München. Vor Weihnachten hat das Onlinemagazin „da Hog’n“ den drei Landtagskandidaten des Landkreises Freyung-Grafenau geschrieben: Wer am schnellsten auf die E-Mail antwortet, wird einen Tag bei seiner Arbeit begleitet. Nach genau einer dreiviertel Stunde war eine Antwort von Max Gibis (CSU) da, Platz zwei ging an Bernhard Roos (SPD), Dritter war Alexander Muthmann (Freie Wähler). Nun war es soweit: Ein Tag im bayerischen Parlament mit nicht-öffentlichen Sitzungen, wenig Zeit zum Essen und Orchideen – und Hog’n-Mitarbeiterin Katharina Brunner wich dem früheren Mauther Bürgermeister nicht von der Seite. Aber der Reihe nach …
8 Uhr, Arbeitskreissitzung
Drei Minuten braucht Max Gibis zu Fuß von seinem Apartment am Wiener Platz zum Landtag. An der Ostpforte meldet er seinen Besuch an: „Alles zu Ihrer Zufriedenheit, Herr Gibis?“, fragt der Sicherheitsmann. Mit drei Kollegen prüft er in einem Kabuff die Besucher, in der Ecke lümmelt ein Polizist in Uniform auf einem Bürostuhl. Auf dem Umhängeschild, das Besucher für ihren Aufenthalt tragen müssen, steht: „Ausgabe nur gegen einen gültigen Lichtbildausweis“ – offenbar nicht notwendig, wenn der Abgeordnete selbst an der Pforte mit dabei ist.
Max Gibis ist erst seit vier Monaten Mitglied des Landtags. Bei den Landtagswahlen im Herbst kam er über einen Listenplatz ins Parlament. Plötzlich war Gibis nicht mehr Bürgermeister der Gemeinde Mauth, sondern Landespolitiker in München.
Über knarzende Holzstufen geht es in die Empfangshalle, dorthin wo sich auf den Treppen mit rotem Teppich die Besuchergruppen aufstellen, um Erinnerungsfotos zu machen. In der Gaststätte des Landtags ist noch nichts los, nur vereinzelt kommen Männer in Anzügen in den runden Raum, an dessen Wänden Postkartenansichten aus jedem Regierungsbezirk hängen, aus Niederbayern der Donaudurchbruch. Auf Antenne Bayern gröhlt Miley Cyrus „Wrecking Balls“. Schon bald muss sich Max Gibis verabschieden: Arbeitskreistreffen zur Innenpolitik, eine nicht-öffentliche Sitzung.
Während Gibis und seine Kollegen diskutieren – ausnahmsweise auch zusammen mit Innenminister Joachim Hermann, erwacht das Maximilianeum zum Leben: Große Putzwagen werden durch die edle Eingangshalle geschoben, auf einem Stehtisch hinter einer Säule warten vom Vortag noch leere Weingläser und Reste eines Fruchtsalats. Ein lebensgroßer Jesus an einem Kruzifix und Büsten von antiken Prominenten können beobachten, wie kistenweise kleine Orchideen auf Sackkarren vor den Eingang des Plenarsaals geschoben werden: Ein Verband will unter den Politikern Werbung für Landesgartenschauen machen.
Auffällig: Die Leute im Maximilianeum sind wohlerzogen, es wird fleißig gegrüßt, Hände werden geschüttelt. „Guten Morgen“ aus dem Bayerischen Landtag.
10 Uhr, CSU-Fraktionssitzung
Zwei schwarze Limousinen mit ausgeschaltetem Blaulicht stehen im Hof. „Der Chef ist da“, sagt Gibis, der seine Zigarette ausdrückt. Ministerpräsident Horst Seehofer, seine Sicherheitskräfte und Journalisten versperren den Zugang zum Aufzug. „Dann nehmen wir lieber die Treppe, auch wenn’s vier Stockwerke sind.“ Auf dem Weg nach oben erzählt Gibis von den ersten Monaten im Amt: „Das war schon hart als Neuling. Man muss sich ja um alles selber rant’n. Aber grad unter den Niederbayern hilft man sich.“ Bald will er in seinem Büro in Freyung eine Person für Organisatorisches einstellen, damit sich sein wissenschaftlicher Mitarbeiter auf die inhaltlichen Aufgaben konzentrieren kann.
Oben angekommen, bleibt Gibis neben einem Pult an der Tür stehen. „Als erstes muss ich mich noch in die Anwesenheitsliste eintragen“, sagt er, zückt einen Stift und sucht seinen Namen. Wer unentschuldigt fernbleibt, muss Strafe zahlen: 100 Euro bei einer Plenarsitzung, das Schwänzen einer Fraktionssitzung ist günstiger.
Die niederbayerischen Abgeordneten nehmen traditionell gegenüber der Eingangstüre Platz, an einem der beiden Arme der u-förmig aufgestellten Tische. Dort wartet schon Helmut Radlmeier, CSU-Abgeordneter aus Landshut. Er grüßt Gibis freudig. „Der Max und ich, wir sind ein Team“, sagt Radlmeier, der wie Gibis im Herbst neu in den Landtag gewählt wurde. Die beiden sitzen nebeneinander. An jedem Platz liegen neben einem Mikrofon die Themen der Fraktionssitzung. Dringlichkeitsanträge, die kurzfristig in die Parlamentsdebatte am Nachmittag aufgenommen werden. „Das sind immer die Themen, die gerade in den Nachrichten sind“, sagt Gibis. Heute: Stromtrassen und Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 an dem Gymnasien. Die Meinung der Fraktion zu den Themen wird in der Sitzung diskutiert – hinter verschlossenen Türen.
Doch der Beginn der Sitzung verzögert sich um ein paar Minuten. Im Pressebereich vor den Fraktionssälen erklärt Horst Seehofer einem Pulk Journalisten seine Wenden bei der Energiepolitik. „Ja hätten Sie das letzte Woche so gesagt, dann hätten wir es gleich verstanden“, sagt ein Journalist, in der Hand ein Mikrofon mit Sat1-Logo. Seehofer legt dem Journalisten bei seiner Widerrede väterlich die Hand auf die Schulter. Beiden Seiten scheint das Spiel zu gefallen: Den Journalisten, die ihren Fragen scharf formulieren. Seehofer, der seine ausführlichen Antworten forsch in die iPhones, Kameras und Blöcke diktiert.
12 Uhr, Mittagspause
Hunger hat er bestimmt, der Gibis Max, aber in der Gaststätte ist alles voll. „So viel ist sonst nicht los“, stellt Gibis fest. Mehrere Besuchergruppen stehen in der Eingangshalle, klar erkennbar an ihren farbigen Anhängern um den Hals. Männer ab dem mittleren Alter aus dem Allgäu sind an ihrem Dialekt identifizierbar. Sie verstopfen die Treppe, besetzen die Tische in der Gaststätte und deuten mit dem Kopf an, in welcher Richtung sie wieder einen Spitzenpolitiker erkannt haben, der sich durch die Menge quält. Kein Wunder, dass sich Horst Seehofer mit dem neuen CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer lieber ein Stockwerk darüber unterhält.
Gibis will die Zeit nutzen und mir seinen Platz im Plenumssaal zeigen. Bevor er hinein gehen kann, wird er in der Vorhalle aufgehalten: Er bekommt eine der Orchideen, die morgens dort drapiert wurden. Sein Name steht auf dem Töpfchen. Für jeden der 180 Abgeordneten ist ein solches Präsent vorbereitet – zusammen mit einer Infobroschüre. Ein kleiner Mann mit Glatze will Gibis die Landesgartenschau schmackhaft machen. Gibis muss ihn enttäuschen: „Wir haben die dieses Jahr schon in unserer Region.“
Die Glastüre des Sitzungssaals hält ein Angestellter mit dunkelrotem Jacket auf. Gibis ebenfalls dunkelroter Stuhl ist direkt hinter dem Eingang. „Wer neu dabei ist, muss sich erst mal nach vorne arbeiten“, meint er grinsend. Gibis legt seine Unterlagen und seine Blume ab, er hat nicht vor, von Anfang an bei der Parlamentsdebatte dabei zu sein. Ein wichtigerer Termin steht an.
13 Uhr, Treffen mit Innenminister Joachim Hermann
Ein informelles Treffen mit dem Innenminister, so etwas passiert nicht oft. Kurzfristig wurde deshalb auch Landrat Ludwig Lankl (CSU) nach München beordert. Es geht um die Ilztalbahn. „Das muss man schon ausnutzen, wenn sich der Minister Zeit nimmt“, meint Gibis. Er verpasst dadurch eine namentliche Abstimmung zum Streit um das G8.
13 Uhr, Plenum
Parallel zu Gibis‘ Hintergrundgespräch beginnt die Parlamentssitzung. Die Abgeordneten gedenken einem verstorbenen Kollegen und klatschen aus Dank für die Orchideen. Tatsächlich ist das Plenum wahrscheinlich nur selten so blumig wie an diesem Tag: Vor fast jedem Kopf blüht es weiß oder violett.
Zwei große Themen sind an diesem Nachmittag dran: Die Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 an den Gymnasien und die Energiepolitik. Das Bildungsthema interessiert nicht viele, mehr als die Hälfte der Abgeordneten ist nicht auf ihrem Platz. Das hat Gibis schon prognostizert: „Die meiste politische Arbeit passiert in den Ausschüssen und den Arbeitskreisen. Die Argumente hat man dann schon hundertmal durchgekaut.“ Interesse an einer öffentlichen Debatte hätte vor allem die Opposition, um ihre Themen vor der anwesenden Presse zu setzen.
Für die Abgeordneten scheint das Parlament in erster Linie Unterhaltung zu sein: Die Fronten sind klar, die Argumente auch. Es wird getuschelt, mit Papieren geraschelt, dazwischengerufen. Kaum anders als in der Schule – egal ob G8 oder G9. Seehofer sitzt auf dem Platz des Ministerpräsidenten, grinst süffisant in die Runde und holt sich ein Bonbon nach dem anderen aus einer lila Ricola-Schachtel. Er wartet auf seinen Auftritt.
14 Uhr, Seehofer spricht
Eine Stunde nach Beginn der Plenumsdiskussion kommt Gibis hinzu, pünktlich zur Rede des Ministerpräsidenten Seehofer. Das erste Mal kehrt Ruhe ein. Seehofer spricht zur Energiepolitik. Brav klatscht die CSU-Fraktion gemeinsam nach markanten Sätzen Beifall. Der Fraktionsführer der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, ruft immer wieder dazwischen. Irgendwann ist es Seehofer genug: „Wissen Sie, Herr Aiwanger, die lautesten Kühe geben die wenigste Milch.“ Das Parlament, die Besucher auf der Empore und die Presse – alles lacht. Die CSU gröhlt am lautesten, klatscht Beifall, klopft oder haut auf die Tische. Nach wenigen Sekunden finden die CSU-Abgeordneten in einen gemeinsamen Takt und machen eine halbe Minute weiter (Video, ab Minute 18:30).
Die Gegenrede hält Thorsten Glauber von den Freien Wählern, der den Witz auf Kosten Aiwangers aufnimmt: „Herr Ministerpräsident, als ehemaliger Landwirtschaftsminister sollten Sie eigentlich wissen, dass sie mit dem Aiwanger einen Stier oder einen Ochsen vor sich haben – und die geben keine Milch.“ Die Journalisten auf der Empore lachen, schütteln die Köpfe ob des Unterhaltungswertes und hacken die Sätze in ihre Computer.
15 Uhr, Mittagspause
Kurz nach Seehofers Rede ist Zeit, das Mittagessen nachzuholen. Bei einem Paar Debrenziner, einer Breze und einer Cola erzählt Gibis von seiner Arbeit: „Kommunalpolitik ist die beste Vorbereitung. In beiden Ämtern arbeitet man sieben Tage die Woche von frühmorgens bis spätabends und ein Termin jagt den nächsten.“
Als nach der Wahl sein Arbeitsplatz nicht mehr das Rathaus in der Mauth, sondern das Maximilianeum in München war, musste er sich wenigstens nicht um eine Wohnung in der Landeshauptstadt kümmern. Man kann sich als Abgeordneter aussuchen, ob man eine Wohnung oder ein Büro will. „Ein Büro rentiert sich in München für mich nicht. Die Tage sind sowieso voller Sitzungen.“ Gibis betont, dass er selbstverständlich Miete zahlen muss. An den sitzungsfreien Tagen arbeitet er von seinem Büro in Freyung aus. Besonders am Herzen liegt ihm der Breitbandausbau, bei dem er versuchen will, dass möglichst viele Gemeinden an einem Förderprogramm teilnehmen.
Nach dem Essen gibt Gibis „Plenum TV“ ein Interview. Diese Gespräche werden dann in den Regionalsendern der Abgordneten ausgestrahlt. Es geht um die Situation der Lehrer und Energiepolitik – beides keine Schwerpunktthemen von Gibis. Wie bleibt er auf dem Laufenden? „Man muss versuchen, so viel wie möglich zu lesen, auch Zeitung. Aber was in der Presse steht, stimmt auch nicht immer hundertprozentig“, sagt er grinsend. „Deshalb kriegen wir auch noch Informationen von der Fraktion.“ Dann geht er wieder in den Sitzungssaal. Gibis will nicht auch die zweite namentliche Abstimmung verpassen.
15:30 Uhr, Maximilianstraße
Für mich ist Feierabend. Für Max Gibis und seine Kollegen wird der Arbeitstag noch bis hinein in den Abend gehen: Die Plenarsitzung dauert bis 18:50 Uhr, danach steht noch ein Treffen mit der sogenannten Jungen Gruppe an, der CSU-Parlamentarier unter 40 Jahren angehören: „Da bin ich grad noch so reingerutscht.“ Je nachdem wie lange das dauern wird, fährt Max Gibis noch am gleichen Abend zurück oder erst am nächsten Morgen. Im Gepäck des Landtagsabgeordneten ist dann die Orchidee: „Es ist ja bald Valentinstag.“
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Zum Thema Energie im Landtag am 5. Februar 2014:
- Die Rundschau des Bayerischen Rundfunks erklärt den Zusammenhang beim Streit um die Stromtrassen: Energiewende in Bayern: Stromstreit auf dem Rossmarkt und im Landtag
- Protokoll und Unterlagen zur 10. Plenarsitzung des Bayerischen Landtags am 05.02.2014 Wichtig: Man muss links das richtige Datum auswählen.
- Ein Kommentar von Ulrich Schäfer in der Süddeutschen Zeitung: Zweifeln und Zaudern bei der Energiewende