Freyung. Kristina Wanieck arbeitet seit Oktober 2009 am Technologiecampus Freyung, als Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe „Bionik“. Ihre erste Aufgabe bestand darin, für die noch recht neue Wissenschaft am Freyunger Campus ein Labor einzurichten. Im dritten Teil unserer „G’forscht und Tüftlt“-Serie erklärt die Diplom-Biologin was man unter Bionik genau versteht, was sich die Technik von der Natur abschauen kann – und warum es oftmals schwierig ist, Prinzipien aus der Tier- und Pflanzenwelt für die Industrie verfügbar zu machen.
Bekannte Beispiele aus der Bionik: Klettverschluss und Lotus-Effekt
Frau Wanieck, was ist unter dem Begriff Bionik zu verstehen?
Bionik ist ein Kunstwort, das aus den Begriffen „Biologie“ und „Technik“ gebildet und in den 60er Jahren geprägt wurde. Es beschreibt die Wissenschaft, die versucht von der Natur für die Technik zu lernen. Die Bionik verbindet dabei die Biologie mit den Ingenieurwissenschaften, um technologische Fragestellungen beantworten zu können. Dabei spielt Deutschland eine nicht ganz unwesentliche Vorreiterrolle: Viele Pioniere der Bionik sind Deutsche und Deutschland gehört zu den wichtigsten Bionik-Forschungsstandorten weltweit.
Welche Beispiele gibt es, mit denen jeder täglich zu tun hat?
Das am weitesten verbreitete Beispiel unseres Alltags ist der Klettverschluss. Erfunden wurde dieser in den 50er Jahren, vom Schweizer Ingenieur Georges de Mestral. Man erzählt sich, dass er mit seinem Hund oft Spaziergänge in der Natur unternahm und dabei blieben immer wieder die Früchte der Großen Klette am Fell seines Hundes hängen. Er untersuchte diese Früchte und entdeckte, dass sie winzige elastische Häkchen tragen, die sich lösen lassen ohne dabei kaputt zu gehen. Dieses Prinzip übertrug er auf textile Materialien und entwickelte so den Klettverschluss.
Auch den Lotus-Effekt kennen mittlerweile viele. Diese Entdeckung kann man als einen Zufallstreffer in der Grundlagenforschung bezeichnen. Als Prof. Dr. Wilhelm Barthlott, der zuletzt das Nees-Institut der Universität Bonn leitete, untersuchte, wie verschiedene Wachse auf pflanzlichen Oberflächen aussehen, entdeckte er, dass einige Blätter verschmutzten, andere aber nicht. Wasser perlt auf diesen superhydrophoben Blättern ab und nimmt den Schmutz mit. Diesen Lotus-Effekt hat man dann zum Beispiel auf Fassadenfarbe übertragen können.
Kopfüber an einer Glasscheibe laufen können wie ein Gecko?
Warum ist es so schwierig, effektive Methoden von Tieren und Pflanzen für die Technik zu nutzen?
Weil man die Prinzipien, die uns die Natur zeigt, nicht prinzipiell einfach so auf die Technik übertragen kann. Dabei spielen Größenverhältnisse, Materialien und das Zusammenspiel von Form und Funktion eine wesentliche Rolle. Wir müssen die Natur zunächst in ihren Prinzipien verstehen, bevor wir an die Umsetzbarkeit gehen können. Deswegen ist es auch so wichtig, dass Naturwissenschaftler und Ingenieure eng zusammenarbeiten.
Nehmen wir mal das Beispiel der Geckos: Dank der besonderen Oberflächenstruktur ihrer Füße können sie selbst kopfüber an Glasscheiben laufen. Durch unzählige feinste Härchen, die sich bis in den Nanobereich verzweigen, entsteht so eine große Haftkraft, die die Geckos an der Oberfläche hält.
Wenn man dieses Prinzip für die Technik nutzen möchte, muss zunächst ein so winzig kleines Haar überhaupt erst einmal untersucht werden.
Es müssen die richtigen Materialien gefunden werden und am Ende muss das technische „Geckotape“ dann auch langlebig funktionieren. Bei all diesen Schritten sind sowohl der Biologe als auch der Ingenieur immer wieder gefragt, an den entsprechenden Stellen nachzusteuern. Die Bionik ist somit ein sehr interaktiver Prozess.
Können Firmen Geräte und Personal am Campus für bestimmte Projekte in Anspruch nehmen? Welchen Vorteil bietet der Campus hier im Gegensatz zu einem Labor beispielsweise in München?
Ja, Firmen können unser Labor und auch unsere Mitarbeiter in Form von Projekten oder Auftragsarbeiten für ihre Analytik nutzen. Der Vorteil liegt ganz einfach darin, dass wir vor Ort sind. Wir stehen für Firmen aus dem Landkreis Freyung-Grafenau bei bionischen Fragen jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung.
„Die Natur arbeitet hauptsächlich mit ungiftigen Elementen“
Für welche Industriezweige ist die Bionik denn interessant?
Für alle! Bionik beschäftigt sich nicht nur mit Materialien. Sie erstreckt sich über Prozesse, Verfahren, Konstruktionen, Geräte und Oberflächen, von der Sensorik bis hin zur Robotik.
Hat Bionik auch etwas mit Umweltfreundlichkeit zu tun?
Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind in der Bionik auf jeden Fall wichtige Aspekte. Allerdings ist die Bionik nicht zwangsläufig immer umweltfreundlich, da muss man differenzieren. Wir sehen aber, wenn wir von der Natur lernen, dass die Natur grundsätzlich anders „entwickelt“ als die Technik. Zum Beispiel „produziert“ sie unter Umweltbedingungen und arbeitet hauptsächlich mit ungiftigen Elementen. In der Technik hingegen treffen wir sehr oft auf Extrembedingungen und hochgiftige Chemikalien.
Außerdem muss die Natur ressourcenschonend arbeiten. Was die Natur uns gerade im Bereich Energieeffizienz und Ressourcenschonung zeigt, ist sicherlich ein Riesenpotenzial, das wir ausschöpfen können!
Der Umweltschutz ist insofern mit der Bionik verbunden, als dass wir einen neuen Blick auf die Natur bekommen, wenn wir wissen, dass sie die ein oder andere technische Frage bereits gelöst hat. Dann bekommt der Schutz der Natur wieder eine größere Bedeutung – auch wenn dieser sicherlich von wirtschaftlichen Interessen motiviert ist.
Weltweit eine der zehn bedeutendsten Innovationstechnologien
Es wurde ja schon ein eigener Verein für die Bionik gegründet. Warum?
Seit mehr als fünf Jahren existiert das Cluster Bayonik – Bionik Netz Bayern, welches den Zusammenschluss von Wirtschaft und Wissenschaft im Bereich der Bionik stärkt. Seit die Organisation dieses Netzwerkes am Technologiecampus Freyung ist, haben Firmen die Möglichkeit, Mitglied im bereits bestehenden Förderverein des Technologiecampus zu werden – und sich so in einer eigenen Bionik-Sparte zu organisieren.
Gibt es Bereiche der Bionik, in denen man in Kürze am
TC Freyung einen Durchbruch erwartet?
Wir arbeiten in Freyung im Bereich der Oberflächen und versuchen, speziell die Funktion der leichten Reinigbarkeit für technische Produkte umzusetzen. Die ersten Projekte sind dazu schon durchgeführt worden, allerdings werden die verwertbaren Ergebnisse sicher erst in ein paar Jahren nutzbar sein. Bionik-Projekte sind häufig mit einem hohen Forschungsaufwand verbunden, der einfach seine Zeit benötigt.
Wie wichtig ist die Bionik für die Technik der Zukunft?
Sehr wichtig! Der VDI und das Netzwerk BIOKON halten die Bionik weltweit für eine der zehn bedeutendsten Innovationstechnologien. Ich kann dieser Einschätzung nur zustimmen, denn die Bionik bietet ein unglaubliches Potenzial. Sie kann als Wissenschaftsdisziplin die Forschung bereichern, sie bietet einen innovativen Ansatz für die Optimierung von Produkten und sie kann als Innovationsstrategie in Unternehmen eingesetzt werden. Die Bionik ist so vielfältig wie die Natur selbst – und noch dazu fördert sie die Faszination und Begeisterung für biologische Vorbilder, was dann wiederum zu einem nachhaltigeren Wirtschaften führen kann. Dieses Potenzial ist enorm.
Frau Wanieck, vielen Dank für das Interview!
Interview: Dike Attenbrunner