Bevor sie die 60 Jahre voll machen, haben sich viele deutsche Bundeswehrsoldaten schon in die Pension verabschiedet. Einige von Ihnen kaufen sich Häuser in Spanien und genießen dann Sonne, Strand und Meer. Metal-Soldat Udo Dirkschneider (61) war auch mal bei der Mitlitärtruppe – und trägt auf der Bühne stets seine NATO-Uniform. Nicht verwunderlich also, dass er vom deutschen Bundeswehrradio eingeladen wurde, um Anekdoten aus seiner Zeit „beim Bund“ zu erzählen. Momentan feiert seine Hardrock-Kapelle U.D.O. mit dem Album „Steelhammer“ (VÖ 24.05. / AFM Records) den bislang größten europäischen Charterfolg seit der Gründung 1987.
Zweiter Frühling mit 61: So klingt Heavy Metal im Jahr 2013!
Der gebürtige Solinger lebt seit vier Jahren ebenfalls in Spanien – genauer gesagt auf Ibiza. Dort kann er sich mit viel Natur, schönem Wetter und gutem Essen vom harten Tour-Alltag regenerieren. Aber Dirkschneider will kein Rentner sein: „Nur weil ich 60 geworden bin, heißt das noch lange nicht, dass ich zum alten Eisen gehöre.“ In den 80er Jahren war er mit seiner einzigartigen Reibeisenstimme das Aushängeschild der Heavy Metal-Ikonen Accept. Nun erlebt der „German Metal Tank“, wie er von seinen Fans oft bezeichnet wird, seinen zweiten Frühling. Und das zurecht!
„Steelhammer“ ist nicht nur ein weiteres Heavy-Metal-Album in seinen rund 40 Bühnenjahren. Der U.D.O.-Panzer hat neben einem Ölwechsel auch neue Ketten aufgezogen bekommen, bestückt mit modernster Elektronik. Udo Dirkschneider und Bassist Fitty Wienhold saßen diesmal nach einigen Jahren wieder selbst hinter den Produktionsreglern. Herausgekommen ist ein Metal-Sound, der zeitgemäßer nicht sein könnte. Neben fetten, kreischenden Gitarren kommen dezente, atmosphärische Synthiesounds zum Einsatz. Schlagzeug und Bass sind druckvoll und klar gemixt, während die oft zweistimmigen Gitarrensolos eine Melange aus Eddie Van Halen und Slash sein könnten. So muss Heavy Metal im Jahr 2013 klingen!
Mitreißend inszeniert: Mit der „Metal Machine“ auf Zerstörer-Kreuzfahrt
Die erste Single „Metal Machine“ gibt sogleich die programmatische Richtung des gesamten Albums vor: Die dominanten Gitarrenriffs, der stampfende Beat und der hymnenartige Mitgröhl-Chorus werden die meisten Metaller in Entzückung versetzen. Es ist einer der einfach gestrickteren Songs auf der Scheibe, dennoch eingängig und mitreißend inszeniert.
Das Video zu „Metal Machine“ wurde auf dem Zerstörer „Mölders“ in Wilhelmshaven gedreht.
Dirkschneider wagt sich in gesangliche Bereiche, die man ihm gar nicht zugetraut hätte. So ist die Titelnummer ein Accept-typischer, brachialer Kracher, der stimmlich etwas an Iron Maiden-Frontman Bruce Dickinson erinnert. „Devil’s Bite“ erfährt mit seinen futuristischen Sounds eine galaktische Atmosphäre, während „King Of Mean“ eher dem klassischen Speed Metal zuzuordnen ist. „Time Keeper“ erinnert hingegen mehr an Megadeth und die frühen Metallica.
„Book Of Faith“ – ein Song wie aus Quentin Tarantinos Filmen
Bei den melodiösen Balladen „Never Cross My Way“ und „When Love Becomes A Lie“ singt Udo dann sogar eine Oktave tiefer – und das völlig rauchfrei und sogar mehrstimmig. Mit der Piano-Nummer „Heavy Rain“, die ein wenig an „Strawberry Fields Forever“ erinnert, verneigt sich Udo dann sogar noch vor den Beatles, die ihn als kleinen Jungen dazu veranlasst haben, sich überhaupt für Musik zu interessieren. Und man staunt, was für einen Blues der Frontman in seiner Seele trägt.
Schließlich ist da noch das nicht einzuordnende, unglaubliche wie famose „Book Of Faith“, das mit schlichter Perkussion im Latin-Rhythmus beginnt, dem Dirkschneider dann einen tiefen, hypnotisierenden Sprechgesang beifügt, sich weiterentwickelt zu bösartigen ACDC-Riffs und schließlich in einem großen, symphonischen Orchesterfeuerwerk endet. Es würde nicht verwundern, wenn Quentin Tarantino diesen Song in einen seiner nächsten Filme einbauen würde.
„Es ist Zeit, dass wir uns alle ein Stück weit besser verstehen“
Den Song „Cry Of A Nation“ hat die Band den im Ausland stationierten Bundeswehrkameraden gewidmet. Udo Dirkschneider fühlt sich als Botschafter der Völkerverständigung: „Es ist an der Zeit, dass Europa gemeinsam anpackt und dass wir versuchen, uns alle gegenseitig ein Stück weit besser zu verstehen.“
In seiner Wahlheimat Spanien erlebt er, wie viele junge Leute arbeitslos geworden sind und mit großen Existenzängsten zu kämpfen haben. Genau deshalb hat er mit dem etwas schmalzigem „Basta Ya!“ eine Hymne für Europas Jugend mit aufs Album gepackt. Das klingt dann zwar etwas wie Enrique Iglesias auf Speed, ist aber auch Dirkschneiders erster Versuch auf Spanisch zu singen. Man kommt nicht umhin Udo hier Respekt zu zollen, wenn er sagt, dass wir mehr für die Jugend tun müssen: „Denn wenn wir nicht mehr agieren können, wer bitte kümmert sich dann um uns?“ Gäbe es mehr Typen wie ihn, die auch jenseits der 60 noch nicht ans Aufhören denken, hätten wir auch kein Rentenproblem mehr …
Fazit: „Es ist Zeit, was zu erschaffen“ heißt „Basta Ya“ übersetzt. U.D.O. hat nicht unbedingt Neues erschaffen – aber die Band hat sich über eingezäunte Grenzen hinausgewagt. Sie hat ihren Sound neu definiert und auf modernsten Standard emporgehoben. An diesem dürfen sich manch andere Heavy Metal-Bands gerne orientieren. Der „Steelhammer“ ist ein Presslufthammer, der richtig einschlägt! Basta Ya!
Jason Ditshej