Neureichenau. Eine Frage, die uns alle irgendwann einmal beschäftigen wird: Wo verbringe ich meinen Lebensabend? Zuhause – oder in einem Pflegeheim? Sicher haben viele Menschen Angst davor im Seniorenheim in einer Masse von Bewohnern regelrecht „unterzugehen“. Anonym, einsam und verlassen. Im Interview mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ spricht Annette Kern, Heimleiterin des Roseniums Neureichenau, über das „Seniorenheim der Zukunft“, den Pflege-TÜV und über die Pflegeberuf-Ausbildung. Sie prophezeit: „Die kleineren Häuser werden künftig sicherlich bevorzugt.“
Frau Kern: Welche Verantwortung hat eine Heimleiterin heutzutage zu tragen?
Beim Heimleiter laufen alle Fäden zusammen – er koordiniert sämtliche Abteilungen des Hauses, wie zum Beispiel die Küche, Hauswirtschaft, Hausmeister, Verwaltung und Pflege. Zudem ist man als Heimleiter Ansprechpartner für Bewohner und deren Angehörige. Außerdem sorge ich für eine ausgewogene Personalsituation und -zufriedenheit im Haus. Natürlich alles unter den zu berücksichtigenden betriebswirtschaftlichen Aspekten. Wichtig ist auch, dass ich das Heim repräsentativ nach Außen vertrete.
Was macht in Ihren Augen eine qualitativ-hochwertige Altenpflege im 21. Jahrhundert aus: Wie sieht das „moderne Seniorenheim der Zukunft“ aus?
Die Rosenium-Strategie mit kleineren Häusern direkt in den Gemeinden – so sieht das moderne Altenheim aus. Die alten Menschen wollen in ihrer Heimatgemeinde wohnen bleiben. Hier sind sie verwurzelt, hier bekommen sie Besuch, eventuell können sie ihre Angehörigen selber besuchen. Sie können auch einen verstorbenen Ehepartner auf dem nahegelegenen Friedhof besuchen. Die kleineren Häuser werden künftig sicherlich bevorzugt, die Anonymität wird von vielen alten Menschen abgelehnt.
„Wir haben keinen Fachkräftemangel – wir bilden sie selber aus“
Wie sehr ist das Rosenium-Seniorenheim vom derzeit kursierenden Fachkräftemangel betroffen?
Gott sei Dank haben wir derzeit keinen Mangel an Fachkräften, da wir sie selber ausbilden. Zur Rosenium GmbH gehört die Altenpflegeschule in Obernzell, wo wir jedes Jahr pro Haus mindestens zwei Schüler anmelden. Wir haben zurzeit 13 Häuser mit jeweils zwei Schülern in jeweils allen drei Ausbildungsjahren – somit sind in jedem Haus mindestens sechs Schüler vorhanden. Rechnet man die Schüler mal die Häuser-Anzahl, so kommt man auf eine sehr hohe Ausbildungsquote.
Wir bilden aber nicht nur die dreijährigen Fachkräfte aus, wir qualifizieren auch Kräfte im Helferbereich. Auch hier führt unsere Altenpflegeschule einen Pflegefachhelferkurs mit einer einjährigen Dauer durch – und zweimal pro Jahr bieten wir einen kleineren Pflegehelferkurs an, der gezielt Frauen oder Männer ansprechen soll, die wieder ins Berufsleben einsteigen wollen.
Wie sehen Sie den als gemeinhin bekannten „Pflege-TÜV“?
Die Notengebung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, kurz: MDK, ist das aussagekräftigste Messinstrument, das es derzeit gibt – auch weil die Prüfer unangemeldet kommen. Die Kassen haben berechtigtes Interesse daran die Heime zu prüfen, da sie ja schließlich viel Pflegegeld für ihre Patienten zahlen. Für Laien ist es bestimmt auch einfacher, eine Übersicht an Noten wie in der Schule zu sehen – und sich so einen ersten Eindruck über das Heim zu verschaffen. Die Prüfkriterien könnten sicherlich in einigen Punkten überarbeitet werden, ein größeres Augenmerk könnte auf die Ergebnisqualität und die Bewohnerzufriedenheit gelegt werden.
Der ideale Pfleger? „Ein Mensch mit viel Herz und Verstand“
Wie versuchen Sie auf die individuellen Wünsche der Heimbewohner einzugehen?
Bereits vor dem geplanten Einzug werden gezielte Fragen zu Vorlieben und Gewohnheiten gestellt. Nach der Aufnahme kommunizieren wir engmaschig mit dem Bewohner und seinen Angehörigen über das derzeitige Wohlbefinden und die Eingewöhnung. Damit sich der Bewohner gut in die neue Umgebung eingewöhnen kann, ist es notwendig, dass er für sein neues Zimmer liebgewonnene Gegenstände von zu Hause mitnimmt – auch wenn es nur seine eigene gewohnte Frühstücks-Tasse ist. Die kleinen Dinge im Leben spielen hier eine große Rolle.
Welcher Typ Mensch ist für den Pflegeberuf besonders geeignet?
Uns sind vor allem Menschen mit viel Herz und Verstand, Menschen die auf ihre Mitmenschen offen zugehen können, am liebsten. Wie vorher erwähnt, können sie bei uns die verschiedenen Qualifikationen berufsbegleitend erwerben.
„Für viele alte Menschen ist das Thema Sterben kein Tabuthema“
Wie geht man als Pfleger damit um, wenn man (fast) täglich mit dem Sterben konfrontiert ist?
Fast täglich ist mit Sicherheit in unserer relativ kleinen Einrichtung übertrieben: Wir haben 63 Bewohner und laut Statistik sterben bei uns zirka acht bis zehn Bewohner pro Jahr. Jedem Mitarbeiter ist bewusst, dass für jeden Bewohner unser Heim der letzte Wohnort ist. Unser Ziel ist es, die ihm verbleibende Zeit so schön wie möglich zu gestalten und ihm in den tatsächlich dann letzten Wochen, Tagen und Stunden ein würdevolles Sterben in engmaschiger Zusammenarbeit mit Angehörigen, Seelsorgern, Pflegeteam und Ärzten zu ermöglichen. Für viele alte Menschen ist das Thema Sterben kein Tabuthema. Viele äußern selbst, wie sie sich das Ableben vorstellen. Zudem werden die Pflegekräfte schon in der Schule in ‚Sterbeseminaren‘ mit dem Thema Tod und Sterben vertraut gemacht.
Gibt es eigentlich Unterschiede zwischen männlichem und weiblichem Pflegepersonal?
Nein, ich kann keine wesentlichen Unterschiede feststellen. Es gibt leider zu wenig Männer, die den Pflegeberuf erlernen und ausüben.
„Es gibt nur wenige Bewohner, die ins Heim abgeschoben werden“
Welchen Status hat ein Pflegeheimbewohner in der heutigen Gesellschaft?
Seit 20 Jahren bin ich nun in der Pflege tätig: Es ist mit Sicherheit ein Aufwärtstrend zu beobachten. Es gibt nur mehr wenige Bewohner, die sprichwörtlich ins Heim ‚abgeschoben‘ werden. Die meisten Bewohner nehmen – sofern es die Gesundheit erlaubt – aktiv am Gemeindeleben teil, werden von Angehörigen abgeholt und können rund um die Uhr besucht werden. Die Berührungsängste den Heimen gegenüber nehmen ab.
Die Gesellschaft wird immer älter – welche Bedeutung hat dieser Trend für die künftige Pflege bzw. für die Aufstellung der Seniorenheime?
Der Bedarf an den derzeit vorhandenen Heimen wird in der Zukunft nicht ausreichen, wie die Zahlen der demographischen Entwicklung verraten. Wir versuchen, den steigenden Bewohnerzahlen gerecht zu werden, indem wir weiter expandieren.
Interview: da Hog’n