Die schottische Rockband Primal Scream meldet sich nach fünf Jahren mit ihrem zehnten Studioalbum „More Light“ zurück. Und wie! „More Light“ ist eine wahre Erleuchtung im Dschungel des Kommerz. Ein hypnotisierender und greller Psycho-Trip in eine Musikwelt, in der man nicht umhinkommt, sich kiffende Hippies vorzustellen.
Cineastischer und symphonischer Psychedelic-Rock
Mit dem neuen Album kehren die Glasgower wieder zurück zu ihren Wurzeln: Mit „All Fall Down“ begannen sie 1985 als Psychedelic-Rock-Band, später kombinierten sie Rock mit Dance Music. Ihr 1991 erschienenes Album „Screamadelica“ wurde von der Musikzeitschrift New Musical Express gar auf Platz eins der „50 Druggiest Albums Ever“ gewählt. In den Neunzigern versuchten sie sich dann an Classic Rock, der nach der Jahrtausendwende deutlichen Electroclash-Einflüssen weichen musste.
Jetzt will Bobby Gillespie – Gründer und Sänger der Band – mit „More Light“ einfach die dunklen Zeiten hinter sich lassen. Mehr Licht also! Oder mehr Erleuchtung? Zusammen mit Gitarrist Andrew Innes hat er die 13 Songs geschrieben. Produziert hat die Scheibe David Holmes, der dem Werk einen cineastischen und symphonischen Charakter beisteuert. Led Zeppelin-Legende Robert Plant darf zudem beim coolen „Elimination Blues“ ans Mikrofon, während bei „Culturecide“ Mark Stewart im Chor mitträllert.
Klingt nach depressiven Beatles und Bloc Party
„More Light“ ist keine leichte Kost und keinesfalls geeignet für Radiofreaks. Aber auch die Bon Jovi– und Indierocker werden Primal Scream nur bedingt lieben. Anspruchsvoll und elitär klingt vielleicht etwas arrogant – mit Sicherheit ist „More Light“ aber ein intelligentes und experimentelles Album. Der indisch anmutende Dance-Opener „2013“ überrascht mit grunzendem Saxophon (schon lange nicht mehr auf einem Rockalbum gehört!).
Bei „River Of Pain“ bleiben wir ebenso im Orient, nur diesmal etwas verwunschener und geheimnisvoller – mit einer sehr dominanten und schönen Basslinie. Bei „Hit Void“ haben sich die Schotten wahrscheinlich an Grauzones NDW-Klassiker „Eisbär“ erinnert: Ein extrem irritierendes und chaotisches Sound-Wirrwarr muss der Hörer hier erdulden – und bleibt dennoch elektrisierend. Genau wie der Song „Sideman“. „Tenement Kid“ hätten auch die Beatles schreiben können – sofern sie depressiv gewesen wären. „Bloc Party„-mäßig geht’s dann aber mit „Invisible City“ weiter: Den typischen Indie-Dance-Groove unterstützt hier ein netter Frauenmehrgesang.
Düster, geheimnisvoll, rebellisch
Die düstere Grundstimmung – die oft an Joy Division erinnert – wird in „Goodbye Johnny“ fortgesetzt. Mit dem trabenden „Turn Each Other Inside Out“ bekommen dann auch die richtigen Indie-Freaks mit einer dominanten Bass- und Gitarrenlinie was auf die Ohren, ohne besonders gefordert zu werden. Überraschend auf der ganzen Platte ist tatsächlich der Schlusstitel, zugleich die erste Single-Auskopplung: „It’s Alright, It’s Ok“ ist der fröhlichste und harmonischste Song – und komplett in Dur gehalten! Es klingt fast wie ein Mix aus John Lennons „Give Peace A Chance“ und George Harrisons „My Sweet Lord“ im 80er-INXS-Style. Nur das „Uh-la-la-la“ erinnert doch noch ein bisschen an „When I´m Dead And Gone“ von Fury In The Slaughterhouse.
Fazit: „More Light“ ist ein Genuss für wahre Sound-Fetischisten. Es gibt so viele Genres, die Primal Scream mit ihrem neuen Album anreißen: Rock, Punk, Ska, Jazz, Weltmusik, eine Prise Woodstock – selbst Techno. Ein düsteres und geheimnisvolles Rockspektakel, das trotzdem ein wenig nach rebellischen Stones riecht. Ein berauschender Cocktail, der den Schotten da gelungen ist.