Landkreis Regen/Freyung-Grafenau. Der Mensch baut gerne. Vor allem groß – vielleicht auch, weil es sich gut anschauen und vorzeigen lässt. Vermutlich ist das mit ein Beweggrund, der neben Argumenten wie Funktionalität, Notwendigkeit und Komfort zum Tragen kommt. In einer Gesellschaft der Prestigeobjekte gehört Straßenbau zum Wahlkampfthema – im Landkreis Regen genauso wie in Freyung-Grafenau. Denn eine fertige Straße kann man auf die Liste der Erfolge setzen – und sie gehört unabdingbar zum deutschen Imagesymbol schlechthin: Dem Auto. Offensichtlicher argumentiert man allerdings mit dem Wirtschaftsfaktor Infrastruktur. Wissenschaftler jedoch betrachten Straßenbau und auch öffentliche Mobilität deutlich differenzierter: Prof. Dr. Johannes Klühspies geht davon aus, dass die Bedeutung des Autos in Zukunft deutlich abnehmen wird.
In 20 Jahren: Ein Drittel weniger volltaugliche Straßen im Bayerwald
Der Arbeitskreis „Energie und Verkehr“ des Landkreises Regen lud den Verkehrsmanagment- und Regionalentwicklungs-Experten zu einem Vortrag über die Zukunft der Mobilität in unserer Region ein. Hierbei wurde deutlich: Wissenschaftler planen über Legislaturperioden hinaus und denken in Jahrzehnten. Klühspies veranschaulichte einige Entwicklungen, die bis ins Jahr 2030 – also in weniger als 20 Jahren – eingetroffen sein dürften: „Die Freude am Fahren, mit der die Automobilwirtschaft wirbt, steht öffentlichen Verkehrsmitteln direkt entgegen. Das Transportmittel der Zukunft ist das Auto jedoch nicht – denn die Straßeninfrastruktur im Bayerischen Wald wird sich in 20 Jahren deutlich verschlechtern: Wir werden ein Drittel weniger volltaugliche Straßen haben.“
„Die Kosten der Instandhaltung wachsen uns über den Kopf“
„Das heutige Straßennetz ist nicht zu erhalten. Die Kosten der Instandhaltung wachsen uns über den Kopf.“ Sogar wenn die Summe der Steuereinnahmen gleichbliebe oder leicht zunehme, könnte sie den Unterhalt des jetzigen Straßennetzes nicht decken. Denn die Folgekosten bei Großbauwerken seien höher als die Baukosten. Die Wissenschaftler seien sich einig, dass die Instandhaltung von Brücken, Tunneln und Straßen systematisch unterschätzt werde – auch, um die Projekte den Steuerzahlern gut verkaufen zu können. Die wenigsten Bürger wissen, dass man eine Autobahn alle 30 Jahre vollständig erneuern muss.
„Die Bahn ist ein Kulturgut: Ihre Erhaltung bedeutet aktive Heimatpflege“
Auch im Bahnverkehr baue und plane man ineffizient. „Nichts desto trotz ist die Bahn das Transportmittel der Zukunft und die Bahnstrecke Viechtach-Gotteszell hat eine volkswirtschaftliche Dimension.“ Die ländliche Region sei in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf die Bahn angewiesen – auch um Arbeitnehmer und Konsumenten zu transportieren. „Die Bahn ist nicht nur ein Kulturgut: Ihre Erhaltung bedeutet aktive Heimatpflege.“ Insofern prognostiziert Klühspies eine Renaissance des Schienenverkehrs. Es werde immer mehr Menschen geben, die aufgrund ihres Alters nicht Auto fahren können, und dennoch transportiert werden müssten. Hier stellt sich die Frage, wie Menschen ohne Auto dann zur Bahn kommen – gerade wenn sie außerhalb des Stadtgebietes wohnen. In diesem Bereich werden laut Klühspies voraussichtlich Bus, Fahrrad und elektromobile Fahrzeuge eingesetzt werden.
„Öffentlicher Verkehr wird über Schülertransport finanziert“
Bis dahin ist es allerdings ein langer Weg. „Hier in der Region hat die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln einfach keine Tradition. Die Leute wollen und brauchen oft die Flexibilität des Autos“, so eine Zuhörerin. Nicht zuletzt deshalb fänden die geplanten Großausbauprojekte an der B85 in Viechtach und der B11 in Ruhmannsfelden viele Befürworter. Bei den öffentlichen Verkehrsmitteln sei die Taktung häufig ineffizient und für den Einzelnen nicht praktikabel. Auch Klühspies gibt zu Bedenken: „Der öffentliche Verkehr finanziert sich im Moment über den Schülerverkehr. Das heißt, es gibt auch viele Leerfahrten, die man optimieren müsste.“ Außerdem sei der Komfort der öffentlichen Verkehrsmittel entscheidend, um die Leute zum Umdenken zu bewegen. Toiletten, Personal und Service seien nur einige Aspekte, die die Fahrgäste ansprechen und sich deshalb auch betriebswirtschaftlich rentieren.
„Downgradings“: Kommunen für Kreis- und Bundesstraßen zuständig
Auch wenn bislang öffentliche Verkehrsmittel auf dem Land nicht unbedingt attraktiv seien, müsse sich die Bevölkerung darauf einstellen: „Wir beobachten derzeit das Phänomen des Downgradings – das bedeutet, dass Straßen umgewidmet werden, und Kreis- sowie Bundesstraßen den Kassen der Kommunen zur Last fallen.“ Das führe eindeutig zum Rückbau der jetzigen Infrastruktur. „Die Bürgermeister der Landgemeinden werden sich entscheiden müssen, welche Wege sie pflegen.“ Das könnten bei wirtschaftlichem Denken nicht die kleinen Landstraßen sein. Auch deshalb seien die Bahn und öffentliche Verkehrsmittel essentiell notwendig für eine Gewinnerregion.
Martina Zukowski/woidpresse