Waldhäuser/Neuschönau/Herzogsreut. Sie kann’s einfach nicht lassen. Auch heute hat sie wieder zugeschlagen. Die Versuchung ist einfach zu groß für sie – und das weiß sie ganz genau. „Fuchs mit Huhn“ heißt die Foto-Reproduktion, die Hiltrud Salzer in der Arche Heinz Theuerjahr in Waldhäuser erstanden hat. Die 74-Jährige lächelt wie eine 20-Jährige, die gerade das dritte Paar Schuhe gefunden hat: „Ich wusste schon vorher, dass das ein kostspieliger Ausflug wird.“ Immerhin 70 Euro bezahlt sie für das kleine Kunstwerk, das ihr Arche-Betreuerin Martina Schuberth sorgfältig einpackt. Die beiden Frauen lachen, sie kennen sich – Hiltrud zieht es schließlich in regelmäßigen Abständen hinauf nach Waldhäuser.
Im Skulpturenpark: „Die Antilope ist süß. Sie wirkt so anmutig“
Dort oben, wo man Richtung Lusen mit dem Auto nicht mehr weiterfahren darf, war das Zuhause des Künstlers Heinz Theuerjahr. Sein Wohnhaus steht da, steinern und solide thront es an diesem erlesenen Platz mit Blick auf Rachel, Brotjacklriegel und die sich hintereinander schmiegenden Hügelketten des Bayerwalds. Daneben sein Atelier, in dem Hiltrud soeben ihren neuesten Theuerjahr gefunden hat. Und vor den Gebäuden, eingerahmt von hohen Fichten und beerenbehangenen Ebereschen, breitet sich der kleine Skulpturenpark aus, in dem sich die afrikanische mit der heimischen Tierwelt trifft – Antilope, Affe, Auerhahn. Die Herzogsreuterin spaziert gemütlich hindurch, schaut sich jedes Tier an. Für sie sind es Altbekannte. „Die glänzenden mag ich nicht so sehr. Die sind mir zu künstlich“, sagt sie. Lieber sind ihr die klassisch bronzenen Figuren wie die Hyäne, die den Kopf mit ihren runden Ohren schief legt. Oder die äsende Antilope: „Die ist einfach süß. Für mich hat sie die größte Ausstrahlung. Sie wirkt so anmutig.“
Ein bisschen so wie Theuerjahrs Heimat am Fuße des Lusens. Der Künstler wäre heuer hundert Jahre alt geworden. Als er 1991 in Waldhäuser starb, lebte Hiltrud Salzer bereits sechs Jahre in Herzogsreut und hatte die Liebe zum Bildhauer, Maler und Grafiker noch längst nicht entdeckt. Erst über die Passauer Künstlerin Renate König-Schalinski lernte sie die Kunst von Heinz Theuerjahr kennen. Bei einem Besuch in der Galerie der einstigen Schülerin Theuerjahrs in der Großen Messergasse „verschaute“ sich Hiltrud in eine Bronze-Katze. Ihr Mann Walter hat sie ihr schließlich geschenkt. Und Hiltrud schickte der Künstlerin ein persönliches Dankeschön: Ein Foto, das zwei ihrer Katzen (aus Fleisch und Blut) neben der Katzenfigur zeigt.
Lange Freundschaft zu Theuerjahr-Schülerin König-Schalinski
„Renate König-Schalinski hatte mir damals mit einem netten Brief geantwortet. Daraus ist zunächst eine Brieffreundschaft entstanden – bis sich die gegenseitige Sympathie bei einem ersten Treffen vertiefte. Sie war eine ganz besondere Frau. Renate war fast taub – und dadurch fast stumm. Die Begegnung hat mich sehr beeindruckt“, sagt Hiltrud Salzer. Die Künsterlin brachte ihrer Freundin ihren Lehrer Heinz Theuerjahr näher, in dessen Küche sie viel Zeit verbrachte, viel lernte – und auch viel Muße genoss: „In Waldhäuser traf sich sozusagen die gesamte Künstlerinnung aus dem Bayerischen Wald“, berichtet die 74-Jährige. Vor zwei Jahren starb Renate König-Schalinski. Geblieben sind Hiltrud Salzer neben schönen Erinnerungen mehrere Kunstwerke ihrer Freundin – und die Liebe zu Theuerjahr.
Für den Laien kaum zu unterscheiden sind die Kunstwerke von König-Schalinski und Theuerjahr. Klar sind die Linien und Formen, vereinfacht bis an den Rand des Erkennbaren. Und dennoch schaffen es beide, ihren Werken großen Ausdruck zu verleihen. Hiltrud Salzer findet: „Theuerjahrs Kunst ist zwar sehr reduziert, aber es ist immer erkennbar, was er darstellen will. Diese Kunstform spricht mich sehr an.“ Heinz Theuerjahr hat mit seinen Bronzefiguren und Holzschnitten gewiss den größten Bekanntheitsgrad erlangt. Hin und wieder war ihm aber auch nach Farbe – es entstanden Aquarelle und Pastelle. „Die gefallen mir jedoch nicht so“, sagt Hiltrud Salzer.
Auf dem Weg zurück nach Herzogsreut liegt das Hans-Eisenmann-Haus – vor dem ein Bronze-Luchs auf einem mächtigen Felsen thront. Von Theuerjahr versteht sich. Hiltrud hat die Ausstellung anlässlich des Theuerjahr-Jubiläums noch nicht gesehen. Schon im Treppenhaus hängen die Holzschnitte des Künstlers – darunter auch „Fuchs mit Huhn“, ihre neueste Errungenschaft. Im großen Saal stehen Plastiken aus Bronze und Holz, an den Wänden hängen Aquarelle, weitere Holzschnitte und eine Wand mit Kinderzeichnungen.
Tiere, überall Tiere. Und warum eigentlich hauptsächlich afrikanische Tiere wie Antilopen, Paviane, Löwen und Büffel? „Theuerjahr war begeisterter Afrika-Fan. Mehrere Reisen dorthin haben ihn sehr beeindruckt“, weiß die Herzogsreuterin. 14 Mal besuchte Theuerjahr den fremden Kontinent – und kehrte mit immer neuen Eindrücken zurück. „Die Natur wiederholt sich nicht. Wenn ich mich an sie halte, ist die Gefahr, mich zu wiederholen, geringer, als wenn ich auf sie verzichte.“ So wird Theuerjahr auf einer Fahne am Skulpturenpark zitiert. Zeitlos und international mutet sein Werk an. Den Holzschnitten ist ein asiatischer Stil nicht abzusprechen – oft rahmt er die afrikanische Tierwelt schwarz ein. Seine Signatur sieht fast aus wie ein chinesisches oder japanisches Zeichen – eckig ist das H mit dem T verbunden.
Hiltruds erster Theuerjahr – der Holzschnitt namens „Hörnertier“
Zurück im Herzogsreuter Häuschen freut sich Golden-Retriever-Hündin Laika über Frauchens Kommen. Und Hiltrud freut sich nicht nur auf eine Tasse Schwarztee, sondern auf die Suche nach einem geeigneten Platz für „Fuchs mit Huhn“. Über dem Klavier: Theuerjahr-Flamingos. Über dem Fernseher: Ein Theuerjahr-Wiesel. Zwischen den Fenstern: „Das Hörnertier. Das heißt wirklich so. Es ist ein Holzschnitt und ein Lebzeitdruck. Und mein erster Theuerjahr“, erzählt sie begeistert. Darunter, auf dem Regal: ein dicker Vogel, den Hiltrud liebevoll „Biberl“ nennt, der aber eigentlich „kleiner liegender runder brütender Vogel“ heißt – einer von 30 Exemplaren, posthum gegossen.
Sitzt Hiltrud Salzer am Schreibtisch im gemütlichen Obergeschoss, wird sie von zwei Theuerjahr-Katzen beobachtet. Die eine liegend mit großen Augen, die andere sitzend mit fast menschlichem Blick. Und wo soll nun „Fuchs mit Huhn“ hin? Hiltrud weiß es noch nicht. Vielleicht ins Wohnzimmer neben die Tür. Es findet sich sicherlich ein angemessenes Plätzchen dafür.
Eva Müller
Anlässlich Heinz Theuerjahrs 100. Geburtstag sind nicht nur in der Arche in Waldhäuser und im Hans-Eisenmann-Haus Ausstellungen zu sehen – insgesamt an sieben Orten werden die Werke gezeigt:
- Arche Heinz Theuerjahr, Waldhäuser: Heinz Theuerjahr und seine Künstlerfreunde. Jährlich 1. Mai bis 31. Oktober, Donnerstag bis Sonntag 14 bis 18 Uhr.
- Stadtgalerie im Stadtmuseum Deggendorf: Heinz Theuerjahr (1913-1991). Noch bis 8. September, Dienstag bis Samstag 10 bis 16 Uhr, Sonn- und Feiertage 10 bis 17 Uhr.
- Hans-Eisenmann-Haus, Neuschönau: Theuerjahrs Freunde stellen aus. Noch bis 3. November, täglich 9 bis 18 Uhr.
- Museum Moderner Kunst, Passau: Theuerjahr neu entdecken. Noch bis 29. September, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr.
- Gemeinschaftshaus Waldhäuser: Zenzi Theuerjahr. 15. September bis 13. Oktober, Donnerstag bis Sonntag 14 bis 18 Uhr.
- Kulturzentrum Zwiesel: Theuerjahr in Nordafrika. 18. Oktober bis 30. November, Freitag bis Sonntag 11 bis 16 Uhr.
- Galerie Wolfstein im Schloss Wolfstein, Freyung: Theuerjahr in Südwestafrika. Dezember 2013 bis Juni 2014, Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr.