Ruhpolding/Breitenberg. Olympia-Sieger, Weltmeister, Weltcup-Sieger – der Skispringer Michael Uhrmann gehört zweifelsohne zu den Größen des Wintersports. 2011 hat er seine Karriere beendet, mittlerweile ist der 35-Jährige Skisprungtrainer an der Bundespolizei-Sportschule Bad Endorf. Im Interview mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ spricht der Polizeihauptmeister aus Breitenberg (Lkr. Passau) über seine Anfänge auf der Baptist-Kitzlinger-Schanze in Rastbüchl und über seine erfolgreiche Karriere. Außerdem wirft er einen Blick auf die umstrittenen Olympischen Spiele in Sotschi, die am 7. Februar beginnen.

Medaillen-Sammler: Michael Uhrmanns bisherige Erfolge können sich sehen lassen. Die Bilanz: Gold und Silber bei Olympischen Spielen sowie Gold, Silber und zwei Mal Bronze bei Weltmeisterschaften.
„Dass einer von null auf 100 die Tournee gewinnt, ist nicht normal“
Michi, die Vierschanzentournee hat die deutschen Skispringer auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Mit Andreas Wellinger landete der beste deutsche Adler auf dem zehnten Rang. Deine Meinung zu den Resultaten?
Die Erwartungen im Vorfeld waren sehr hoch, weil die Mannschaft gute Vorleistungen abgeliefert hatte – wir haben mehrere Podestplätze und einen Sieg durch Severin Freund verbuchen können. Und so hätte es bei der Vierschanzentournee freilich weitergehen sollen. Doch das war leider nicht der Fall. Enttäuscht bin ich deswegen aber nicht. Ich war selber lange genug dabei und weiß, wie schnelllebig das Geschäft ist. Ein gutes Beispiel: Ein paar Tage nach der Tournee hat Andreas Wellinger sein erstes Weltcup-Springen gewonnen, Richard Freitag und Marinus Kraus waren in Zakopane auf den Plätzen drei und vier.
Wieder hat mit dem Newcomer Thomas Diethart ein Österreicher die Tournee gewonnen. Woher nimmt die Alpenrepublik immer wieder diese Ausnahmetalente?
Österreich ist seit jeher eine Skisprung-Nation, die stetig gute Nachwuchs-Athleten ausbildet. Da können die besten B-Kader-Springer sofort im Weltcup um die vorderen Plätze mitspringen. Dass einer aber von null auf 100 die Vierschanzentournee gewinnt, ist nicht normal – sowas hat es noch nie gegeben. Es ist aber keineswegs so, dass es sowas bei den Deutschen nicht geben könnte. Unsere Mannschaft ist jung. Bis auf Michi Neumayer wird die jetzige Mannschaft lange zusammen bleiben, sich weiterentwickeln und auch irgendwann Erfolge bei der Tournee feiern können.
Noch heute hat Michael Uhrmann den Schanzenrekord in Klingenthal inne. Hier der Sprung:
Wohin geht die Reise der deutschen Ski-Adler?
Schon in den vergangenen zwei Jahren ist es stetig bergauf gegangen. Zudem hat ein Generationswechsel stattgefunden. Vorher waren Georg Späth, Martin Schmitt und ich im Team (lacht). Obwohl wir zum Schluss nicht mehr ganz so gut waren, haben wir immer unsere Team-Medaillen geholt. Leider waren wir jedoch selten in der Lage, bei Großereignissen im Einzel ganz vorne zu landen. In der jetzigen Mannschaft sehe ich in dieser Hinsicht mehr Athleten, die das schaffen können.
Auch bei den Olympischen Spielen in Sotschi?
Im Mannschaftswettbewerb ist eine Medaille möglich – auch im Einzel ist Edelmetall realistisch. Die Weltspitze ist aber eng zusammen, da können viele aufs Podest springen.
Dein Teamkollege beim WSV-DJK Rastbüchl, Severin Freund, ist derzeit das DSV-Aushängeschild. Ist er der deutsche Top-Springer?
Severin hat in den vergangenen Jahren stets konstante Leistungen gezeigt – er kann immer um Siege mitkämpfen. Er ist unser Vorzeige-Mann, ganz klar. Schade, dass er bei der Tournee das nicht zeigen konnte. Dennoch ist er ein Top-Athlet, der auch bei Olympia auf das Podest springen kann.
„In der Breite sind wir nicht mehr so gut aufgestellt wie früher“
Hast Du zu ihm ein besonderes Verhältnis, weil ihr in der selben Region aufgewachsen seid?
Ich habe eigentlich zu allen deutschen Springern ein gutes Verhältnis. Ich freue mich für jeden unserer Athleten, wenn sie eine gute Leistung zeigen. Gewinnt Severin, freue ich mich für die Region und für den Verein. Ich verstehe mich sehr gut mit Severin, obwohl wir nur selten Kontakt haben – uns trennen ja auch mehr als zehn Jahre.

Verantwortung: Bei den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver war Michael Uhrmann Schlussspringer der deutschen Mannschaft – und sicherte Silber.
Ein Durchhänger bei den Biathleten, bei den Skispringern ist ein Podestplatz möglich, die Langläufer laufen nur hinterher. Wird Sotschi 2012 ein deutsches (Medaillen-)Desaster?
Überhaupt nicht! In der Breite sind wir vielleicht nicht mehr so gut aufgestellt wie in der Vergangenheit. Man muss aber auch beachten, dass in den vergangenen Jahren viele Wintersport-Stars ihre Karriere beendet haben. Magdalena Neuner, Kati Wilhelm, Uschi Disl oder auch Martina Glagow (Anm. d. Red.: Jetzt Martina Beck) hatten immer das Potenzial, auf dem Podest zu landen – solche Hochkaräter kann man nicht einfach so ersetzen. Genauso ist es zum Beispiel im Eisschnelllauf. Und beim Langlauf hatten wir mit Axel Teichmann, Rene Sommerfeldt & Co. einfach ein kleines Hoch. Den Skispringern kann man schon was zutrauen. Generell gilt: Wir haben dennoch eine starke Mannschaft in Sotschi. Und es zählen nicht immer nur Medaillen …
„Während der Spiele sollen die Sportler im Vordergrund stehen“
Diskussionen um das Homosexualitäts-Gesetz, Anschläge rund um den Austragungsort – Deine Meinung zu Russland und dem Austragungsort Sotschi?
Es ist gut und richtig, dass diese Themen aufgegriffen werden, keine Frage. In Russland sind einige Dinge nicht so, wie sie sein sollten. Jetzt dann, wenn die Olympischen Spiele beginnen, soll aber das Sportliche im Vordergrund stehen. Es wäre schade, wenn während der Spiele andere Themen wichtiger sind – das haben die Athleten nicht verdient. Für jeden Sportler, der teilnehmen wird, ist Olympia eine besondere Sache – das möchte man genießen.
Weiterhin sind Olympische Spiele für Dich was besonderes, wie man hört.
Absolut. Ich war dreimal bei einem solchen Großereignis dabei – und dreimal war es einfach super. Sicher ist auch eine Vierschanzentournee etwas Besonderes – aber diese zwei, drei Wochen während der Spiele übertreffen alles. Es ist das Größte für einen Sportler, dort eine Medaille zu gewinnen.
Wie würdest Du die oft zitierte besondere Atmosphäre während dieses Wettbewerbes beschreiben?
Als Skispringer ist die Stimmung etwas anders wie für die übrigen Athleten. Zugegeben: In Willingen, Zakopane oder auch am Kulm sind mehr Zuschauer, eine bessere Stimmung. Bei Olympia sind nicht so viele Besucher, es herrscht aber einfach eine besondere Atmosphäre. Als Sportler ist es insofern außergewöhnlich, weil Du für diesen Wettbewerb vier Jahre trainiert hast. Freilich ist auch das Leben im Olympischen Dorf einmalig – dort hat man Kontakt zu Sportlern aller Disziplinen. Es ist einfach ein wunderbares Gefühl, bei diesem Ereignis dabei sein zu dürfen.
Der 41-jährige Japaner Noriaki Kasai zählt immer noch zu den Siegspringern im Weltcup-Zirkus. Angesichts dieser Leistung: Eigentlich könntest Du bei den kommenden Olympischen Spielen auch noch dabei sein…
Eher nicht (lacht). Ich bewundere Noriaki Kasai für seine Leistung, ich gönne ihm seine Erfolge. Aber es ist wohl besser, dass ich nicht mehr dabei bin. Ich habe meine aktive Zeit beendet – und das ist auch gut so.
Wirst Du in Russland bei den Wettbewerben vor Ort sein?
Nein. Der Unterricht an der Bundespolizei-Sportschule in Bad Endorf geht ja weiter…
„Rückblickend sage ich: Ich habe mir meine Träume verwirklicht“
Dort bist Du Skisprung-Trainer.
Genau. Ich freue mich natürlich sehr darüber, dass mit Marinus Kraus ein Skispringer aus unserer Trainingsgruppe bei den Spielen dabei sein wird. Ich habe aber als Trainer bei der Bundespolizei-Sportschule neben Marinus noch andere, zum Teil jüngere Sportler, die betreut werden müssen – sei es im Heimtraining oder bei den Wettkämpfen im Continentalcup. Und Ende März beginnt auch schon wieder die schulische Ausbildung bei uns.
Du bist also Nachwuchs- und Stützpunkttrainer?

Der Preis für den Erfolg: „Während meiner Jugendzeit musste ich auch auf viele Dinge verzichten, die für einen Heranwachsenden normal sind.“
Ich bin Skisprung-Trainer und -Ausbilder an der Bundespolizei-Sportschule. Die Trainingsgruppe der Skispringer wird hier ganzjährig betreut. Der Zeitraum der vierjährigen polizeilichen Ausbildung ist jeweils auf die Sommermonate gelegt, wobei auch hier das Training nicht vernachlässigt wird. Im Winter können sich die Sportler auf die Wettkampfsaison fokussieren. In Sotschi werden mehr als 20 Athleten der Bundespolizei-Sportschule an den Wettkämpfen teilnehmen.
Als Olympiasieger, Weltmeister und Weltcup-Sieger bist Du ein Vorbild für Deine Schüler. Wenn Du so zurückblickst auf Deine Karriere: Hättest Du das so erwartet?
Als kleiner Bub hab‘ ich mir das gewünscht, sicher. Dass es aber letztlich geklappt hat, dafür war neben viel Fleiß auch eine ordentliche Portion Glück nötig. Während meiner Jugendzeit musste ich auch auf viele Dinge verzichten, die für einen Heranwachsenden normal sind. Rückblickend kann ich aber sagen: Ich habe mir meine Träume verwirklicht.
Hand aufs Herz: Was hat in Deiner Karriere gefehlt?
Die Zeit als Skispringer war sehr interessant – es waren schöne, aber auch bittere Momente dabei. Ehrlich gesagt, hätte ich mir eine bessere Athletik, eine bessere Sprungkraft gewünscht – dann hätte es wohl auch mit mehr Einzelsiegen geklappt. Im Großen und Ganzen bin ich aber sehr zufrieden.
Magersucht? „Ich persönlich war davon weit weg“
Während Deiner aktiven Zeit geisterte das Wort „Magersucht“ durch die Skisprung-Szene.

Aushängeschild des Landkreises Passau: Michael Uhrmann erhielt schon mehrere regionale Auszeichnungen.
Das stimmt, es gab damals eine Phase, wo das das große Thema war. Einige Springer waren damals am Limit. Ich persönlich war von der Magersucht weit weg. Klar ist aber, dass ich für meinen Sport leben muss – und das heißt, ich muss leicht sein. Es ist aber bei weitem nicht so, dass man abhungert, nur um weit fliegen zu können. Um das zu schaffen, braucht man auch eine gewisse Athletik. Es ist schon erstaunlich, welche Hürden die Jungs während des Trainings überspringen, welche Gewichte sie stemmen – das hat mit Magersucht nichts zu tun.
Wie das Beispiel Sven Hannawald zeigt, ist der Erfolgsdruck im Profibereich sehr hoch. Hattest Du damit jemals Probleme?
Zugegeben: So erfolgreich wie Sven Hannawald auf dem Höhepunkt seiner Karriere war ich bei weitem nicht – ich hatte also auch weniger Druck. Im Nachhinein betrachtet hatte ich eine schöne Zeit – auch wenn ich ab und zu schlechte Phasen durchlebt habe. Vor allem bevor Werner Schuster Bundestrainer geworden ist, hat es viel Kritik gegeben. Doch damit muss man als Profisportler umgehen können.
Welche Rolle spielte bei Deiner Entwicklung Dein Vater Alois, Vorstand des WSV-DJK Rastbüchl?
Ganz einfach: Ich habe es ihm zu verdanken, dass ich ein guter Skispringer geworden bin. Später haben mich zwar auch noch andere Trainer gefördert, aber mein Vater hat mir das Skispringer-ABC beigebracht. Und da hat er nicht viel falsch gemacht (lacht).
Karriereende 2011: Hier spricht Michael Uhrmann über seine letzten Profi-Sprünge
Ist es gut oder schlecht, wenn der Vater gleichzeitig der Trainer ist?
Für mich ganz klar ein Vorteil. Ich bin meinem Vater sehr dankbar, dass er so viel Zeit in mich investiert hat. Trotzdem hat er mich während des Trainings nicht anders behandelt als die übrigen Springer. Die einzigen Schwierigkeiten hatten wir während meiner Pubertät, aber ich denke, das ist völlig normal (schmunzelt). Es ist wichtig, dass die Eltern hinter dem Vorhaben ihrer Kinder stehen – wie das Beispiel Thomas Diethart zeigt. Schlimm finde ich es jedoch, wenn die Eltern keine Ahnung von der jeweiligen Sportart haben, sich aber dennoch immer einmischen und alles besser wissen.
„Ich springe nicht mehr, meine Zeit ist vorbei“
Deine ersten Sprünge hast Du auf der Anlage in Rastbüchl gemacht. Mittlerweile ist die Sanierung der Baptist-Kitzlinger-Schanze abgeschlossen. Ein wichtiger Schritt?
Ja, absolut. Das Einzige, was noch fehlt, ist ein Lift. Bei uns wird da noch mit dem Auto gefahren – und das ist total altertümlich. Generell sind wir sehr glücklich, dass die Schanze saniert worden ist – wäre das nicht geschehen, wäre das Skispringen in Rastbüchl wohl gestorben. Freilich verstehe ich die Stimmen, die sich gegen eine Sanierung ausgesprochen haben – aber natürlich muss man auch die Skispringer-Szene verstehen, die alles daran gesetzt hat, die Sanierung durchzuziehen.
Wie hoch ist der Stellenwert des WSV-DJK Rastbüchl im Deutschen Ski-Verband?
Irgendwo mittendrin – ein Randverein ist er sicher nicht. Der WSV Rastbüchl hat mittlerweile eine hohe Wertschätzung – nicht nur wegen Severin Freund und mir, sondern vor allem wegen der Schneesicherheit. Sogar im jetzigen schneearmen Winter kann man dort immer trainieren.

„Wir sind sehr glücklich, dass die Schanze saniert worden ist – wäre das nicht geschehen, wäre das Skispringen in Rastbüchl wohl gestorben.“
Springst Du dort noch manchmal?
Nein. Ich springe nicht mehr, meine Zeit ist vorbei. Sicher gibt es einige ehemalige Springer, die auch jetzt hobbymäßig noch im Einsatz sind. Das möchte ich nicht. Entweder ich springe professionell – oder gar nicht.
Wie oft bist Du eigentlich noch in Deiner Heimat?
Seit einigen Jahren wohne ich in Ruhpolding. Seitdem bin ich eher selten in Breitenberg – obwohl ich meine Heimat schon vermisse.
Dein Heimatverein, der DJK-SV Breitenberg, ist im Aufschwung. Die Fußball-Mannschaft belegt den fünften Platz in der A-Klasse Waldkirchen.
Ja, das weiß ich (lacht). Ich habe mich schon bei Johann Poschinger (Anm. d. Red: Trainer der Mannschaft) angeboten. Er sagte aber, ich sei zu alt (lacht).
„Und jammern hilft sowieso nichts“
Abschließende Frage: Das Volksbegehren sprach sich gegen eine Olympia-Bewerbung von München aus. Enttäuscht?
Ja – vor allem auch, weil die Abstimmung so klar ausgefallen ist. Mittlerweile bin ich aber soweit es zu akzeptieren. Und jammern hilft sowieso nichts. Trotzdem denke ich, dass München super Olympische Spiele ausgerichtet hätte. Auch, weil bei uns viele Anlagen bereits bestehen – und nicht wie in Sotschi erst gebaut werden müssten.
Michi, vielen Dank für das Interview.
Interview: Helmut Weigerstorfer
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