emotionalen Spielerin ab. Im schicken „Sommer-Stoiber“ redet er auf seine Zicke ein, verzehrt sie aber dann gleichzeitig mit Leidenschaft, streicht ihr österreichischen Schmäh ums Mäulchen, gibt den beleidigten, gehörnten Liebhaber – und singen tut er freilich auch! Und zwar schön. Und Karl M. Sibelius? Ja, genau, der Intendant des Hauses ist auch dabei. Man merkt es ihm nicht an, diesen Stress, den er die Tage erlebt. Nach Trier will er weiterziehen… Wissen Sie, ich hoffe ja immer noch, mich mal bei einem Käffchen mit ihm ganz persönlich unterhalten zu können… Dieser Karl M. Sibelius jedenfalls, der feiert heute mit. Und zwar im weißen Satin-Schlafanzug, barfüßig. Er singt schön, er singt sehr schräg, er singt herzberührend, schaut unschuldig, keck und frech, lässt sich von Christiane Boesiger aufs Bett schmeißen, schafft es, Roland Wagenführer zu besänftigen, spielt den Vermittler, den Scherzenden.
Tambosis Konzept klappt: Die Mitmach-Operette ist ein Fest!
Diese Spielerei ist gespickt mit komödiantischen Elementen. Da beschwert sich Christiane Boesiger, dass es jetzt Zeit würde, die richtige Fledermaus zu spielen, da verwechselt sie mal eben Pfarrkirchen mit Eggenfelden und Ober- mit Niederbayern. Und Roland Wagenführer besteht darauf, dass da ein ordentlicher Verriss geschrieben wird über so eine aus dem Ruder laufende Fledermaus. Und Karl M. Sibelius? Der zankt sich mit Christiane Boesiger um seine Lieblingsarie „Ha, ha, ha“ und fragt ganz nebenbei, ob ich – ja ich! – auch anwesend sei. Ich aber bin still und werde ein bisschen rot. Und dann geht das rauschende Fest auch schon weiter…
Dem Publikum gefällt’s. Sie klatschen zwischendrin, sie klatschen im Takt, sie jubeln (!), sie lachen und sie spenden einen Schlussapplaus, der lange nicht verebbt und eine Zugabe provoziert. Sie feiern mit. Das Konzept von Regisseur Olivier Tambosi ist aufgegangen. Er steht selbst etwas im Hintergrund und kann sich kaum halten, würde wohl am liebsten selbst mittendrin sein. Er wollte eine Mitmach-Operette, ein Fest. Das hat er bekommen – und das Publikum ist ihm dankbar. Meiner Freundin hat’s gefallen. Wir gehen noch auf ein Glas Wein in eine nette Bar am Stadtplatz hinter dem Wimmer-Ross und in meinen Ohren klingen noch immer die Melodien. Ich freue mich und bin ein wenig wehmütig zugleich. Warum muss man die Leute immer erst zu ihrem Glück überreden? Und dann schweife ich ab und erinnere mich: Ich hatte mal eine Fledermaus im Haar. Sie schwirrte im Dämmerlicht um eine Burgruine herum und landete in meiner Frisur und ich weiß nicht, wer mehr dabei erschrak. Eine Fledermaus im Haar – bringt das Glück? Fest steht: Eine Brauhaus-Fledermaus im Ohr auf jeden Fall.
Ihr Fräulein Weiler