Freyung. Wie ist es, wenn man die Heimat verlässt und in ein neues Land auswandert? Ist es schwer, sich auf eine andere Kultur einzulassen? Und wie bekommt man das mit der Integration eigentlich hin? Interessante Fragen, auf die die Volkshochschule des Landkreises Freyung-Grafenau im Rahmen des XENOS-Projekts „Grenzenlos tolerant – Toleranz grenzenlos“ versucht Antworten zu geben. Den Anfang der vhs-Porträt-Serie macht die Freyungerin Martina Stadlmeyer, die aus Kroatien stammt. Sie findet: „Deutschland ist ein tolles Land für Ausländer!“ Ein Porträt über Integration, kulturelle Unterschiede – und darüber, was Kroaten und Deutsche voneinander lernen können.
„Wenn man jung ist, sucht man spannende Herausforderungen“
Stadlmeyer ist gebürtige Kroatin und kam 1999 in die Bundesrepublik – wegen der Liebe. 2000 heiratete sie hier ihren Mann, einen deutschen Arzt. Dabei war am Anfang alles andere als klar, dass die beiden hierher ziehen würden.
„Eigentlich habe ich mich früher nie so richtig für Deutschland interessiert“, erzählt die heute 39-Jährige. Ich habe Französisch studiert – und wollte deswegen immer nach Frankreich. Das war so mein Traumland, als junge Studentin. Aber als ich dann meinen Mann kennenlernte – und wir vor der Entscheidung standen, wo wir unser gemeinsames Leben verbringen wollen, war Deutschland die einfachste Lösung.“ Ihr Mann musste noch seine Ausbildung zum Facharzt vollenden und Stadlmeyer, die damals an der Universität in Zagreb studierte, konnte ihre Diplomarbeit auch in der BRD schreiben. „Und wenn man jung ist, sucht man neue und spannende Herausforderungen“, schildert sie ihre damalige Vorfreude auf die neue Heimat.
Auch wenn Stadlmeyer zuvor in der Schule Deutsch gelernt hatte – und sie, wie sie sagt, ein „Sprachentyp“ ist, musste sie in dem neuen Land doch ganz von vorne anfangen: „Das ist so, als wäre man wieder ein Kind. Du musst erst mal die Sprache richtig lernen, damit Du Dich ausdrücken kannst. All das, was in Kroatien für mich selbstverständlich war, musste ich hier neu lernen – und das ist irgendwie so, als ob man ein Parallel-Leben führen würde. Keiner kann abschätzen, was Du für einen Intellekt hast und mit welchen Motiven Du hierher gekommen bist“, beschreibt sie die anfänglichen Hürden. Und eine fremde Umgebung könne einen auch nie ganz problemlos aufnehmen, ein gewisser Widerstand gegenüber einem „Fremdling“ sei am Anfang ganz normal. Schließlich sei jeder Mensch von seiner eigenen Kultur geprägt.
„Kroaten reden gerne und viel – und lieben Geselligkeit“
„Zum Beispiel ist das Temperament der Kroaten ganz anders als das der Deutschen“, findet Stadlmeyer. „Kroaten reden gerne und viel – und lieben die Geselligkeit. Das ist nicht schlecht“, betont sie, „nur gewöhnungsbedürftig“. Hierzulande habe man eine viel stärkere Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, hier sei man sehr auf Schnelligkeit fixiert. Das bedeute nicht, dass die Kroaten nicht fleißig wären – aber ihnen fehle, so sehe sie das, oft die Organisation und die Struktur der Deutschen.
Kulturelle Unterschiede, die es auch bei Vertragsverhandlungen zwischen Deutschen und Kroaten zu beachten gelte, betont Stadlmeyer, die unter anderem für die ICUnet.AG, einem Passauer Unternehmen für interkulturelle Trainings, arbeitet. Dort vermittelt sie deutschen Geschäftsleuten worauf es ankommt, wenn diese erfolgreich mit Kroaten zusammenarbeiten wollen: „Kroaten wollen nicht gleich zur Sache kommen, sie sind neugierig, wollen erst einmal wissen, mit wem sie es zu tun haben“, schildert sie den unterschiedlichen Umgang mit Geschäftssituationen. „Deutsche Unternehmer wollen aber möglichst schnell auf den Punkt kommen – und nicht erst ausufernd über ihr Privatleben sprechen.“ In Rollenspielen vermittelt sie den deutschen Geschäftspartnern deshalb, dass es für einen Kroaten vor allem auf die Atmosphäre ankommt. Erst wenn sich der Kroate wohl fühlt, steht auch einer erfolgreichen Zusammenarbeit nichts mehr im Wege.
Das Wichtigste: die kulturellen Unterschiede akzeptieren können!
Sie selbst habe sich in Deutschland nie unwohl gefühlt, betont Stadlmeyer. „Nur am Anfang, als ich die Sprache noch nicht so gut verstand, war es schwierig für mich. Erst recht als wir vor elf Jahren nach Freyung zogen! Bayern und der bairische Dialekt: Das war wie eine eigene Welt in Deutschland!“ Das Wichtigste sei dabei, dass man die kulturellen Unterschiede akzeptieren könne. „Als wir uns noch nicht solange kannten, hat mein Mann geglaubt, dass ich mich mit meiner kroatischen Familie immer streite“, erzählt Stadlmeyer lachend. „Dabei war das für uns eine ganz normale Unterhaltung! Für einen Kroaten ist es nicht unhöflich, wenn alle immer dazwischengehen. Es will sich halt jeder mitteilen. Alles muss ausdiskutiert und geklärt werden. In Kroatien muss man deshalb auch sehr taff sein und sich mit Worten durchsetzen können. Das ist einfach unser südländisches Temperament!“
Man merkt, dass Stadlmeyer die eigene Herkunft wichtig ist: Die beiden Kinder werden zweisprachig erzogen, lernen Deutsch und Kroatisch. Den kroatischen Literatur-Klassiker „Zug im Schnee“ von Mato Lovrak hat sie für ihre Kinder kurzerhand ins Deutsche übersetzt, weil die deutsche Übersetzung nicht mehr verfügbar war. Und in Deutschland möchte sie das Interesse für ein Land wecken, das als Urlaubsregion viel mehr zu bieten hat als eine der schönsten Küsten Europas: „Ich komme aus Varaždin, einer alten Barockstadt in Nordkroatien, das auch als ‚kleines Wien‘ bezeichnet wird. Ein wunderbares Städtchen, das viele Touristen nie sehen.“ Auch Zagorje, ein Gebiet das zwischen Varaždin und Zagreb liegt, würden viele nicht kennen. „Das dortige Mittelgebirge ist in etwa vergleichbar mit dem Bayerischen Wald, obwohl das Klima milder ist“, erklärt sie. Im geschichtsträchtigen Zagorje finde man über 70 Schlösser. Diese Schlösser gehörten kroatischen, österreichischen und deutschen Aristokraten. Nicht weiter verwunderlich, denn Kroatien gehörte lange zu Österreich-Ungarn. „Leider kennen das jedoch nur wenige Touristen“, zeigt sie sich enttäuscht.
Die Volkshochschule: Ein richtig guter Ort für Migranten
In den Kindergärten und Schulen ihrer Kinder hat sie deshalb oft kurze Vorträge gehalten – auch Sohn und Tochter machen Kroatien öfters mal zum Gegenstand ihrer Referate. „Aber erzwingen sollte man das Interesse auf keinen Fall!“ Das führe nämlich eher dazu, dass man die Leute abschrecke, glaubt Stadlmeyer. Ein richtig guter Ort für Migranten sei ihrer Meinung nach die Volkshochschule. Hier dürfe man auch ohne deutsche Ausbildung unterrichten. Man müsse natürlich Qualifikationen vorlegen, aber ein deutsches Lehramtsstudium sei beispielsweise nicht vonnöten.
Stadlmeyer, die selbst vhs-Kurse in Französisch und Kroatisch gibt, sieht darin auch die ideale Möglichkeit für Ausländer, ihr Wissen an andere weiterzugeben und so an einer Integration mitzuwirken. Neuerdings gibt sie für die vhs auch den Kurs „Deutsch für Mediziner und Pflegekräfte“ – ein wichtiges Angebot angesichts der Tatsache, dass immer mehr medizinisches Fachpersonal aus dem Ausland nach Deutschland kommt.
Alles in allem sei Deutschland wirklich ein tolles Land für Ausländer, sagt Stadlmeyer. Warum? „Wegen der demokratischen Basis. Man kann sagen, was man denkt. Das sieht man an den verschiedensten Meinungen, die in den deutschen Zeitungen vertreten werden. Und ich finde es toll, dass die Deutschen sich immer so viele Gedanken machen, wie zum Beispiel beim Projekt ‚Grenzenlos tolerant – Toleranz grenzenlos‘: Sie thematisieren ein Thema und versuchen das dann strukturiert zu verbessern.“
Ob sie irgendwann wieder nach Kroatien zurückgehen will? „Nein, ich habe meine Familie hier, meinen Mann und meine Kinder“, sagt Stadlmeyer kopfschüttelnd. „Meine Heimat ist da, wo meine Familie ist. Außerdem verändert sich auch Kroatien ständig – genauso wie ich mich geändert und mir deutsche Verhaltensweisen angeeignet habe.
Dike Attenbrunner
Ein ganz ganz toller Artikel mit schönen Fotos! Vielen Dank!