Sie wollen es nochmal wissen. Sechs Jahre ist es her, seitdem die Sportfreunde Stiller ihr letztes Studioalbum veröffentlicht haben. Jetzt sind sie endgültig bei den „Alten Herren“ angekommen – und wagen sich mit dem überheblichen Titel „New York, Rio, Rosenheim“ erneut auf den grünen Rasen, um Deutschland zu rocken. Da passt doch der Veröffentlichungstermin am 24. Mai 2013, also einen Tag vor dem deutschen Champions-League-Finale, bestens …
„Auf Wiedersehen, Pubertät (und das endgültig)?“ Fehlanzeige!
„Auf Wiedersehen, Pubertät (und das endgültig)!“ singen sie und meinen damit, dass sie größer und erwachsener geworden sind. Um es gleich vorwegzunehmen: Die „Sportis“ klingen noch genauso wie früher. Das mögen manche gut finden, manche schlecht. Seit mehr als zehn Jahren müssen wir ihr „Kompliment“ auf Faschingsbällen und Volksfesten ertragen. Und seit 2006 erklingt zudem alle zwei Jahre ihr größter Hit „54, 74, 90 Zweitausend-x“ zum größten Fußballspektakel. Fußball, das können sie. Dem ewigen Bayern-Talent Roque Santa Cruz verhalf man mit einem Song einst zu noch mehr Popularität. Mittlerweile spielt der in Malaga – und hat es dort als Ergänzungsspieler zumindest wärmer als in München.
Auch für Sechzger Benny Lauth – ebenfalls Talent, aber immerhin Führungsspieler in der 2.Bundesliga – schrieben sie einst eine Hymne. Dagegen sind nun fast alle Großen wie Kahn und Ballack aus dieser Fußball-Ära im Kicker-Ruhestand. Deutscher Fußball war zu jener Zeit nichts für Ästheten. Man erfreute sich schon an Erfolgen der DFB-Elf über die kleinen Nationen wie die Faröer-Inseln oder Österreich. Auch in der Musik war’s nicht anders. Primitive und unterfordernde Melodien waren genau das richtige für ein Volk, das fußballerisch seit Erich Ribbeck total verunsichert war. Wir sind Helden und Juli feierten auf einmal Erfolge. Auch die Sportfreunde Stiller – damals schon um die Dreißig Lenze alt – waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort, was man von Santa Cruz und Lauth nicht behaupten kann … Oft als „beste Schülerband“ Deutschlands verspottet und auf dem musikalischen Sektor nicht mit derartigen Talenten ausgestattet wie ihre Fußballidole, trafen sie einfach den Nerv der damaligen Generation.
Nach längerer Pause werden wir jetzt wieder mit seichtem Pop genervt
Mittlerweile ist so einiges passiert. Obwohl das Fußballalbum „La Bum“ (2007) ein richtiger Absteiger war, konnten sie mit ihrem 2009 erschienen „MTV Unplugged in New York“ ihren bis dato größten Pokal einfahren. Trotzdem kam danach eine Phase der Unsicherheit und des Ausgebranntseins. Eine längere Pause folgte. Die jungen Wilden Lahm und Schweinsteiger sind dagegen reif geworden und können den FC Bayern am Samstag nun endlich auf Europas Thron führen. Endlich kann man der deutschen Nationalelf auch wieder einen Titel zutrauen. Das deutsche Publikum ist jetzt anspruchsvoller geworden und voller Erwartung. Wir sind wieder wer! Und dennoch kommen Peter Brugger (40), Rüdiger Linhof (40) und Florian Weber (38) wieder zurück aus ihrer Auszeit, um uns mit seichtem Indiepop zu nerven. Brugger führt als Gastronom mittlerweile das Milla im Glockenbachviertel, während Weber bereits seinen zweiten Roman „Grimms Erben“ veröffentlicht hat. Eigentlich hätten sie doch auch ohne Musik viel zu tun gehabt …
„Applaus, Applaus“ für eine Band, die sich selbst feiert
Mit der „Hymne auf Dich“ feiern sie sich auch gleich mal selbst, die Freunde. Trotz aller Fragezeichen sind sie zurück. Die Welt ist für die Sportis gerade groß genug, um auch in „New York, Rio, Rosenheim“ ihren Baby-Rock abzufeuern. Der Titelsong ist übrigens einer der wenigen Ohrwürmer auf der Platte. Für sonderbar konstruierte und komische Texte wie „Wir strahl’n wie ein Reaktor nach nem Pilzrisotto. Unsere Liebe wankt nicht wie die Partei im Wahlkampf-Lotto“ liebt oder hasst man sie. Viele Songs sind wieder mit Synth-Melodien untersetzt. Zusätzliche Streicher- und Bläserarrangements sind das logische Erbe der „MTV Unplugged“-CD.
Sie nehmen sich selbst auf die Schippe, wenn sie mit „Wieder kein Hit“ ihre Schreibkrise thematisieren. Ein bisschen Kitsch darf mit „Wunder fragen nicht“ auch sein. Der Song könnte – ebenso wie das emotionale und dahin plätschernde „Festungen & Burgen“ – auf jedem Kirchentag gespielt werden. Mit „Unter unten“ gibt’s dann endlich auch so eine Art Fußball-Song, der am Schluss in ein niveauloses „Zicke-zacke-zicke-zacke Hoi-hoi-hoi“ mündet. Die absolute Live-Mitgröhl-Garantie! Peter Brugger kann auch im Jahr 2013 noch immer nicht singen. Aber er klingt trotzdem immer noch sympathisch daneben – und ist von keinem anderen Sänger zu imitieren.
Der ersten Singleauskoppelung „Applaus, Applaus“ wird man wohl täglich im Radio begegnen:
Und dann doch noch „Applaus, Applaus“ für den einzigen Hit des neuen Albums. Es ist die „Coming of Age„-Fortsetzung von „Ein Kompliment“. Und da haben die Sportis doch wieder etwas mit einem aktuellen Fußballer gemeinsam. Ein Thomas Müller lässt seine Mitspieler oft auf unerklärliche Weise alt aussehen – und dann ist er auf einmal da, und schießt die unglaublichsten Buden. Auch „Applaus, Applaus“ bohrt sich völlig überraschend und unerklärlich ins Hirn – und kommt nicht so schnell wieder raus. Eigentlich eine ganz einfache Angelegenheit – ohne viel Übersteiger oder Hackentricks. Schülerbands und Gitarrenschüler werden sich auf das problemlose Covern freuen – mit einem der wohl einfachsten Gitarren-Solos der Rockgeschichte.
Anstehende Sommerfestivals werden ein Sportis-Livegenuss
Jede Ära geht einmal zu Ende, selbst die des FC Barcelona. Das kümmert das Pop-Trio wenig. Die Sportfreunde machen mit ihrem neuen Album genau das, was sie vor ihrem Unplugged-Album gemacht haben. Eigentlich war das doch schon ausgelutscht und ausgewindet bis zum Geht-nicht-mehr. Auf den bevorstehenden Sommerfestivals wird man trotzdem die Sportis mit offenen Armen empfangen. Denn sie sind vor allem eins: ein Live-Energiebündel, eine junggebliebene, lustige Deutschrock-Boygroup. Ob die Sportfreunde auch noch im WM-Jahr 2014 und darüber hinaus erfolgreich sein werden, wird sich zeigen. Vielleicht müllern sie ja dann doch nochmal einen raus – auch wenn sie eigentlich keine Fußballsongs mehr schreiben wollen …
Jason Ditshej