Eggenfelden. Fräulein Weiler geht gern ins Theater. Diesmal führt sie ihr Weg aber nicht ins Große Haus des Theaters an der Rott, sondern nach Gern in die Alte Mühle. „Ella“, ein Monolog für zwei, von Herbert Achternbusch, inszeniert von Laura Tetzlaffkein normaler Abend.

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Barbara (Barbara Bauer) und Josef (Tobias Rott) sind Ellas Kinder. Sie erzählen die heftige Geschichte ihrer Mutter aus deren Perspektive. Foto: Rupert Rieger/Theater an der Rott

Ella, das ist eine Frau, mit der es das Leben nicht gut gemeint hat

Die Alte Mühle in Gern ist eingebettet in die Schlossökonomie. Im Gegensatz zu den anderen Gebäuden sieht das Haus ordentlich heruntergekommen aus. Der Putz bröckelt, alles ist krumm und schief und genau da hinein gehe ich jetzt, um mir „Ella“ anzuschauen, das Herbert Achternbusch als Monolog für zwei geschrieben hat. Ella, das ist eine Frau, mit der es das Leben nicht gut gemeint hat. Ihre erwachsenen Kinder Barbara und Josef erzählen das Leben ihrer Mutter aus deren Perspektive. Gut, dass ich dies vorher im Programmheft gelesen habe, sonst hätte ich noch älter ausgesehen an diesem Theaterabend. Vor dem Haus werden Hartwurst und Essiggurken verschenkt. Es gibt Bohnenkaffee und Wasser gratis. Die Zuschauer bedienen sich mäßig – auch wenn es dann doch gar kein so unpassendes Gefühl ist, mit einer Pfefferbeißer in der Hand da oben zu sitzen.

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Barbara (Barbara Bauer) wäscht sich gern die Hände. Doch der Wahnsinn lässt sich nicht so einfach abwaschen … Foto: Rupert Rieger

Da oben. Auf dem Dachboden der Alten Mühle. Modrig riecht es, als ich die schmalen, morsch wirkenden Stiegen hinaufsteige. Oben ist die Luft von Kaffeeduft erfüllt – weil es sind Kaffeebohnen, die da überall auf dem Dielenboden verstreut liegen, keine „Mäusebohnderl“, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Zwei Seiten sind vollgestellt mit unterschiedlichsten Stühlen, Sesseln und Kanapees, worauf sich die Zuschauer wahlweise niederlassen. Auf der einen Seite hängen Bettlaken an der Leine, Eimer stehen herum, Zeitungen liegen gestapelt und wild durcheinander da. Überall hängen Papiertüten, dort steht eine Zinkwanne, da baumeln Seile und eine Strickleiter. Ausstatterin Katharina Müller hat die Willkürlichkeit gut hinbekommen. Das Auge wandert. Die Nase schnuppert.

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Ich frage mich: Wie weit ist man eigentlich seines Glückes Schmied?

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In Interaktion treten die Geschwister nie. Mal spricht Barbara (Barbara Bauer), mal Josef (Tobias Rott). Nur zum Schluss, da sehen sie sich an. Und erschrecken … Foto: Rupert Rieger

Draußen schlägt die Kirchturmuhr. Und dann beginnt dieses Pling-Pling, das sich durch den ganzen Abend ziehen wird. Ich versuche es zu orten – da, links hinten aus der Ecke …? Nach geraumer Zeit kriechen sie aus ihren Verstecken, Barbara und Josef. Und das Erzählen beginnt. Es ist ein endloses Lamentieren über viele Erfahrungen. Ella hat viel mitgemacht und das von Anfang an. „Schon wieder ein Mädel“, sagte der Vater zur Begrüßung nach der Geburt. Schläge, nichts als Schläge, „mein Leben war ein einziges Gestoßen- und Gehauenwerden“ – oder so ähnlich sagt es Barbara und meint damit ganz klar: Sex und Gewalt. Ein Über-sich-ergehen-lassen. Ein Aushalten. Irgendwie ein Hinnehmen. Ella, eine leicht Geistesschwache? Eine Willensschwache? Immer wieder drängt sich mir die Frage auf: Wie weit ist man eigentlich seines Glückes Schmied? Kann es die Gesellschaft verhindern, dass man das Eisen gar nicht erst zum Glühen bringt?

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Tobias Rott überzeugt in seiner Rolle absolut. Ich nehme ihm seine autistisch anmutende Verwirrung jedenfalls ab. Foto: Rupert Rieger

Sie kann. Ein Kind von dem – Barbara – , ein Kind vom anderen – Josef. Gearbeitet wie eine sprichwörtlich Blöde. Im Gefängnis gelandet. Und dann die Tour von einem Narrenhaus zum nächsten, dazwischen mal ein Sanatorium. Rund um München herum. Was für ein Leben. Kann das echt sein? Mir fällt eine Bekannte ein. Es kann echt sein.

Der Dachboden ist Ellas Oberstübchen. Hier geistern ihre Kinder herum, selbst völlig verrückt. Die Früchte ihres Wahnsinns. Autistisch, manisch, panisch, so zischen sie im Oberstübchen herum. Von einem Eck zum anderen, unterbrochen von diversen Zwangshandlungen und kindlichen Spielereien. Sie singen Kinderlieder, schaukeln, stecken den Kopf in Eimer, schreien unkontrolliert und stampfen auf, dass ich mich frage, ob das der alte Boden aushält. Sie sind emotional hin- und hergerissen und in einer Welt gefangen, die nicht die ihre ist. Sondern die der Mutter. Irrsinn ist erblich und ein kaputtes Leben kann sich durch Generationen ziehen.

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Ella: Willst Du nicht aufwachen, willst Du nicht wach werden?

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Pling … pling … Barbara (Barbara Bauer) hat ihre helle Freude am Kindlichen. Und an monotonen Wiederholungen. Sprachlicher und tonaler Art. Foto: Rupert Rieger

Der Kaffee. „Magst einen Kaffee?“ Das wurde Ella immer wieder gefragt. Und in dieser Frage, da liegt so viel. Die Frage will sagen: Lass uns den Schein wahren, komm schon, machen wir das Normalste auf der Welt, trinken wir Kaffee, einen echten Bohnenkaffee, gönnen wir uns diesen kleinen Alltagsluxus, weil es alle tun. Die Gesellschaft trinkt Kaffee und sie will Dich dabei haben. Kaffee als Ritual. Die Frage will aber auch sagen: Willst Du nicht aufwachen, willst Du nicht wach werden? Lass Dich wachrütteln vom Kaffee, komm, wach auf, aus Deiner Irrsinnswelt. Oder? Ella wacht nicht auf, das Gefangensein geht weiter, die schlimmen Männergeschichten auch, sie ist die Buh-Frau der Nation. So scheint es.

Tobias Rott überzeugt mich als Josef völlig. Mit seiner weiten Cordhose, durch einen Gürtel eng an den Körper geschnallt, mit dem Sweatshirt, darunter Hemden und darüber ein Pullunder. Die Haare zerzaust. Und der leicht debile Wahnsinn, der ihm ins Gesicht geschrieben steht, der ihm aus den Augen herauskommt. Wenn er den Mund leicht geöffnet hat. Wenn er spricht wie ein kleiner Bub, die Ausführungen seiner Schwester wiederholt. Wenn er schreit und stampft und sich in kauernder Stellung wiegt.

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Sucht Josef (Tobias Rott) im Eimer ein Stückchen Normalität? Foto: Rupert Rieger

Sie will in Ordnung bringen, was nicht in Ordnung zu bringen ist

Barbara Bauer macht was her in ihrer dreckigen Strumpfhose, ihrem weiten Kleid, mit ihrem blonden Zopf, der sich im Lauf des Stücks dank viel Bewegung immer mehr auflöst. Als Barbara wäscht sie sich viel, sie kehrt viel, sie will in Ordnung bringen, was nicht in Ordnung zu bringen ist: Das Leben ihrer Mutter Ella, vielleicht auch ihr eigenes. Barbara Bauer kann schon „eine Narrische“ spielen, aber sie tut es nicht so überzeugend wie Tobias Rott, weil ich ihr dann doch nicht ganz glauben kann. Ihre Augen sind zu klar, ihre Sprache ebenso.

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Der Dachboden – Ellas Oberstübchen. Hier treiben sich die Früchte ihres verpfuschten Lebens herum. Foto: Rupert Rieger

In Interaktion treten die Geschwister nie. Sie erzählen das Leben der Mutter parallel, auch wenn sie den anderen oft genug wiederholen. Sie leben autistisch nebeneinander auf diesem Oberstübchen-Dachboden. Bis zum Schluss. Da sehen sie sich an, laufen schreiend auseinander. Weil sie den Wahnsinn im anderen gesehen haben? Weil sie die Ausweglosigkeit begreifen? Ich weiß es nicht – aber: diese bewusste Begegnung hätte es nicht gebraucht.

Die Thematik hat mich nicht berührt – die Schauspieler umso mehr

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Sie flüchtet sich in kindliche Freuden, schaukelt, singt, geht kleinen Zwangshandlungen nach: Barbara (Barbara Bauer). Foto: Rupert Rieger

Allerdings gebraucht hat es das Zusammenspiel aus Wirklichkeit und Schauspiel. Da schlagen die Kirchturmuhren ein ums andere Mal. Und immer lauschen Barbara und Josef erschrocken bis verzückt. Da – ein Geräusch von draußen, etwas Normales, vor allem: etwas Wiederkehrendes. Denn das lieben sie. Die Wiederholung. Darum immer wieder auch dieses Pling-Pling, das von Barbaras Mini-Klavier herrührt. Darum auch immer wieder die sich wiederholenden Sätze, Phrasen.

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Er traut der Welt nicht, er traut sich selbst nicht: Josef. Foto: Rupert Rieger

Hat mich „Ella“ berührt? Die Thematik: Nein. Das schauspielerische Können: Ja. Es hat mich trotz aller Tragik sogar zum Lachen gebracht. Habe ich „Ella“ mit nach Hause genommen, in mein Bett, wie es mir schon mit so manchem Stück gegangen ist? Nein. Aber das Pling-Pling schon.

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Wollen Sie auch das Pling-Pling hören, Gratis-Wurst essen und Oberstübchen-Flair schnuppern? Dazu haben Sie noch am Pfingstwochenende Gelegenheit. Einmal sogar ganz kostenlos: da Hog’n verlost 2×2 Karten für Pfingstsonntag, den 19. Mai, um 18.30 Uhr. Schreiben sie eine Email (Kennwort: Ella) an info@hogn.de, nennen Sie Namen, Adresse und Telefonnummer – und haben Sie Glück!

Ihr Fräulein Weiler

 


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