Obernzell. Montagvormittag in der Pflegeschule St. Augustinus in Obernzell. Frau Meier liegt im Bett und bewegt sich nicht. Ihr Alter ist schwer zu schätzen und sie hat weder einen Vornamen noch einen eigenen Willen. Was mit ihr geschieht, ist ihr egal. Frau Meier ist eine Puppe, die speziell zum Einüben von Pflegemaßnahmen entwickelt wurde und in dieser Funktion schon oft gewaschen wurde. Sie ist vieles gewöhnt – wenn sie sprechen könnte, wäre sie an diesem Tag aber sehr zufrieden. Reportage im Rahmen der Hog’n-Pflegeserie „Guad aufg’hom.
Dozentin Waltraud Herbst hat selbst 30 Jahre Praxiserfahrung
„Beim ersten Mal sind die Schüler immer noch unsicher im Umgang mit Bewohnern und den zu erlernenden Pflegemaßnahmen“, sagt Waltraud Herbst, die selbst 30 Jahre Praxiserfahrung vorzuweisen hat. Die examinierte Krankenschwester ging in die Altenpflege, wurde Stationsleiterin und schulte schließlich zur Dozentin für Altenpflege um. Seit drei Jahren unterrichtet sie an der Pflegeschule St. Augustinus in Obernzell, deren Träger die Rosenium GmbH ist. Waltraud Herbst hat schon viel erlebt – und wenn sie eine Gruppe lobt, dann meint sie es auch so.
Doch jetzt ist erst einmal Frau Meier an der Reihe. Dafür treten Tanja und Maria ans Pflegebett. Maria führt die Übung durch, Tanja assistiert. „Klopf, klopf! Eintreten. Tür und Fenster schließen, Sichtschutz herstellen“, erklärt Maria ihr Pantomimenspiel und begrüßt die Bewohnerin. „Guten Morgen Frau Meier, ich wasche Sie jetzt!“ Gesicht und Kopf zuerst, die Augen von den äußeren Rändern nach innen. Das Wasser ist kalt und der Pflegeschaum darf weggelassen werden, aber sonst versucht Maria,sich an alle Regeln zu halten. Schließlich steht die Abschlussprüfung unmittelbar bevor – und später ist irgendwann auch niemand mehr da, um sie zu unterstützen. Immer wieder kündigt sie an, was sie an der Puppe nicht vorführen kann, und beginnt dann mit einer gründlichen Ganzkörperwaschung. Freundlich und bestimmt, wenn auch bei dieser Übung nicht alles so funktioniert, wie es eigentlich sollte. Die Finger der Puppe sind steif und der Ärmel des Nachthemdes ist zu eng, das macht Probleme: An einer Puppe kann man vieles üben, aber eben nicht alles. Und später wird es ohnehin besser, vor allem wenn die Routine hinzukommt.
Sätze wie „Na Frau Meier, wie geht’s uns denn heute?“ sind tabu
„Jetzt tun wir den Rücken waschen!“ – das sind Sätze, die Waltraud Herbst überhaupt nicht mag. „Nicht wir waschen, Sie waschen!“ Auch die berühmten Sätze aus der Krankenhaus-Routine lässt sie nicht durchgehen. „Na Frau Meier, wie geht’s uns denn heute?“ ist für sie einfach unmöglich. Genau wie das Duzen. Das muss immer vom Bewohner kommen, niemals von der Pflegekraft. „Das ist eine Frage des Respekts“, erklärt die Dozentin. „So manchen Bewohner sieht man zwar nicht mehr an, was er einmal dargestellt hat, aber deshalb darf sich niemand über seine Persönlichkeit hinwegsetzen.“
Bei Frau Meier sind inzwischen die Beine an der Reihe. Und weil es sich gut anbietet, werden gleich ein paar Bewegungsübungen eingefügt. „Das ist eine Kontraktions-, Dekubitus– und Thromboseprophylaxe“, weiß Maria sofort und hält eine Schraube in der Hand, weil sich das Knie von Frau Meier gelöst hat. Für den Genitalbereich heißt es: Handschuhe anziehen, was wegen der feuchten Hände schwierig ist. „Wichtig: den Bewohner immer informieren“, wirft Waltraud Herbst ein. Und Maria sagt zu Frau Meier: „Jetzt drehe ich Sie auf die Seite.“
„Der Wille des Bewohners ist oberstes Gebot für uns alle“
Nachdem Frau Meier fertig gewaschen ist, bekommt sie eine frische Windel, Nachthemd, Decke, Brille, Hörgerät und die Frage zu hören: „Haben Sie noch einen Wunsch?“ Frau Meier ist zufrieden. Sie hat es geschafft. Mal wieder. Genau wie die 13 Frauen und zwei Männer, die den Kurs zum Helfer für die alltägliche Grundpflege im Bereich Altenpflege belegt und absolviert haben. Sie alle sind Neueinsteiger in Sachen Pflege, haben vorher schon mehr oder weniger lang in anderen Berufen gearbeitet und sind teils selbst darüber erstaunt, wie viel Spaß die Aufgaben ihnen inzwischen bereiten. In den vergangenen drei Monaten haben sie alles eingeübt, was zur Grundpflege gehört, wie gewaschen, geduscht oder gebadet wird. Sie haben viel über Ernährung, den Umgang mit Demenz, Sterbebegleitung, Kommunikation und Pflegerecht gelernt.
„In einem solchen Kurs muss man ganz anders an den Unterricht herangehen, als in einem einjährigen oder dreijährigen Kurs“, sagt die Dozentin. Für die Teilnehmer ist alles neu und vieles ungewohnt. „Sie sind alle super motiviert und haben fleißig mitgemacht“, lobt Waltraud Herbst ihre Schüler. Sie weiß aber auch: „Die Häuser, in denen sie den Praxisteil geleistet haben, haben auch das Ihrige dazu beigetragen.“ Nach dem Bestehen der Prüfung haben die Pflegeneulinge die Wahl: Sie können sich jetzt in einem Alten- und Pflegeheim bewerben, das Gelernte für den privaten Einsatz von Angehörigen nutzen oder eine einjährige Ausbildung anschließen und sich damit zum Altenpflegehelfer qualifizieren. Im Anschluss daran steht ihnen die Ausbildung zum examinierten Altenpfleger offen – und damit ein weiterer Schritt auf der Karriereleiter.
Viel Theorie und Praxis liegt hinter den Frauen und Männern und als eine der letzten Tipps weist Waltraud Herbst auf etwas hin, was unumstößlich ist: „Es gibt Hygiene-Standards, die man mitgeben und beachten muss – aber letztlich entscheidet der Bewohner, wie er gewaschen werden will. Sein Wille ist das oberste Gebot für uns alle.“ Das wird für die Absolventen dieses Kurses in ihrem künftigen Beruf ohnehin wegweisend sein. Im Mittelpunkt der Pflege steht immer der Mensch mit all seinen individuellen Wünschen und Bedürfnissen.
da Hog’n
Ein neuer Kurs zum Helfer für die alltägliche Grundpflege im Bereich Altenhilfe findet im Februar in der Altenpflegeschule St. Augustinus in Obernzell statt. Telefon: 08591/939355
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Die Teilnehmer im Gespräch:
Marie-Louise (46) hat zwei Kinder mit 14 und 20 Jahren und kommt aus der Hotelbranche. Sie wurde von einer Bekannten, die im Rosenium arbeitet, darauf angesprochen. Schon immer hat sie sich für Pflege interessiert. „Das ist ein Beruf mit Zukunft“, hat sie sich gesagt und sich sofort angemeldet. „Es war alles sehr lehrreich und die Zeit verging wie im Flug.“ Jetzt hofft sie darauf, schnell eine geeignete Stelle zu finden.
Steffen (25) ist gelernter Schreiner und musste nach einem Arbeitsunfall etwas Neues finden. Sein Cousin arbeitet im Rosenium und hat ihn auf diesen Kurs aufmerksam gemacht. Er wusste nicht, ob ihm der Bereich Pflege liegt, doch jetzt gefällt es ihm so gut, dass er im Herbst mit einem weiterführenden Kurs seine Berufschancen verbessern möchte.
Tanja (32) hat zwei Kinder im Alter von zwei und acht Jahren und möchte sich etwas Geld dazuverdienen. Weil der Kurs so schön elternfreundlich ist, hat es mit der Ausbildung super geklappt. Jetzt sucht sie eine Stelle. So ging es auch ihrer Freundin Bettina (31), die sie animiert hatte, mitzumachen. Diese wusste im Vorfeld nicht, ob Pflege das Richtige für sie ist, doch ihre Berührungsängste hat sie schnell verloren. „Mit der richtigen Anleitung geht alles“, sagt sie.
Beate (43) musste erst noch ihre Mutter davon überzeugen, dass die Pflege etwas für sie sein könnte. Doch inzwischen sind beide Frauen von der Richtigkeit ihrer Entscheidung überzeugt.
Julia (25) ist schwanger. Sie hat Köchin gelernt, war in der Fabrik und hat sich dann für die Küche im Rosenium Neureichenau beworben. Dort meinte Heimleiterin Annette Kern aber: „Ich brauche keine Küchenkraft, ich brauche jemanden in der Pflege.“ Julia war sich nicht sicher, doch Annette Kern meinte nur: „Sie wären die Erste, die das nicht lernt.“ Nach der Elternzeit will Julia das Erlernte auf jeden Fall anwenden und sich in einem Altenheim bewerben.