„Die meisten jungen Leute wissen überhaupt nicht, wie das mit dem Wählen geht“, sagte mir vor ein paar Tagen Leo, ein ehemaliger Praktikant. „Schreibt doch da mal was!“ Okay, hier eine Wahlanleitung (nicht nur) für Neu- und Erstwähler. Sie wird Euch vielleicht Spaß machen, aber manchen Parteien gar nicht gefallen. Im Fachjargon heißt das System, das ich hier empfehle, Panaschieren (bunt mischen, Kandidaten über die Parteilisten hinweg aussuchen) und Kumulieren (häufeln, jedem 1 bis 3 Stimmen vergeben). Die Schweizer kennen das auf allen Ebenen, in Deutschland gibt’s das nur bei Kommunalwahlen und nicht einmal in allen Bundesländern. Ein Beitrag unseres Partnerblogs Bürgerblick Passau.

100 Namen auf fünf Listen – Bürgerblick-Herausgeber Hubert Denk erklärt, wie Ihr den Überblick gehalten könnt. Foto: Stadt Freyung
„… und ihr habt Lust darauf, Euer Parlament zu gestalten“
Liebe Freunde der freien Presse, ich wette mit Euch, dass Freyung-Grafenau und seine Landkreiskommunen diesmal die höchste Wahlbeteiligung in Bayern haben werden. Warum? Weil Ihr nach dieser Gebrauchsanleitung voll Lust darauf habt, Euer Stadt- oder Gemeindeparlament ganz nach Eurem Geschmack zu gestalten. Es ist (fast) wie bei „DSDS“. Ihr werdet am Wahlabend mitfiebern, wie Eure Kandidaten abgeschnitten haben, ob sie den Sprung in den Gemeinde- oder Stadtrat geschafft haben.
- Erste Regel: Vergesst das Listenkreuz! Es empfiehlt sich nicht, bei der Stadtrats-/Gemeinderatswahl die Liste einer Partei oben anzukreuzen. Warum? Es wäre das K.-o.-Kreuz für eine Reihe von Gestaltungsmöglichkeiten, für die ganze Wählermacht, die Ihr besitzt: Ihr dürft nämlich bei der Kommunalwahl (und leider nur da) nicht nur ein lächerliches Kreuz machen, sondern seid Chef von so vielen Stimmen wie Euer Parlament Sitze hat (Beispiel Stadtrat Freyung, 20 Stimmen).
Sehr wichtig: Bei der Vergabe der Stimmen nicht verzählen!
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Viele Parteien, viele Gesichter, viele Möglichkeiten – deshalb ist es sinnvoll, die Briefwahl zu nutzen.
Nutzt lieber noch die Briefwahl, damit Ihr Zuhause in Ruhe wählen könnt. In der Wahlkabine habt Ihr keine Zeit, um den Wahlschein entspannt auszufüllen, die Stimmen korrekt nachzurechnen oder Euch beispielsweise auf Facebook oder Google ein Bild von einem Kandidaten zu machen. Warum Ihr Zeit braucht, werdet Ihr gleich merken.
- Bastelt Euch ein ganz persönliches Stadtparlament oder Gemeindegremium. Teilt die Zahl Eurer Stimmen (steht oben auf dem Wahlschein) durch 3 – das ist die Mindestzahl der Kandidaten, die Ihr braucht, um alle Stimmen zu verteilen. Das wären in Freyung (20 Stimmen) sechs Kandidaten mit je drei Stimmen und der 7. mit 2 Stimmen. Oder maximal 20 Kandidaten, denen Ihr je 1 Stimme gebt. Dazwischen habt Ihr hunderte Möglichkeiten. Absolut wichtig ist, dass Ihr Euch nicht verzählt. Wenn Ihr eine Stimme verschenkt, nicht so schlimm, aber wenn ihr eine zu viel vergebt, ist der Wahlschein ungültig. Am besten bereitet Ihr die Stimmenvergabe auf einem extra Zettel vor und kontrolliert mit dem Taschenrechner.
- Nutzt Euer Stimmenpotenzial voll aus! Jeden Eurer Wunschkandidaten könnt Ihr also mit 1 bis 3 Stimmen stärken. Ihr findet sicher Frauen und Männer, die ihr vom Namen her vielleicht sogar persönlich kennt und sympathisch findet. Dass ihr niemanden kennt, ist fast ausgeschlossen. Am Beispiel der Freyung Stadtratswahlen: Es stehen fünf Parteien mit rund 100 Namen auf dem Wahlschein.
- Bei jedem Favoriten oder Euch bekannten Namen stellt Ihr Euch die Klassensprecherfrage: Würdet Ihr ihm zutrauen, Eure Anliegen zu vertreten? Ist er ein Typ, der auch für Schwächere und unpopuläre Maßnahmen eintreten würde, der nicht nur selbst gut dastehen und sich wichtig machen will, der keine eigenen Vorteile sucht?
Wer sagt, dass Ihr Euch auf eine Parte beschränken sollt?
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Lasst Euch nicht von der Reihenfolge der Namen beeinflussen, wie sie die Parteien vorgeben
Lasst Euch nicht von der Reihenfolge der Namen beeinflussen, wie sie die Parteien vorgeben. Und überhaupt: Wer sagt, dass Ihr Euch auf eine Partei beschränken sollt? Nicht selten überschneiden sich unsere Standpunkte mit mehreren Parteiprogrammen. Die einen kümmern sich vorbildlich um Naturschutz oder Freiheitsrechte, bei anderen ist die soziale Ader oder der Wirtschaftssinn mehr ausgeprägt.
- Gebt diese Gebrauchsanleitung an mindestens drei Freunde und Bekannte weiter und ermuntert sie, auch so mitzumachen. Demokratie ist viel spannender, als nur ein Kreuz zu vergeben.
- Warum wählen so wichtig ist? Weil diese Männer und Frauen darüber entscheiden, wie sich Euer persönliches Umfeld in den nächsten sechs (!) Jahren verändert, entwickelt. Ob die Straße vor Eurem Haus ein Tempo-30-Schild oder eine dritte Fahrspur bekommt, ob die Kneipe um die Ecke um 1 oder um 3 Uhr zusperren muss, ob günstig Bus fahren wichtig ist oder eine neue Wasserrutsche im Hallenbad, ob ein Freizeitpark gebaut wird oder ein neues Gewerbegebiet. Diejenigen, die Ihr zum Gemeinde- oder Stadtrat wählt, haben mehr Rechte als jeder Normalbürger: Sie dürfen eigene Anträge stellen und über Anträge der anderen abstimmen. Sie sollten im besten Sinne unsere Volksvertreter sein.
Wir Wähler sind ja nicht Stimmvieh, sondern mündige Bürger
Sich sein eigenes Rathaus zu basteln ist also fast so spannend wie „Sim City“. Wenn jeder von Euch mindestens drei Freunde oder Bekannte einlädt es ebenso zu machen, also Schneeballsystem wie bei der Bierrunde, dann kommt garantiert frischer Wind ins Land. Gut, manche Parteien ärgern sich vielleicht, dass ihre Pläne durchkreuzt werden, die Wunschkandidaten der Funktionäre vielleicht nicht ans Ruder kommen. Aber wir Wähler wollen ja nicht Stimmvieh sein (1 Kreuz und fertig), sondern mündige Bürger. Eine gute Wahl wünscht Euch
Hubsi, der Bürgerblickherausgeber
P.S.: Der Bürgerblick hat schon gewählt und seine 44 Stimmen auf Kandidaten von sieben der acht Passauer Stadtrats-Listen verteilt, auf stürmische Junge und weise Alte, auf Frauen und Männer, denn die Mischung macht’s. Welche Partei ich ignoriert habe, müsst Ihr leider raten.