Viechtach. 1987 trafen sich im ostbayerischen Viechtach Autoren, Künstler, Musiker, Kulturinteressierte und politisch Engagierte, um die Chancen einer „kritischen Kulturzeitschrift für den Bayerischen Wald“ zu diskutieren. Heraus kam dabei das ostbayerische Magazin „lichtung“, gut zwei Jahre später wurde die lichtung verlag GmbH gegründet. Seit den Gründungsjahren steht Hubert Ettl dem Verlag als Geschäftsleiter vor. Nach über 25 Jahren verabschiedet sich der 65-Jährige nun jedoch zum ersten Januar in den Ruhestand. Im Hog’n-Interview spricht der ehemalige Hauptschullehrer darüber, wie sich auch ein kleiner Verlag aus der Provinz in Zeiten von E-Book und Internet auf dem Büchermarkt behaupten kann – und was das alles mit einer aufmüpfigen Kultur zu tun hat.
„Wir wollten eine aufmüpfigere Kultur repräsentieren“
Herr Ettl, eigentlich wollten Sie und Ihre Mitstreiter vor über 25 Jahren „nur“ ein Magazin herausgeben… Wie kam es, dass Sie gerade mal zwei Jahre später eine Verlags-GmbH gründeten?
Die Zeitschrift lichtung wurde ja von unserem Kulturverein Bayerwaldforum herausgegeben. Wären die Vereinsvorsitzenden presserechtlich verklagt worden, dann hätte das für diese auch privatrechtliche Konsequenzen nach sich gezogen. Die lichtung verlag GmbH sollte also in erster Linie eine finanzielle Absicherung für die Redakteure sein, zum Beispiel in Fällen von Schadensersatz. Außerdem verlegen wir seit 1989 Bücher – und dafür war eine größere Kapitalbasis nötig.
Wieso kam man denn überhaupt auf die Idee mit dem Magazin?
Weil es damals keine Kunst- und Kabarettkultur gab, wie es sie heute gibt. Man muss sich ja nur mal die Sache mit Sigi Zimmerschied in Erinnerung rufen. Als der 1975 mit Bruno Jonas die Passauer Kabarettgruppe „Die Verhohnepeopler“ gründete – und sie ihr erstes Stück Himmelskonferenz aufführten, in dem Gott von seinem Erzengel Michael entmachtet wird, sorgte das für einen regelrechten Skandal. Dem von Walter Landshuter und Edgar Liegl in Passau gegründeten Scharfrichterhaus erging es nicht viel besser. Und mit dem Widerstand gegen die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf in der Oberpfalz gab es auch politische Brennpunkte.
Wir wollten einfach, dass diese aufmüpfigere Kultur besser repräsentiert wird und dafür ein Forum schaffen. Und zwar über die Tageszeitungsgrenzen der Passauer Neuen Presse und der Mittelbayerischen Zeitung hinaus. Zunächst war die Zeitschrift auch nur für den Bayerischen Wald konzipiert, aber dann haben wir ganz schnell gemerkt, dass wir die Donaustädte Regensburg, Straubing, Deggendorf und Passau mit einbeziehen müssen.
„Heute haben wir auch im Bayerischen Wald viele Kleinkunstbühnen“
Hat sich denn etwas geändert in den 25 Jahren?
Diese Situation, die wir am Anfang hatten, also die aufmüpfigere und zeitgemäßere Kultur in Kabarett, Kleinkunst und Literatur voranzubringen, die ist natürlich jetzt anders. Heutzutage haben wir, auch über den Bayerischen Wald verstreut, sehr viele Kleinkunstbühnen. Und darüber wird mittlerweile auch in den Tagesmedien berichtet. Jetzt steht vorrangig der Aspekt im Vordergrund, den Künstlern auch über die Grenzen von Oberpfalz und Niederbayern eine Plattform zu geben.
Kann man sagen, dass Sie mit dem lichtung verlag einen Beitrag dazu geleistet haben, dass dieser gesellschaftliche Wandel vollzogen worden ist?
Das kann man selber natürlich schlecht einschätzen, aber ich denke, wir haben schon ein wenig dazu beigetragen. Zumindest haben wir uns bemüht. (lacht)
Ist es denn im Bayerischen Wald schwieriger, die Leute an Kultur heranzuführen?
Das glaube ich nicht. Wir haben beispielsweise in Viechtach die „Literaturrevue“ eingeführt, die kürzlich zum siebten Mal stattfand. Dort präsentieren jeweils vier Autoren ihre Werke, die Veranstaltung wird von Musik begleitet. Da haben wir in der Regel 150 bis 200 Besucher, was für eine Literaturveranstaltung schon sehr viel ist. Und da sind die Autoren, die beispielsweise aus München oder Regensburg kommen, immer total überrascht, dass so etwas in einer Kleinstadt im Bayerischen Wald stattfindet.
Sind solche Veranstaltungen denn finanziell tragbar?
Ich glaube, das ist im Bayerischen Wald ähnlich wie in den großen Städten. Wobei solche Dinge in den Großstädten natürlich wesentlich mehr gefördert werden, wenn man sich zum Beispiel die Staatstheater oder Literaturhäuser anschaut. Es gibt halt bestimmte Kulturbereiche, wie Kabarett, die tragen sich selbst. Da bleibt den Veranstaltern manchmal sogar etwas übrig. Und dann gibt es Bereiche wie Theater, klassische Musik oder Literatur, die ohne Förderung nicht machbar wären.
„Auch im ländlichen Raum wird Kultur gemacht!“
Wird Ihnen da nicht öfters die Frage gestellt, ob das sein muss? Dass öffentliche Gelder verwendet werden, um eine Kulturnische zu fördern, die nur einen Bruchteil der Bevölkerung interessiert?
Grundsätzlich bin ich schon der Ansicht, dass der Staat und die Kommunen die Aufgabe haben, Kultur zu unterstützen. Aber das muss man natürlich im Einzelfall entscheiden, ob und wie viel. Da kommt es mit Sicherheit auch auf die Akzeptanz und die Ausstrahlung an, die die einzelne Veranstaltung nach außen hin hat. Diese Debatte haben wir ja im Bayerischen Wald vor kurzem beim Glasmuseum Frauenau wieder gehabt.
Wobei man im Fall des Glasmuseums ja auch immer wieder gehört hat, dass das lediglich ein kleines Zugeständnis an den ländlichen Raum war…
Deswegen ist es eben auch so wichtig, dass der ländliche Raum sich stark positioniert. Dass wir uns hinstellen und sagen: Auch hier wird Kultur gemacht – und die ist genauso wichtig wie das, was aus den Ballungsräumen kommt.
Aber angesichts von E-Books und Internet, ist es für die Verlage doch bestimmt eher schwieriger geworden, ihre Bücher auf dem Markt unterzubringen, oder?
Hm, also das mit den E-Books, das ist jetzt noch nicht so das Problem. Das Problem liegt vielmehr darin, dass sich der Buchmarkt und der Literaturbetrieb in den letzten zehn Jahren sehr gewandelt haben. Alles geht viel schneller als früher. Das, was im Frühjahr rauskommt, ist im Herbst bereits wieder veraltet. Die Buchhandlungen müssen jetzt viel mehr darauf setzen, was gerade in den Medien angesagt ist und auf den Bestsellerlisten steht. Aber in unserem kleinen Verlag können wir natürlich nicht nur auf eine Saison hinarbeiten. Die Bücher, die wir vertreiben, sollen selbstverständlich für viele Jahre auf dem Markt bleiben.
Ist das geschriebene Wort denn weniger wert geworden?
Das glaube ich nicht. Diese Debatte hatten wir ja immer wieder. Zuerst mit dem Fernsehen. Da hieß es: Wenn das kommt, dann geht es mit den Büchern bergab. Dann folgten Computer, Video und E-Book. Nur: Wenn man sich einmal die absoluten Zahlen anschaut, dann ist das Buch, zumindest bei uns, schon noch sehr gefragt. Es kommt halt darauf an, welche Bücher man herausgibt.
„Wir haben eine klassische Verlagsauffassung“
Nach welchen Kriterien prüfen Sie denn, welchen Autor Sie in Ihren Verlag mit aufnehmen?
Unser Schwerpunkt liegt vorwiegend auf Ostbayern, aber auch Bayern an sich. Wenn wir also Manuskripte aus Hamburg erhalten, dann fällt das schon mal weg. Und dann haben wir mittlerweile auch schon eine große Anzahl an Autoren, die wir quasi als Verlag vertreten. Wir haben sozusagen eine klassische Verlagsauffassung, nach der wir unsere festen Autoren, das sind derzeit an die 20 Personen, laufend betreuen. Harald Grill ist so einer, der seine bayerischen Gedichte immer bei uns herausgibt. Und für diese Autoren macht man dann Presse, veranstaltet Lesungen und vieles andere mehr. Mit diesen Autoren kommt also schon ein großer Bestand an Büchern zustande. Und dann nimmt man vielleicht noch alle zwei Jahre jemand Neuen hinzu.
Wenn Sie jetzt ein Prognose abgeben könnten: Welche Zukunft haben die kleinen Verlage?
Wir wurden ja schon mehrmals ins Literaturhaus nach München eingeladen. Dort findet einmal im Jahr eine Art Bücherbasar statt, unter dem Motto „Neue Bücher braucht das Land“ – etwa 30 bis 35 Kleinverlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz werden dazu eingeladen. Und da sind immer wieder neue Verlage dabei. Daher glaube ich, weil es eben mit dem Digitaldruck auch leichter geworden ist, dass es immer engagierte Leute und Autoren geben wird, die diese Graswurzelsituation erfolgreich zu nutzen wissen werden.
Klar, nicht alle halten durch. Und vor allem der Bereich der reinen Belletristik kann sich natürlich mit der Digitalisierung noch ändern. Aber solche Sachen wie unsere ReiseLeseBücher, die viele Fotos enthalten, die werden bleiben. Denn die sind digital nicht annähernd so schön wie wenn man einen Bildband durchblättert.
„Ein Verlag sollte ein klares Profil, eine Marke haben“
Aber es scheint sich ja doch zu lohnen: Immerhin haben Sie schon 25 Jahre lang durchgehalten… Woran liegt’s?
Es ist auf jeden Fall ein Vorteil, wenn man ein klares Profil, also eine Marke hat. Wir haben uns immer als bayerischer Verlag verstanden, der von der Provinz aus arbeitet. Und das wird auch in den Medien so gesehen. Die wissen, die da hinten in Viechtach bringen Bücher von bayerischen Autoren heraus. Dafür haben wir auch viele Anerkennungen, wie 2010 den bayerischen Kleinverlagspreis, erhalten.
Neben einem klaren Profil bedarf es aber auch einer unheimlichen Ausdauer. Wenn mal ein Projekt floppt, sollte man nicht gleich aufgeben. Die Autoren müssen merken, dass wir einen langen Atem haben.
Was war denn Ihr bislang erfolgreichstes Buch?
Das war das Sachbuch „Als Gott und die Welt schliefen“ von Otto Schwerdt. Das war der zweite Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Regensburg, der hat Auschwitz überlebt – und seine Erlebnisse bei uns aufgeschrieben. Über 40.000 Stück haben wir davon verkauft. Das ist für einen Kleinverlag sehr viel.
Jetzt sind Sie mittlerweile 65 Jahre alt. Denken Sie schon ans Aufhören oder gibt es womöglich schon einen Nachfolger, der Ihre Geschäfte übernehmen wird?
2004 habe ich bereits die Chefredaktion des Magazins an unsere Mitarbeiterin Eva Bauernfeind abgegeben. Und vor über zwei Jahren ist dann noch Kristina Pöschl zum Verlag hinzugestoßen. Diese beiden werden zum ersten Januar die Geschäftsführung des Verlags übernehmen.
Und Sie ziehen sich dann vollständig zurück?
Ich bleibe dem Verlag natürlich als Berater erhalten, und werde auch weiterhin Mitgesellschafter der GmbH sein. Aber aus dem Tagesgeschäft werde ich mich zurückziehen. Ein richtiger Ruhestand wird es sicherlich vorerst nicht werden, an einigen Projekten arbeite ich ja auch noch mit.
Herr Ettl, vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Dike Attenbrunner