Untergriesbach. Lesen Sie sich bitte folgende Zeilen durch und überprüfen Sie hinterher Ihre Reaktion. Es handelt sich dabei um einen Auszug aus einem Inserat für den Verkauf eines Zweifamilienhauses nahe Untergriesbach (Lkr. Passau), eingestellt bei immobilienscout24.de:
„Das Haus liegt in dem kleinen Kaff Scherleinsöd, wo die Straßen immer wieder von Pferden zugeschissen werden. Eine geeignete Schaufel sollte man deshalb immer zur Hand haben, um wenigstens die Einfahrt zum eigenen Grundstück freizuschaufeln. Pferde-, Rinder- und Geflügelhaltung in der unmittelbaren Nachbarschaft sorgen dafür, dass Ihnen die Arbeit nicht ausgeht. Flugenten kacken Ihnen die Terrasse voll, Hühner graben Ihnen die Gartenbeete um. Misthaufen, Gülle- und Jauchegrube sorgen dafür, dass Sie vor lauter Fliegen nicht mehr aus dem Fenster sehen können. Bei starkem Regen haben Sie die überfließende Jauche vor der Grundstückseinfahrt, sofern der Kanal nicht alles aufnimmt. Hundegejaule und -gekläffe können Sie zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten genießen. Bei größeren Veranstaltungen im örtlichen Wirtshaus können Sie davon ausgehen, dass ein Teil Ihres Grundstücks als Parkfläche beansprucht wird. Wenn Sie Ihr Kapital unbedingt vernichten wollen, sollten Sie also zugreifen. Oder wenn Sie verrückt sind!“
Na? Schmunzeln Sie gerade? Haben Sie das Gefühl den Text noch einmal lesen zu müssen, um glauben zu können was da steht? Denken Sie gerade: ‚Das ist aber jetzt nicht ernst gemeint?!‘ Oder: ‚Steckt da eine besondere Verkaufsstrategie dahinter?‘ Nein! Bei der außergewöhnlichen Lage-Beschreibung handelt es sich um „offene und ehrliche“ Worte, wie die Hausbesitzern auf Hog’n-Nachfrage bestätigt. Der Text ist ernst gemeint. Sehr ernst sogar. Denn das Ehepaar Miedl aus Scherleinsöd, einem 100-Seelen-Dörfchen südlich von Untergriesbach gelegen, ist verzweifelt. Nach mehr als zwei Jahrzehnten halten es die beiden nicht mehr länger dort aus – und wollen nur noch eins: weg!
„Wir haben vor 20 Jahren hier gebaut – aber das war ein Riesenfehler“
„Wir haben vor 20 Jahren hier gebaut – aber das war ein Riesenfehler“, sagt Elisabeth Miedl mit einer gehörigen Portion Resignation in der Stimme. „Wir fühlen uns einfach nicht mehr wohl in diesem Dorf.“ Und der Grund für dieses Unwohlsein ist schnell ausgemacht: Es sind „die lieben Nachbarn“.
Denn im Gegensatz zu den Miedls mögen’s die lieber tierisch, halten sich Pferde, Rinder, Hühner und Hunde, die offenbar den ganzen Tag über nichts anderes machen als hier ihren Haufen hinzusetzen, dort die Beete umzugraben – und zu bellen, zu stinken und zu schmutzen. „Die Nachbarsmädchen kümmern sich zwar sehr gut um die Pferde, aber sie gehen dann eben auch hunderte Male mit den Tieren durchs Dorf – und hunderte Male liegt dann der Mist vor unserer Einfahrt, die wir dann wieder sauber putzen müssen. Auch die Güllegrube läuft ständig über wenn’s regnet – und dann riecht’s wieder so streng“, beschreibt die Noch-Scherleinsöderin die nicht besonders appetitliche Situation. „Naja, es ist halt einfach so …“, fügt sie mit erneut resigniertem Ton an.
„Ich habe nichts gegen Tiere, im Gegenteil“, vermittelt Elisabeth Miedl glaubhaft. Aber die Nachbarn würden nunmal einen etwas anderen Lebensstil als sie und ihr Mann pflegen, sagt sie. Sie sei sehr penibel und auf Sauberkeit bedacht – ihre Nachbarn hingegen weniger. „Stellen Sie sich vor Sie haben ein Haus und Ihre Frau ist den ganzen Tag nur noch am Fensterputzen. Und am nächsten Tag, wenn Sie raus auf die Straße gehen, ist wieder alles voller Dreck“, schildert sie mit aufgeregter Stimme. „Und dann beginnt man wieder zu putzen – und zwei Stunden später ist es wieder das Gleiche …“ Die Lage sei schlichtweg katastrophal. Aussichtslos. „Und mein Mann hat jetzt gesagt: Es reicht einfach!“
„Es ist einfach schlecht zu verkaufen, es scheitert immer an der Lage“
Mit aller Höflichkeit habe das Ehepaar Miedl nach eigener Aussage die Nachbarn schon häufiger gebeten, sie möchten doch etwas besser auf ihr Federvieh und die anderen Tiere Acht geben. „Doch so richtig ernst werden wir leider nicht genommen, sondern eher noch ausgelacht.“ Inzwischen haben die Miedls, die nach dem Auszug ihrer erwachsenen Kinder alleine in dem großen Zweifamilienhaus wohnen, die Hoffnung darauf aufgegeben, dass sich etwas ändert. Und im nächsten Moment fügt die Scherleinsöderin beschwichtigend an: „Aber unsere Nachbarn sind keine bösen Nachbarn, die uns absichtlich etwas Schlechtes wollen. Sie machen das nicht, weil sie uns eins auswischen möchten.“
Viele Leute hätten aufgrund des nicht alltäglichen und in Klartext formulierten Inserats bereits angerufen. Dass es im Internet und in Sozialen Netzwerken (mehr als 3.000 „Gefällt mir“-Angaben bei Facebook) momentan die große Runde macht, ist dem Eigentümer-Ehepaar bekannt. Doch einen Interessenten mit tatsächlichen Kaufabsichten habe es bislang noch nicht gegeben.
„Es ist einfach schlecht zu verkaufen, es scheitert immer wieder an der Lage“, sagt Elisabeth Miedl. Viele, die zum Anschauen vorbeikommen, würden erst gar nicht mehr ins Haus gehen, nachdem sie das nähere Umfeld betrachtet haben. „Wir haben das Haus auch schon einmal einem Makler übergeben, der es verkaufen sollte. Der meinte nur: Wenn es 20 Kilometer weiter weg stehen würde, könnte er es in der Woche dreimal verkaufen.“
Die Reaktion vieler Leute würde so ausfallen: ‚Wahnsinn, warum gebt ihr dieses schöne Haus her?‘ – „Aber das ist wie in einer kaputten Ehe“, erklärt Elisabeth Miedl: „Wenn’s vom Gefühl her nicht mehr passt, dann passt’s einfach nicht mehr – und man muss etwas unternehmen.“ Sprich: verkaufen!
„Jedenfalls war es von Anfang an unsere Absicht, alle wichtigen Informationen offen und ehrlich in die Anzeige zu schreiben. Und wenn wir’s verkaufen können, haben wir nichts verschwiegen und niemandem etwas vorenthalten“, sagt Elisabeth Miedl und lacht. „Es steht alles drinnen.“ Vor kurzem habe sie sogar wieder eine positive Rückmeldung auf den Inseratstext bekommen: „Einer hat gemeint: Endlich mal ein ehrlicher Hausverkäufer, der den Leuten nichts vormachen will und sich sagen traut, was Sache ist.“
Stephan Hörhammer