Lichteneck/St. Pauli. Der Freitagsheadliner beim diesjährigen Rockfestival Lichteneck heißt Ohrenfeindt. Das Reeperbahn-Trio wird von der Fachpresse als deutsche Antwort auf AC/DC gefeiert. Direkt aus St. Pauli kommend, besingt es die typischen Alltagsgeschichten auf dem Hamburger Kiez. Kann das gut gehen? Rockende Fischköppe im tiefsten Bayerischen Wald? Jason Ditshej meint: „Des wiad a Fetzn Gaude“ – nicht nur für Biker! Denn diesmal kommt ins Zirkuszelt nicht irgendeine Revival Band, die australische Klassiker nachspielt. Bei Ohrenfeindt steht mit Sänger und Bassist Chris Laut nämlich die Reinkarnation von Bon Scott in persona auf der Bühne. Eingängige, fette Riffs und schnörkellose, runde Melodien vereinen sich zum selbst definierten Vollgas-Rock. Im Interview berichtet Laut wie man auf den Bandnamen Ohrenfeindt gekommen ist, warum ein Sänger auf Alkohol und Nikotin verzichten sollte – und über den Unterschied zwischen St. Pauli und Bayern. Außerdem verrät er, dass es am Freitag noch ein kleines Highlight gibt…
„Nee, wir haben keine Angst vor den Bayern“
Servus Chris! Frage eins: Wie seid Ihr auf den Bandnamen „Ohrenfeindt“ gekommen?
Moin, moin Jason. Der Name stammt aus einem Hörspiel von Helge Schneider. In einem seiner Frühwerke stellt er sich als Komponist bei einem Musikverlag vor: ‚Guten Tag, Ohrenfeind mein Name, ich habe da meine Partitur mitgebracht.‘ Wenn man als Band einen Namen sucht, hast Du eine Liste mit 1.000 Vorschlägen – und trotzdem passt keiner so richtig. Im Proberaum haben wir damals viel Helge gehört. Und als dann irgendwann ‚Ohrenfeind‘ kam, wussten wir: ‚Das isses!‘
Habt Ihr Euch auf der Landkarte schon angeschaut, wo Lichteneck überhaupt liegt?
(schmunzelt) Ich weiß zumindest, dass es nicht so weit von Passau entfernt sein soll …
Schon mal nicht schlecht! Lichteneck liegt im Bayerischen Wald. Hast Du ein mulmiges Gefühl, wenn Du als St. Paulianer vor so vielen Bayern spielen wirst?
Nee. Wir spielen ja bestimmt 40 Prozent unserer Shows in Bayern. Wir sind jedes Jahr in München, Augsburg, Memmingen vertreten – und fast jedes Jahr in Nürnberg und Würzburg.
Einer der häufigsten Headliner auf dem Rockfestival Lichteneck war bisher die AC/DC-Revival-Band. Da seid Ihr doch würdige Nachfolger – immerhin werdet Ihr als die deutschen AC/DC hochgelobt!
Das ist ein Prädikat, das uns schon lange anhaftet. Für uns ist das auch ein großes Kompliment, wenn die Fans uns als deutsches Pendant empfinden. Wir sind alle große AC/DC-Fans und ich selbst habe sie mittlerweile über 50 mal live erlebt. Wir lieben den australisch geprägten Blues-Rock. Letzlich machen wir aber doch unser eigenes Zeugs.
„Ich will mit 70 noch auf der Bühne stehen“
Du brauchst Dich mit Deiner Reibeisenstimme nicht vor Brian Johnson oder Bon Scott verstecken. Wie bekommt man so eine Kehle? Und wie pflegt man sie?
Es beginnt grundsätzlich bei dem Klangkörper, den Du hast. Unterschiedliche Bauformen bei Gitarren oder Schlagzeugkesseln erzeugen einen unterschiedlichen Ton. Und das ist mit dem Kehlkopf- und dem Lungenvolumen genau so. Die Grundausstattung und Dein Grundton sind also biologisch vorgegeben. Den kannst Du dann in eine bestimme Richtung bearbeiten, wenn Du viel dafür tust und arbeitest.
Man muss mit seiner Stimme aber auch sorgsam umgehen. Der Sänger hat auf einer Tour am wenigsten Spaß, weil der auch sein Organ pflegen muss. Kein Alkohol! Keine Zigaretten! Möglichst viel schlafen! Es ist also eine anstrengende, körperliche Angelegenheit, für die man viel trainieren muss. So wie jeder Instrumentalist am Tag eine Stunde übt, so muss der Sänger auch ein bis zwei Stunden singen.
Das entspricht jetzt aber nicht dem typischen Sex-Drugs-and-Rock’n’Roll-Klischee. Kein Alkohol? Kein Nikotin?
Ich glaube, dass es Künstler gibt, bei denen das so funktioniert. Bei mir klappt das nicht. Ich glaube auch nicht, dass das für einen Sänger lange gut geht, wenn er raucht und trinkt. Er schreit dann ja mehr als er singt. Und das ist ja gesangstechnisch ganz was anderes. Ich will das nicht, weil ich noch mit 70 auf der Bühne stehen will. Konsequenz ist, dass ich auf mein angeborenes, biologischen Material aufpassen muss.
„Auf dem Kiez erzählen dir Fremde ihre Lebensgeschichte“
Bei St. Pauli denkt man als Bayer natürlich an Reeperbahn, Striptease und Fußball. Sind das die Themen, die Ihr in Euren Songs behandelt?
Beim Song ‚St. Pauli, Du Rockst‘ ist Fußball sicherlich ein Thema. Ich bin auch Dauerkartenbesitzer und großer Fan vom FC St. Pauli. Aber das sind ja meine persönlichen Vorlieben, die in der Musik nur am Rande statt finden. Viel mehr werden in unseren Songs Alltagsthemen verarbeitet. Ich bin jemand, der viel beobachtet. Und da bin ich in St. Pauli natürlich gut aufgehoben. Hier passiert eben viel, weil es ein touristisches Zentrum mit einem besonderen Nachtleben ist. Hier laufen jedes Wochenende eine halbe Million Menschen über den Kiez. Da kannst Du ganz große Geschichten – von Tragödien bis Liebesgeschichten – miterleben. Ich beschreibe also das, was ich sehe, was ich selbst erlebe, oder was mir andere erzählen.
Beim Song „St. Pauli, Du Rockst“ geht’s nicht nur um Fußball …
Erzähl uns Bayern doch mal eine besondere St. Pauli-Story.
‚Es Wird Tag Auf St. Pauli‘ ist ein Song von unserem ersten Album, der schon vor zehn Jahren erschienen ist. Hier geht’s um etwas, was man auf dem Kiez täglich erlebt. Du kommst kurz vor Morgengrauen in eine Kneipe und triffst jemanden, den Du gar nicht kennst. Und der erzählt Dir dann seine ganze Lebensgeschichte und was ihn gerade bedrückt. Das macht man ja oft beim Kneipentresen, weil man da mit jemandem reden kann, der eigentlich weit weg ist und einen unverstellten Blick hat. Und der erzählt es dann auch nicht in Deinem engeren Bekanntenkreis weiter. Bei unserem Song findet genau das statt.
„Der bayerische Menschenschlag ist vom Paulianer nicht weit entfernt“
Was ist für Dich typisch bayerisch?
Bei uns ist alles sehr flach. Du kannst mittwochs schon erkennen, wer sonntags zu Besuch kommt. Und bei Euch geht’s halt rauf und runter (lacht). Das Fahrrad fahren und das Joggen ist bei Euch viel anstrengender. Ich bin mehr die Küste und die Weite gewöhnt. Bei Euch muss man erst auf den Berg rauf, wenn man in die Ferne blicken will. Aber ich mag die Landschaft in Bayern sehr gerne.
Und ich mag auch den Menschenschlag, der vom St. Paulianer gar nicht so weit entfernt ist. Die meisten Bayern empfinde ich als sehr bodenständig. Es sind sehr realitätsverbundene Menschen. Sie sehen die Dinge so, wie sie sind. Und bei den Bayern ist ein Wort auch ein Wort. Das alles ist mir sehr nah, auch wenn der Dialekt anders ist. Aber wenn man ein paar mal in Bayern war, versteht man den auch.
Gibt’s auch Unterschiede zwischen den Gigs an der Küste und in Bayern?
Je weiter Du nach Süden kommst, umso leichter ist es für die Menschen auch mal einfach abzugehen und auf Konzerten Party zu machen. Da ist der Norddeutsche insgesamt etwas kühler. Aber uns fahren mittlerweile auch viele Fans aus den unterschiedlichsten Regionen Deutschlands hinterher. Deshalb haben wir vor der Bühne sowieso immer eine gemischte Gruppe.
In Lichteneck wird die neue CD „Auf Die Fresse Ist Umsonst“ präsentiert
Ihr habt für Freitag auch noch ein richtiges Highlight parat …
Es ist zugleich die Release-Show für unser neues Album ‚Auf Die Fresse Ist Umsonst‘, das auch an diesem Tag erscheint. Wir werden etwa zwei Drittel der neuen Scheibe auf dem Konzert vorstellen.
Eine weitere Besonderheit ist, dass wir mit einer neuen Besetzung auftreten. Thorsten Mewes, der auch bei Die Happy aktiv ist, wird die Gitarre spielen. Außerdem sitzt an diesem Tag Stefan Lehmann am Schlagzeug. Er war früher auch bei Ohrenfeindt und ist dann zu Torfrock gewechselt. Weil er aber auch dieses Album eingetrommelt hat, ist er am Freitag mit dabei.
Wie kam es zum Titel ‚Auf Die Fresse Ist Umsonst‘?
Das ist so ein St. Pauli-Schlag. Dieser Spruch stand jahrelang in einer meiner Lieblingskneipen mit Kreide über dem Tresen geschrieben. Es gibt immer wieder mal Leute, die der Frau hinter dem Tresen zurufen: ‚Ich kenn den Chef, komm, gib mir mal einen aufs Haus!‘ Dann antwortet in Hamburg die Tresenfrau: ‚Pass mal auf Kleiner, auf die Fresse ist umsonst. Alles andere musst du bezahlen.‘
Chris, vielen Dank für den Tipp und das Interview. Wünsch Euch eine Mordsgaudi am Freitag und viel Erfolg mit Eurer neuen CD!
Interview: Jason Ditshej