Heinrichsbrunn. Alpakas? Im Bayerischen Wald? Und mit denen darf man sogar wandern gehen? So recht mochte das unsere Freie Mitarbeiterin Sabine Simon nicht glauben – und besuchte deshalb den Hof der Familie Gibis in Heinrichsbrunn bei Mauth, wo sie mit ihren vielen braunen, weißen und schwarzen Alpakas lebt. Zwischen kuscheliger Alpaka-Wolle, Beruhigungstherapie und magischen Murmel-Augen-Momenten: Ein Ausprobiat bei den Südamerikanern in den „bayerischen Anden“.
Albert Gibis hat keine Kühe mehr, sondern Alpakas im Stall
Serafina war’s. Oder doch Takara? Beide haben unglaublich große, tiefdunkle Augen und kucken mich ganz intensiv und neugierig an. Ich schau‘ wie gebannt zurück. Und schon ist’s passiert: „Ich bin hin und weg!“ Dabei hatte mich Albert Gibis, der Besitzer der beiden, noch gewarnt: „Wenn man einem Alpaka zu tief in die Augen schaut, ist man für immer verliebt in diese Tiere.“ Das habe ich jetzt also davon …
Auch Albert Gibis und seine Frau Nancy verliebten sich in die Wollknäuel auf vier Beinen, damals im Leipziger Zoo. Dort schauten sie vor gut fünf Jahren dem Alpaka-Männchen Harry etwas zu tief in die Augen – und beschlossen kurzerhand gemeinsam mit ihren Töchtern Jessica und Annika: Wir kaufen Alpakas! Die kleine Landwirtschaft seiner Eltern weiterzuführen, das lohnte sich für Albert sowieso nicht mehr. Die Handvoll Milchkühe neben seinem Job im Bauhof zu versorgen, machte viel Arbeit – und brachte nichts ein. Also: Alpakas.
Alpakas? Im Bayerischen Wald? Das hier ist doch das Reschbachtal und nicht das Sacred Valley in Peru. Gleich nebenan der Lusen, nicht der Alpamayo in den Anden. „Die Tiere fühlen sich hier genauso wohl wie in ihrer Heimat in Südamerika“, versichert Albert. „Ich denke, das sieht man ihnen auch an.“ Mittlerweile leben fünf Stuten, zwei Hengste, ein Wallach und ein Baby-Hengst bei Familie Gibis. Und jeder, der die Alpakas kennenlernen will, darf mit ihnen wandern gehen. Das wollte ich unbedingt ausprobieren!
Nach wenigen Minuten sind die Alpakas schon zutraulich
Also ab nach Heinrichsbrunn in der Gemeinde Mauth-Finsterau. Der Hof liegt direkt am Fuße des Lusen. Familie Gibis empfängt mich herzlich und stellt mir auch gleich den „Damen-Stall“ samt Fohlen vor. Nach wenigen Minuten sind die Alpaka-Stuten so zutraulich, dass ich ihren samtweichen Hals kraulen darf – und den Blick kaum mehr von den Murmel-Augen lösen kann.
„Und jetzt schauen wir runter zu den Hengsten“, sagt Albert. Wanderausflüge machen die Stuten nämlich nicht, nur die Hengste begleiten Gäste auf Touren durch den Bayerwald. Ich möchte unbedingt wissen, wie es ist, ein Alpaka an der Leine zu führen. „Ich muss dich leider enttäuschen: Rausgehen ins Reschbachtal können wir heute nicht.“ Keine Wanderung? Wie schade! Das hat einen ernsten Grund: Enrico, der Leithengst, hat Schmerzen im Knie, er humpelt. Die Tierärztin hat das Knie geröngt und eine Knochenabsplitterung festgestellt.
Enrico ist halb Alpaka, halb Lama – und der „Anführer“ der Herde. Er geht immer voran, wenn sich Gäste mit ihm und den beiden anderen Hengsten, Bonito und Dario, auf Wanderschaft begeben. Wir können also nicht wandern, weil der Chef krank ist? „Alpakas sind Herdentiere“, erklärt Albert, „wir könnten niemals mit den anderen beiden weggehen und Enrico alleine zu Hause lassen.“ Enrico würde ausflippen, wenn seine Herde ihn im Stich lässt.
Ich merke: Wandern mit Alpakas erfordert viel Geduld!
Kaum haben wir das Gehege betreten, kommt der Leithengst auf uns zu und signalisiert mit nervösem Getrappel und bittenden Lauten, dass er raus möchte. Er weiß genau: Da kommt jemand, um mit mir und meiner Herde spazieren zu gehen. Aber so leid es uns allen tut: Er darf erst wieder raus, wenn sein Knie operiert worden ist.
Trotzdem legt Albert dem kleineren Dario das Zaumzeug an. Um mir zu zeigen, wie zutraulich und zahm die Tiere sind. Dario ist relativ klein, reicht mir gerade mal bis zum Ellbogen. Streicheln am Hals mag er gerne, am Kopf darf ich ihn aber nicht anfassen. Sein Fell ist wahnsinnig weich und sehr dicht – aber kalt. Das liegt an seinen isolierenden Fähigkeiten: Die Körperwärme kommt gar nicht bis nach außen durch!
Ich führe Dario eine Runde durch das Gehege. Er geht wie auf Samtpfoten, hat keine Hufe, sondern läuft auf ledrigen Sohlen. Ich merke sofort: Wandern mit Alpakas erfordert viel Geduld! „Ruhig vorne weggehen, dann kommt er schon hinterher“, behauptet Albert. Sagt er so leicht: Manchmal bleibt Dario einfach stehen – und macht nicht, was ich will. Aber ich lerne schnell: Ich muss mich auf ihn einlassen, sein Tempo gehen. Ihm zwar zeigen, dass ich der „Herr“ bin, aber auch nicht zu fordernd und unruhig sein. Eine sehr interessante und lehrreiche Erfahrung.
Alpakas als Therapietiere: hyperaktive Kinder werden ruhiger
„Und genau deshalb wollen wir die Alpakas in Zukunft verstärkt als Therapietiere einsetzen“, sagt Albert. Vor Kurzem war ein hyperaktiver Junge zu Besuch. Zuerst sei er ganz zappelig gewesen und habe auch die Alpakas nervös gemacht. Doch schnell hatte er begriffen: Wenn er sich ruhig verhält, bleiben auch die Tier unaufgeregt.
Maximal fünf Kilometer schafft man bei einer zweistündigen Alpaka-Wanderung – eine sehr relaxte Angelegenheit also. Albert und Nancy wollen mit ihren Alpakas auch Tier-Therapien für Behinderte ermöglichen – mitten im Bayerischen Wald. Ähnlich wie beim Schwimmen mit Delfinen würden sich behinderte Kinder im Umgang mit Alpakas erstaunlich öffnen, weiß Albert. Und noch einen Vorteil haben die Vierbeiner aus den Anden: Selbst wer mit Tierhaaren Probleme hat, reagiere auf Alpakas nicht allergisch, versichert der Züchter.
Viele glauben, dass Alpakas unnütze Tiere sind…
Längst sind die Alpakas mehr als ein Hobby für Familie Gibis. Und dabei waren nicht wenige anfangs der Meinung, die Tiere seien „unnütz“ – so sehen zumindest manche einheimische Bauern das Alpaka-Abenteuer. „Die meisten hier in der Region denken immer an den Profit und rechnen genau aus, wie viel Milch eine Kuh geben muss, damit sie sich lohnt“, erzählt Gibis. Und das sind dann auch diejenigen, die ihn danach fragen, ob man Alpaka-Fleisch denn essen könne? Kann man. Macht man in Peru auch. Aber hierzulande wäre das ein teurer Spaß. Zucht-Alpakas kosten mindestens 3000 Euro, sie wiegen maximal 80 Kilo. Zum Vergleich: Eine Kuh kostet etwa 1000 Euro und wiegt ungefähr 650 Kilo! Da kann man sich ausrechnen, dass Alpaka-Fleisch eine Delikatesse wäre. Aber schlachten würde Albert seine Lieblinge niemals!
Auch Milch geben Alpakas keine. Sie haben kein Euter – nur kleine Zitzen, von denen die Fohlen Muttermilch saugen. Und Lasten tragen können sie auch nicht. Nur etwa drei Kilo kann man ihnen „aufladen“.
Warum stellt man sich also Alpakas in den Stall? „Weil sie relativ pflegeleicht sind“, wie Nancy und Albert einhellig bestätigen. Die Alpakas grasen im Sommer auf den 3,5 Hektar großen Weideflächen der Familie Gibis und fressen im Winter Heu – mehr brauchen sie nicht. Auf das Geld, das die Tiere durch Wanderungen einbringen, komme es ihnen ohnehin nicht an. Die Familie lebt von dem Geld, das Albert im Bauhof verdient.
Die Kuschelwolle der Tiere ist wertvoll – das Scheren anstrengend
Doch es gibt auch etwas an den Alpakas, das „wertvoll“ ist: ihre kuschelige Wolle. Mehr als 20 Euro können die Züchter für ein kleines 100g-Knäuel verlangen. Je dichter, desto wertvoller. Jedes Alpaka wirft pro Jahr etwa zwei Kilo des Haarkleids ab. Naja, was heißt „abwerfen“? – Das Ganze geht natürlich nicht von allein: Die Tiere zu scheren ist eine anstrengende und langwierige Arbeit. Jedes Jahr im Mai ist es soweit.
Aus nicht ganz tadelloser Wolle – von den Beinen der Damen oder vom nicht so edlen Fell der Alpaka-Herren – lassen Nancy und Albert Bettdecken und Kopfkissen machen. „Wir haben bereits Vorbestellungen für die nächsten zwei Jahre“, sagt Nancy stolz.
Die qualitativ einwandfreie Roh-Wolle wird an eine Spinnerei geschickt. Zurück kommt das fertige Produkt: Wollknäuel. Und aus denen strickt Nancy Gibis dann fleißig Mützen, Schals und Handschuhe – und verkauft sie im eigenen Hofladen. Auf jedem Teil steht, welches der Tiere die Wolle dafür geliefert hat! Eine Mütze von Serafina, Handschuhe aus 100 Prozent „Alexandra-Wolle“. Witzig.
Eine Mütze kostet etwa 25 Euro – ein mehr als fairer Preis. „Die Arbeitszeit darf ich da gar nicht einrechnen beim Preis, den ich verlange – sonst kauft keiner“, sagt Nancy. Ihre Alpakas seien immer noch ein Hobby – trotz der Wollausbeute. Denn der Woll-Erlös geht für Tierarztkosten und Futter locker drauf.
Ein gequältes Geräusch: Spucken die Alpakas mich jetzt an?
Zurück im Stall bei den fünf Stuten – und bei Calimero. Der vier Monate alte Alpaka-Hengst ist das dritte Jungtier aus eigener Zucht. Die Herde beschützt ihn, drängt sich immer dicht um den Kleinen. Fotografieren: Schwierig. Und plötzlich legt Mutter Alexandra die Ohren an und stößt ein Geräusch aus, das sich gequält anhört. Ich hab mich ihr wohl einen Schritt zu schnell genähert. Ich weiche zurück, weil mir sofort einfällt: Alpakas sind Verwandte der Lamas. Spucken die mich jetzt etwa an?
„Die Frage hören wir quasi von jedem Gast. Sie hat dich gerade gewarnt“, antwortet Albert. Wenn ich mich jetzt noch weiter nähere, würde sie mich noch ein zweites Mal warnen – und erst danach spucken. Zwei Vorwarnungen? Das finde ich sehr fair. „Uns haben sie wirklich noch nie angespuckt“, versichert Nancy. Untereinander bespucken sich die Alpakas allerdings häufiger.
Wie die Lamas gehören Alpakas zu den sogenannten Neue-Welt-Kameliden. Sie sind Herdentiere und haben innerhalb der Herde eine genaue Rangordnung. Alexandra ist hier unter den Stuten die Chefin. Frisst ihr eine andere Stute das Heu weg, spuckt sie.
Kurz darauf werden wir Zeuge einer solchen Attacke. Es sieht ganz anders aus, als man es sich vorstellt: Nicht gezielt – „eher so, wie wenn ein Kleinkind seinen Kakao nicht mag und ihn wieder rausprustet“, beschreibt Albert es. Die Spucke enthält halb verdaute Heureste, überall an der Stallwand gut zu erkennen – da klebt nämlich die eingetrocknete Spucke vergangener Rangkämpfe. „Aber gefährlich oder gar giftig ist das nicht – nur ein bisschen eklig“, so der Alpaka-Züchter.
Nach langem Streicheln und Fotografieren verabschiede ich mich ganz wehmütig von den Tieren. Serafina hat mich mit ihren Kulleraugen regelrecht in ihren Bann gezogen. Ich komme wieder. Auf jeden Fall. Wenn Enricos Knie wieder heil ist. Und dann gehen wir wandern. Ich freu mich drauf!
Sabine Simon