Zwiesel. Vor elf Jahren investierte der Nationalpark Bayerischer Wald in eine völlig neue Bildungseinrichtung. Mit dem Wildniscamp entstand inmitten einer Waldlichtung am Fuße des Falkenstein ein kleines „Dorf“, das aus verschiedenen Themen- und Länderhütten besteht – übernachten in der Natur inklusive. Seit fünf Jahren leitet Achim Klein das Camp. Im Hog’n-Interview erklärt er, was es mit den Themen- und Länderhütten auf sich hat und warum es sich auch für einen Freyunger lohnt, mal in den Zwieseler Woid zu fahren.
„Wie leben Menschen anderswo auf dieser Welt?“
Herr Klein, wann ist das Wildniscamp entstanden?
Das Wildniscamp wurde 2002 mit den Themenhütten eröffnet, 2007 wurde es dann um die Länderhütten erweitert.
Und warum wurde es gegründet?
Mit der Nationalparkerweiterung 1997 sollte ja auch eine weitere Bildungseinrichtung entstehen – so ähnlich wie das Jugendwaldheim „Wessely Haus“ im Lusengebiet. Dann ist jedoch die Idee gereift, kein klassisches Gebäude im Stil einer Jugendherberge zu bauen, sondern auf ein Konzept zu setzen, das darauf basiert, dass man viel draußen ist und das viel Raum für freie Projektarbeit bietet. Schon alleine durch die ungewöhnlichen Hütten bekommen die Kinder ganz viele Anregungen.
Das Wildniscamp gliedert sich ja in Themen- und Länderhütten. Was ist denn der Unterschied zwischen den beiden Angeboten?
Die Themenhütten repräsentieren einen Ausschnitt aus dem natürlichen Lebensraum, wie zum Beispiel das Wiesenbett oder das Baumhaus. Die Inspiration für die Architektur der Hütten kam aus der natürlichen Umgebung geholt.
Die Länderhütten hingegen haben alle ihr Vorbild in einem anderen Nationalpark irgendwo auf dieser Erde. Die wurden entweder im Original hergebracht oder dementsprechend nachgebaut – und stehen eher für einen globalen Ansatz von Naturschutz. Im Sinne von Natur Natur sein lassen. Diese Philosophie wird ja nicht nur im Bayerischen Wald umgesetzt, sondern auch woanders. Und dort wohnen auch Menschen. Wie leben Menschen anderswo auf dieser Welt? Das ist der Ansatzpunkt für die Länderhütten. Darüber lohnt es sich durchaus nachzudenken.
Wie wurde das Projekt denn finanziert?
Der fortlaufende Betrieb wird für uns als Nationalparkbildungseinrichtung über öffentliche Mittel des Freistaates finanziert: Der Nationalpark ist eine Sonderbehörde des Bayerischen Umweltministeriums. Beim Bau des Camps und der Themen- und Länderhütten wurden wir auch von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und der EU unterstützt.
„Im Wald übernachten – das ist eine spannende Erfahrung!“
Im Prinzip kann jeder im Wildniscamp übernachten, oder? Das Angebot ist nicht nur Schulklassen vorbehalten.
Ja, mit Berücksichtigung der zeitlichen Aufteilung: Wenn Schule ist, dann sind unter der Woche Schüler da. Am Wochenende und in den Ferienzeiten ist das Wildniscamp allerdings für alle anderen Gruppen geöffnet. Der Nationalpark übernimmt die pädagogische Betreuung der Schulklassen. Der Verein Waldzeit e.V. betreut alle anderen Gruppen.
Dieser Verein bietet außerdem bestimmte thematische Angebote wie beispielsweise Bogenbau-Kurse an. Zweimal im Jahr veranstaltet Waldzeit auch ein Schnupperwochenende. Man verbringt dann gemeinsam mit anderen Leuten das Wochenende und hat Zeit, das Wildniscamp kennenzulernen.
Ihre pädagogische Arbeit orientiert sich an den Grundsätzen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Was ist damit gemeint?
Nachhaltige Entwicklung bedeutet, dass wir mit unseren Ressourcen so umgehen müssen, dass die nachfolgende Generation die gleichen Handlungsspielräume hat wie wir sie heute noch vorfinden. Und um in diesem Sinne handeln zu können, braucht es bestimmte Kompetenzen. Da geht es nicht nur um Wissen, sondern auch um soziale Kompetenzen, wie zum Beispiel die Fähigkeit vorausschauend zu handeln. Es geht also nicht nur um den reinen Umweltschutz.
Während die Kinder im Bayerischen Wald meistens in der Natur aufwachsen, wissen viele Stadtkinder nicht mal mehr, dass die Milch nicht aus dem Tetrapak im Supermarkt stammt, sondern von der Kuh kommt … wurde das Wildniscamp auch deswegen konzipiert? Um aufzuklären?
Die Belegung ist bunt gemischt. Und ich würde auch nicht so weit gehen, dass das Wildniscamp eher für Stadt- als für Landkinder geeignet ist. Wirklich den ganzen Tag draußen sein und in den Hütten im Wald zu übernachten – das ist auch für unsere Kinder hier im Bayerischen Wald nicht so selbstverständlich. Das ist eine spannende Erfahrung für alle Kinder.
„Tschechische Kinder sind näher an der Natur als unsere Kinder“
Im Wald übernachten – ist das wirklich so spannend und ungewöhnlich für die Kinder?
Ja. Wenn es bei uns abends dunkel wird, dann ist es halt auch wirklich zappenduster. Außerdem besteht ein gewisser Abstand zwischen den Hütten und zum Zentralgebäude. Das ist schon eine kleine Herausforderung. Nicht jedes Kind ist mit der Familie mit Zelt und Rucksack unterwegs. Aber das mal gemacht zu haben, ist eine sehr schöne Erfahrung.
Gibt es Kinder und Erwachsene, die nicht in den Hütten, sondern lieber im Zentralgebäude schlafen, weil sie so viel „Naturnähe“ nicht haben wollen?
Klar. Es gibt manchmal auch gute Gründe, nicht draußen zu schlafen. Zum Beispiel dann, wenn man ohnehin gerade gesundheitlich angeschlagen ist. Da ist es sicherlich sinnvoll in einem beheizten Gebäude zu schlafen.
Und dann gibt es natürlich auch Menschen, die für sich sagen: Nein, das muss ich nicht haben, aber an den Wanderungen und am Programm tagsüber möchte ich schon gerne teilnehmen.
Sind Programm und Wanderungen denn Pflicht?
Ja, ein Aufenthalt im Wildniscamp ist immer verbunden mit einem gewissen Programm. Ohne ein Grundmaß an Nationalpark-Programm geht es nicht, weil wir einen Bildungsauftrag haben. Dafür bekommen wir schließlich auch unser Geld.
Wieso ist das so wichtig? Wissen Kinder und Erwachsene heutzutage weniger über Nationalpark und Natur als früher?
Es ist schwer darüber eine Aussage zu treffen. Was ist heute? Was ist früher? Man kann natürlich versuchen, es mit der eigenen Kindheit zu vergleichen. Da spielen ja viele Faktoren eine Rolle. Aber was ich aus meiner eigenen Erfahrung heraus sagen kann, weil wir auch viele tschechische Gruppe hier haben, ist, dass tschechische Kinder näher an der Natur sind als unsere Kinder. Als Familie sind sie doch häufiger draußen unterwegs. Das ist auch ein Eindruck, der sich bestätigt, wenn man selber mal im tschechischen Nationalpark Šumava wandern geht. Da sind ganz viele Familien unterwegs. Es kommt natürlich immer ganz drauf an, wie viel die einzelne Familie selber in der Natur unterwegs ist. Aber grundsätzlich kann man wahrscheinlich schon sagen, dass es die letzten Jahrzehnte über weniger geworden ist.
„In der Natur kann man zur Ruhe kommen“
Warum ist es denn so wichtig, dass wir uns in der Natur aufhalten? Was können wir in unserer hochtechnologisierten Welt womöglich von der Natur lernen?
Ich persönlich empfinde es so, dass die Natur ein toller Rückzugsort ist. Man kann in der Natur einfach zur Ruhe kommen und hat Zeit nachzudenken.
Und auf der anderen Seite ist Natur auf alle Fälle auch für sich wertvoll. Es lohnt sich, sie zu erhalten – gerade hier bei uns in der Nationalparkregion. Das ist wirklich etwas Besonderes, das gibt es ja nicht überall. Und das sollte man sich auch ab und an mal wieder in Erinnerung rufen.
Ein Freyunger würde jetzt vielleicht sagen: Warum soll ich denn nach Zwiesel ins Wildniscamp fahren, um Urlaub zu machen? Das ist doch sowieso um die Ecke, mit der gleichen Natur …
Ich glaube, da muss man zwischen unseren Angeboten für Schulklassen auf der einen, und dem klassischen Familienwochenende auf der anderen Seite trennen. Das Wildniscamp liegt in einem ganz anderen Teil des Nationalparks als beispielsweise Freyung. Außerdem ist es einfach auch eine nette Sache, mit anderen Leuten gemeinsam draußen zu sein. Sei es auf Wanderung oder abends beim Lagerfeuer. Man muss sich als Gruppe arrangieren und übernimmt auch Verantwortung, weil man gemeinsam aufräumen muss.
Das sind Dinge, die kann man auch mal an einem Wochenende lernen. Und dann ist es auch schön mit den Eltern mal für ein Wochenende draußen unterwegs zu sein. Ohne dabei einen großen Druck zu haben. Da ist es ja dann sogar von Vorteil, wenn man gar nicht weit fahren muss – aber sich dann trotzdem in einem komplett anderen Umfeld befindet.
„Von der Schneehöhle bis zum Betreuungszimmer ist alles möglich“
Wie hoch sind denn die Beiträge? Gibt es Förderungen, wenn man bei Ihnen bucht?
Wir vom Nationalpark arbeiten gerade mit Waldzeit daran, für bestimmte Gruppen günstige Angebote zu erstellen. Es soll transparent sein, wer jetzt Vergünstigungen erwarten darf – und wer nicht.
Ansonsten liegt der Schnitt bislang bei den Schulklassen. Diese kommen direkt in den Genuss dieses stark subventionierten Programms des Nationalparks. Momentan liegt der Satz bei ungefähr 24 Euro pro Tag. Und am Wochenende liegt man, je nach Programm und Gruppengröße, bei gut 40 Euro. Das ist kein Profitstreben, das sind einfach die Betreuungskosten, die umgelegt werden. Auch die Verpflegung ist dabei inbegriffen.
Das Wildniscamp hat ja das ganze Jahr geöffnet. Wie macht man das denn im Winter mit dem Schlafen?
Zum einen gibt es natürlich die Möglichkeit, im Zentralgebäude zu schlafen. Dort gibt es einige Betreuerzimmer und ein großes Sammellager. Zum anderen gibt es vier Hütten, die einen Holzofen haben. Wenn man dann die nötige Abenteuerlust hat, kann man auch im Winter in den Hütten übernachten – und überleben. Je nachdem welches Ausmaß an Abenteuer man mag. Wer unbedingt bei minus 10 Grad seinen neuen Daunenschlafsack ausprobieren will, der kann sich natürlich auch eine Schneehöhle graben. Auch das geht. Von der Schneehöhle bis zum Betreuerzimmer ist also alles möglich.
Herr Klein, vielen Dank für das Interview!
Interview: Dike Attenbrunner
Wer beim aktuellen Herbstwetter Wanderlust verspürt und in der Zeit vom 3. bis 6. Oktober noch nichts geplant hat: Das Wildniscamp kann noch für das verlängerte Wochenende gebucht werden.