Zwiesel. „Es ist an der Zeit, der Wildnis wieder mehr Raum zu geben.“ Ein Satz, auf den der Besucher im „Haus zur Wildnis“ trifft. In schwarzen Buchstaben auf einen Holzblock gedruckt, steht er mahnend im Eingangsbereich des im Falkenstein-Gebiet gelegenen Besucherzentrums.
Vielleicht gelten diese Worte aber nicht nur für den Nationalpark Bayerischer Wald, also für unsere natürliche Umgebung – sondern generell für den Lebensraum „Woid“. Möglicherweise ist es nun auch wirtschaftlich, ökologisch, sozial und kulturell gesehen an der Zeit, wieder mehr Wildnis zuzulassen. Den Weg frei zu machen für innovative Ideen und verrückte Querdenker, damit wir alle hier in unserer Heimat eine gemeinsame Zukunft haben.
Warum fällt es so schwer, die (jungen) Leute im Woid zu halten?
So sahen es zumindest die Redner, die der „Kultur- und Förderkreis Nationalpark Bayerischer Wald e.V.“ am vergangenen Donnerstagabend zu einer Podiumsdiskussion geladen hatte. Vertreter aus Tourismus, Wirtschaft, Umwelt und Bildung waren aus dem Unteren und dem Oberen Woid nach Ludwigsthal bei Zwiesel gekommen, um über die Zukunft des Bayerischen Waldes zu diskutieren. Die Podiumsteilnehmer erklärten den zahlreichen Zuhörern, warum sie gerne in ihrer Heimat arbeiten und leben, sie versuchten nachzuspüren, warum es dem Woid so schwer fällt, die (jungen) Leute zu halten – und was ihrer Meinung nach schleunigst dagegen getan werden sollte.
Überproportionaler Bevölkerungsrückgang, aussterbende Innenstädte und Dorfkerne bei gleichzeitiger Zersiedelung, medizinische und infrastrukturelle Unterversorgung, Verlust von Arbeitsplätzen, Qualitäts- und Vernetzungsdefizite im Tourismus… Kurzum: Die Entwicklung im Bayerischen Wald ist besorgniserregend. Deswegen traf man sich – um das Thema, das bereits vor fünf Jahren in dem von Hubert Ettl herausgegebenen Buch „In die Mitte Europas gerückt – eine Zukunft des Bayerischen Waldes“ besprochen wurde – weiterzuführen.
Wanted: umweltverträglicher Tourismus und mehr Direktvermarktung
Nationalparkleiter Dr. Franz Leibl beispielsweise sieht eine Chance des Bayerischen Waldes unter anderem im sanften Ausbau eines umweltverträglichen Tourismus. Der Nationalpark unterstütze dieses Vorgehen, betonte er. „Dabei ist jedoch eine Neustrukturierung des Tourismus wichtig, um neue Zielgruppen herzubekommen.“ Allerdings gehe es seiner Meinung nach nicht nur um das Nationalparkgebiet, sondern auch um dessen Vorfeld, also um die landwirtschaftlichen Flächen vor dem Park, denn die sollten ebenfalls ökologisiert werden.
Und: „Die Landwirte müssen sich überlegen, wie sie sich in Zukunft aufstellen wollen. Wenn kleinbäuerliche Strukturen überleben wollen, müssen sich die Bauern anders ausrichten.“ Da Regionalität derzeit ein absoluter Megatrend sei, sollten deshalb gezielt regionale Produkte beworben werden, so Leibls Gedanke. Ein Vorschlag für eine solche Direktvermarktung kam aus dem Publikum: „Unsere Kühe produzieren so viel Milch, aber eine eigene Käserei hat bei uns fast keiner!“
Christina Gotsmich: „Habt mehr Mut und Vertrauen in die Region!“
Sebastian Nielsen, Geschäftsführer vom Adventure Camp Schnitzmühle in Viechtach, zeigt mit seinem Angebot, wie innovative touristische Ideen auch im Bayerischen Wald umgesetzt und erfolgreich betrieben werden können. Er und sein Bruder Kristian setzen dabei ganz bewusst nicht auf spezielle Ziel-, sondern vielmehr auf „Stil“-Gruppen. „Ich wünsche mir, dass bei uns mehr Neues entsteht“, so Nielsen. „Viele Hotels isolieren ihre Gäste bewusst von den Einheimischen – und dadurch wird die Seele des Bayerischen Waldes nicht mehr transportiert. Das ist sehr schade.“ Er sei auf seinen Reisen viel in der Welt herumgekommen – und habe immer wieder festgestellt: „Sobald man sich als Waidler outet, wird man als Hinterwäldler behandelt.“ Das Image sei also ein entscheidender Faktor.
Auch die Innenarchitektin Christina Gotsmich aus Hinterschmiding hat beruflich auf die Region gesetzt: Gemeinsam mit ihrem Mann, einem Industriedesigner, hat sie vor zwei Jahren die Firma „siimple design GmbH“ in Freyung gegründet. „Wir haben festgestellt, dass viele hiesige Firmen ihre Design-Leistungen an die Agenturen in den großen Städten vergeben. Also haben wir es einfach versucht.“ Das „Ja“ zur Heimat habe sich bereits in der kurzen Firmengeschichte bezahlt gemacht, so Gotsmich. Sie würde sich deshalb wünschen, dass mehr Einheimische wieder in den Woid zurückkehren: „Habt mehr Mut und Vertrauen in die Region!“
„Es fehlt ganz entscheidend an einer Willkommenskultur“
Roland Pongratz, Kulturbeauftragter des Landkreises Regen, fand, man solle verstärkt bei der nächsten Generation ansetzen: „Wir sollten den Jugendlichen möglichst früh vermitteln, dass wir ihnen etwas zutrauen – und sie bei ihren Ideen unterstützen. Und zwar bevor sie ihr Abitur machen.“ In den jungen Leuten stecke ganz viel Kreativität – und deswegen müsse man gerade den Kulturbereich sehr ernst nehmen, so Pongratz. „Sonst gehen die Jungen weg und absolvieren ihre Ausbildung woanders. Und damit verlieren sie auch ihre Anknüpfungspunkte an die Heimat.“
Die Jurastudentin Miriam Werner sieht in ihre Heimat dennoch keine Zukunftsoption, obwohl sie immer wieder gerne dahin zurückkehre, wie sie betonte. Sie wünsche sich, dass man die ländliche Prägung zwar beibehält, aber eine neue Offenheit fördert. „Es fehlt ganz entscheidend an einer Willkommenskultur. Wir müssen auch wollen, dass andere Leute zu uns kommen.“ Zumal der Bayerische Wald ja im Herzen Europas liege – und daher das Verbindungsstück zwischen dem Osten und dem Westen sei. „Wir müssen uns unseren tschechischen Freunden annähern!“, lautete eine ihrer Forderungen.
Eine einheitliche Identität von Šumava und Bayerischer Wald?
Andreas Dittlmann, Geschäftsführer von Dittlmann & Partner, der mit seiner Agentur aus Waldkirchen unter anderem in der Tourismus- und Regionalentwicklung tätig ist, sagte, für ihn hätten Träume eine längere Haltbarkeit als Strategien. Einer seiner Träume handelte von einem gemeinsamen Wald, also von einer einheitlichen Identität der beiden Nationalparks Šumava und Bayerischer Wald. Eine andere Vision sei etwas makaber, weil ihm das Jahrhunderthochwasser diese Situation verdeutlicht habe:
„Mir ist bewusst geworden, dass wir hier im Bayerischen Wald bei der Hochwasserkatastrophe so etwas wie eine einsame Insel waren. Es kann durchaus sein, dass wir hier zu einer Art Arche für beispielsweise Menschen aus dem Süden werden.“
Auch Moderator Hubert Ettl selbst und sein lichtung verlag sind ein Beispiel dafür, dass neue Ideen die Zeit länger überdauern als nur ein paar Jahre. Seit 25 Jahren besteht der Verlag in Viechtach bereits. Er appellierte an Wirtschaft und Tourismus, nicht immer nur auf Agenturen von außen zu setzen, sondern mehr auf die Kreativität der Leute vor Ort zu vertrauen.
„Bayerisch Eisenstein hat heuer keinen einzigen Schulanfänger …“
Nein, eine politische Veranstaltung war die Podiumsdiskussion (glücklicherweise) nicht. Politiker waren ja auch gar nicht erst aufs Podium geladen worden. Man wollte wohl wahlkampfträchtiges Gebaren vermeiden – und da zogen es die meisten Politiker anscheinend vor, gleich ganz zu Hause zu bleiben oder eine werbewirksamere Veranstaltung aufzusuchen. Bis auf einige wenige Bürgermeister aus dem Umland war kein kommunaler Vertreter anwesend.
Wie wichtig es aber ist, dass gerade Politiker sich mit den Aussagen der Podiumsteilnehmer auseinandersetzen, verdeutlichte Kurt Schürzinger, der erste Vorsitzende vom Kultur- und Förderkreis Bayerischer Wald e.V.: „Die 1.000 Einwohner starke Gemeinde Bayerisch Eisenstein hat heuer keinen einzigen Schulanfänger …“
Dike Attenbrunner
Liebe Frau Attenbrunner,
herzlichen Dank für den langen, wohldosierten Artikel mit dem tollen Aufmacher: „Mehr Wildnis im Kopf,“ das täte dem Bayrischen Wald mitunter auch mal richtig gut: Offenheit, Toleranz, Neugierde, Mut.
Mit besten Grüßen und neuem Schwung
Kurt Schürzinger
1. Vorsitzender des Kultur- und Förderkreises NAtionalpark Bayerischer Wald