Freyung. Zwei junge Männer betreten die Aula der Realschule. Einer der beiden hat geschorene Haare, der andere hat eine Kappe auf. Sie sind ganz in Schwarz gekleidet, tragen schwere Stiefel. Mit einem spöttischen Lächeln im Gesicht bleiben sie an der Tür stehen, warten darauf, dass ihnen ein Stuhl angeboten wird. An diesem Abend findet eine Informationsveranstaltung zum Thema „Rechtsextremismus erkennen“ statt. Die verspäteten Gäste zeigen recht eindringlich wie das kleidungstechnisch aussehen kann.
„Jemanden als rechtsextrem zu identifizieren, ist schwieriger geworden“
Es sind eigentlich nur Eltern und Lehrkräfte eingeladen. Wie die beiden Männer davon erfahren haben, weiß keiner. Referent Arno Speiser bittet sie dennoch Platz zu nehmen. Gefasst. Souverän. Alles andere als eingeschüchtert. Als sie die Veranstaltung zunehmend mit höhnischem Gelächter und andauernden Zwiegesprächen stören, macht Schulleiter Josef Wimmer von seinem Hausrecht Gebrauch – und verweist die beiden Nazis von der Schule.
Womit viele Eltern und Lehrer bis zu diesem Abend im beschaulich-ländlichen Landkreis Freyung-Grafenau kaum oder gar nicht konfrontiert wurden, wird schlagartig Realität: Es gibt sie, die Neonazis – auch bei uns. Wobei man sie mittlerweile nicht mehr so eindeutig an ihrem Kleidungsstil erkennen kann wie die eingangs erwähnten Störenfriede: „Jemanden als rechtsextrem zu identifizieren, ist in Deutschland schwieriger geworden. Viele Neonazis geben sich heutzutage nach außen hin bürgerlich“, erklärt Arno Speiser, Mitarbeiter der regionalen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus für Niederbayern und Oberpfalz.
Deswegen müsse man stets ganz genau hinschauen, betont Speiser. Zum Beispiel dann, wenn es um regionale politische Aktionsgruppen wie die „Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz“, kurz: BiSAO, geht. Deren Internetauftritt liest sich auf den ersten Blick nicht wie eine rechtsextreme Seite. Die „Abschaffung des Mietwuchers in Regensburg für Rentner, Studenten und Sozialschwache“ oder die „Bekämpfung der sozialen Ausbeutung des Bürgers durch Zeitarbeit“ sind Ziele, die sich die BiSAO auf die Fahne geschrieben hat. Wer sollte schon etwas gegen solche Forderungen haben?
Erst auf den zweiten Blick entdeckt man höchst fragwürdige Parolen zur Asylpolitik – in der Satzung wird als Zweck des Vereins „die Wahrung der Interessen der deutschstämmigen Bürgerinnen und Bürger in der Oberpfalz“ angegeben. Verantwortlich für den Seiteninhalt zeichnet der als Neonazi bekannte Robin Siener. „Nach und nach soll für jeden Bezirk so ein Aktionsbündnis in Erscheinung treten, wenn es nach den Neonazis geht“, gibt Speiser Eltern und Lehrern zu bedenken.
„Soziale Netzwerke wie Facebook, um die Gesellschaft zu unterwandern“
Das Internet ermöglicht es der Szene auf denkbar einfache Weise ihr rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten. „Ich berate auch Eltern, deren Kinder der Neonazi-Szene angehören – und erlebe immer öfter Fälle, in denen Kinder und Jugendliche nur über das Internet in rechtsextreme Kreise abgedriftet sind“, schildert Speiser die Problematik. „Das beginnt bei der Musik und hört bei der Kleidung auf. Die rechte Szene lebt mittlerweile auch vom Internethandel.“ Und sie nutzt soziale Netzwerke wie Facebook, um die Gesellschaft mit ihrer Propaganda zu unterwandern. Eine der Kampagnen: „Deutschland gegen Kindesmissbrauch„. Eine seriös anmutende Facebook-Seite, auf der auch regelmäßig NPD-Mitglieder zu Wort kommen – und die viele Nutzer bedenkenlos mit einem „Gefällt mir“ versehen.
Doch was tun? „Genauer hinschauen, welche Seiten die Kinder aufrufen“, empfiehlt Speiser. Rechte Internetseiten verzichten auf Anglizismen. Der Link heißt dann auf einmal nicht mehr Link, sondern „Verweis“. Das Internet wird im Neonazi-Jargon als „Weltnetz“ bezeichnet. Auch ein Blick ins Impressum kann nicht schaden.
Der Überraschungsbesuch der Neonazis hat etwas ausgelöst bei den Zuhörern. Sie scheinen regelrecht aufgerüttelt worden zu sein. Denn sowohl Lehrer als auch Eltern beteiligen sich nach den Referaten von Arno Speiser und Martin Behringer, der den Infoabend als pädagogischer Mitarbeiter der vhs Freyung-Grafenau im Rahmen des XENOS Projekts „Grenzenlos tolerant – Toleranz grenzenlos“ mit initiiert hat, rege an einer Diskussion über rechte Erscheinungsformen.
„Rechtsextremismus gibt es überall – und wegschauen hilft nichts!“
Die Deutschrock-Band „Frei.Wild“ aus Südtirol, der aufgrund ihrer Texte und der rechtsextremen Vergangenheit ihres Bandleaders Philipp Burger immer wieder der Vorwurf gemacht wird, dass sie rechtspopulistisch motiviert sei – was die Band vehement bestreitet – ist ebenso Thema wie die sogenannte „Schulhof-CD“, deren Vertrieb verboten ist. Der Umstand, dass Neonazis gegen die Bundeswehr sind, sorgt bei den Anwesenden für Verwunderung. „Es ist nicht immer logisch, was diese Gruppierungen verkünden“, erklärt Speiser. Ein Grund dafür sei, dass die Bundeswehr „die Heimat am Hindukusch verteidige“. Für größere Verwirrung sorgt schließlich auch die Information, dass Rechtsextreme den Umweltschutz für sich entdeckt haben: „Umweltschutz ist Heimatschutz“ lautet deren Parole. „Sollte Ihnen einmal das Magazin ‚Umwelt & Aktiv‚ in die Hände gelangen: auch dahinter stehen Neonazis“, so Speiser.
Ausschnitt aus der TV-Dokumentation „Die neuen Rechten“:
Letztlich hilft bei alledem nur eins: Aufklärung. Im Unterricht, im Elternhaus und im Freundeskreis. „Die Schüler müssen dann sensibilisiert werden, wenn sie noch offen dafür sind“, betont Speiser. Ihm sei zwar bislang nicht bekannt, dass es im Landkreis Freyung-Grafenau eine organisierte Kameradschaft gebe, aber: „Rechtsextremismus gibt es leider überall – und wegschauen hilft nichts! Wie man an den beiden jungen Männern sieht, sind Neonazis durchaus reisebereit.“ Und auch wenn die NPD Bayern derzeit viele Austritte zu verzeichnen habe, bedeute das noch lange nicht, dass die Ex-Mitglieder dadurch der rechtsextremen Szene fern bleiben würden, so der Referent weiter. „Vielmehr wandern sie in noch radikalere Kameradschaften ab! Kampagnenfähig seien diese bislang allerdings nur in sehr wenigen Bezirken.“
So gesehen hatte der Gast-Auftritt der Neonazis vielleicht auch etwas Heilsames, etwas Alarmierendes: Eltern und Lehrer sind gewarnt. „Neonazis sind in unserer Nähe – und unsere Kinder sind der Gefahr, die von ihnen ausgeht, ausgesetzt“, sagt auch Realschulleiter Josef Wimmer am Ende der Veranstaltung. „Zeit, mal nach den Rechten zu sehen“ lautet das Motto des Abens. Scheint so, als wäre das dringender denn je …
da Hog’n
Wer mehr zum Thema wissen möchte:
- Ansprechpartner und Informationen gibt es unter anderem bei der vhs Freyung-Grafenau unter www.grenzenlos-tolerant.de
- www.moderne-nazis.de
- www.netz-gegen-nazis.de
- keinbockaufnazis.de
- www.exit-deutschland.de
- aida-archiv.de
- www.lks-bayern.de
- www.schule-ohne-rassismus.org
Als Elternbeiratsvorsitzender der Realschule Freyung hatte ich die Veranstaltung auch besucht. Im ersten Moment dachten etliche Besucher, dass die beiden Typen in Bomberjacke und Springerstiefeln als „Hallo-Wach“-Effekt von den Veranstaltern eingesetzt worden sind. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass die Skins e c h t waren.
Als der Schulleiter die Störer des Hauses verwies, stand ich auf und forderte mehrere männliche Veranstaltungsteilnehmer auf, es ebenso zu tun. Nachdem sich die ungebetenen Gäste einer Übermacht von 8 -10 Männern gegenüber sahen, gaben sie schnell auf und verließen, begleitet von der starken Eskorte und den eindeutigen Kundgebungen des Publikums, das Schulgebäude.
Durch das Zeigen einer massiven Präsenz und gemeinsames Auftreten hatten die Rechten keine Chance. Wenn auch im Großen alle gesellschaftlichen Gruppierungen gemeinsam gegen das rechte Gedankengut vorgehen, hat die rechte Szene schlechte Chancen, sich weiter auszubreiten.
Hat jemand die Herrschaften fotografiert? Es wäre interessant, die Identität der zwei Störer herauszufinden. Außerdem haben wir in Passau immer noch den ungelösten Fall Mannichl!