Eggenfelden. Fräulein Weiler liebt Theater. An dieser Stelle teilt Sie mit Ihnen Ihre Betrachtungen, Beobachtungen, Sentimentalitäten und Emotionen. Am Theater an der Rott hat es „Rose, Queen of The Night“, die Einmann-Show mit Intendant Karl M. Sibelius, geschafft, Fräulein Weilers Herz tief zu berühren. Lesen Sie selbst, warum …
Bald lässt die Königin der Nacht die Hose runter, die Hüllen fallen …
Ist ein Zuschauer per Definition auch ein Voyeur? Ich habe mich jedenfalls so gefühlt, als bei der Premiere am Theater an der Rott Rose – die Königin der Nacht – uns allen ihr Herz schenkte. Rose, das ist die Figur von Karl M. Sibelius, die bereits in Linz begeisterte. „Rose, Queen of the Night“, das ist nicht nur eine Einmann-Show, das ist eine Offenbarung. Eine verrückte, kitschige, tiefe, ergreifende, überraschende, wachrüttelnde, direkte, derbe, sinnliche Offenbarung.
Und warum schenkte uns Rose ihr Herz? Weil sie es nicht mehr will, weil sie den Herzschmerz nicht mehr will. Rausoperiert haben will sie es, auch wenn das Risiko einer Narbe besteht. Eine Narbe auf dem Körper von Rose … Einem sehr schlanken Männerkörper, dessen Brust ein duzend Ketten schmücken, dessen Rücken eine tätowierte Rosengirlande überzieht.
Ihr Blick ist direkt und ausdrucksstark, was gewiss nicht nur an den langen Wimpern liegt. Ihr Gesicht ist hell geschminkt, ihr Haar mit Seitenscheitel eng an den Kopf gegelt, die Lippen rot, ebenso die Fingernägel. Zunächst trägt Rose noch eine schwarze Marlenehose. Aber bald lässt sie die Hose runter, die Hüllen fallen, zeigt sich in weißen Boxershorts. Darunter trägt sie eine schwarze Netzstrumpfhose. Und die Schuhe glänzen im schwarzen Lack und sind selbst für meine Begriffe schwindelerregend hoch.
Rose ist ehrlich, so spürbar unglücklich … trotz aller Selbsterkenntnis
Ich bin ein Voyeur. Sitze nicht im Zuschauerraum, sondern direkt auf der Bühne. Zu beiden Seiten eines weißen Laufstegs, an dessen einem Ende die Blue-Box, also eine blaue Leinwand steht – am anderen Ende der große Rahmen, der Bildschirm, auf dem Rose’s Geschichten wörtlich untermalt werden – die perfekte Idee der Video-Künstlerin Katarina Eckold. Fast in der Mitte sitzt Rose selbst, auf einem Barhocker, mit Tischchen davor.
Und ich bin Voyeur. Lausche ihrer Geschichte, habe meine Augen nur auf sie gerichtet, kann mich manchmal nicht entscheiden, ob ich Rose anschaue, die mit dem kornblumenblauen Hintergrund so direkt, verletzlich und stark zugleich zur Geltung kommt. Oder ob ich schaue, was auf dem Bildschirm passiert. Ausstatter Christian Weißenberger und Silke Fischer machen es mir nicht leicht, unterstützen meine Unentschiedenheit aber mit Drehstühlen.
„Manchmal fragen mich die Leute … ‚Wie hat das eigentlich bei Dir begonnen, Rose …?‘ Na, wie hat das wohl begonnen? Bei der Geburt. Und ich war eine schwere Geburt, ich hatte meinen Kosmetikkoffer dabei.“ Rose hat Humor, Rose hat eine schwarze Art, sich selbst zu betrachten. Rose ist ehrlich zu sich selbst, sie kennt ihre Geschichte, steht dazu … und ist so spürbar unglücklich, trotz aller Selbsterkenntnis.
Der Song ist rührend – aber zu Tränen gerührt hat mich erst Rose
Rose ist transsexuell. „Ich glaube, es ist ein Junge“, sagte die Hebamme bei der Geburt zur Mutter. Später Mädchenkleider, Puppen, rosa. Die erste Liebe, mit dem sie händchenhaltend den Sternenhimmel betrachtete. Rose erzählend auf der Leinwand, im Hintergrund aufsteigende Herzen, Schmetterlinge … Rose erzählt, wie sie bei einem Tanzstück eine Mädchenrolle übernahm und sich völlig glücklich, angenommen fühlte. Bis zur Reaktion des Vaters. Nie mehr habe er Rose bei ihrem eigentlichen Namen, Gabriel, genannt. Schwuuuuli. Schwuchtel. Und betrunken: Schwanzlutscher. Arschfotze. So wie Rose es sagt, tut es weh.
Und dann mein Höhepunkt des Abends. Ich habe es ja noch nicht erwähnt, aber Rose singt. Und wie! Oft! Gottseidank! Jetzt singt sie Leonard Cohens „Hallelujah“. Viele haben das gesungen. Wirklich viele! Der Song ist rührend. Aber zu Tränen gerührt hat mich erst Rose. Und täuscht es mich, weint sie gar selbst, als sie dem Publikum, sich selbst, der Welt, ihr wütendes, betroffenes, emotionales „Hallelujah“ entgegenschleudert?
Rose – sie lässt mich nicht nur einmal weinen. Ja, ich gebe es zu, dass ich nahe am Wasser gebaut habe. Schon bei „Orpheus und Eurydike“ nahm meine Rührung überhand. Aber Rose … Sie bringt es auf den Punkt, sagt das, was wir alle wissen, weil wir es alle schon gefühlt haben: Liebe tut weh. Darum auch so köstlich: „The Winner takes it all“. Rose ist verliebt … Echt verliebt, nicht nur sexuell angetan. Das aber schon auch. Sie spitzt ihre Lippen wie ein „Ameisenbär“ und revanchiert sich beim Körper des Menschen ihrer Begierde. Und dann geht er einfach. Anstatt Sektfrühstück Leere. The Winner takes it all. Mit lautem Gestöhne untermalt. Sex ist nicht Liebe. Und Liebe nicht Sex. Und wenn es beides ist, kann man von Glück sprechen.
Schockiert: Rose fährt per Anhalter mit – und wird prompt vergewaltigt
Jetzt: „Where the wild Roses grow“. Auf dem Bildschirm sitzt Rose nun neben einem reich tätowierten Mann mit langem Haar und Sonnenbrille – halt, sitzt der nicht tatsächlich da drüben auf einem Drehstuhl? Und ich frage nach, erfahre, ja, das ist er, Marco Palewicz, der für den musikalischen Teil in „Rose, Queen oft he Night“ zuständig war – und damit ganze Arbeit geleistet hat. Jedenfalls sitzt Rose neben diesem sexy Kerl im Fond eines Autos und singt den weiblichen Part des Songs, der männliche bleibt Nick Cave vorbehalten. Der Song wunderbar, die Hintergrundgeschichte weniger: Rose fährt per Anhalter mit – und wird prompt vergewaltigt.
Vergewaltigung ist auch ein Thema in der Kirche, in der sich Rose nun auf der Leinwand befindet. Mag das die St. Anna Kapelle sein, frage ich mich – die Kapelle, in der die nächste Premiere „Die Beichte“ nicht aufgeführt werden darf, weil sich der Pfarrgemeinderat dagegen aussprach. Es ist nicht die St. Anna Kapelle, erfahre ich. Egal. Rose wollte nur ihre Sünden erlassen haben, liegt nun jedoch mit gespreizten Beinen auf dem Boden, der Kirchenraum dreht sich und sie singt schrill „The Rapist“. Das schockiert. Ordentlich sogar.
Will Rose provozieren? Provokation! Karl M. Sibelius ist der Provokateur himself – so ist es immer wieder zu hören. Ich sehe das nicht so. Wer direkt auf heikle Tatsachen, auf gesellschaftsrelevante Themen hinweist, ist kein Provokateur, sondern ein Augenöffner. Und wie erklärte der Intendant unlängst bei der Spielplanpräsentation erneut: „Das Theater ist kein Unterhaltungstempel, sondern ein Haus mit Bildungsauftrag.“
Wenn sich Rose etwas wünschen dürfte, dann wäre das eine Vagina
Und darum immer wieder: Transsexualität als Medienthema. Was ist transsexuell, wie geht die Gesellschaft damit um? Ja, wie geht sie damit um? Die Gesellschaft, die gerne eindeutig einordnet ins Schubladensystem, aus Unkenntnis, aus Angst. Die Zeitungsartikel werden von Rose vorgetragen, laufen als Text auf der Leinwand. Und weil mir das alles ein bisschen zu schnell geht, weil ich mehr wissen will zum Thema, bin ich sehr dankbar, dass Regisseur Peer Ziegler im Foyer alle Artikel als Ausstellung konzipiert hat und ich mich nochmals lesend informieren kann.
Ich bin keine Unterhaltene, ich bin ein Voyeur. Und Rose ist eine Offenbarung. Wenn sie sich was wünschen dürfte, dann wäre das eine Vagina. Viele Kinder will sie selbst gebären. Und wenn ihr Körper von Krebs zerfressen sei, der letzte Vorhang fiele, dann wolle sie wissen, dass ihre Kinder in Liebe aufwüchsen. Liebe. „Kommt es auf die Liebe an? Ja. Es kommt eigentlich nur auf die Liebe an.“ Und schon wieder muss ich weinen. Und Rose schaut. Sie schaut uns nicht an. Ich aber sie. Ich bin ein Voyeur. Weil ich Rose so sehr sehe. Rose ist Rose. Und nicht Karl M. Sibelius. Aber es ist seine Lebensweisheit, seine Emotionalität, sein frecher Witz, dem Leben zu begegnen, der diese Einmann-Show so großartig macht, dass nicht nur ich aufstehe, um Rose die Ehre zu erweisen – und das sehr lange.
Für Nachhilfe in Sachen Herzensbildung: Seien Sie Rose’s Voyeur
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. „Warum können Schwänze nicht Parfum versprühen und Muschis nach Rosenwasser duften?“ Blüten müssen welken, um sich in Früchte zu wandeln. Wo ist Hollywood? I want to fly away! Rosa Überraschungseier, Piccolo und Wimpernklimpern, auf dem Laufsteg liegend, sich so schonungslos zeigend, Geschichten erzählend. Oh, und dieses stechende Gefühl im Herzen. Sein Leben zu leben, mutig, mit dem Herzen eines Löwen, auch wenn’s weh tut.
Tun Sie’s! Leben Sie Ihr Leben. Wenn Sie Nachhilfe in Herzensbildung brauchen, schauen Sie Rose an, seien Sie Voyeur. Die Vorstellungen sind fast ausverkauft, aber da Hog’n hat es geschafft, einmal zwei Karten für die Late-Night-Vorstellung am 13. April um 21.30 Uhr zu ergattern (Email mit dem Kennwort „Rose“ bis 12. April an info@hogn.de).
Ihr Fräulein Weiler
Ich habe so viel geweint in diesem Stück! Und war doch so glücklich danach! Danke ans Theater und danke an Fräulein Weiler für die einfühlsamen Worte. Ich bin sprachlos! Hoffe, ich lese Sie bald wieder. Würde mich gern persönlich austauschen und freue mich über eine Nachricht an gnadenreich@web.de. Herzlich, Ihr Raphael M. Gnadenreich
das war der beeindruckendste Theaterabend, den ich je erlebt habe…und sowas in Eggenfelden. Unglaublich, das gehört zum Theatertreffen nach Berlin, alle Zuschauer waren überwältigt und waren am Schluss nicht mehr in den Stühlen zu halten. Was für ein Künstler, was für ein Abend: Einzigartig! Danke
Wow, tolle Fotos!
Sibelius war ja schon in Linz der absolute Publikumsliebling, obwohl er sich nie ein Blatt vor den Mund nahm. Hat sich für die AIDSHilfe eingesetzt, Asylanten Unterkunft geboten, Kunst immer auch als Instrument für sozialen Wandel verstanden und wurde ja vielfach für seine Zivilcourage ausgezeichnet. Ich hab mich immer gewundert, dass er nach Eggenfelden geht, denn ein Mann wie er hat überall was zu sagen. Allein, dass er die Show, die ich vor 13 Jahren schon gesehen habe völlig neu konzipiert hat, zeigt: Der ruht sich nicht auf seinen Lorbeeren aus, sucht immer neue Herausforderungen und scheut auch die tiefste Provinz nicht. Ich find Sibelius einfach klasse und hoffe er bleibt dem Theater an der Rott erhalten, obwohl sicher viele Häuser so einen Intendanten brauchen könnten. Wir Oberösterreicher vermisssen ihn sehr, er war eine Ikone und hat eine Lücke hinterlassen….
Lang wird der wohl nicht in Niederbayern bleiben! Habe fast alle Produktionen im Theater an der Rott gesehen: Großartig, da können Theater wie Passau oder Regensburg nicht mithalten!
Verstehe die Aigung im Landkreis nicht: das ist eine einmalige Chance. Wen der neue Theaterleiter es in Eggenfelden nicht schafft, wer dann!
Das ist die schlechteste Kritik, die ich je gelesen habe… Personenkult bis zum Erbrechen… Aufdringlicher Enthusiasmus und Gefühlsduselei ohne Ende… Auch die furchtbar blumige Sprache hat nichts mit einer fundierten Theaterkritik zu tun… Liebes Fräulein Weiler… Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen… Ihr Überschwang lässt mich an der Inszenierung zweifeln… Viel zu viel von allem! Ein Schelm der Böses dabei denkt…