
Wie eine Besessene bäumt sich die Weichsenriederin (Monika Manz) im Bett auf. Doch sie ist klarer im Kopf, als man meinen möchte. Fotos: Rupert Rieger
Fräulein Weiler geht gern ins Theater. Auch in der soeben begonnen Jubiläumssaison 2013/2014 wird sie dem 50-jährigen Theater an der Rott in Eggenfelden regelmäßige Besuche abstatten, um darüber auf’m Hog’n zu berichten. Warum das rottalerische Theater zum waidlerischen Hog’n passt? Weil beide einzigartig sind – klarer Fall! „Der varreckte Hof“, eine Stubenoper von Georg Ringsgwandl, feierte am Wochenende Premiere. Fräulein Weiler war dabei – und restlos begeistert. Wie schon zuvor vom Jubiläumsfest…
Gänsehaut und Plüschcafé nach der Sommerpause
Nach der Sommerpause ist es eine wahre Freude, wieder ins Theater zu gehen, hinein durchs freundliche Foyer in den rot-samtenen Zuschauerraum mit dem glitzernden Sternenhimmel. Darum musste ich auch unbedingt beim Jubiläumsfest dabei sein – den Einstand von Rose, der neuen künstlerischen Leitung, die Karl Sibelius‘ weibliche Seite ist, konnte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Es war festlich rockig, ehemalige Intendanten und Schauspieler bevölkerten die Bühne, es wurde gesungen, zitiert, gelacht und geweint – und meine Gänsehaut wollte sich gar nicht mehr legen, als Rose mit Queens „The Show must go on“ gespenstisch und purpurfarben angeleuchtet erschien und ihren ganz persönlichen Hausspruch kund tat. Nach der Show galt es das neu gestaltete Theatercafé zu bestaunen – das „Rose’s“. Plüschig, rüschig, pink, glitzernd, verspielt, voller Ideen, ausgestattet mit Separees und gekrönt mit einem Podest, auf dem ein rundes helles Ledersofa steht – Platz für „Quatsch mit Rose“, der neuen Talk-Serie, künftig nach jeder Premiere.
Klischeeverkleidete, aber wahre und wichtige Themen
Getalkt wurde auch nach dem varreckten Hof. Aber lassen Sie mich von vorne beginnen. Als ich mich zu meinem Platz begebe, ist die Bühne schon bestückt, die Schauspieler sind schon da. Sie sitzen herum, einer schlägt Sahne und kocht Kaffee, in der Mitte liegt die alte Bäuerin, die Weichsenriederin, im Bett. Die Bühne, die Stube des varreckten Hofs, ist schief. Weil der varreckte Hof eben selber auch in einer Schieflage ist: Die Bäuerin ist pflegebedürftig und keiner der Kinder möchte den Hof übernehmen.
Der varreckte Hof ist aber eigentlich gar nicht so hoffnungslos varreckt. In einem guten Tempo werden klischeeverkleidet, aber so wahr und wichtig diejenigen Themen behandelt, die so vielen von uns auf der Seele brennen – Ringsgwandl bringt es auf den Punkt. Wofür rackern wir uns so ab? Was tun wir mit den alten Leuten? Ist es moralisch vertretbar, Pflegekräfte aus dem Osten zu holen? Wie gehen wir mit Demenz um? Wie funktioniert die optimale Nachwuchsplanung? Und hinter allen Fragen die große Überfrage: Was ist eigentlich wirklich wichtig im Leben?
Wofür rackern wir uns so ab?
Rupert ist Manager. Er trägt Anzug, ist wichtig, ist arrogant, der absolute Mama-Bua, der es offenbar zu was gebracht hat. Trotzdem steht er von einem Tag auf den anderen auf der Straße – „wegrationalisiert“, wie es Svetlana, die moldawische Pflegekraft, in einem Wort richtig erkennt. Gerlinde ist Handarbeitslehrerin – verzeihen Sie – HSK-Lehrerin: gestresst, um nicht zu sagen überfordert, Ihr Horizont ist überschaubar, ihr Outfit brav und sie wird fuchsteufelswild, „wenn sie ihr Küch ned hod“.

Günter (Armin Stockerer) ist Leiter der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt. Ein stressiger Job, der ganz schön schlaucht. Logisch.
Ihr Mann Günter ist Leiter der Unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt, hat gerade einen Burn-Out hinter sich und legt nun ein Sabbatjahr ein – dieser „Bleistiftspitzer“, wie ihn seine Schwiegermutter, die Weichsenriederin, schimpft. Günter ist Brillenträger, ein biederes Mandl in beige, mit Socken in den offenen Latschen. Das ist alles wunderbar komisch, überzeichnet – und dennoch trifft es mich, wie sie da zu dritt vorne stehen und sagen: „Wir sind fertig, wir sind fertig, wir sind fertig.“ Die Arbeitswelt macht uns fertig, ohne dass wir es wirklich wären. Weil uns unser Tun nur selten mit Sinn erfüllt, weil die wahren Talente in uns schlummern und dabei verkümmern. Weil die Arbeitszeit nicht in Relation mit dem steht, was wir bekommen – weder monetär noch sinnhaft. Wie sagt Rupert: „I mog a Arbeit, bei der i weniger arbatn muass.“
Was tun wir mit den alten Leuten?
Die Weichsenriederin liegt mit einer dicken Windel im Bett in der Stube und braucht Pflege. Die erwachsenen Kinder können diese Pflege nicht leisten. Sie müssen arbeiten und sind ja selbst fertig. So sitzen Rupert, Gerlinde und Günter zusammen, einer will es auf den anderen abschieben, eine Lösung ist nicht in Sicht, ein Altenheim kein Thema. Die Weichsenriederin ist vielleicht inkontinent und dement, aber immer noch resolut wie eh und je – an einem eigenen Willen fehlt es ihr gewiss nicht. Gerlinde möchte sich die Pflege nicht nur deshalb nicht aufdrücken lassen, weil sie arbeiten geht, sondern auch darum nicht, weil sie nicht als Tochter belangt werden will. Da thematisiert sie ein wichtiges Thema – denn allzu oft bleibt die Pflege an den Frauen hängen, an den Töchtern und Schwiegertöchtern. Und da wird es oft greislich, da prallen aufgestaute Aggressionen beidseitig aufeinander. Und ja, es geht darum, die Scheiße wegzuputzen. Gerlinde macht das nicht. Rupert macht das nicht. Günter macht das nicht. Wer dann?
Ist es moralisch vertretbar, Pflegekräfte aus dem Osten zu holen?

Svetlana (Jula Zangger) kommt aus der Ukraine nach Bayern, um die Alte zu pflegen. Sie hat Herz, viel Verstand und kann anpacken.
Svetlana. Sie ist jung, sie ist „ein Arbeitsviech“, sie sieht gut aus. Sie kommt aus Moldawien – herrlich politisch unkorrekt ist sie ein „Gschwerl“, wie die Weichsenriederin feststellt. Sie hat schon sämtliche Drecksarbeiten erledigt, die weit unter dem Niveau ihres Bildungsgrads liegen. Und jetzt ist sie da und muss „Omma“ pflegen. Mit der Alten kommt sie aber schnell gut zurecht, sie schnapseln ein bisschen mit Eierlikör, zählen herrlich ulkig die bayerischen und moldawischen Vor- und Nachnamen auf – und schließlich riecht „Omma“ den Braten und sieht in Svetlana die künftige Hofherrin – an der Seite von Rupert. Dieser ist jedoch anfangs nicht so begeistert von Svetlanas Idee: „Mach a bissl Landwirtschaft mit mir!“ – was nicht heißt, dass er mit der Hübschen nicht ein bissl rummachen will. Und sie prompt schwängert.
Svetlana, das ist die Abgestempelte. Keiner weiß was von ihr, keiner fragt danach, keiner interessiert sich für ihre Hintergründe – Gerlinde fällt aus allen Wolken, weil sie nicht zertifiziert ist, Rupert findet sie heiß, Günter auch, aber er ist der „grode Günter“, der nichts Unrechtes tut. Um Moral macht sich keiner Sorgen und Svetlana erkennt: „Wenn’s ums Ficken und Schuften geht, sind wir gut genug.“
Wie gehen wir mit Demenz um?
Der Weichsenriederin wird Demenz unterstellt – aber ich finde sie hinten und vorn nicht dement. Sie ist klar- und weitsichtiger als alle anderen zusammen. Freilich holt sie immer wieder alte Geschichten herauf, verfällt in die Kindrolle, wenn sie nach dem Papa ruft. „Aber ich bin doch das Kind!“ schreit Gerlinde – und das trifft mich wieder ganz ins Herz. Hilflos lassen die Dementen ihre Angehörigen zurück.
Und auf der anderen Seite: Ungewollte Komik. Verwirrnisse, sprachliche und menschliche Verwechslungen. „Günter? Bist Du da Knecht? Einen Günter ham mia nia ned ghobt.“ Und dann hat die Weichsenriederin Visionen – vom Wetter, von Babys. Sie geizt nicht mit treffenden Kommentaren, ist ehrlicher und direkter, als es die anderen vertragen können. Sie ist alt, aber nicht von gestern. Genau das ist es doch – auch demente Menschen müssen ernst genommen werden.
Wie funktioniert die optimale Nachwuchsplanung?

Svetlana (Jula Zangger) bandelt mit Arschloch-Sohn Rupert (Markus Baumeister) an. Mutter Weichsenrieder (Monika Manz) gefällt‘s.
Kinder? Nicht mit Günter. Die Welt ist überbevölkert und überhaupt „zerscht, aber zerscht…“ Haus, Urlaub, Beförderung, Auto. Zerscht – aber irgendwann ist es zu spät. Gerlinde will aber Kinder. Und die Weichsenriederin will sowieso Enkel. Rupert liegt die Nachwuchsfrage fern, zum Abtreiben will er Svetlana sogar schicken. Kinder sind nur bedingt planbar und Gebärmütter gewiss nicht vom Willen des Paares gesteuert. Zerscht dies und das und wenn’s dann passen würde, müsste es gleich funktionieren, auf der Stelle, sonst wird „Hilfe, Polizei“ gerufen und sämtliche unmöglichen Hebel in Bewegung gesetzt …
Was ist eigentlich wirklich wichtig im Leben?
Zeit und Liebe. Punkt.
Untertitel: Gesänge in einer sterbenden Sprache. Ringsgwandl vergisst nicht, darauf hinzuweisen, dass das Bairische wirklich ausstirbt. Zumindest das Bairisch, das ich hier auf der Bühne höre. Manche Wörter kenne ich auch nicht mehr, manche schon, aber sie sind nicht in meinem Gebrauchswortschatz. Das Schauspiel lebt vom Gesang – von Solostücken und vom Chor, wenn‘s gesellschaftskritisch wird. Musikalisch werden die Stimmungen untermalt von drei Frauen – Monica Arnó am Akkordeon, Christiane Haselbeck an Kontrabass und Geige und Bettina Götz an Hackbrett, Gitarre und Harfe. Schräge Töne kommen da oft heraus, dann wieder harmonischer, dann leise untermalend, dann laut übertönend.
Monika Manz ist die Weichsenriederin – herrlich komisch

Mutter Weichsenrieder (Monika Manz) wird wild – Tochter Gerlinde (Sabine Maiß) weiß sich nicht mehr zu helfen.
Und da ist noch eine, die vieles laut übertönt: Monika Manz, die Weichsenriederin. Mit offenen, melierten, langen Haaren sitzt sie im Bett. Sie schreit, sie zieht Gesichter, sie lächelt in sich hinein, sie scheißt sich nix, sie hüpft im Nachthemd aus dem Bett, wirft mit Polstern, setzt sich auf die Kopflehne, die Windel blitzt zwischen ihren Beinen hervor, sie knurrt, singt in den höchsten Tönen. Sie ist die Weichsenriederin, völlig ergeben und herrlich komisch, dann auch wieder tragisch und erschreckend, wie sie im Bett sitzt, den Kopf zurückwirft wie die Besessene aus dem Exorzisten. Armin Stockerer ist ein Günter wie er sein muss – auch er zieht Gesichter, nimmt Haltungen ein, die ihn um 20 Jahre älter machen, spielt völlig überzeugend den braven Beamten. Sabine Maiß als Gerlinde ist wunderbar – sie schafft es, die ekelhafte Handarbeitslehrerin im richtigen Moment menschlich sein zu lassen.
Bis Rose auf die Bühne stöckelt und jedem eine rote Rose schenkt
Jula Zangger hat ihre erste Rolle, wie ich später im Theatercafé erfahre, wunderbar gemeistert – mit osteuropäischem Akzent, ausdrucksstarkem Gesicht und eindrucksvollem „Gestell“. Und Markus Baumeister sei nicht zuletzt genannt – er gibt das Manager-Arschloch, das erst reichlich spät seine weiche Seite zeigen darf, dafür umso herzlicher im Liebeslied, das er mit Jula Zangger im Duett singt: „Jedes Hoor, … jede Blume …“ Regisseurin Susi Weber hat ganze Arbeit geleistet, Musik und Schauspiel harmonisch vereint und darf sich mit den anderen über Standing Ovations freuen.

Im pinken Dirndl und blumiger Kopfbedeckung präsentierte sich Rose, die künstlerische Leitung des Theaters an der Rott. Fotos: Rupert Rieger
Bis Rose auf die Bühne stöckelt und jedem eine rote Rose überreicht. Im pinken Dirndl mit blumiger Kopfbedeckung. Unten im Theatercafé geht’s weiter. Sie talkt mit dem Ensemble, es gibt keinen freien Platz mehr, die Menschen sind begeistert, fröhlich, haben sich im Stück das ein oder andere Mal wiedergefunden – „ja, so ist es wirklich“ – und sind dennoch nicht beschwert. So fahre auch ich heim, mit dem ein oder anderen Wurm im Ohr und freue mich schon auf meinen nächsten Besuch.
Gewinnen Sie Karten für „Der Varreckte Hof“
Sie wollen auch live dabei sein, wenn die Weichsenriederin und ihre Sippschaft alles gibt? Dann schreiben Sie bis zum Freitag, 11. Oktober, eine E-Mail an info@hogn.de, nennen Sie Namen, Telefonnummer und Adresse – und drücken sich selbst die Daumen! Da Hog’n verlost mit dem Theater an der Rott 2 x 2 Karten für die Vorstellung am Sonntag, 18. Oktober, um 18.30 Uhr.
Viel Glück!
Ihr Fräulein Weiler
blödsinn ein theater in eggenfelden für die bayerwald-leser groß anzuschreiben. bringt lieber mehr aus ringelai, hohenau und grafenau!
Das Theater in Eggenfelden ist das einzige Landkreis-Theater in ganz Deutschland – und hat jede Menge Publikum aus dem Bayerischen Wald.