Freyung. Ein Auslandsaufenthalt ist für viele Jugendliche nach der Schule oder im Studium eine wünschenswerte Erfahrung. USA, Australien oder Neuseeland gehören zu den Zielen der Neugierigen und Reiselustigen. Nicht aber für die 19-jährige Stephanie Stangl aus Freyung, die sich für eine etwas außergewöhnlichere Alternative entschieden hat: Indien – ein riesiger Staat in Südostasien, rund neuntausend Kilometer von Bayern entfernt und eine Kultur, bei der Faszination und Armut nicht weit auseinander liegen. Eines der zentralen Probleme: die Umweltverschmutzung, die immer mehr außer Kontrolle gerät. Was die Lehramtsstudentin aus dem Bayerischen Wald in Indien erlebt, wie sie auf die Idee kam dorthin zu gehen und welche gesellschaftlichen Unterschiede es gibt, lest ihr in ihrem „Hog’n-Auslandsbericht“.
„Zeit für sich haben – das eigene Leben von außen betrachten“
Seit Oktober 2012 ist Stephanie Stangl nun in Indien und beteiligt sich als Volontärin an einem Projekt, das sich mit der Müllbeseitigung und der Schaffung eines Umweltbewusstseins in dem Subkontinent befasst. Anfangs eher zu Work-and-Travel-Angeboten hingezogen, entschloss sie sich im Juni letzten Jahres für eine Beschäftigung als freiwillige Helferin: „Ich hatte genaue Vorstellungen in welche Region des Landes ich möchte und habe dann gezielt nach Möglichkeiten im indischen Bundesstaat Himachal Pradesh, der 6,9 Millionen Einwohner zählt, gesucht. Und so bin ich schließlich auf die „Waste Warriors“ gestoßen“, erklärt die 19-jährige Waidlerin. Sie lebt dort zusammen mit ihrer Projektmanagerin Tashi in einer kleinen Wohnung, die zugleich das Büro der Nichtregierungsorganisation ist.
Die komplette Planung der sechsmonatigen Reise dauerte einige Monate. Impfungen, Pässe und die Buchungen der Flüge waren schließlich im August 2012 fix – Stephanies Trip ins Ungewisse konnte also beginnen. Aber warum weg von der gewohnten Umgebung? Und warum ausgerechnet Indien, ein Land das derzeit aufgrund von Gewalt, Mord und Frauenverachtungim Fokus steht?
„Einmal Zeit für sich haben – und sein eigenes Leben von außen betrachten“ – das waren die Gründe für diesen mutigen Schritt, wie die Freyungerin erklärt. „Ich möchte nicht wie andere einfach blind einen scheinbar perfekten Weg verfolgen. Außerdem lässt sich ein halbes Jahr gut mit einem Urlaubssemester an der Uni vereinbaren.“
Einen Kulturschock hat die junge Studentin trotz enormer gesellschaftlicher Unterschiede nicht bekommen: „Ich habe mich auf das einfache Leben hier eingestellt. Außerdem bin ich grundsätzlich offen für Neues und für Herausforderungen.“ Die Leute in Indien sind laut Stephanie, die Anfang April wieder in den Woid zurückkehren wird, viel aufdringlicher als daheim: „Bei uns ist ein Nein auch ein Nein. Hier glaubt man jedoch, dass sich die Meinung nach zehn-maligem Nachfragen geändert hat. Man kann es aber den Menschen irgendwie auch nicht für übel nehmen – sie wollen ja auch nur ihre Geschäfte voranbringen.“ Von den jüngsten Vergewaltigungsfällen in Indien hat die Freyungerin nichts mitbekommen, weil es in der Wohnung keinen Fernseher gibt und auch keine Zeitung geliefert wird.
„Kultur und Menschen selbst erleben, um zu verstehen“
Ihr Alltag unterscheidet sich vom Studentenleben in München um 180 Grad. Das Müllbeseitigungsprojekt besteht aus mehreren Freiwilligen, die bei täglichen bzw. wöchentlichen Touren die Gebiete rund um die Städte Dharamshala, Dehradun und Goa vom Unrat befreien. Die Abfälle werden zunächst vom Boden aufgesammelt, anschließend getrennt und schließlich zur Recyclingstation nach Punjab gesandt. „Bei uns in Himachal Pradesh gibt es keine Anlaufstation, wo wir den Müll hinbringen können“, schildert Stephanie und ergänzt: „Das ist so, als würde es in Bayern keinen Recyclinghof geben und wir müssten alles in ein anderes Bundesland schicken.“
Die „Waste Warriors“ im Einsatz – vor Ihnen ist kein Müllsünder sicher:
http://youtu.be/6Zg2VQBWTCQ
Je nach Wochentag steht ein anderes Gebiet auf dem Plan, das vom Müll befreit werden muss. Aber nicht nur dessen aktive Beseitigung zählt zu den Aufgaben der Freyungerin, sondern auch Lehrprogramme wie der „Children’s Day“ werden von ihr und den anderen Freiwilligen gestaltet. Dabei sollen die indischen Kinder mit Spiel und Spaß zu mehr Umweltbewusstsein und Verständnis für Mülltrennung erzogen werden. Auch Präsentationen über das Müll-Management- Projekt an Schulen sowie Workshops mit Firmen und Unternehmen sind für die Gruppe von Bedeutung. Denn viel Geld bekommt die Organisation für die Aufräum-Aktionen nicht, weshalb sie größtenteils auf Spenden angewiesen ist und sich so finanzieren muss.
„Man findet Selbsterfüllung darin den Menschen zu helfen“
Ein Highlight für Stephanies Truppe war das Cricketspiel Indien gegen England, bei dem die Helfer – wie sollte es anders sein – für das Wegräumen des Mülls zuständig waren. Solche Aktionen werden dann auf der Homepage und Facebook-Seite der Waste Warriors mit Fotos und Texten dokumentiert. Spenden sammeln am Stand für Touristen, der in Himachal Pradesh steht, oder die Zeit mit Freunden verbringen – so gestaltet sich die Freizeit der 19-Jährigen: „Wenn ich gerade nicht mit Müllsammeln beschäftigt bin, erkunde ich die Natur bei kleinen Ausflügen, besuche nahegelegene Städte oder gehe einkaufen.“ Was für die Studentin am faszinierendsten ist: die Berge, die unberührte Landschaft – und vor allem die Mentalität der Menschen.
„Die Leute hier strahlen eine Besinnlichkeit und Ruhe aus, obwohl – oder gerade weil – sie nur ein sehr einfaches Leben führen. Alle sind sehr freundlich und hilfsbereit. Aber das kann man nur verstehen, wenn man die Kultur und die Menschen selbst einmal erlebt hat“, erklärt Stephanie. Ihre Mama und ihren Bruder vermisst sie natürlich – und manchmal hätte sie auch Lust auf typisch bayerisches Essen. Deshalb hält sie mit Freunden und Familie regelmäßigen Email-Kontakt und überbrückt so die letzten Wochen ihres Auslandsaufenthalts.
Die Organisation Waste Warriors kann die Freyungerin nur weiterempfehlen – und schwärmt von der schönen Zeit und den tollen Leuten: „Das ist ein Projekt, das man unbedingt unterstützen sollte. Man findet irgendwie Selbsterfüllung darin den Menschen zu helfen und für mehr Umweltbewusstsein zu sorgen.“
Daniela Jungwirth