Zwiesel. Dass Frauen typische Männerberufe ergreifen, ist immer noch ungewöhnlich. Kindergärtnerin, Krankenschwester oder Industriekauffrau sind meist die erste Wahl. Viele glauben, dass eine Frau den Anforderungen, die beispielsweise ein Handwerksberuf wie Maurer, Elektriker oder Dachdecker mit sich bringt, körperlich nicht gewachsen ist. Aber: Ist das nur ein Klischee oder stimmt es wirklich? Eine, die es wissen muss, ist Julia Binder aus Zwiesel. Die 21-Jährige hatte in den letzten dreieinhalb Jahren fast täglich mit Autoreifen und Motoröl zu tun, denn sie hat eine Ausbildung zur KFZ-Mechatronikerin gemacht. Welchen Herausforderungen sich Julia stellen musste, ob sie in der Werkstatt von ihren männlichen Kollegen ernst genommen wurde – und warum Frauen auch in Männerberufen bestehen können, lest Ihr im Hog’n-Porträt.
Mit Praktika und Eignungstests zum handwerklichen Talent
Während der Ausbildung war Julia im Autohaus Hirschvogel in Regen die einzige Frau im Blaumann – unter 25 männlichen Kollegen. Dabei wollte sie ursprünglich gar nicht Reifen wechseln und Autos reparieren. Die junge Frau hatte sich nach der Realschule zunächst bei einigen Unternehmen für eine Ausbildung zur Bürokauffrau beworben – und nur Absagen erhalten. Erst durch berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen und Eignungstests fand die zierliche Zwieselerin zu ihrer handwerklichen Neigung. Praktika bei AVP und Hirschvogel folgten – und führten zu einem Ausbildungsvertrag: „Der Chef der Werkstatt kam nach meinem Praktikum auf mich zu und fragte, ob ich mir eine Ausbildung als KFZ-Mechatronikerin in seinem Betrieb vorstellen könnte – ich war sofort begeistert und sagte zu.“
„Als einzige Frau muss man sich durchsetzen können“
„Schon als Kind habe ich in Papas Werkstatt mitgeholfen und hatte auch Spaß an praktischer Arbeit. Dass ich diese Freude aus der Kindheit zum Beruf machen könnte, kam mir jedoch nicht in den Sinn“, erzählt Julia. Die ersten Monate der Ausbildung bestanden zwar noch aus Autos putzen und Arbeitsflächen sauber machen. Aber bereits im ersten Jahr konnte sie kleinere Reparaturen übernehmen und den Kundendienst durchführen. Im zweiten Lehrjahr war sie dann schon eine „ganz normale“ Mitarbeiterin – auch für ihre männlichen Kollegen. „Natürlich muss man sich durchsetzen können, wenn man das einzige Mädchen in der Werkstatt ist. Dass man mich nicht schwach anreden braucht, das habe ich sofort abgeklärt“, macht Julia deutlich.
Im Betrieb gab es auch keinen Bonus wegen ihres Geschlechts. Der jungen Frau habe man die gleiche Leistung zugetraut wie der restlichen Belegschaft, so Serviceberater Christoph Riedl vom Autohaus Hirschvogel. Ausprobieren und sich einfach trauen – das war die Devise. Auch Dreck und Arbeitsklamotten haben Julia nie gestört: „Mein Gesicht und die Hände waren meist ganz schwarz. Aber das war mir egal – beim Duschen ging das ja alles wieder runter.“
Die Kunden waren anfangs teilweise misstrauisch…
Dass man als Frau körperlich nicht mit den Männern in einer Liga spielt, waren allen in der Werkstatt bewusst – und standen Julia jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. „Wenn schwere Teile zu tragen waren, haben mir die Burschen sofort geholfen. Der Zusammenhalt war groß und wir haben uns super verstanden. Wenn man allerdings mal weiß, wie man Sachen anpacken muss, kann man auch als Frau einen Lastwagenreifen abmontieren. Das ist oft nur eine Frage der Technik“, schmunzelt die Zwieselerin stolz.
Die Kunden waren anfangs teilweise misstrauisch, ob die junge Frau den anstrengenden Job schaffen würde. Es gab allerdings auch Leute, die sehr fasziniert waren vom Mut der angehenden KFZ-Mechatronikerin und die sich freuten, Julia zu sehen. „Da kamen oft ältere Menschen, die dann sogar nachfragten, wo das blonde Mädchen heute ist. Sowas hört man gerne, wenn Kunden so offen mit einem umgehen.“
Trotzdem: Nicht alle waren von ihrem Arbeitsplatz angetan. Die ehemaligen Freundinnen von der Realschule hatten größtenteils eine Ausbildung als Krankenschwester oder Bürokauffrau begonnen. Julia war in deren Augen „nur“ eine KFZ-Mechatronikerin mit Latzhose und Arbeitsschuhen. Sie ließ sich davon jedoch nicht beirren und verfolgte ihre Ausbildung weiterhin mit Ausdauer und unzähligen Überstunden.
Vom dreckigen Blaumann zur geschminkten „Tussi“
Während der Woche war sie der Blondschopf im Blaumann, am Wochenende dann aber eine richtige Frau. „Samstags und sonntags war ich dann wieder voll und ganz Mädchen. In der Arbeit habe ich mich ja nicht geschminkt – wozu auch! Das wurde aber dann am Wochenende nachgeholt. Da kann ich schon mal zur richtigen Tussi werden“, verrät Julia selbstbewusst und lacht. In ihrer Freizeit dreht sich nicht alles nur um Fahrzeuge, wie man vielleicht vermuten könnte. Obwohl sie gerne in Onlineshops für Zubehör herumstöbert, ist sie nicht der typische Autonarr, der andauernd den eigenen Wagen verschönert oder aufmotzt. Ausflüge, Fotografieren, Weggehen: Diese Aktivitäten stehen in ihrer knapp bemessenen Freizeit auf dem Plan.
Obwohl es mit einigen Herausforderungen verbunden war, kann Julia die Ausbildung auf jeden Fall weiterempfehlen. Sie will Frauen, die Angst vor einem Schritt in eine Männerdomäne haben, Mut machen. Denn sie ist davon überzeugt, dass jedes Mädchen KFZ-Mechatronikerin werden kann – vorausgesetzt sie hat Durchhaltevermögen und keine Angst davor, sich dreckig zu machen. Auch beim Autohaus Hirschvogel ist man nach der positiven Erfahrung mit Julia offen für weitere weibliche Azubis: „Die ganze Geschichte war sehr gut für uns“, sagt Serviceberater Riedl. „Julia hat einen ordentlichen Job gemacht – es hat alles reibungslos geklappt. Wenn wir erneut so eine ambitionierte Bewerberin finden, dann stellen wir auch gerne wieder eine Dame ein.“ Er ist außerdem der Meinung, dass eine Frau in der Werkstatt auf jeden Fall gut für das Betriebsklima sei. „Julia hat während ihrer Ausbildung frischen Wind in das Autohaus gebracht!“
Die Zukunftspläne der 21-Jährigen sind schon sehr konkret. Mit der abgeschlossenen Ausbildung in der Tasche besucht sie seit einigen Wochen einen BOS-Vorbereitungskurs. Ab September will sie dann das Fachabitur in Regen nachholen, um danach auf der Fachhochschule ein duales Studium mit dem Schwerpunkt Elektrotechnik absolvieren zu können. Julia Binder zeigt, dass frau in einem „typischen Männerberuf“ bestehen kann – und auch ernst genommen wird.
Daniela Jungwirth